tribüne. Nie verlegen, wiffen sie jedem Vorgang, jedem Zwischenfall eine Auslegung für ihre Zwecke zu geben. Meine Herren Richter, brauchen Sie noch einen Beweis dafür, daß die Verbindung mit dem„ Sozialdemokrat" besteht? Sehen Sie hier, die neueste Nummer dieses Blattes bestätigt die Aussagen der Angeklagten. Die Redaktion des Blattes spielt mit den Angeklagten unter einer Decke."
So fadenscheinig diese Deduktion, so wollten wir selbst zu ihr keinen Anlaß bieten, und schwiegen deshalb lieber. Nun aber ist die Zeit ge= kommen, wo auch wir reden dürfen, ohne der Verdächtigung Boden zu geben, daß wir auf Bestellung oder im Einvernehmen mit der Vertheidigung sprechen.
Wenn eine Erklärung aufrichtig gemeint war, wenn eine Erklärung genau den Thatsachen entsprach, so war es die der Reichstagsfraktion vor Mitte Oktober 1886, die den Charakter des„ Sozialdemokrat" als offizielles Parteiorgan aufhob, und die Vollmachten, welche die Verwaltung dieses Blattes der Parteivertretung in die Hände gegeben, ihr wieder zurückgab. Jeder Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit ist schon deshalb hinfällig, weil sie einfach ein Art der Nothwendigkeit und zweitens auch ohne Schädigung der Parteiinteressen durchführbar war. Die Parteivertretung der deutschen Sozialdemokratie hat andere Mittel, zu den Parteigenoffen zu sprechen, als den Mund des Sozialdemokrat", und daß sie auf diesen verzichtete, hat die Partei nicht verhindert, nach wie vor zu wachsen und zu gedeihen. Freilich, auch der Sozialdemokrat" gedeiht nach wie vor. Aber das ist ein ganz anderes Kapitel.
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Diejenigen find sehr im Irrthum, die da meinen, die Bedeutung des Sozialdemokrat" stehe und falle mit seiner offiziellen" Eigenschaft. Nichts weniger als das. Die Entstehungsgeschichte des„ Sozialdemokrat", seine ganze Vergangenheit beweist das Gegentheil. Der„ Sozialdemokrat" ist gegründet worden, nicht weil die Parteivertretung, sondern weil die deutschen Genossen, die sozialistischen Arbeiter Deutschlands , eines Organs bedurften; nicht die Laune, der Einfall einzelner Personen rief thn ins Leben, sondern die Nothwendigkeit. Und wie ihm in früheren Jahren die Gegnerschaft einzelner, sonst recht einflußreicher Genossen nicht zu schaden vermocht hat, so würde heute auch die Gunst des einflußreichsten Führers seine Eristenz um feinen Tag verlängern, wenn diese Existenz selbst nicht noch ein Gebot der Nothwendigfeit wäre. Dies ist die so einfache, und gerade darum von den Staatsweisen in Deutschland so vergeblich gesuchte Erklärung, warum der Sozialdemokrat" heute noch besteht, noch heute von Tausenden und Abertausenden deutscher Arbeiter gelesen, als ihr Organ" betrachtet wird. Unser Lesertreis ist die einzige, zugleich aber auch die kompetenteste Entscheidungsinstanz für unsere Eriſtenzberechtigung.
Wir haben es wiederholt erklärt und erklären es wiederum, daß wir weit entfernt sind, zu bestreiten, daß unsre Aufgabe heute nicht die gleiche mehr ist, wie vor zehn, noch vor fünf Jahren. Die deutschen Arbeiter sind heut weniger auf uns angewiesen als damals, sie haben heut an Ort und Stelle eine Presse, die ihre Interessen vertritt, und dies oft in einer Weise, die die vollste Anerkennung verdient. Aber die Eristenz dieser Presse ist eine prefäre, die Laune des ersten besten Polizeipascha's fann ihr das Genick brechen ein Wink des Neichsgewaltigen, und thr ist das Lebenslicht ausgeblasen. So lange dieser schmachvolle Zustand besteht, so lange über der deutschen Arbeiterpresse das Damoklesschwert eines infamen Ausnahmegesezes schwebt, so lange wird der Sozialdemokrat" fortbestehen, allen seinen Feinden zum Trozz. Keinen Augenblick mehr würden wir die Feder rühren, um vom Ausland her über deutsche Verhältnisse zu schreiben, wenn die deutschen Arbeiterblätter dies rückhaltslos thun könnten, ohne die Unterdrückung At ristiren. So lange dies aber nicht der Fall, so lange die Breßzustände in Deutschland so fämmerliche sind, wird auch die Anomalie eines außerhalb Deutschlands erscheinenden deutschen Sozialistenorgans fortbestehen. Dies der Gedanke, der uns veranlaßt, auf eigne Verantwortung, die wir Jedem gegenüber aufrecht erhalten, unser Blatt forterscheinen zu lassen, und der andrerseits unsre Leser veranlaßt hat, in alter Treue zu uns zu halten. Sie wissen, daß der Sozialdemofrat" teinen andern Ehrgeiz hat, als der Wächter der Interessen der denischen Arbeiter zu sein, auf den dieselben sich unter allen Umst än den verlassen können, und dessen bloße Existenz schon ihrer Sache einen Rückhalt gewährt, von dem wir, ohne Ueberhebung, sagen dürfen, daß er grade die perfidesten Manöver der Feinde der Arbeitersache zu nichte gemacht hat.
Nachschrift. Nachdem das Vorstehende gesezt, ersehen wir aus einem Reuter'schen Telegrammi, daß das Erkenntniß des Gerichts bereits gesprochen: Bebel, Grillenberger, G. Schuhin a cher und 44 weitere Angeklagte freigesprochen, die übrigen der ftrafbaren Verbindung" Angeklagten aber zu Gefängniß von 14 Tagen bis zu sechs Monaten( Genosse Harm) verurtheilt wurden, während über Gustav Finke, der zugleich wegen Majestätsbe= teidigung angeflagt war, a chtzehn Monat e Gefängniß verHängt worden sind.
Ueber dieses letztere Urtheil enthalten wir uns für heute feder Bemerkung. In Bezug auf den sogenannten„ Geheimbund" geht aus der Meldung vorläufig soviel hervor, daß der Gerichtshof die geheime Verbindung" über ganz Deutschland nicht anerkannt hat.
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Damit ist die Niederlage des Herrn Pinoff, der gerade auf diesen Beweis seine Hauptanstrengung gerichtet hatte, perfett. Der große, jahrelang vorbereitete, ja mehr noch, gezichtete Prozeß ist wie der Schnee vor der Sonne zerschmolzen, und übrig bleibt ein lokaler Prozeß, der nur als Anklage gegen die schmachvollen Zustände in Deutschland , die die Ausübung der elementarsten politischen Rechte zu Verbrechen stempeln, Bedeutung hat. Nicht die Hälfte der Angeklagten sind verurtheilt, nicht ein Viertel der beantragten Strafen erkannt- ge= richtet aber ist einzig und allein das herrschende System in Gestalt der Pinoff, Kammhoff und der sonstigen Stüßen der Ordnung und des Gesetzes. Wir gratuliren!
IND TS
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In der Elberfelder Freien Presse" erläßt Genoffe Frohme folgende Erklärung:
Die am Dienstag vom Zengen Polizeikommissar Tilger über nich gemachte Aussage ist in allen Buuften unwahr. Ich bin nie in Düssel= dorf in einer geheimen Versammlung" gewesen; ich habe mich niemals und nirgends in der von Tilger behaupteten Weise über den Eid ausgesprochen. Wo immer ich Gelegenheit gehabt habe, über das Verhalten in politischen Prozessen Belehrung" zu ertheilen, da habe ich das stets dn einem der Aussage des Tilger schnurstracks entgegengesezten Sinne gethan. Wer mich kennt, wird mir das glauben und zu der Behauptung des Tilger , der sich jedenfalls auf einen sogenannten„ Gewährsmann" stützt, mitleidig die Achseln zucken.
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Hannover , den 19. Dezember 1889. 110 Karl Frohm e, Neichstagsabgeordneter." Herr Tilger hatte seine Aussage, daß Frohme in einer geheimen Versammlung in Düsseldorf den Meineid empfohlen auf feinen Dienst eid abgegeben. Herr Tilger ist Polizeifommiffär, also ein Ehrenmann. Und Ehrenmänner sind alle seine Gewähr&= männer! Wer's nicht glaubt, untergräbt die„ fittliche Weltordnung."
Eine recht hübsche Charakteristik des nationalliberalkonservativen Kartells liefert Herr Ludwig Bamberger weiland selbst Kartellbruder in der„ Nation". Er zitirt einen Ausspruch seines Ex- Fraktionsgenossen Miquel aus den Tagen des Norddeutschen Bundes , daß der wahre Zwiespalt nicht zwischen Nord und Süd, sondern zwischen Ost und West" nämlich des deutschen Reiches bestehe. Das sei natürlich so gemeint gewesen, daß de
die Aufgabe für uns Liberale sei, den Geist des Oftens mit dem Geist des Westens zu besiegen, nicht Hannover mit Schwaben zu be= fämpfen, sondern beider vorgerückte politische Kultur siegreich über die Elbe zu führen. Mit einigem Vergnügen, wenn auch nicht ohne einige Wehmuth denke ich noch jetzt an die Stunden zurück, da der farbensprühende Feuergeist uns jene neue Lehre vortrug. Schade nur, daß fie just ins Gegentheil verkehrt worden ist. Denn wenn man's furz zusammenfassen will, die Summe der inneren deutschen Entwicklung ist heute die: der Osten hat den Westen besiegt. Und besiegt in des Wortes tiefster Bedeutung: der Geist des feudalen Ostens hat den Geist des bürgerlichen Westens unterjocht und zu seiner Anbetung herabgedrückt. In der Sprache des Tages nennt man das„ Kartell". Das heißt: die Junker des Oftens mit Gefolge ziehen in die Reichsfeftung als Sieger ein, und die Bürger des Westens blasen die liberale Musik dazu...
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Das ist sehr richtig gesagt, und auch das Folgende kann im Großen| das Ersuchen, die Sache diesmal nicht auf sich beruhen zu lassen, sonund Ganzen als richtig gelten:
Das eben ist ja das Charakteristische an der nihilistischen Kartellpolitik, die gar keinen Inhalt hat, daß sie die Herrschaft des östlichen Feudalismus nicht wieder, sondern zum ersten Mal in Preußen, seitdem es besteht, ans Nuder gebracht hat. Preußen ist nie von den Junkern, sondern von seinen Monarchen und der Bureaukratie regiert worden.'
Gewiß, aber es ist nicht das erste Mal, daß sich das Königthum in Preußen mit dem Junkerthum identifizirt hat. Nur daß es das nie zuvor in solchem Maße, nie so schamlos gethan hat wie heute. Und daß es das nie so unverhüllt thun durfte wie heute, wo das Bürgerthum entweder, wie Herr Bamberger sehr schön sagt, selbst die liberale Musik dazu" macht, oder sich jedesmal, wo ein kräftiger Protest am Blaze ist, in feiger Unterwürfigkeit am Boden frümmt. Es waren feine nationalliberale Kartellbrüder, sondern deutschfreifinnige Fraktionsgenossen des Herrn Bamberger, die auf die der Brunnendeputation verabfolgten Fußtritte mit der Apportirung der Schloßfreis heit was das für ein kostbares Wort ist antworteten. Und auf solche Jämmerlinge sollte der„ Jardelieutenant" von Berlin bei seiner Schwärmerei für die„ Edelsten und Besten der Nation" die ge= ringste Rücksicht nehmen? So blau. Laß' sie schrein und klagen.
Nein, das Bürgerthum wird den' ,, Osten" nicht besiegen, weder das nationalliberale, noch das deutschfreisinnige mit seinem demofratisch- volksparteilichen Anhängsel. Wer darauf warten wollte, der könnte in der That warten, bis er schwarz wird. Diesen Kampf wird das deutsche Proletariat auszufechten haben, nicht ein Einziger in seiner Partei, der Sozialdemokratie, der das nicht wüßte, nicht ein Einziger, der sich darüber Illusionen hingäbe, wie die Hülfe ausschaut, die das freifinnige Bürgerthum" im gegebenen Moment den Arbeitern im Kampf mit dem„ Osten" leisten wird.
Uebrigens ist der Gedanke dieses„ Kampfes mit dem Osten" durchaus nicht Original des Herrn Miquel, wie Herr Bamberger an einer Stelle seines Artikels glauben machen möchte. Herr Miquel hat ihm bloß eine nationalliberale Form gegeben. Kräftiger hat ihn viele Jahre früher Freiligrath in seiner ,, S ch I a cht um den Birkenbaum" gekennzeichnet, und zu Nuß und Frommen der nationalliberalen Kastratenseelen mögen einige Verse derselben hier folgen:
,, Und zwei Heere, zahllos wie Blätter im Busch, Hieben wild auf einander ein;
Das eine mit hellem Trompetentusch, Zog heran in der Richtung vom Rhein .
Das waren die Völker des Westens, die freien!
Und voraus flog ihren unendlichen Reihen Im Nauche des Pulvers ein rothes Panier!
Das warf sie entgegen den Sklaven des Often, Die das Banner gestickt mit wildem Gethier, Unabsehbar über die Fläche tosten
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Und ich wußte, doch hat es mir Keiner gesagt- Das ist die legte Schlacht, Die der Often gegen den Westen wagt Um den Sieg und um die Macht! Das ist der Knechtschaft legtes Verenden! Das ist, wie nie noch ein Würfel fiel, Aus der Könige kalten bebenden Händen Der letzte Wurf in dem alten Spiel!
Ja, flucht nur, Herr Junge! Könnt's doch noch erleben! Seid ja siebenzehn oder achtzehn kaum!
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Heilig ist die Sklaverei. Wir lesen in der Frankfurter 3tg."" Ueber die Sklaverei an der westafrikanischen Stüste, also doch wohl auch in den dortigen deutschen Kolonien, erhält die Allg. 3tg." von einem Reisenden einen Beitrag, aus dem von Neuem hervorgeht, daß dort der schwungvollste Stlavenhandel getrieben wird. Es ist von häufigen Sklavenkarawanen die Nede. Die Zuschrift des Afrifareisenden schließt sodann:
Würde man die Stlaveret einfach abschaffen, dann müßte man den Eingeborenen Ersatz bieten für dieses beseitigte Rechtsinstitut. Es. muß der Gedanke aufgegeben werden, den afrikanischen Verhältnissen die europäische Schablone aufzuzwingen. Nur durch den sich ganz all= mählich vollziehenden Prozeß langsamen Vordringens europäischer Kultur in den mun schon von allen Seiten in Angriff genommenen afrikanischen Kontinent wird das Ziel erreicht werden, welches die christlichen Völker gegenwärtig in den Vorder= grund ihrer Bestrebungen gestellt haben: Beseitigung der Sklaverei."
" Das ist", heißt es dann in der„ Frankfurter 3tg."," einerseits eine blutige Satyre auf die Bekämpfung des Sklavenhandels durch deutsche Waffen" in Ostafrika und andererseits eine merkwürdige Bestätigung der Angaben von Krause( daß gerade in den deutschen Gebieten dem Sklavenhandel Vorschub geleistet werde. Ned. des Soz.), beides in einem gouvernementalen Blatte."
Besser kann man freilich den so pathetisch gepredigten Kreuzzug gegen die Sklaverei" nicht perfiffliren, als durch diese Vertröstung auf den sich ganz allmählich vollziehenden Prozeß langsamen Vordringens 2c." Immer langsam voran, damit inzwischen noch recht viel am Menschenhandel verdient werden kann. Der Ruf heilig ist das Eigenthum", mit dem man uns im zivilifirten Europa langweilt, verändert sich in dem zu zivilisirenden Afrika in den Ruf: Heilig ist die Sklaveret! Stehlt wie die Naben, ihr Kultur nach Afrika Exportirer, aber rührt um Gotteswillen nicht an der Sklaverei! Sie ist ein Rechtsinstitut, für das man den Eingebornen Ersatz bieten müßte.
Der Sklavenhandel in Afrika ein Rechtsinstitut"! Was doch diese Burschen für ein Talent haben, den niederträchtigsten Dingen die hochtrabendsten Namen beizulegen. Wahrhaftig, darin macht es den Neudentschen kein Volk der Erde gleich.
Eine Ente, aber keine harmlose. Aus unsern amerikanischen Bruderorganen ersehen wir zu unserm Erstaunen, daß wir von der englischen Regierung wegen unserer Angriffe auf Bismarc eine Verwarnung erhalten haben. Wir selbst hatten bisher nichts davon gewußt und wahrscheinlich ging es der englischen Regierung ebenso.
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Wir nahmen daher im ersten Augenblick die Meldung nur humortstisch und wollten bereits über sie zur Tagesordnung übergehen, als uns einfiel, daß die Sache doch nicht ganz ohne sei. Es gibt Enten, die viel wahrer sind, als manche authentische" Veröffentlichungen. Sie plaudern zwar nicht aus, was geschehen ist, wohl aber, was nach der Ansicht ihrer Väter" geschehen soll. Sie haben den Zweck, das Publikum auf die kommenden Ereignisse vorzubereiten. Noch für jeden Gewaltstreich Bismarcks ist auf solche Weise durch„ Enten", " Indiskretionen" 2c. Stimmung gemacht worden. Bei der besonderen Liebe, die der größte Staatsmann des Jahrhunderts" für unser Blatt hegt, eine Liebe, für die der überzeugendste Beweis in der Thatsache beruht, daß nicht Aufforderungen zu Mord und Brand, sondern unsere Angriffe auf die Dynastie Bismarck ", unsere unabläffige Bloßlegung der Bestrebungen des Chefs dieser Dynastie, die Arbeiterbewegung seiner Junkerpolitik dienstbar zu machen, unsere Ausweisung zur Folge gehabt, bei dieser heftigen Zuneigung, die redlich verdient zu haben, unser größter Stolz und weiter zu verdienen unser eifriges Bestreben ist, ist es gar nicht undenkbar, daß der Wunsch unseres Gönners auch der Vater dieser Ente war. Noch ist der Wunsch ein rein platonischer, aber wer weiß, ob nicht doch noch die Gelegenheit kommt, wo ein sanfter Druck auch in St. James Verständniß findet. Jedenfalls schadet es nichts, die Leute rechtzeitig an den Gedanken zu gewöhnen. Nun, wir wissen zu gut, wie weit wir uns auf das Asyl in England verlassen dürfen, und wie weit nicht, als daß diese Manöver auf uns die geringste Wirkung ausüben könnten. Weshalb wir der Sache erwähnen, ist vielmehr, unsere amerikanischen Genossen darauf aufmerksam zu machen, welcher Natur diese und ähnliche Enten sind. Es wäre immerhin interessant und nüßlich, nachzuweisen, von wo die lieben Thierchen aufgeflogen, und wir richten daher an die Genossen drüben
dern so weit es in ihren Kräften liegt, ihr auf den Grund zu gehen. Vielleicht unterzieht sich einer der Redakteure der„ New- Yorker Volkszeitung" dieser Aufgabe und berichtet uns darüber. Wir haben nämlich unsere ganz bestimmten Vermuthungen, über die wir gerne Gewißheit haben möchten.
Wer ist ,, Bevölkerung? Im Deutschen Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger" steht über die wirthschaftliche Lage im Regierungsbezirk Königsberg Folgendes zu lesen:
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Aus Königsberg wird berichtet, daß die Lage der arbeitenden Klasse als gute bezeichnet werden kann. Bei reichlicher Beschäftigung hat sich der durch unaufhörlichen Abfluß nach den Industriebezirken der westlichen Provinzen stellenweise start gelichteten Arbeiter= bevölkerung guter Verdienst geboten. Die ausgiebige Ernte.an Kartoffeln im Regierungsbezirk Königsberg und die dadurch verursachten niedrigen Preise des Hauptlebensmittels dieser Klasse tragen zur Sicherstellung derselben bei. Die schlechte Lage und der Geldmangel der Bevölkerung bleibt auf die unmittelbar von derselben ab= hängigen Handwerker der Kleinen Städte nicht ohne Einfluß". Dazu beme.it die Berliner Volksztg.":
Also: die Lage der arbeitenden Klasse ist gut, die der Bevölkerung schlecht. Da die arbeitende Klasse auch im Regierungsbezirk Königsberg die Mehrheit der Bevölkerung bildet und sich in guter Lage befinden und guten Verdienst haben soll, so fehlt uns jede Erklärung für die Behauptung, daß die Lage der Bevölkerung schlecht set, wenn wir nicht annehmen sollen, daß der Berichterstatter des Reichsanzeigers" unter der Bezeichnung Bevölkerung" nur die Großgrundbesitzer versteht, denen es trotz aller Getreidezölle und sonstiger Zuwendungen seitens des Reiches und des Staates auch nach der Versicherung des Grafen Kanitz immer noch schlecht geht".
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Wie kann das fortschrittlich- demokratische Blatt nur daran zweifeln, daß wirklich nur die Großgrundbesitzer", die Bevölkerung bilden? Wir sind eben mit der Zeit fortgeschritten. Vor etwa 15 Jahren hieß es im deutschen Reichstag: Wir" gehören auch zum Volk, heute aber heißt es bereits: Wir sind das Volk. Alles andere zählt nicht, läuft nur so nebenbei. Keiner Provinz ist das so eindringlich zum Be= wußtsein gebracht worden, als gerade Ostpreußen . Die neueste Zoll- und Wirthschaftspolitik hat Handel und Industrie der Provinz tödtlich getroffen, aber was kam darauf an? Der Bevölkerung", das heißt, den Rüben- und Kartoffel- Junkern wurde geholfen, und das ist ja doch die Hauptsache. Daß ihnen noch nicht genug geholfen ist, daß sie noch nicht genug" Geld haben, ist freilich bedauerlich, aber dem ist leicht abzuhelfen. Man braucht sich ja nicht durch Mitleid für die Arbeiterklasse beirren zu lassen. Dieser geht es brillant, denn Kartoffeln bilden„ das Hauptlebensmittel dieser Klasse", und Kartoffeln find billig, folglich find die Arbeiter im Himmel. Also, nur zu mit neuen Zöllen und neuen Zuwendungen aus dem Steuersäckel. Kommt noch ein Gesetz dazu, das den Arbeitern das Ziehen nach dem Westen austreibt, dann ist der Bevölkerung" vielleicht wirklich geholfen. Und geht es ihr gut, so geht es allen gut, selbst den„ von ihnen abhängigen Handwerkern der kleinen Städte". Denn dann branchen sie sich ja nicht mehr die Noben für die Frau Gemahlin, die Möbeln für die neu hergerichteten Prunfzimmer u. s. w. aus Berlin oder gar aus Paris kommen zu lassen, wie sie heute blutenden Herzens thun müssen aus Geld= mangel.
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Es gibt noch Geschwornengerichte in der Schweiz . Das eidgenössische Schwurgericht in Neuenburg hat die Verfasser und und Verbreiter des anarchistischen Manifests gegen den Bundes= anwalt einstimmig freigesprochen. Es gehörte kein besonderer Heldenmuth dazu, dieses Erkenntniß zu fällen, denn das Manifest ent= hielt auch nicht Einen Saz, der strafgesetzlich zu belangen gewesen wäre, aber man ist heute an so viel Feigheit und Gesinnungslumperei ge wöhnt, daß man es schon konstatiren muß, wenn ein Gericht sich unab= hängig genug zeigt, auch dann freizusprechen, wenn die Freisprechung eine Blamage für die höchsten Behörden des Landes bedeutet. Daß aber dieses der Fall, darüber dürfte selbst Herr Droz nicht mehr im Zweifel sein.
Ein recht hübsches Intermezzo aus dem Prozeß verdient auch im " Sozialdemokrat" Erwähnung. Der Angeklagte Nicolet verlas, um nachzuweisen, daß viel schärfere Publikationen als das Manifest nicht verfolgt worden, ein Gedicht, dessen Hauptvers ein schweizerischer Korrespondent der Ftft. 8tg." so überfest( das Original ist französisch): „ O Könige, die Stunde kommt bestimmt, In der die Menschheit an Euch Nache nimmt; In der Ihr bleich, bestürzt, verfehmit, verflucht, Nur in der Flucht noch Heil und Nettung sucht, In der Schaffots mit Thronen man zusammen Und Szepter, Schwerter übergibt den Flammen, Und in die Schale Bluts, schon voll zum Ueberfließen, Der letzte Tropfen fällt, wenn Gures wir vergießen!" Diese Verse, fügt der Angeklagte hinzu, stammen nicht etwa von mir oder von irgend einem Anarchisten, sondern von unserem Antläger Herrn Stockm a r.
,, Natürlich", heißt es weiter, war dieser über die unvermuthete Aufdeckung einer poetischen Jugendsünde nicht eben erbaut, aber er gab durch eine leichte Kopfbewegung zu verstehen, daß er sich zur Autorschaft bekenne. Herr Stockmar, welcher im Namen der Eidgenossenschaft die Anklage bertrat, ist ein literarisch feingebildeter, sehr fortschrittlicher Jurassier und vertritt den Jura im Nationalrath. Daß er einst den Königen so fürchterliche Musterung angedroht hatte, wußte man allerdings in weiteren Streifen nicht; wahrscheinlich hat ein„ guter Freund" den Anarchisten die Sache zugesteckt."
Die Uebersetzung ist nicht übel, nur die Schlußstrophe ist im Deut schen viel weniger energisch wiederzugeben, als sie im französischen Urtert lautet. Dort heißt es wörtlich:
Die Schale Bluts verlangt noch einen lezten Tropfen Dies Blut, Tyrannen, soll das Eure fein". Wehe dem„ freien" Schweizer , der das heute drucken wollte!
Damit der Humor nicht ausstirbt, hat Herr Treitschke den vierten Band seiner Deutschen Geschichte" erscheinen lassen. Unter Anderem wird darin das" Junge Deutschland " behandelt, und man fann sich auch ohne Proben vorstellen, wie der Schellenbube der deut schen Geschichtsschreibung mit dem Heine, Börne, Gußkow 2c. dort umspringt. Das ganze Schimpfregister des Antisemitismus wird über die Dichter und Schriftsteller ausgeschüttet, die von einem Deutschland ohne Bickelhaube zu schwärmen wagten. Das ist nun an sich nicht furzweilig, denn wenn Herr Treitschke z. B. um Heine zu vernichten, thm vorwirft, daß er niemals ein Trinklied gedichtet" hat, daß der„ Orientale" nicht „ nach Germanenart zu zechen" vermochte, so faut er nur wieder, was die Marr, Henrici ihm so oft vorgeleiert, daß es wirklich recht lang= weilig geworden ist. Aber Herr Treitschke haßt zum Glück nicht bloß die Juden, sondern alles, was nicht vor den Hohenzollern auf dem Bauch liegt. Und in diesem Haß wird er wunderbar furzweilig. Man höre z. B. folgende Tirade, die der edle Jugendzüchter über Karl Guzkow zum Besten gibt:
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Ein echter Berliner, der Natur entfremdet, ganz Verstand, ganz Bildung, so daß selbst seine Leidenschaft einen doktrinären Bug zeigte Sein Tagelang hing es ihm nach, daß er in dieser Großstadt aufgewachsen war, wo selbst der Böbel tein ärgeres Schimpfwort kannte, als den Namen ungebildeter Mensch", wo die Kinder sich frühe schon in den Thierbuden ihrer eigenen Affenähnlichkeit bewußt wurden, aber selten oder niemals eine deutsche Rinderheerde zu Gesicht bekamen."
Ist das nicht prächtig gesagt? Nicht nur die zechenden„ Germanen", sondern auch die deutsche Minderheerde" das Ideal, das die echte deutsche Gesinnung erzeugt. Nur wer die deutschen Wiederkäuer bet threr so traulichen Arbeit erschaut, hat das echte deutsche Gemüth. Wer keine deutsche Minderheerde erblickt, der ist kein deutscher Mann.
Doch solche Dinge vertragen feinen Kommentar. Darum gestatte man uns lieber eine kleine Anleihe bei einem der pietätlosesten Gedichte des pietätlosen Juden Heine. Unwillkürlich variirten wir beim Lesen der obigen Sages sofort die berühmten Verse zur Verherrchung Stobes I dahin:
Ein schwangeres Weib, das den Treitschke gehört, Hat einen Ochsen geboren.