Ebenso wenig fümmert uns heute die äußere Gestaltung der neuen Gesellschaft. 2ollte man dieselbe präzisiren, es würde immer nur ein einseitiges, wenig verläßliches Phantasiegebilde zum Vorschein kommen. Vielleicht geht man nicht weit fehl, wenn man die Organisation jedes einzelnen Arbeitszweiges etwa so sich vorstellt, wie heute die Post orga= nisirt ist, selbstverständlich mit Beseitigung aller dabei hente vorkom menden Schwächen und Ungerechtigkeiten. Die Post( und manche andere Arbeitszweige) zeigen heute schon, daß eine planmä zige Organisation jeder einzelnen Branche nicht allein sehr wohl ausführbar, sondern sogar sehr vortheilhaft und ersprießlich ist. Die Verbindung zwischen diejen einzelnen Arbeitszweigen fann man sich etwa so hergestellt denken, wie sich in Ministerium eines Landes die verschiedenen staatlichen Thätigfeiten vereinigen.
Doch auf ein richtiges Bild von dem kommenden Gesellschaftszustande kommt wenig an. Derselbe entwickelt sich zu seiner Zeit nach den dann austretenden Anforderungen, die sich heute noch gar nicht genau beurtheilen lassen.
Was aber wesentlich ist, das ist, das Prinzip, auf welchem der neue Zustand sich aufbauen wird, klar festzustellen.
" Dieses Prinzip ist in sozialer Hinsicht ein neuer Eigen= thumsbegriff, in politischer Beziehung die volle Bolts= herrichaft.
" Der Eigenthumsbegriff der sozialistischen Gesellschaft ist ein ganz anderer, aber unendlich viel gerechterer, als der der fapitalistischen Produftion eigenthümliche.
Heute erwirbt Einer um so mehr, je mehr Andere er für sich arbeiten lassen kann. Der frem de Arbeitsertrag fließt ihm zu, wird fein eigen, macht ihn reich und unabhängig.
„ Das ist die Grundlage des fapitalistischen Eigenthumsbegriffs: Das Eigenthum an fremder Arbeit.
" Ju Zukunft wird Jeder selbst arbeiten müssen, wenn er genießen will. Es wird Niemand etwas haben, der nicht arbeitet, es sei denn, daß er zur Arbeit überhaupt untauglich ist. Jedes Eigenthum am fremden Arbeitsertrage wird abgeschafft sein; für die Hülflosen oder jür allgemeine Zwecke aber wird gern ein Opfer gebracht werden. Das Eigenthum an der eigenen Arbeit wird hergestellt und damit das heiligste, unantastbarste Eigenthumsrecht, das es geben fann. Nichts gebührt mir von Rechts wegen mehr, als der Ertrag meiner eigenen Arbeit.
Da aber die Produktion eine gemeinsame ist, muß Jedem der Antheil zugetheilt werden, der ihm von dem gemeinsamen Ertrage ge= bührt. Darin im vollen Maße gerecht zu sein, mag feine Schwierig= feiten haben. Aber der sozialistischen Gesellschaft wird das Strebeu innewohnen, Jeden gerecht zu werden.
Deshalb wird sich bald ein Grundjag geltend machen, den schon 1795 Babeuf aufgestellt hat, der Grundjazz: Jedem nach seinen Bedürfnisse 11.
Der Mann der Wissenschaft hat andere Bedürfnisse, als der Handarbeiter; beide haben denselben Anspruch auf deren Befriedigung. In den Bedürfnissen der Einzelnen wird sich bei der steigenden Bildung und bei der Gemeinsamkeit, welche die verschiedensten Verhältnisse bega herrschen wird, eine außerordentliche Läuterung und Veredelung geltentme machen. Außer dem Nothwendigen wird mehr und mehr nur das Nüßliche, Schöne, Angenehme und besonders werden geistige Entwicklung und geistige Genüsse in Frage kommen. Die wirkliche Gleichberechtigung wird auch eine größere Gleichheit unter den Menschen hervorbringen, aber völlig gleich werden fönnen sie nie; deshalb muß ihnen nach ihren Bedürfnissen werden. Das wird sich einfach aus dem Streben entwickeln, gerecht zu sein.
" Dieses Streben wird im höchsten Maße unterstützt werden durch das politische Recht des Einzelnen, wurzelnd in dem gleichen Rechte Aller.
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Die Volks herrschaft wird in rein demokratischen Einrichtungen ihren Ansdruck finden. Alles wird von dem Willen der großen Menge des Volkes abhängig sein. Mag die Mehrheit desselben der sich die Minderheit fügen muß, einmal irren können, iener Irrthum selbst wird der Minderheit die Mehrheit verschaffen. Bei einem aufgeflärten Volfe, das seine Geschicke selber bestimmt, leidet es feinen Zweifel, daß das Streben nach Gerechtigkeit in allen Verhältnissen sich immer wieder siegreich Bahu brechen wird, wenn es einen Augenblick zurückgedrängt gewesen sein sollte.
Die volle Gleichberechtigung Aller wird eingeführt, jedes Vorrecht beseitigt sein. Auch der hervorragende Geist wird in seinen Vorzügen nicht das Mittel finden, zu herrschen; es wird ihm nur vergönnt fein, den gemeinsamen Intereffen in hervorragender Weise zu dienen.
„ Alles Fürstenthum ist beseitigt. Die Majestäten und wer sonst noch heutzutage eine bevorrechtigte Stellung einnimmt, werden als Gleiche unter dem arbeitenden Volke aufgenommen, oder sie werden von der Erde vertilgt sein.
„ Alles durch das Volf, Alles für das Volk! Die politische Gleichberechtigung wird das Mittet sein, die soziale Gleichberechtigung aufrecht zu erhalten oder wo nöthig durchzuseßen.
Die dem neuen Zustand eigenthümliche Staats form ist die Repu blik; und zwar die soziale, die rothe Republik, da nur in dieser das gleiche Hecht Aller in jeder Beziehung möglich.
" Habe ich so in furzen Zügen das Prinzip, das die neue Gesellschaft, ben nenen Staat regieren wird, gezeichnet, jo sei noch ein kurzer Blick geworfen auf die Folgen des veränderten Zustandes der Dinge.
Die Gesellschaft würde sich zunächst eines viel größeren Meichthums erfreuen, als heute. Eine Fluth von unnüßen Arbeiten( Reklame 2c.) würde wegjallen; die Arbeit selbst wäre besser organisirt und viel er= giebiger; es würde nichts lleberflüssiges oder Schädliches( Kanonen) produzirt, sondern nur das, was der Menschheit Nutzen schaffen und von ihr gebraucht werden würde.
" Da aber dem Einzelnen nach gerechten Grundsätzen sein Antheil an diesem so außerordentlich vermehrten Reichthume zufallen; da auch Naturkräfte und Wissenschaft, im Dienste der Gesammtheit stehend, die Arbeit jedes Einzelnen fortschreitend erleichtern würden, so würde die Arbeitszeit bald mehr und mehr vermindert werden können, bis vielleicht auf ein Minimum von 5 oder 6 Stunden täglich. Trotzdem würde schwerlich Jemand, das Geringste entbehren.
Dicjes Alles würde die Grundlage abgeben zu einer außerordentlich gehobenen Volksbildung. Dem Einzelnen blieben Zeit und Mittel, er hätte aber auch die Veranlassung, nach Wissen zu trachten. Er würde fouft wenig geachtet sein in der Gesellschaft und sein eigenes und das Gejammtinteresie würden ihn fortwährend spornen. Die Gesammtheit würde ihm eine Fülle von Bildungsmitteln bieten.
Das Talent und Genie fönnten sich frei entfalten. Kunst und Wissenschaften wären nicht mehr abhingig von der Lanne der Besitzenden, sondern von der Einsicht und dem Willen der Gesammt eit.
Die gefteigerte Bildung würde ihren Einfluß bei allen Einrichtungen geltend machen.
Wissen macht frei. Der Freiheit würde damit eine bessere Zukunft erblühen.
Schon ihr Gegensatz: die Knechtschaft, Abhängigkeit, wären gebrochen; gebrochen in sozialer und politischer Beziehung. Die Menschheit würde fich also frei fühlen vom früher ertragenen Joche.
Und wenn auch keine unbedingte Freiheit möglich ist die Freiheit, so würde doch Andere todtzuschlagen, wäre die cutscßlichste Sklaverei Jedem die Freiheit gewährleistet sein, die er besigen fanu, ohne die Freiheit eines Audern zu beeinträchtigen.
Das ist die gröstmögliche Freiheit, die denkbar ist.
Großartig ist der Fortschritt, den die Menschheit mit jener Ents wicklung machen wird, deren Reime heute schon in voller Strait sich entwickeln. Es ist das ein Kulturfortschritt, wie die Welt einen solchen noch nie gesehen.
" Selbst Will, eine geistige Größe im Lager der Gegner, hält dem Kommunismus eine Lobrede. llud dabei dachte er doch wahrscheinlich an irgend ein fommunistisches System, das der heutigen Gesellschaft zwangsweise aufgepfropit wäre, nicht aber an einen in organischer Entwicklung mit Nothwendigkeit eingetretenen Zustand!
Mill jagt:
Wenn man wählen müßte zwischen dem Kommunismus mit allen feinen Chancen und dem gegenwärtigen Gesellschaftszustande mit allen seinen Leiden und Ungerechtigkeiten; wenn die Institution des Private eigenthums es als nothwendige Folge mit sich brächte, daß das Ergebniß der Arbeit so sich vertheile, wie wir es jetzt sehen, f a st daß die Im umgefehrten Verhältniß zur Arbeit größten Antheile denjenigen zufallen, welche überhaupt nie gearbeitet
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haben, die nächstgrößten denen, deren Arbeit beinahe nur nomine!! iſt, und so weiter hinunter, indem die Bergütung in gleichem Verhältniß zusammenschrumpft wie die Arbeit schwerer und unangenehmer wird, bis endlich die ermüdendste und aufreibendste för= perliche Arbeit nicht mit Gewißheit darauf red) i ci tann, selbst nur den nothwendigsten Lebensbedarf 311 erwerben; wenn, fag: n w.r, die Alternative wäre: dies oder Kommunismus, so würden alle Bedenklichkeiten des Sommunismus, große wie kleine, nur wie pren in der Waagschale sein."
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Gin bereiteres Lob könnte der begeistertste Anhänger einer neuen Gesellschaftsordnung dieser nicht spenden!
Wann diese neue Gesellschaftsordnung in's Leben treten wird? Ich weiß es nicht. Aber daß sie in's Leben tritt, das ist sicher! ' s ist der Geschichte ch'rnes Mug!"
„ Darum fönnen wir, wenn die alte Gesellschaft ihr eigenes Kind 31 erdrücken trachtet, wenn sie vor feinem Mittel zurückbebt, Diejenigen 31 verfolgen, welche mit Verstand und Herzen auf Seiten der kommen= den Entwicklung stehen gelassen ihren fruchtlosen Anstrengungen spotten.
„ Wenn sie nicht ohne Kampf ihr Dasein aufgeben will, so wird sie in diesem Kampfe besiegt werden! Der Triumph der Gerech= tigkeit und Freiheit ist gewiß."
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Mit diesem Gedanken der Siegesgewißheit schließt Bracke, indem er noch einige Verie aus Freiligrath's" Schlacht am Birkenbaum" folgen läßt, aus dessen glühenden Worten, wie er sagt, das Proletariat in seinen Stämpfen neue Begeisterung schöpfen möge."( 3 ist derselbe Geist der Siegesgewißheit, der ihn in jenen heißen Debatten des Sommers 1878 den Vätern des schmachvollsten Sozialistengesetzes das prophetische Wort entgegenschlendern ließ:
„ Meine Herren, ich will Ihnen sagen: Wir pfeifen etwas auf das ganze Gefeß!"
Er hat den Triumph der Sozialdemokratie über das Schandgesetz nicht mehr erlebt, aber er hat ihn vorausgeschaut. Das Shandgesetz ist hente todt und wird auch bald begraben jein. Die Sozialdemokratie aber lebt, fräftiger als je steht sie da, entschlossen, den Kampf für ihr hohes Ziel bis zum Ende zu führen. Aber in ihren Stämpfen vergist sie nicht das Andenken derer, die in den Anfängen der Bewegung rastlos gewirkt, die Partei zu Dem zu machen, was sie heute ist. Und unter den Namen, die unvergeßlich in unsere Herzen eingegraben sind, steht mit an erster Reihe der Name Wilhelm Bracke , des bravsten und treuesten der Kampfgenossen für die Befreiung der Arbeiterflasje.
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Sozialpolitische Rundschau.
Je mehr authentische Nachrichten über die Maidemonftrationen der Arbeiterklasse einlaufen, um so mehr zeigt es sich, daß dieselbe in alten Ländern einen bedeutend größeren Umfang gehabt haben, als ihnen die telegraphischen Berichte der großen Blätter zuerfannten. Wie wir bereits in voriger Nummer hervorhoben, und wie anch aus der, in unserer hentigen Nummer an leitender Stelle veröffentlichten Korrespondenz über die Maidemonstration in Italien hervorgeht, hat die von Seiten der reaktionären Regierungen genährte Auffassung, es werde am 1. Mai überall zu Aufruhr und Mord kommen, viel an dieser falschen Berichterstattung schuld. Hier ist alles ruhig" diese berühmte Meldung wurde so aufgefaßt, als ob überhaupt nicht demonstrirt worden, während es thatsächlich nur bedentefe: hier ist der erwartete Krawall ansgeblieben, die Arbeiter sind so ver= bohrt, sich nicht zum Vergnügen gesellschaftretterisch veranlagter Staatsmänner zum Niederschießen anzubieten.
Aber auch die meisten der Demonstrationen, die nun einmal nicht todtgeschwiegen werden konnten, sind bedeutend geringer dargestellt wor den, als sie thatsächlich waren. Das gilt z. B. auch von der Achtstundendemonstration in Oesterreich . Wir haben den Zug der Arbeiter Wicus im Prater auf Grund der Telegramme auf 40,000 angegeben thatsächlich hat er, wie wir seitdem ersehen, über hun= derttausend Theilnehmer gezählt. Unter den 60 Versammlungen, die am Vormittag des 1. Mai in Wien stattfanden, waren eine ganze Anzahl von 3000 bis 4000 Personen besucht. So großartig war die Feier des 1. Mai in Oesterreich , daß sich selbst die bürgerlichen Politiker dem Eindruck derselben nicht entziehen konnten, wie 1. A. die Erflärung des Abgeorducten von Moscon im Wiener Reichsrath beweist, der ein förmliches Loblicd auf die Arbeiter austimmte, daß sie so trefflich Selbstpolizei zu halten wußten.
Und wie in Wien , so entsprechend in der Provinz. Dabei gilt auch für Desterreich, wie für die anderen Länder, daß die Zahl der Orte, wo der erste Mai gefeiert wurde, ganz unverhältnißmäßig größer war, als die Blätter sie angaben. Selbst die kleinsten Orte, wo nur eine Fabrik sich befindet, feierten, wie die Wiener Arbeiter- 3tg." berichtet. Eine Aufzählung zu geben, ist unmöglich, sie würde auch immer noch unvollständig sein, da fortgesetzt neue Berichte einlaufen.
Genauere Nachrichten liegen auch jetzt aus Amerika vor. Danach ist der 1. Mai ganz besonders glänzend in Chicago gefeiert worden, wo der Umzug der Arbeiter an 50,000 Theilnehmer zählte. In St. Louis zählte der Zug der Arbeiter 25,000 Personen. Ju New= York wurde die Demonstration durch Regenwetter beeinträch tigt, trotzdem zählte sie an 20,000 Theilnehmer. Im Großen und Ganzen wurde aber drüben weniger demonstrirt, als ernsthaft mit dem Sapital gerungen. Wir haben über den Feldzug der Arbeiterfederation zur Erfämpfung des Achtstundentages bereits berichtet und fügen daher nur noch hinzu, daß fast jede Nummer der amerikanischen Arbeiterzeitungen neue Erfolge der zuerst ins Feld gerückten Zimmererorganisationen berichtet.
Indem wir uns all dieser günstigen Nachrichten erfreuen, verhehlen wir uns durchaus nicht die Größe der Aufgaben, die uns noch bevorstehen. Selbst die großen Massen, die diesmal in die Altion getreten find, bilden noch eine muverhältnißmäßige Minderheit unter den Arbeitern, und auch sie sind zum großen Theil erst berührt, aber noch nicht durchdrungen von dem Grundgedanken der modernen Arbeiterbewegung. Aber sie sind erwacht, neues Leben regt sich überall, es geht vorwärts, und das ist die Hauptsache. Der erste Mai 1850 war nur erst ein Streifen Morgenro: h, aber auch der leiseste Schimmer Noth am Horizout fündet das Aufgehen des herrlichen Sonnengestirns.
Der neue Reichstag, schreibt man uns, ist doch ein neuer Reichstag: so viel neue Gesichter, wie noch fein Reichstag seit Znsammentreten des ersten sie gezeigt hat, und die alten Gesichter zumeist an neuen Plätzen. Auf den Sigen, wo früher die Ni cert, Bamberger und Engen Richter als Hohepriester des Manchesterthums thronten, da haben sich jetzt Bebel, Singer und Liebknecht niedergelassen, und unmittelbar neben den heiligen Bänken der ob der Nachbarschaft gar erstaunten Herren vom Bundesrath hat die umstürzlerische Notte der Sozialdemokraten sich häuslich eingerichtet und blickt begehrlich nach Rechts, wo es das nächste Mal auch noch schöne Gegenden zu erobern gibt. Früher waren die Sozialdemokraten in ein Eckchen in der Peripherie verbannt, das strategisch die denkbar ungünstigste Stellung darbot, so daß sie gewissermaßen nur eine geduldete Partei waren angewiefen auf die Gnade der Anderen. Das ist anders geworden. Die Sozialdemokraten befizen jegt eine vortreffliche Operationsbasis und der Keil, den sie bis an das Zentrum der feindlichen Stellung eingetrieben haben, wird mit unwiderstehlicher Straft weiter vordringen das lehrt ein Blick auf das Gesammtfeld der Parteien, wie sie im Reichstag vertreten sind. Es ist eine Art von Völkerwanderung vor sich gegangen. Wie vor anderthalb Tausend Jahren die jugendstarken und unterneh mungsluftigen Germanen vorandrängten und die alten Bewohner der eroberten Landstriche gen West en trieben, so haben die thatfrohen und nach der Weltherrschaft strebenden Sozialdemokraten, indem sie pietätlos in das Allerheiligste des Tempels der Klassengefeßgebung sich eindrängten, eine Bölferwanderung von links nach rechts noth
wendig gemacht, dergestalt, daß die Parteien, welche das Alther gebrachte vertreten, immer weiter nach Rechts wandern müssen, bis sie an die Bretter gelangen, mit denen die Welt, das heißt die Welt des Reichstages, zugenagelt ist.
Die Fortschrittler, von den Sozialdemokraten an die Lust gesetzt, haben ihrerseits die nationalliberalen Mannesseelen aus ihren Jagdgründen vertrieben, und die der Wahlschlacht entronnenen Nestebeaux restes sind's nicht, sondern sehr traurige
au deit
Thurm des Zentrums" geworfen, der seinerseits auch einen tüchtigen Stoß erhalten hat und nach Nechts gerückt worden ist. An die Wand des Thurmes gedrückt, quietschen" die braven Mannesseelen zwar nicht mehr so laut wie in den ersten Tagen nach dem 20. Februar- apro pos, wenn wir nicht sehr irren, gibt es in der deutschen Litteratur eine furchtbare Schicksalstragödie", die den Namen dieses dies nefastus trägt, und den 20. Februar schon vor 60 oder 70 Jahren prophetisch zu einem Tag des Schreckens gestempelt hat- alio ganz so laut, wie unmittelbar nach dem Tage des Gerichts quictschen sie nicht mehr, aber gar trübjelig schauen sie darein wahre Bilder des Jam mers. Und wenn man sich den armen gichtbrüchigen Benda anschaut, der auch in seiner Jugend schon eine breiartige Masse war, und neben ihm den geknickten Staatsmann in partibus, den einst aufgeblasencu Luftballon Bennigsen, der graujam zerstochen und zerhauen, zit jammengeklappt daliegt Jerum, Jerum, Jerum, o quae mutatio der rerum! Diese zwei unglücklichen Parteijührer" ohne Partei schlaue Miquel hat sich bei Zeiten dünne gemacht bringen in ihrer malerischen Gedrücktheit und in dem so chrlich zur Schau getragenen „ durchbohrenden Gefühl ihres Nichts" den Bankrott des„ Kartells" so klassisch zum Ausdruck, daß es dem alten Fuchs Windthorst schon aus fünstlerischem Interesse nicht verdacht werden kann, wenn er sich die Gruppe mit schmunzelnder Audacht betrachtet- ctwa wie ein satter Fuchs die übriggebliebenen Knochen und Federn eines fetten Huhns, das er verspeist hat. Der Alte fann lachen er ist für all' feine Feinde zu früh aufgestanden, und seine zwei Lieblingsfeinde Bismarck und Bennigsen liegen zappelnd vor ihm auf dem Boden.
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Aber nicht bloß der Geist inngen Lebens geht durch diesen neuen Neichstag auch die Geister der in der Wahlschlacht Gefal= lenen gehen in ihm um, oder schweben in den Lüften, gleich den Todten in der Hunnenschlacht. Die morituri- die Zukunftstodten des unfreiwilligen Wizbolds und Propheten Levebow sind Vergangenheits todte geworden, d. h. Todte, die der Vergangen heit angehören und in der Gegenwart nur noch Gespenster sind, und hoffentlich feine révenants), die anders denn als Gespenster zurückkonummen können. Benningien und Benda, umflattert von den Gei stern der erschlagenen Kartellbrüder, sind Gespenster , wie sie im Buch stehen. Und der storchbeinige Schmalschädler, der nachdenklich weit er dessen fähig die flatternden Zöpfe seines sorgfältig gekämmten grainveißen Doppel- Ziegenbarts streichelt und von Zeit zu Zeit fehn süchtig in den Olymp hinausschaut, wo er selbst einst in malerischer Pose mit den Regierungsgöttern gefeisen und gestanden, er ist ein Gespenst comme il faut. Man fönnte vielleicht auch sagen, cine s ch öne Leiche." Was von seinem Vetter, dem Reichskanzler a. D. allerdings nicht gesagt werden kann. Der einstmalen E wird immer ungeberdiger; er will sich durchaus nicht in Friedrichsruhe mit seinen Nunkelrüben einfargen und begraben lassen. Er rumort und schimpft und wirst Stinkbomben nicht cs will ja nichts mehr gelingen" cinmal das Stinkbombenwerfen. Die Bomben, obgleich in puncto der Gestankerzengung und Verbreitung von tadelloser Güte, fallen regelmäßig auf den Schüßen zurück. Ist doch z. B. durch das Platzen einer jolchen Stintbombe dem großen Publikum das fatale Geheimniß enthüllt worden, daß der„ geniale Staatsmann, um den alle Welt uns beneidef" oder beneidete, denn es find tempi passati seiner Entlassung auf Morphinismus" ärztlich untersucht worden ist. Morphinismus" ist aber, wie jedem einigermaßen Eingeweihten bekannt, nur ein milder schonender Name für Alkoholisms, welches fünfsilbige Fremdwort seinerseits wieder nur das aristofratisch- wissenschaftliche Mäntelchen ist für den plebejischen Säufers wahnsinn. Und bei dieser Gelegenheit sei daran erinnert, daß schon vor 6 oder 7 Jahren, wie seinerzeit auch im„ Sozialdemokrat" zu lesent stand, eine der ersten medizinischen Autoritäten bei IHM die inzweideutigsten Symptome des Alkoholismus" erfannte. Der alkoholische Meichsgründer" bildet einen prächtigen Pendant zu dem irrsinnigen Wittelsbacher, der im Winter 1870/71 den Hohenzollern die Kaiserfrone zuerst anbot.-
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vor
Eine bunte und sehr gemischte Gesellschaft in diesem Reichstag! Aber es ist eine Volfsvertretung, und sogar die fünfköpfige Alimenten, Wucher und meineids - Fraktion, alias Frattion der Autisemiten genannt, vertritt eine Volksströmung, die nun einmal vorhanden ist und folglich auch ein Recht hat, vertreten zu fein.
Ginstweilen sind die verschiedenen Gruppen und Personen noch damit beschäftigt, einander zu mustern und zu messen. Jeder Schlacht geht das Rekognosziren voraus. Und das Rekognosziren muß diesmal gründlich besorgt werden, weil gewaltige Schlachten bevorstehen. Wie die Kämpfe verlaufen werden, das läßt sich natürlich nicht vorausschen, allein soviel ist sicher, es werden entscheidende K.mpje sein, cutscheidend für die Entwicklung Deutschlands und Europas . In den wirren Chaos der gegenwärtigen Lage stecken die Keine einer neuen Welt, und der neue Reichstag ist vor die Aufgabe gestellt, der neuen Welt, die sich dem Schooße des Chaos zu entringen sucht, Geburtshelferdienste zu leisten.
Wird er sich der Aufgabe gewachsen zeigen?
x. Die sozialdemokratische Fraktion, welche sich am Tag vor dem Zusammentritt des Reichstags offiziell konstituirte und sogut wie einstimmig den alten Fraktionsvorstand, bestehend aus Bebel, Gril lenberger, Liebknecht , Meister und Singer, wieder= wählte, hat sich mit aller( nergie der Arbeit gewidmet, welche in diesem Reichstage zu thun ist. Der parlamentarische Streit", der von irgend einem enfant terrible nach dem 20. Februar vorge= schlagen ward und thatsächlich dahin ging, die Früchte des Siegs den Besiegten freiwillig preiszugeben, hat in der Fraktion nicht einen einzigen Befürworter geinnden; und einstimmig wurde beschlossen, daß die Fraktion sich bei allen ständigen Kommissionen( Geschäftsordnungs-, Petitions - und Wahlprüfungs- Kommissionen), sowie bei der Budgetkommission und allen sonstigen Kommissionen, welche sich mit die Arbeiter- Juteressen berührenden Gejez: svorlagen beschäftigen, thätig zu betheiligen hat. Dagegen wurde ein Siß in dem Vorstand des Neichstags eine Schriftführerstelle abgelehnt, weil es sich hier mur um ein ornamentales und representatives Amt handelt, das ohne jeglichen praktischen Nutzen für die Partei ist.
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Die Thronrede, mit welcher der deutsche Meichstag cr öffuct ward, hat ihren Schwerpunkt in dem, was sie nicht sagt. Das Sozialistengesetz und Fürst Bismarck werden mit keiner Silbe erwähnt. Es wird also stillschweigend mit dem Bismarck- Putts fammer'schen Polizeisystem gebrochen und der Haupturheber des Schandgesetzes sans phrase fang und flanglos zu den Todten geworfen. Und wie todt der Kanzler a. D. ist, das zeigte sich drastisch am Mittwoch den 7. Mai gleich nach Konstituirung des Reichstags, als Präs fident Levezzow, nachdem die Ernennung Caprivi's zum Reichskanzler amtlich zur Kenntniß des Reichstags gebracht worden war, wohl oder übel dem Reichskanzler a. D. einige Worte des Lobes widmen mußte. Er that dies in möglichster Kürze und hütete sich wohl, das Haus zum „ Erheben von den Sißen" aufzufordern, denn er wußte genau, daß die größere Hälfte der Abgeordneten sich nicht er hoben hätten. Die Bravo's, welche den unsterblichen Verdiensten" des Reichsgründers gezollt wurden, waren spärlich und nichts weniger als enthusiastisch. Nicht einmal die Konservativen waren ein= stimmig in der Kundgebung ihres Beifalls. Nur die Nationalliberalen versuchten unisono cine patriotische Bravo- Salve zu inszeniren, aber troß des vorhandenen guten Willens fiel die Salve gar schwächlich aus. Die Regierung ist offenbar bemüht, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen. Tas sahen wir gleich bei dem ersten Austreten eines Regierungsvertreters. Es handelte sich um den Geschentwurf betref= fend die Gewerbegerichte; und Herr Staatsminister Bötticher benutzte die Gelegenheit, um auf die Kritik des sozialdemokra=