Sozialpolitische Rundschau.

London  , 22. Januar 1890.

Einen glänzenden Erfolg haben unsere Genossen im ersten Chemnißer Landtagswahlkreis erzielt. Dort fand am 14. Januar eine Ersatzwahl statt für einen dem Kartell angehörigen Abgeordneten. Derselbe war im Jahre 1885 mit 3655 Stimmen gegen Liebknecht   gewählt worden, der damals nur 1664 Stimmen erhielt. Diesmal erhielt der Kandidat des Kartells, das von den Ultrakonser= vativen bis zu den Deutschfreisinnigen lief, 3796 Stimmen, der sozia­listische Kandidat, Robert Zeißig, aber 3174 Stimmen. Trotz der Vermehrung durch die Deutschfreisinnigen betrug das Wachsthum der Kartellbrüder nur 141 Stimmen, das der Sozialdemokraten aber 1510 Stimmen. Deutlicher zeigt sich die Verschiebung zu Gunsten der Sozialdemokraten noch, wenn man die Pro­zentsätze vergleicht. Von hundert abgegebenen Stimmen waren 1885# 1890

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68,7

31,3

54,5

45,5

des

Kartellstimmen Sozialistische Stimmen Hätten die Chemnizer Freisinnigen soviel Charakter gehabt, den ebenso schimpflichen wie vom Parteiinteresse der Herren aus dummen Pakt mit dem Bismarckischen Kartell auszuschlagen, so wäre das Lettere wahrscheinlich vollständig unterlegen. Aber auch so läßt seine Niederlage nichts zu wünschen übrig. Denn Chemnitz   I. ist der ihnen günstigste, den Sozialdemokraten ungünstigste Theil des sächsischen Manchester  . Unsere Siege wurden bisher in Chemnitz   II. ( das durch Liebknecht im sächsischen Landtag vertreten ist) erfochten. Diesmal haben in drei Bezirken dieses Kreises die Sozialisten die absolute Mehrheit, in einem in dem geradezu erdrückenden Verhältniß von 624 zu 133.

Und das beim Zensuswahlsystem!

Das Chemnizer Tageblatt", Organ des Kartells, schreibt über dieses Wahlresultat u. A.:

,, Die eigentliche Stadt Chemnitz   selbst, deren Haupttheil heute zur Wahl berufen war, hat bei den Reichstagswahlen stets eine Mehr­heit für die Ordnungsparteien ergeben. Es würde also, wenn auch der erste Landtagswahlkreis, wie es mit dem zweiten bereits geschehen ist, in die Hände der Sozialdemokratie gefallen wäre, unsere Stadt in ungerechter Weise im Landtage vertreten worden sein, denn die eigent= liche Bürgerschaft hätte alsdann in demselben gar keinen Vertreter ge= habt. Das Ergebniß der heutigen Wahl ist daher, von allem Andern abgesehen, als ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit zu betrachten und müßte auch von unsern Gegnern als ein solcher aufgefaßt werden, wenn es ihnen wirklich Ernst wäre mit dem Grundsaße Gleiches Recht, gleiche politische Freiheit für Alle!""

"

Darauf antwortet das Organ der Chemnitzer   Arbeiter:

Ei, ei, wo bleiben die Resultate des mathematischen Unterrichts. Man beachte die eigentliche Stadt" und höre, wie sich die Sache stellt. In dieser eigentlichen" Stadt stimmten gestern 64,3 Pro­zent der 10,835 Wablberechtigten, also 6970, und davon fielen 45% s Prozent auf den Kandidaten der Sozialdemokraten, Herrn Robert Beißig, und 542/ s Prozent auf Herrn Kartellbruder Eugen Esche. Das ist zwar eine Majorität, aber eine sehr geringe. Nun, und was soll denn das heißen eigentliche Stadt" Gehört zu dieser im Kopfe bes großen Mannes der Chemnitzer   Tageblatt- Tagesgeschichte der II. Chemnizer Wahlkreis nicht? Wohnen dort keine Leute? Man sollte meinen, und der 15. Oktober v. J. hat es bewiesen. s 190 Sieht man sich das Resultat vom Oktober genauer an, so ist das Erempel 4088 u. 3174 mokra tische Stimmen in beiden Wahlen und 2250 u. 3796 fartell­brüderliche Stimmen und das ergibt in der eigentlichen" Stadt, d. h. in allen zur Stadtgemeinde auf Grund der revidirten Städteordnung gehörenden Theilen ein Mehr von 1216 Stim­men für die Sozialdemokraten troß erkauften Deutschfreisinnigen." Und das beim Zensuswahlsystem!

Ein besseres Omen für die Reichstagswahl läßt sich kaum denken. Denn das nicht eigentliche" Chemniz, die Vororte, brachten schon den Sieg, als das eigentliche" Chemniß noch reaktionäre Mehrheiten ergab, sie werden diesmal die Niederlage des Kartells zu einer wahrhaft bernichtenden machen.

Glück auf!

Ueber die Verlegenheit der Reichsregierung um eine pas= fende Wahlparolegegen die Sozialdemokratie schreibt

man uns:

Die Taktik der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands   war feit Erlaß des Sozialistengesezes so methodisch und so wirksam auf die Vernichtung des rothen Gespensts gerichtet wie das seiner Zeit zum Aerger aller Feinde der Arbeitersache in dem ersten Rechen= schaftsbericht der sozialdemokratischen Fraktion klar und scharf als Ziel hingestellt war daß das rothe Gespenst in einer Weise zerfetzt und zerpflückt worden ist, welche es außerordentlich schwer macht, das­selbe überhaupt noch zu verwenden. Die Spigelarmee des Herrn von Puttkamer  , der in junkerlicher Naivetät seine Zärtlichkeit für die Anarchisten" vor dem versammelten Reichstag bekannte, hat es nicht fertig gebracht, das rothe Gespenst zu züchten. Mit der Spizelherr­lichkeit wurde das rothe Gespenst abgetakelt und dem staunenden Publi­tum in seinem wahren Wesen gezeigt. Das rothe Gespenst, das heißt Shring- Mahlow, Haupt, Schröder, Röllinghoff, Buttkamer, Pinoff, Bismarckurz auch der dümmste Augstphilister weiß heute, daß das rothe Gespenst Polizeima che und Regierungsfabri= tat iſt.

"

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Der Elberfelder Prozeß, der deshalb ein so arger politischer Fehler war, hat dem großen Publikum vollends die legten Fabritations= Geheimnisse verrathen. Dieser Prozeß, welcher dem Verstand seiner Urheber ein ebenso glänzendes Zeugniß ausstellt, wie ihrer Ehr­lichkeit, hatte den Zweck, für die kommende Wahlkompagne das rothe Gespenst wieder zusammenzuflicken; und das Ergebniß ist gewesen, daß die Lumpen, aus denen die Vogelscheuche des rothen Gespensts von zweibeinigen uniformirten und nicht uniformirteu Lumpen angefertigt worden ist, vor den zuschauenden Völkern der Welt als gemeine Lum= pen enthüllt und in Millionen von Feßen zerrissen worden sind. Der Pinoff( der das Brandmal des Neustettiner Judenhez- Pro­zesses in Elberfeld   so erfolgreich aufgefrischt hat), der Röllinghoff und wie das staatsrettende Volk all heißen mag, fann sich noch so sehr abquälen, die Fezzen sind nicht mehr zu einer Vogelscheuche zusammen­zuflicken, vor der auch nur der hasenherzigste Reichs- Hasenfuß das Hasenpanier ergreifen würde. Wohl haben die Herren Gesellschaftsretter verschiedene kräftige Zaubermittel, mit denen schon manches politische Wunder verrichtet ward, aber der Elberfelder Prozeß hat alle diese Zaubermittel den profanen Blicken des Publikums als faulen Zauber enthüllt und preisgegeben, und die bösen Sozialdemokraten kennen die deutschen   Staats- und Gesellschaftsretter, die großen und kleinen, in­wendig und auswendig, so genau, daß sie ihnen jeden Augenblick die Hand auf die staatsretterischen Langfinger zu legen im Stand find.

tapfer gezeigt hätten, wenn sie nicht im vornherein sicher gewesen auch für die Regierung- relativ

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wären, daß es sich um einen untergeordneten Punkt handle. Indeß wie dem sei, in den Kreisen der Majoritätsparteien weiß heute noch Niemand, was aus dem neuen Sozialistengesez werden wird. Mittlerweile ist die Reptilpresse im Schweiße ihres Angesichts be= müht, die Niederlage des Elberfelder Sozialistenprozesses zu vertuschen oder wegzuschwindeln. Es will indeß nicht gelingen; und wenn die " Norddeutsche Allgemeine Zeitung" den alten Kniff: die Wahrheit auf den Kopf zu stellen, probirt und den Prozeß für einen riesigen Triumpf der Bismarck  'schen Politik erflärt, so wird dadurch nur bestätigt, daß die geistigen Fähigkeiten des Hrn. Pindter I. in ganz bedenklichem Maaß abgenommen haben. Es will dem Patron nichts mehr gelingen, und wir möchten ihm wirklich rathen, seinen bezahlten Sauhirten" nicht mehr ins Handwerk zu pfuschen.

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Der Pinoff hat beim Reichsgericht die Revision eingelegt. Es fragt sich da bloß, ob die preußische Regierung mit Selbstmordsge­danken schwanger geht und sich noch einmal 5 oder 6 Wochen lang in der Person ihrer Spizel abschlachten lassen will oder ob sie an der Elberfelder Hinrichtung genug hat. Das sind die einzigen Er­wägungen, die in Betracht kommen können Juristische sind nicht vorhanden. Gründe sind billig wie Brombeeren, sagte schon der Shakespeare, und wenn von Berlin   der Befehl kommt, Revisions­gründe zu finden, dann werden zwei, drei, ein Dugend gefunden. Wozu haben wir denn das Reichsgericht?

Wir wollen den Entschluß der preußischen Regierung ruhig abwarten. Dekretirt sie die Bestätigung des Urtheils, so sind wir zufrieden; dekre­tirt sie die Revision, so sind wir es auch. Von unserem reichsfeind­lichen Standpunkt würden wir das letztere freilich vorziehen.

Vom Opfer des Intellekts ist viel gesprochen worden namentlich mit Bezug auf die Herren Nation alliberalen, die bei jeder Gelegenheit bereit waren und sind, ihre bessere Ueberzeugung sogenannten praktischen" Erwägungen zu lieb preiszugeben und ihr Denken und Wollen dent Denken und Wollen des Tages- Dalai- Lama fnechtselig unterzuordnen. Und wir haben auch wiederholt ausgeführt, daß dieses Opfer des Intellekts in dem sozialen Zersegungsprozeß der Gegenwart seinen Grund hat, und daß die Bourgeoisie durch die eiserne Logik der Thatsachen vor die Wahl gestellt ist, entweder ihre Existenz als klasse oder ihr Intellekt zu opfern mit andern Worten, entweder die Konsequenzen ihrer idealen Theorien zu ziehen, oder diese Theorien und Ideale zu verleugnen, und, zur Erhal­tung ihrer Klassenstellung, sich in die Zitadelle des Polizei- und Mili­tärstaats einzusperren.

Das Opfer des Intellekts ist von der Bourgeoisie feines Landes auch nur annähernd in dem Maaße und mit der Gründlich­feit betrieben worden, wie von der deutschen  , die in ihrem unglaub­lichen Dummstolz sich selber bei jeder Gelegenheit als das Volk der Denker" zu verherrlichen liebt. Bis zu welchem Grade ihr das Opfer des Intellekts gelungen ist, das läßt sich jest, in dieser Wahl­bewegung, so recht deutlich erkennen. Der Bismarck  'sche Ufas, welcher die Neuwahlen auf den 20. Februar festsezte, hat die nationalliberale Partei, in deren Interesse er doch mit erlassen ward, wie ein Donner­schlag getroffen. Die Mannesseelen stehen hülflos und verdußt da, gleich einer Schafheerde im Gewittersturm.

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Das Signal zum Wahlkampf ist gegeben, der Tag der Wahlschlacht bestimmt worden und die Hampelmänner haben noch keine Wahl= parole fie wissen nicht, unter welchem Lügenwort sie in den Kampf ziehen, und die Schlacht schlagen sollen. Fürchterliches Schicksal! Tragisches Verhängniß! Sie haben ihr eigenes Wesen so vollständig auf­gegeben, so vollständig fich des Gebrauchs ihres eigenen Dent- und Empfin­dungsvermögens entwöhnt, daß sie gar nicht mehr fähig sind, auf ihren eignen Füßen zu stehen. Sie sind Automaten, die von dem Macher erst aufgezogen werden müssen, che sie sich bewegen können. Hat ER, der große Macher, dem sie sich auf Gnade und Ungnade überliefert haben hat er am Ende gar beschlossen, sie wiederum an die Wand zu drücken"? ER beobachtet ein unheimliches Schweigen und mit sflavischer Demuth chant die von staatsmännischem Geist" erfüllte " Blüthe der Nation" nach dem Mund des Gewaltigen, ob ER nicht Surch ein erlösendes Wort den Bann bricht und den Weg der Rettung zeigt. Aber die 3 willingsbrüder der bürgerlichen Blüthe der Nation", die biedern Krautjunker und Edelsten der Nation", bieten ein nicht minder jämmerliches Schauspiel dar. Sie sind ebenso rathlos, hängen in ebenso durchbohrendem Gefühl ihres Nichts" an den Lippen des Dalai Lama  , der und das ist der Humor der Sache feiner­seits nicht weiß, was er thun soll, und verzweifelt in der Kognafflasche das erlösende Wort sucht, das er in seinem etwas defekt gewordenen Hirn bis dato nicht gefunden hat.

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Nirgends ein Gedankenblik. Nirgends ein Wetterleuchten, welches das Dunkel erhellte. Stickige, dumpfe, fäulnißschwangere Luft, und überall, wo wir hinblicken, in dieser offiziellen Welt der herrschenden Männer und Parteien, der geistige Tod, der intellektuelle und mora= lische Bankrott, dem der politische mit Nothwendigkeit folgen muß.

31521191

- Die Wahlagitation ist bereits im vollen Gange. In Berlin  ist sie vorige Woche in zwei grandios besuchten Wählerversammlungen im vierten und sechsten Wahlkreis eröffnet worden, in denen Singer und Liebknecht vor ihren Wählern ihr Programm entwickelten. Beide Versammlungen gestalteten sich zu wahrhaften Triumphdemon­strationen für die Sozialdemokratie, deren Eindruck sich selbst die Geg­ner nicht entziehen können. In Hamburg   war zu Montag eine Wählerversammlung einberufen, und der erste Fall seit langen Jahren polizeilich genehmigt worden, in der Bebel seine Kandi­datenrede halten sollte. Ueber den Verlauf dieser Versammlung liegt uns noch kein Bericht vor, doch laffen alle Auzeichen darauf schließen, daß sie den vorerwähnten an Großartigkeit nichts nachgegeben haben wird.

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Einem Briefe aus Deutschland   über die Wahl situation ent nehmen wir folgende Stellen:

" Der Schelmenstreich des pommer'schen Schnapsjunkers, die Zeit der Wahlkampagne mit dem Rest und wichtigsten Theil des Reichstags zu­sammenzuwerfen, ist nach jeder Nichtung hin ein Fehlstreich. Die Ruppigkeit des biederen Oberdemagogen hat zugenommen, allein in den Fähigkeiten ist eine ordentliche Abnahme zu erkennen. Die Sozial­demokraten, die auf den Parlamentarismus pfeifen, wenn er ihnen nichts nügt, lachten IHN einfach aus. Die Deutschfreisinnigen und die Zentrumsleute, die anfangs etwas überrascht waren, begriffen sehr bald, daß sie nicht, wie Buridan'  s Esel, rathlos zwischen dem Reichstag   und dem Wahlkampffelde stehen bleiben durften, und entschieden sich sofort für das letztere. Werden der Regierung auf diese Weise auch einige un­angenehme Debatten und Auseinandersetzungen jezt erspart, so ist das doch nicht geschenkt aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und in dem neuen Reichstag   wird Alles mit Zinsen und Zinseszinsen nachgeholt werden.

Auch nicht wenige Abgeordnete aus den Regierungsparteien- alle diejenigen, welche nicht ausschließlich auf den offiziösen oder offiziellen Wahlapparat angewiesen sind, waren von dem, so recht charakteristischen, der gemeinsten Bauernschlauheit entflossenen Schelmenstreich ihres Chefs" durchaus nicht erbaut, und so ist man denn übereingekommen, die Sef= fion unter allen Umständen noch im Laufe des Monats Januar zu schließen möge aus den gesetzgeberischen Vorlagen werden, was

Genug mit dem rothen Gespenst geht's nicht mehr und ohne rothes Gespenst läßt sich keine Wahlparole aus dem Sozialistengesetz machen, das muß festgehalten werden. Was in aller Welt soll aber die Regierung thun? Eine Wahlparole braucht sie auf alle Fälle. da wolle. Nun, wir haben keine Veranlassung, uns den Kopf der Regie­rung zu zerbrechen. In je ärgeren Schwulitäten sie ist, desto besser und desto angenehmer für uns.

Ein Blick auf die Regierungspresse offenbart uns die tragikomische Rathlosigkeit im Lager der Regierung. Wenn noch nicht mitgetheilt worden ist, welches die Bedingungen des Fürsten   Bismarck und an­derer maßgebender Leute mit Bezug auf den zu treffenden Sozialisten­gefeß- Stompromiß find, so hat dies seinen höchst einfachen Grund darin, daß die Regierung selber noch nicht weiß, was sie will oder soll. So viel steht fest, auf den Ausweisungsparagraphen, der ihr kein po= litisches Machtmittel, sondern nur ein Mittel politischer Chikane verleiht, legt die Regierung fein so großes Gewicht, daß fie um seinetwillen mit einer Majorität kann brechen wollen, die bereit ist, ihr die Presse und das Vereins- und Versammlungs­recht auf ewige Zeiten" zu opfern. Es ist überhaupt sehr unwahr= scheinlich, daß die Nationalliberalen sich im Punkte der Ausweisung so

"

Die Regierung fann dem keine ernstlichen Hindernisse in den Weg legen, weil die Opposition es in der Gewalt hat, jeden Augenblick den Reichstag beschlußunfähig zu machen, und das Zustande= kommen des Staatshaushalt- Gesezes zu verhindern was der Regierung arge Verlegenheiten bereiten würde.

Die Begeisterung unter den Genossen ist eine außerordentliche; überall fieht man mit Zuversicht einem günstigen Ausfall der Wahl entgegen. Und kein Zweifel, die allgemeine Stimmung ist die denkbar beste. Gibt es nicht unvorhergesehene Zwischenfälle vor denen man unter einem Regiment wie dem unsrigen niemals ganz sicher ist so werden wir einen sehr bedeutenden Zuwachs nicht blos an Stimmen, sondern auch an Mandaten zu verzeichnen haben. Den einfachsten, gewisser­maßen flassischsten Verlauf wird der. Wahlkampf in Sachsen   haben, wo es bei der hohen Entwickelung der sozialen Verhältnisse nur ein Hüben und ein Drüben gibt, und bloß zwei Parteien auf dem

Plan find: die Sozialdemokratie auf der einen und die Ber treter der sozialen Unordnung und politischen Knechtschaft, die sich selber schönrednerisch Ordnungspartet nennen auf der anderen Seite. Nur in dem Zittauer  , vielleicht auch im Wurzener Wahlkreis, wo die Fortschrittspartei noch einigen Boden hat, wird es wohl zu einer Stichwahl kommen in allen andern sächsischen Wahl­freisen wird die Entscheidung gleich in dem ersten Wahl- und Waffen­gang fallen.

Nachstehend seien die sozialdemokratischen Kandidaturen mitgetheilt. ( Wir bringen die Liste an anderer Stelle. Ned. d. Soz.")

Während die Sozialdemokraten also Kandidaten für alle sächsischen Wahl­freise aufgestellt haben und ernsthaft um deren Befis kämpfen werden, liegen die Ordnungsparteien in einigen Streisen einander noch bezüglich der Kandidaturen in den Haaren nicht um prinzipieller son­dern um rein persönlicher Streitpunkte willen. Doch auf diese Jämmerlichkeiten sei hier nicht eingegangen.

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Ein Theil

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Eine spaßhafte Rolle spielen die sogenannten Fortschrittler oder Deutsch freisinnigen. der sogenannte Kammerfortschritt" hat sich in den Schafftall des Kartells ge­flüchtet; und von den andern ist auch bereits 3. B. soeben in Chem­niß die größere Hälfte zum Kartell übergelaufen, und die übrigen werden es außer im Zittauer   Kreis  - höchstens noch im Wurzener Kreis auf eine halbwegs ansehnliche Minorität bringen.

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Wie trefflich die Stimmung der Wählerschaft ist, das hat der glänzende Ausfall der Chemnizer Landtagswahl recht deut= lich gezeigt, über den Sie bereits unterrichtet sein werden.

Die Ordnungsparteien sind ziemlich fleinlaut- sie warten auf irgend ein Wahl wunder von oben." Hoffen und harren

- Die deutsche Arbeiterpresse veröffentlicht jetzt die endgül= tigen Listen der Reichstagskandidaturen. Soweit dies selben bis jetzt vorliegen, lassen wir sie hier folgen.

In Sachsen   sind aufgestellt:

1. Zittau  : Keller- Görlig.

2. Löbau  : Postelt- Dresden.

3. Bauzen: Schönfeld- Dresden  .

4. Dresden  ( r. d. E.): Kaden- Dresden  .

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5. Dresden( l. d. E.): Schönfeldt- Dresden  . diaph

6. Gerichtsamtsbezirk Dresden  : Horn- Löbtau.

7. Meißen  : Goldstein- Dresden.

8. Pirna  : Wurm- Dresden.

9. Freiberg  - Dederan: Niemann- Chemniz. 10. Döbeln   Roßwein  : Grünberg- Hartha  .

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11. Oscha z Wurzen: Pinkau- Borsdorf. 12. Leipzig  - Stadt: Bebel- Plauen- Dresden  . * 13. Leipzig- Land: Geyer- Großenhain  . 14. Borna   Pegau  : Stolle- Meerane  .

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15. Mittweida  - Limbach  : Schmidt- Berlin  . * 16. Chemniz: Schippel- Berlin  .

* 17. Glauchau  - Meerane  : Auer- München. * 18. 3 widau- Crimmitschau  : Stolle- Gefau. * 19. Schneeberg  - Stollberg  : Seifert- Zwickau  . 20. 3ich o pau Gelenau  : Sust- Chemniz. 21. Annaberg  - Eibenstock  : Grenz- Chemniz. 22. Reichenbach  - Kirchberg: Hoffmann- Chemniz. 23. Plauen  : Kaden- Dresden  .

( Die mit* bezeichneten Wahlkreise find 1885-1887 sozialdemo kratisch vertreten gewesen.)

In Württemberg  :

1. Stuttgart  : Karl Klok, Schreiner in Stuttgart  .

2. Cannstatt: J. Stern, Schriftsteller in Stuttgart  .

3. Heilbronn  : G. Kittler  , Gemeinderath in Heilbronn  .

4. Böblingen  : G. Bronnenmayer, Wirth in Göppingen  .

5. Eßlingen  : Th. Luz, Apotheker in Baden- Baden  .

6. Reutlingen  : Karl Kloß  , Schreiner in Stuttgart  .

7. Galw: Th. Lutz, Apotheker in Baden- Baden  . 9. Gmünd: A. Agster, Apotheker in Stuttgart  .

11. Schw. Hall: Chr. Schwend, Sägmühlbefizer und Gemeinde­rath in Hall.

13. Aalen  : Karl Klok, Schreiner in Stuttgart  .

14. Geislingen   Ulm  : A. Dietrich, Buchbinder in Stuttgart  . 17. Ravensburg  : G. Bronnenmayer, Wirth in Göppingen  . In Thüringen  :

1. Erfurt  : Paul Reißhaus  , Schneidermeister in Erfurt  .

2. Gotha  : Wilhelm Bock  , Schuhmacher in Gotha  .

3. Meiningen   II.: Paul Reißhaus  , Schneidermstr. in Erfurt  .

4. Weimar I.: Karl Schulze, Redakteur in Erfurt  .

5. Schwarzburg- Sondershausen  : Wilhelm Bock  , Schuh­macher in Gotha  .

6. Sangerhausen  : Karl Schulze, Redakteur in Erfurt  . Mühlhausen  - Langensalza  : Karl Grillenberger  , Ne­dakteur in Nürnberg  .

7.

( Fortsetzung folgt.)

-Auch eine ,, Presstimme über den Elberfelder Prozeß. Der Chicagoer Freien Presse", einem Bismarckblatt vom reinsten oder muß es in diesem Falle nicht heißen, trübsten? Wasser, entnimmt die Newyorker Voltsztg." folgende Quittung" über die Zunichte­machung der großen Hoffnungen, welche der Reptiliensumpf auf den Prozeß gefeßt:

Während der öffentliche Ankläger hauptsächlich Diejenigen zur Ver­antwortung gezogen zu sehen wünschte, welche als Leiter der Bewegung zu betrachten waren und denen die meisten der Mitangeklagten nur als willenlose Werkzeuge gedient hatten, ließ der Gerichtshof die sozialisti­ schen   Herren Bebel, Grillenberger und Schuhmacher frei ausgehen und verurtheilte überhaupt nur einen Reichstagsabgeordneten( zu den bean= tragten sechs Monaten Gefängniß), während die kleinere Hälfte von den anderen Angeklagten mit geringerer Strafe davon kamen, die größere Hälfte ganz freigesprochen wurde. Die Herren Bebel und Ge= nossen werden den Sozialisten also beim nächst ent Wahlkampf  .nicht fehlen. Der Prozeß hat in Deutschland   viel Staub aufgewirbelt und innerhalb der Ordnungsparteien gibt sich eine gewisse Enttäuschung über den Ausgang desselben fund; dennoch fällt es Niemandem ein, den Richtern( von denen ein paar zu den Deutschfreifinnigen gehören) Vorwürfe wegen ihres Urtheilsspruches zu machen, denn man weiß, daß deutsche   Richter nach den Gesetzen enta scheiden und nicht nach ihrer politischen Parteistellung".

Dazu bemerkt die Volksztg.":

Er macht den Richtern feinen Vorwurf wegen ihres Urtheils", er verdächtigt blos ihre Motive, indem er sie als freisinnig" bezeichnet. Warum denn nicht gleich als Sozialdemokraten?

Mike, Mike, Du rettest den Freund nicht mehr! Bei dem Prozeß wirst Du Deinem Auftraggeber in Berlin   am meisten nüßen, wenn Du ihn möglichst wenig erwähnt. Da ist Nichts mehr zu retten!" Stimmt. Hübsch ist es aber, daß das Chicagoer   Blatt aus der Schule plaudert; namentlich zeigen die von uns im Druck hervorgehobenen Säße, worauf man von dieser Seite gewartet hatte. Der Sozial­demokratie im Wahlkampf Kräfte zu entziehen, war des Pudels Kern, und daß dies nicht gelang, ist allerdings für die Ordnungsparteien" eine gewisse Enttäuschung".

sid

Und eine noch größere Enttäuschung ist ihnen auch gewiß.

Von der kolossalen Verrohung unserer Gegner zeugt eine Notiz des Leipziger Tageblatt  " bezüglich des Genossen Auer. Der­selbe weilt bekanntlich in Montreux  , um seine im Dienst der Partei arg geschädigte Gesundheit wiederherzustellen. Das Berliner Bolts­blatt" war dieser Tage in der glücklichen Lage, melden zu können, daß Auer sich wieder stark genug fühle, sich an dem Wahlkampf zu bethet­ligen, daß man ihm aber geschrieben habe, er solle sich noch schonen, Andere würden die Arbeit verrichten.

Daran knüpft nun das Tageblatt" hämische Bemerkungen über die " Nothlage der deutschen   Arbeiter", die so schlimm sei, daß die Ar­beitervertreter sich in einem der theuersten sturorte aufhalten könnten. Nun, liebes Tageblatt, es ist traurig, aber wahr: die deutschen   Ar=