zur Unzufriedenheit erst anzuregen; die Bedingnisse für Unzufriedenheit find in unseren ganzen wirthschaftlichen und sozialen Verhältnissen ge= geben. Aber freilich, wenn der Arbeiter, auf dessen Thätigkeit, auf dessen Kraft Staat und Gesellschaft und ihre Fortentwicklung beruhen, wenn der Arbeiter auftritt und erklärt, daß er entsprechend dem Stei­gen der Preise, entsprechend der Vertheurung der ganzen Lebenshaltung einen höheren Lohn haben müsse, wenn er darauf bedacht ist, seine Lage zu verbessern, dann sind gewisse Arbeiterfreunde" sofort bei der Hand, um über künstlich erzeugte und genährte Unzufriedenheit zu sprechen. Sie, meine Herren, speziell auf jener Seite( rechts), haben gar fein Recht, über Unzufriedenheit der Arbeiter zu flagen; denn wenn jemand Unzufriedenheit an den Tag gelegt hat mit der wirth­schaftlichen, sozialen Lage, dann sind Sie es gewesen.

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( Buruf.)

Gewiß! Ihre Unzufriedenheit" beseitigt zum Theil

mals, bor   jezt 100 Jahren. Entscheiden Sie gegen den Geist der Neuzeit, dann kommt die Satastrophe,

( ah! rechts)

dann kommt ein neues und größeres Jena  ! Dem fönnen Sie nicht ausweichen. Es fällt mir nicht ein, für meine Partei an Ihr Gefühl einen Appell zu richten; aber bedenken Sie das Interesse des Vaterlandes, bedenken Sie Ihr eigenes Interesse! Die Entscheidung ist eine solche, die kaum wieder rückgängig zu machen ist. Bedenken Sie: Staaten zerstören ist leichter als Staaten grün­den und festigen.

( Sehr wahr! rechts. Heiterkeit.)

Das Sozialistengesetz soll also, wie vorgeschlagen worden ist, vor eine Kommission kommen. Wir können selbstverständlich nicht für eine Kommission stimmen. Wir können Ihnen bloß zurufen: Thun Sie, was Sie nicht lassen können; wir in fedem

burch die Schuk zolt politik. 23ar Shre aus der Lugufrisbert Fall unsere Schuldigkeit that werber

heit resultirende Wirthschaftspolitik auf etwas anderes gerichtet, als darauf, möglichst große Profite einzuheimsen? Ganz bestimmt, lediglich darum hat es sich gehandelt! Sie werden dem Lande niemals glauben machen können, daß es sich wirklich um die Hebung der kleineren Land­

wirthschaft gehandelt hat. Um Ihren, der Großgrundbefizer Profit hat es sich gehandelt, zu diesem Zweck hat die Schutzzoll­politik das arbeitende Volk mit gebundenen Händen den privilegirten Kornwucherern überantwortet. ( Lachen rechts.)

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Meine Herren, wenn man im preußischen Landtage lachen Sie nur, Sie werden gleich noch mehr zu lachen" haben

( Buruf rechts: Ich freue mich schon darauf! wenn man im preußischen Landtage mit Rücksicht auf die Erhöhung und das Steigen der Preise dem herrschenden Fürsten, welcher bereits eine Zivilliste von über 12 Millionen bezicht und außerdem noch ganz bedeutende Einnahmen aus seinem Privatvermögen hat,

( Zwischenruf rechts)

wenn man ihm, sage ich, 312 Millionen mit Rücksicht auf die ge= stiegenen Preise mehr bewilligt, da ist von Unzufriedenheit" keine Rede, das versteht sich ganz von selbst. Wenn aber die Arbeiter auf­treten und sagen: wir fönnen bei dieser jezigen schwierigen Situation, bei dem beständigen Steigen der Preise aller Lebensmittel und der Wohnung nicht mehr bestehen, wenn die Berliner   Maurer und übrigen Bauhandwerker kommen und erklären: wir wollen wenigstens die Garantie für ein Arbeitereinkommen von 5-6 Mark täglich haben, da schreit alle Welt über revolutionäre", umstürzlerische" Be­strebungen, und die Regierung drückt in ihrem Rechenschaftsbericht ihr Siegel darauf. Auch sie wendet sich gegen die künstlich genährte Un­zufriedenheit, die Arbeiter dürfen ja nach ihren Begriffen nicht unzu­frieden sein. Mundhalten, Stillhalten und Danken für die gnädigen Prügel, das ist nach ihrer Moral die Pflicht der Arbeiter.

Wenn Sie sich über Unzufriedenheit in den arbeitenden Klassen beklagen, wenn Sie dieselbe als so gefährlich sich gegenüber erachten, dann sollten Sie sich hüten, selbst durch Unterstüßung der Behörden und auch der Regierung in Sachen der Sozialistengefahr neuen Stoff dazu zu geben, daß Unzufriedenheit und Erbitterung gefät wird. Glauben Sie denn, die Arbeiter empfinden es nicht, wenn ihnen das Recht, welches reichsgefeßlich feststeht, das rein menschliche Recht", wie es seiner Zeit hier int Reichstage genannt worden ist, die Arbeitskraft möglichst hoch zu verwerthen, um einen möglichst hohen Antheil von der Produktion zu erhalten, glauben Sie, die Arbeiter empfinden

es nicht, wenn ihnen dieses Recht in so geradezu frivoler Weise un­möglich gemacht werden soll? Und meinen Ste, diese Arbeiter mit den schönen Phrasen von" Ordnung" und" Friedensliebe" hinters Licht führen zu können? Täuschen Sie sich nicht selbst! Sie haben schon sehr viel unter Selbsttäuschungen zu leiden gehabt; aber wir wollen nicht unterlassen, Sie immer wieder aufs neue zu warnen, Ihnen immer wieder aufs neue zuzurufen: Lernen Sie, gerecht sein! Sie sind ge= warnt und Sie, meine Herren von der Regierung, auch!

" 1"

( Heiterkeit rechts.)

Genosse Liebknecht  ( Sizung vom 5. Nov. Sozialistengeset): Sie haben mit Ihrem Sozialistengeseze nach jeder Richtung hin Bankerott gemacht; die Zwecke, welche Sie erreichen wollten, haben Sie nicht erreicht, wohl aber haben Sie die Korruption in ihre eigenen Reihen und in das Innerste Ihres Klassenstaats gebracht. Sie haben und damit komme ich noch auf etwas zurück, was ich vorhin bloß an­deutete Sie haben die staatsbildende, die staatsgründende Kraft des Sozialismus nicht verstanden! Der heutige Staat kann sich nur da durch verjüngen, daß er den Sozialismus auf dem Wege der Gesez­gebung einführt. Vor dieser sozialen Revolution stehen Sie; ihr fönnen Sie nicht ausweichen, sie muß sich vollziehen. Die Frage ist bloß die soll die soziale Revolution auf gesetzlichem Wege durchgeführt werden, oder wollen Sie die Dinge gehen lassen, wie sie gehen, und die Gesellschaft mitsammt dem Staat in den Abgrund hineinschleudern, den Sie angeblich vermeiden wollen? Die Sozialdemokratie ist gerade die Partei, auf welche der Staat, wenn Staatsmänner an der Re­gierung wären, in erster Linie sich stüßen müßte; denn die Sozial­Demokratie umfaßt als Personen die Arbeiterklasse.

Was ist Deutschland   ohne seine Arbeiter? Sie werden mir ein­werfen: es gibt Arbeiter, die keine Sozialdemokraten find. Ich sage: jeder zielbewußte und gebildete Arbeiter ist So= zialdemokrat, und die anderen, bis sie gescheit werden, überlassen wir Ihnen! Und Sie sorgen schon dafür, daß sie gescheit gemacht werden. Was wollen Sie ohne die Arbeiter machen? Sie haben dieses Gesetz jo ausgeführt, daß die Arbeiterflasie es als gegen sich gerichtet hinnehmen muß; alle Arbeiter in Deutschland  , soweit sie tlar sind über ihre Lage, über ihre Stellung im Staate, über die Aufgaben des Staates, find empört über dieses Gesez, und so haben Sie die besten Elemente im Staate, die Elemente, ohne die Sie überhaupt nicht eristiren können, von sich gestoßen, und die Unzufriedenheit, die Ihre Wirthschaftspolitik unter dem arbeitenden Volk erzeugt, durch Ihr Sozialistengesez zu glühen= dem Haß gesteigert. Was wären Sie ohne die Arbeiter? Wenn Sie alle, meine Herren, nach Amerika   gingen, und nur die Arbeiter blieben hier, dann würden wir um kein Haar breit schlechter stehen, vielleicht noch besser; wenn aber die Arbeiter weggingen, und Sie zurückblieben, dann könnten Sie alle verhungern. Ohne die Arbeiter können Sie nicht sein, und die Arbeiter entfremden Sie dem heutigen Staat, die, welche Ihre Schlachten zu schlagen haben, wenn das Vaterland etwa in Gefahr kommen sollte. Und den Sozialismus, der allein diesem alten Staat einen neuen Geist einflößen kann, suchen Sie durch dieses Gesetz zu fnebeln.

Nun zum Schluß! Meine Herren, wir stehen, wie schon gesagt, nicht als die Besiegten vor Ihnen; wir haben einen elfjährigen Stampf gegen Sie geführt, und in diesem Kampfe find wir Sieger geblieben; die Besiegten und die Geschlagenen find Sie!

Sie können uns nicht überwältigen, Sie mögen versuchen, was Sie wollen. Sie haben ja wohl das Märchen gelesen von dem Bauer und dem Kobold. Ein Bauer fühlte sich in seinem Hause beunruhigt durch einen bösen Geist, den er nicht los werden konnte; derselbe war bald in der einen Ecke und bald in der anderen und war nicht zu fangen. Der Bauer steckte hierauf, um den Plaggeist ficher los zu werden, das Haus an und meinte: da muß er doch sicher verbrennen! und fuhr dann mit seinen sieben Sachen weg, und als er ein paar Schritte weit gefahren war, hörte er hinter sich das Kichern des Ko­bolds, der ihm zurief: da war es aber sehr heiß; es ist gut, daß wir zusammen fortgekommen sind! Die Sozialdemokratie treffen Sie so wenig wie der Bauer den Kobold; aber Sie stecken das Haus an, in dem wir alle wohnen!

Es ist wiederum eine neue Idee in die Welt gekommen, eine neue Revolution, umfassender, großartiger als die damalige. Nicht der ,, dritte Stand", nicht das Bürgerthum ist es; iegt ist es die Arbeiter­flasse. Es gilt, für die alte bürgerliche Gesellschaft neue Bahnen zu finden, gerade wie es damals galt, an Stelle der alten feudalen Gesellschaft die junge bürgerliche Welt zu setzen. Diesen Reformen haben Sie sich verschlossen; jezt stehen Sie am Scheidewege!

( Zuruf rechts: Im Gegentheit!)

Ach, Sie selbst glauben ja nicht an Ihre Sozialreform; sonst hätten Sie das Sozialistengejek nicht erlassen und dieses neue Gesetz nicht ein­bringen können. Jezt stehen Sie am Scheidewege, gerade wie da

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ber Gefühle geräth, wo die Gefahr des Strauchelns so nahe liegt, daß es gerathen ist, ihn des Konflikts lieber ganz zu entheben; daß aber, wenn dies unterblieb, die Grundsäße der Menschlichkeit eine mildere Auffassung des Vergehens vorschreiben.

Weiter mochte unter den bestehenden Verhältnissen der Gesetzgeber nicht gehen, obwohl eine sehr einfache Ueberlegung sagt, daß ein eben­solcher, ja noch viel schwererer Konflikt der Gefühle eintreten fann, auch wo es sich nicht um nahe Verwandte und dergleichen handelt. Das offiziell anzuerkennen, verbietet jedoch heute die Staatsraison", die Rücksicht auf die öffentliche Ordnung". Denn, das ist immer festzu­halten, das Strafgesetzbuch ist kein Moralkoder, es bestraft die Hand­lungen nicht, weil sie unmoralisch" sind, sondern weil sie gegen die be= stehende Ordnung mehr oder minder grob verstoßen, ihre Aufrechter­haltung bedrohen. Man kann sehr unmoralisch handeln, ohne mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt zu kommen, man fann aber auch vor dem Gesez ein großer Verbrecher und doch persönlich ein durchaus reiner Charakter sein.

Wir gehen nun feineswegs so weit, daraufhin zu sagen: Strafgefeß­buch hin, Strafgesetzbuch her, thue jeder, was sein eigener Moralfoder gestattet, und sehe er zu, wie er sich vor Gericht durchwürgt, oder je

Meineidsentrüstung und politische Heuchelei. nachdem durchlügt. Nein, gerade als Sozialisten erkennen wir die

Von einem Freund unseres Blattes wird uns geschrieben: Bekanntlich ist von den Urhebern und Vertheidigern des Sozialisten gefeßes in Ermangelung brauchbarer Gründe das Lügenmärchen von dem Meineidskultus der Sozialdemokratie wieder in die Debatte ge= worfen worden. Nachdem die betreffenden Lügenpeter im Reich stag bereits ihre Abfertigung gefunden haben, treiben sie jest in der Presse ihr unsauberes Wesen. Durch sämmtliche deutsche   Reptilienblätter geht jezt folgende Notiz

In den letzten Sozialistendebatten wurde den Sozialdemokraten vor­geworfen, daß fie den Meineid in politischen Prozessen billigen oder beschönigen. Dieser Vorwurf wurde aber von sozialdemokratischer Seite mit Entrüftung" zurückgewiesen. Der Hamburgische storrespondent" ist in der Lage, aus der Nummer vom 10. Dezember 1886 des Sozial­demokrat" folgende Stelle als Beleg beizubringen:

" 1

So begreiflich das Bestreben ist, die Freunde und Genossen durch günstige Aussagen von einer Anklage zu befreien und so erklärlich es namentlich dann ist, wenn es sich um Vergehen gegen Geseze handelt, die unserem Nechtsgefühl als verwerflich, als infam erscheinen, die eine freche Verhöhnung unserer natürlichen Rechte bedeuten, so müssen fie doch dies Gefühl namentlich da unterdrücken, wo diese Aussage mit einem Meineidsprozeß beantwortet werden kann. Wir haben schou früher erklärt, daß wir in solchen Fällen den Meineid als eine entehrende Handlung nicht betrachten können und halten das auch aufrecht, aber damit wollen wir ihn keinesfalls empfohlen haben, sondern warnen die Genossen eindringlich vor einem solchen. Von anderen Bedenken ganz abgesehen, wird ihnen ja die einfache rechnerische Logik sagen, wie falsch es wäre, um eine Ge­fängnißstrafe von drei, selbst sechs Monaten zu vermeiden, sich einer mehrjährigen Zuchthausstrafe auszuseßen.

Hier also in dem Amtsblatte der Umstürzler ist der Meineid prinzi­piel als nicht entehrend entschuldigt und nur aus Opportunitätsrück­fichten davor gewarnt. Wenn es sich demnach um die Befreiung eines Genossen" von einer schwereren Strafe oder darum handelt, die Bloẞ= stellung der Sozialdemokratie überhaupt oder der Führer der Partei vor einem Gerichtshofe zu verhindern, dann wird nach obiger Logik der sozialdemokratische Zenge nicht zögern dürfen, den nicht entehren­den" Meineid zu leisten. Es ist dies ein vielfagendes Kapitel aus dem Koder der politischen Moral der Sozialdemokratie."

So die Reptilien.

1190

=

Worüber ärgern sie sich denn eigentlich? Der von ihnen zitirte Artikel des Sozialdemokrat" erklärt sich doch entschieden genug gegen den Meineid. Ja, aber er verurtheilt ihn nicht als eine entehrende Handlung"! Das ist das Verbrecherische nach der Reptilien- Moral. Nun, auf die Gefahr hin zu einem neuen Zetergeschrei der Reptilien­blätter und ihrer Hintermänner Veranlassung zu geben, erklären wir, daß wir auch heute noch, gerade wie vor drei Jahren, mit dem Sozialdemokrat" durchaus der Ansicht sind, daß wenn Jemand, um einen Freund, den eine ehrenhafte Handlung auf die Anklagebant gebracht hat, vor langer Gefängnißstrafe und einem Justizmord zu bewahren, ein Zeugniß ablegt, durch welches er sich selbst der Gefahr des Zuchthauses aussetzt, derselbe wohl eine strafbare, aber keine ehr­loje Handlung begeht.

Ehrlos kann das nur sein in den Augen eines Menschen, der feinen Sinn für Ehre hat.

Die Herren Reptilien und Reptilienvertreter fragen wir blos, ob fie nicht wissen, daß bei der Beurtheilung einer Handlung es vor Allem auf die Beweggründe ankommt? Wenn sie das nicht wissen, wohlan, so haben sie von dem A B C der Ethik und Moralwissenschaft, ja der Rechtsprechung feine Begriffe. Oder wissen sie nicht, daß jeder Richter verpflichtet ist, nach den Beweggründen einer Strafthat zu forschen, und daß er verpflichtet ist, die Strafe je nach den Beweggründen abzumessen? Wissen sie nicht, daß der Richter ein pflichtvergessener Bube wäre, der einen unerfahrenen Jüng­ling, welcher sagen wir durch unerlaubte Oeffnung einer Thüre einen Stameraden vor einer Disziplinarstrafe bewahren wollte, für gleich schuldig stellen wollte mit einem abgefeimten Spizbuben, der einem Spießgesellen die nämliche Thüre öffnete, damit das Haus aus geplündert werden konnte?

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In einem französischen   Trauerspiel sucht der Held den Ruf einer Dame, die sich um seinetwillen kompromittirt hat, durch eine unwahr­heit zu retten, die er mit seinem Ehrenwort bekräftigt. Und die Moral des Stückes ist, daß ein falsches Ehrenwort zwar unter normalen Um­ständen weder zu rechtfertigen noch zu billigen ist, daß es aber bei einem Skonflikt der Gefühle unter Umständen gegeben werden kann, welche es jeden unehrenhaften Charakters entkleiden, ja den Geber als einen edlen Menschen erscheinen lassen. Statt falschen Ehrenworts feße man Meineid, und wir finden, daß in jenem Trauerspiel genau derselbe Gedanke ausgesprochen und vertreten ist, der den Artikel des Sozial­demokrat" vom 10. Dezember 1886 difirt hat.

Nur ein Idiot oder ein Lump kann in dem Aussprechen dieses einfach menschlichen, und für jeden Menschen von Herz und Charakter selbstverständlichen Gedankens eine Empfehlung des Mein­eids finden.

Oder glauben die Reptilien zum Beispiel auch, daß die französischen  Royalisten und deutschen   Konservativen, welche wie Ein Mann die Mörderin Marat's  , Charlotte Corday  , als ein Muster der Tugend, des Edelmuths und des Hochfinns priesen, damit den politi schen Meuchelmord hätten empfehlen" wollen. He?

In's Kapitel der politischen Heuchelei" mit dieser Meineids- Ent­rüftung!" Denn gerade die Ordnungsparteien, aus deren Mitte der Vorwurf des Meineids- Kultus gegen die Sozialdemokratie erhoben wird, kultiviren selbst den Meineid aufs Schamloseste, und haben für jeden der hundert fürstlichen Eidbrüche, die wir in Deutschland   seit 1848 erlebt, eine Rechtfertigung und Berherr lichung gefunden und die Meineidsfürsten gefeiert und feiern sie noch wie ja auch der Meineidspfaff Stöcker, der, nicht um Andere zu retten, sondern um Andere zu schüßen, beschwor, einen Menschen nicht zu kennen, den er erwiesenermaßen sehr gut fannte, noch heutzutag unbestraft und ihr Mann ist."

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Soweit der werthe Einsender. Wir sehen uns veranlaßt, seinen Aus­führungen noch einige Bemerkungen unsererseits anzufügen.

Um sich zu überzeugen, daß er auch vom rein formellen Standpunkt in seinen obigen Darlegungen durchaus das Richtige getroffen, braucht man sich nur das Strafgesetzbuch selbst, bezw. die Paragraphen desselben, die vom Meineid handeln, näher anzusehen. Dort werden verschiedene Fälle aufgezählt, unter denen der Gesetzgeber den Meinetd milder bestraft sehen will, ja sogar die Umwandlung der entehrenden Strafe des Zuchthauses in die bloße Gefängnißstraße vorschreibt. Als ein solcher Ausnahmsfall wird z. B. bezeichnet, wenn ein Zeuge

die falsche Aussage zu Gunsten einer Person, rücksichtlich welcher er die Aussage ablehnen durfte, erstattet hat, ohne über sein Recht, die Aussage ablehnen zu dürfen, belehrt worden zu sein."

Als solche Personen, rücksichtlich deren die Zeugen- Aussage abgelehnt werden darf, bezeichnet das Gesez sehr nahe Verwandte 2c. Es erkennt an, daß wo es sich um solche handelt, der Zeuge in einen Konflikt

Pflicht des Individuums gegen die Gesammtheit an, und vielleicht in viel höherem Maße als irgend eine andere Partei, und weiter erkennen wir an, daß die heutige Gesellschaft, mangelhaft wie sie ist, doch das Recht hat, von dem, der den Schuß ihrer Gesetze beansprucht, auch zu verlangen, daß er sie, so lange sie bestehen, beobachtet. Wer das letztere nicht will, begiebt sich auch des Anspruch auf den Ersteren, und, logisch genommen, haben diejenigen, welche gegen die Gesellschaft den Kampf individuell führen zu müssen glauben, und sich durch keines ihrer Geseze gebunden erklären, kein Recht sich zu beschweren, wenn die Gesellschaft ihnen gegenüber nach den gleichen Maximen verfährt, statt des Gesetzes die Willkür in Anwendung bringt.

Mit anderen Worten, wir geben zu, daß die Frage des Eides sozial, in Berücksichtigung der gesellschaftlichen Interessen aufgefaßt werden muß. Wofür wir eingetreten sind, und noch eintreten, ist lediglich, daß bei Beurtheilung des Meineids, wie bei jedem anderen Vergehen, die Umstände berücksichtigt wergen, daß auch in Berücksichtigung auf ihn anerkannt wird, daß eine Handlung strafbar sein kann, ohne zugleich nothwendigerweise schimpflich zu sein.

Sozialpolitische Rundschau.

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London  , 19. November 1889. ,, Parlamentomüde" ist das deutsche Bürgerthum jammert ein bürgerliches Organ, die" Magdeburgische Zeitung". Ein prächtiges Geständniß, das in diesem Wort: parlamentsmüde" enthalten ist. Parlamentsmüde das heißt: müde des Parlaments, müde des Par­ lamentarismus  . Was ist denn das" Parlament", der" Parlamentaris­ mus  "? Unter einem Parlamente versteht man heut eine sogenannte Volks­vertretung" nach dem Rezept des bürgerlichen Liberalismus; und unter Parlamentarismus   das System der Volksvertretung und Regierung, welches der bürgerliche Liberalismus sich einge­richtet hat und in welchem er das Ideal der Staatskunst erblickt. Und jetzt hören wir auf einmal, daß das deutsche Bürgerthum par= lamentsmüde" ist, müde des Parlaments und des Parlamentarismus. und wir hören es nicht bloß, wir sehen es auch an den leerend Bänken des Reichstags, auf denen die Herren Volksvertreter der Ma­joritätsparteien nicht zu ſehen sind.

Von der Reichs- oder Neichstags- Schwänzerei der patriotischen Herren Kartellbrüder hatten wir bereits wiederholt zu sprechen Ge­legenheit. Dieser Erscheinung, die keine zufällige und keine vorüber­gehende ist, den richtigen Namen gegeben zu haben, ist ein Verdienst, welches wir der nationalliberalen Magdeburger Zeitung" gern zu­kommen lassen, obgleich sie das Wesen und die Bedeutung dieser Gr= scheinung nicht begriffen hat. Parlamentsmüde

das besagt, daß das deutsche Bürgerthum, nach

dem es eins seiner politischen Ideale nach dem Andern feig und aus niederster Selbstfucht über Bord geworfen hat, nun auch von seinem höchsten Regierungsideal nichts mehr wissen will, dessen müde" geworden ist. Mit anderen Worten: die Parlamentsmüdigkeit ist das Geständniß der politischen Abdankung."

Nicht daß das Geständniß uns überraschen könnte! Die deutsche Bourgeoisie hat politisch längst abgedankt, das ist eine hundertmal von uns festgestellte Thatsache. Neu ist bloß, daß die Bourgeoisie es jetzt auch nicht mehr für nöthig hält, den Schein zu wahren, und daß sie feinen Anstand mehr nimmt, ihre politische Abdantung aller Welt zu verkündigen.

Der Wechsel balg des Scheinparlamentarismus, den der preußische Junker- und Polizei- Staat mit der deutschen   Bourgeoisie gezeugt hat, war von jeher, seinem Ursprung und seinem Zwecke nach, nur das Feigenblatt des Absolutismus  ", allein dieses Feigenblatt ge reichte dem bürgerlichen Liberalismus doch zur Beruhigung es be= schwichtigte seine Strupel, und zwei Jahrzehnte lang wurde der Nord­deutsche Reichstag und seine Fortseßung: der deutsche Reichstag, von unserer liberalen Bourgeoispresse und von den Bourgeoisvertretern der Barlamente als das non plus ultra eines Parlaments, als das voll­kommenste Exemplar einer Volksvertretung, das überhaupt in der Welt vorhanden sei, gepriesen. Und nun wollen die Herren Bourgeois von ihrem Reichstag   nichts mehr wissen; sie sind seiner müde", ste wenden ihm den Rücken, und überlassen ihn der Regierung und den Oppositionsparteien.

1911

In dieser Zeit der politischen Heuchelei hat es etwas Herzerfrischen­des, wenn einmal ein Absage brief an sie geschrieben wird. Und ein solcher Absagebrief ist der Stazenjammer- Artikel der Magdeburger Zeitung" über die Parlamentsmüdigkeit. Die Herren Bourgeois wollen nicht mehr mitheucheln. Der Reichstag   ist bloß eine Schein- Wolfsa vertretung, und nach 21jährigem Wohlgefallen an diesem Schwindel haben die Herren Bourgeois endlich ein Haar drin gefunden und wollen nicht mehr mitmachen.

Wirklich? Nicht mehr mitmachen? Ja da haben wir freilich zu viel gejagt. Diese liberalen Männesseelen sind unberechenbar, und nach den bisherigen Erfahrungen würde es uns keineswegs Wunder nehmen, wenn die Herren morgen wieder anbetend vor dem deutschen Reichstag auf den Knieen lägen, und ihn abermals als die fine fleur des Parlamen­tarismus hinstellten. Wir halten das bei der klassischen Charakterlosigkeit dieser Gesellschaft sogar für äußerst wahrscheinlich. Allein das ändert absolut nichts an der Thatsache, daß die deutsche Bourgeoisie durch das Parlamentsmüdigkeit selbst dem

schen Bartamentarismus das vernichtenoite Armuth szeugniß aus­gestellt hat. Und dies erfüllt uns mit inniger Befriedigung.

"

Dem nämlichen Sumpfboden, wie die Parlamentsmüdigkeit, ist auch die sogenannte Wahlmüdigkeit" entsprossen. Das Bürgerthunt ist der ewigen Wählerei und Wühlerei müde" es will seine Ruhe haben", denn Ruhe ist die erste Bürgerpflicht", und das wählen stört in beängstigendster Weise die öffentliche Ruhe.

Um das böse Wählen auf ein Minimum zu reduziren, haben die Herren Kartellbrüder bekanntlich die 3jährigen Legislaturperioden zu 5jährigen ausgedehnt, und werden schließlich unzweifelhaft noch soweit kommen, ewige Legislaturperioden einzuführen, d. h. Legis­laturperioden, deren Dauer nur von der allweisen und allmächtigen Re­gierung beschränkt werden kann, so daß fünftighin nur noch dann, wenn die allweise und allmächtige Regierung es für nöthig hält, die Ruhe des braven, seiner ersten Bürgerpflicht" bewußten Bürgers durch die Qual der Wahl" gestört werden kann.

Die Wahlmüdigkeit" des Bürgerthums ist eine nicht minder fest­stehende Thatsache, als seine Parlamentsmüdigkeit". Es hat den Par­lamentarismus und das Wählen so auf den Hund gebracht, daß die ganze Wählerei für die Kaße" ist. Wozu sich die Zipfelmüße von den Ohren abzuziehen und dem ganz zwecklojen Vergnügen, ein Stückchen Papier   in einen durchlöcherten Staften zu stecken, einen halben, mindestens einen Viertel Tag opfern? Hat denn das deutsche Bürgerthum nicht selbst auf's gründlichste dafür gesorgt, daß das wählen zu einem zweck­

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