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hie Stimlme verwandten Fühlens? Und müßte nicht um- geketirt schon die Abneigung eines Kindes zumal eines so großen Kindes gegen einen Elternteil ein Beweis sein für dessen Lieblosigkeit? Oder zum mindesten für seine völlige Verständnislosigkeit, für seine Unfähigkeit, Kinder aufzu- ziehen? Das Gesetz aber fragt nicht nach Liebe, nicht nach verständnisvoller Behandlung! nur Mißhandlung wird bestraft, nur die Ueberschreitung des sogenannten körperlichen Züchtigungsrechtes. Denn, ach, noch immer gibt es ein solches Recht! Wo aber ist hier die Grenze, was ist nur Züchtigung, was Mißhandlung? Die unglücklichen kleinen Opfer dieses Rechtes wissen es Wohl kaum zu sagen: und, wenn sie es wüßten, würde ihr Zeugnis allein nicht gelten: sie müssen ihre Martern ertrogen, falls ihnen nicht in einem gelegent- lichen Zeugen einmal ein Anwalt ersteht. Und wie gering ist auch dann noch der Schutz, der ihnen zuteil wird! Wer ein Kind, ein fühlendes, empfindendes Geschöpf körperlich peinigt und schädigt, wird ja oft kaum �härter gestraft als der, der sich am toten Eigentum eines anderen vergreift, häufig sogar noch weit geringer. Eine Mutter mißhandelte ihr uneheliches Kind so, daß der Rücken des Kindes nach der Feststellung durch den Ge- richtsarzt 30 bis 40 Striemen(!!) aufwies undauch andere Körperteile die Spuren rahester Mißhandlung" trugen. Vor Gericht gab sie an, ihr Züchtigungsrecht nicht überschritten zu haben, weil der Knabe bei der Großmutter, wo er vorher erzogen worden war, verwahrlost und weil er stark verlogen fei! Und das Gericht verurteilt sie zu ganzen 6 Monaten Gefängnis, da es berücksichttgt, daß sienichtausunedlen Motiven gehandelt habe. Was mag aus diesem Kinde werden, wenn es nach Ablauf der 6 Monate wieder der Pflege diesernicht unedlen" Mutter ausgeliefert wird? Der Vater einer größeren Kinderschar, dessen jüngstes Kind wegen Vernachlässigung und schlechter Behandlung der väterlichen Gewalt entzogen und dem Verein gegen Aus- beutting und Mißhandlung von Kindern überwiesen worden war, Hot eines seiner anderen Kinder, eine halbwüchsige Toch­ter. wegen einer kleinen Näscherei zunächst so geschlagen, daß ihr Körper 40 bis 50 Verletzungen auswies. Am andern Morgen fällt dos arme Mädchen, vermutlich geschwächt durch die vorhergegangene Mißhandlung, mit einem Eimer heißen Wassers hin und verbrüht sich erheblich den Arm. Der abends heimkehrende Vater, der das Kind im Bett liegend findet, denkt nicht im mindesten daran, einen Arzt zu rufen: auch, daß das Kind noch in der Nacht stirbt, regt ihn nicht im ge- ringsten auf. Urteil: 1 Jahr und 6 Monate Gefängnis. Nach Ablauf dieser Frist kann er ja von neuem auf die ihm noch gebliebenen Kinder losgelassen werden! Neben diesen verhältnismäßig wenigen Fällen, von denen die Oeffentlichkeit durch Gerichtsverhandlungen erfährt, gibt es dann noch zahllose andere,, die nie ans Tageslicht kommen mögen, weil niemand auf das leise Wimmern, das angstvoll stumm ertragene Leid der heimlich Gepeinigten auf- merksam wird: irgendwo stirbt dann einmal ein Kind: wer weiß, woran? Es war eben schwach gewesen. Manche andere Kinder werdennur" gelegentlich ein- mal vergessen, ganz ohne Absicht irgendwo stehen gelasten, so wie man auch einen Regenschirm einmal stehen läßt. Man frage nur bei den Aufsichtsbeamten großer öffentlicher Gärten an: wie oft verlieren Eltern dort ihre Kinder plötzlich aus den Augen und gehen dann abends ruhig heim, ohne sich um den Verbleib der Kinder irgendwie zu kümmern, nach ihnen zu suchen oder im Garten noch ihnen zu fragen. Und allen solchen Menschen ist es gestattet, Kinder zu halten"! Dürfen wir dos weiter ruhig mit ansehen? Gibt es kein Mittel, die Schwachen, Hilflosen zu erkösen, zahllose Leben zu retten, zu kräftigen, den Vernachlässigten Liebe zu bieten? Wohl wird das eine oder andere Kind von der Polizei unmenschlichen Eltern fortgenommen und der Jugend- fiuf öem Eise. Von Hermann Hesse  . Damals sah mir die Welt noch anders aus. Ich war zwölseirchalb Jahre alt und noch mitten in der vielsavbigen, reichen Welt der Knabenfreuden und Knabenschwärmereien besangen. Nun dämmerte schüchtern und lüstern zum ersten- mal das weiche Ferneblau der gemilderten, innigeren Jugend- lichkeit in meine erstaunte Seele. Es war ein gor langer, strenger Winter, und unser schöner Schwarzwaldfluß lag wochenlang hart gefroren. Ich kann das merkwürdige, gruselig entzückte Gefühl nicht vergessen, mit dem ich am ersten bitterkalten Morgen den Fluß betrat, denn er war tief und das Eis war so klar, daß man wie durch eine dünne Glasscheibe unter sich dos grüne Wasser, den Sand- boden mit Steinen, die phantastisch verschlungenen Wasser- pflanzen und zuweilen den dunklen Rücken eines Fisches sah. Halbe Tage trieb ich mich mit meinen Kameraden auf dem Eise herum, mit heißen Wangen und blauen Händen, das Herz von der starken, rhythmischen Bewegung des Schlittschuh- laufens energisch geschwellt, voll von der wunderbaren ge- dankenlosen Genußkrast der Knabenzeit. Wir übten Wett- lauf. Weitsprung, Hochsprung, Fliehen und Haschen, und die- jenigen von uns, welche noch die altmodischen beinernen Schlittschuhe mit Bindfaden an den Stieseln befestigt trugen. waren nicht die schlechtesten Läuser. Aber einer, ein Fabri- kantensohn, besaß ein Paar Halifax  , die waren ohne Schnur oder Riemen befestigt, und mau konnte sie in zwei Augen- blicken anziehen und ablegen. Das Wort Halifax   stand von da an jahrelang auf meinem Werhnachtswunschzettel, jedoch erfolglos: und als ich zwölf Jahre später einmal ein Paar recht seine und gute Schlittschuhe kaufen wollte und im Laden Halifax   verlangte, da ging mir zu meinem Schmerz ein Ideal und ein Stück Kinderg-lauben verloren, als man mir lächelnd versicherte, Halifax   sei ein veraltetes System und längst nichr mehr das beste. Am liebsten lies ich allein, oft bis zum Einbruch der Nacht. Ich sauste dalsin, lernte im raschesten Schnellauf an jedem beliebigen Punkt lwlten oder wenden, schwebte mit Flieger­genuß balanzierend in schönen Bogen. Viele von meinen Kameraden benutzten die Zeit auf dem Eise, um den Mädchen nachzulaufen und zu hofieren. Für mich waren die Mädchen nicht vorhanden. Während andere ihnen Ritterdienste leisteten sie sehnsüchtig und schüchtern umkreisten oder sie kühn und flott in Paaren führten, genoß ich allein die freie Lust des Gleitens. Für dieMädelsführer" hatte ich nur Mitleid oder Spott. Denn aus den Konfessionen mancher Freunde glaubte ich zu wissen, wie zaveifelhaft ihre galanten Genüsse im Grunde waren. Da. schon gegen Ende des Winters, ka-m mir eines Tages die Schülerneuigkeit zu Ohren, der Novdkaffer habe neulich fürsorge zugeführt: wo? aber muß solch unglückliches kleines Geschöpf bis dahin erst erlitten haben! Und was be- deutet der späte, ach so späte Schutz dieser Wenigen gegenüber der großen Zahl ihrer Leidensgenossen, gegenüber der un- geheuerlichen Tatsache, daß selbst wegen Mißhandlung Be- straften die Möglichkeit bleibt, von neuem Mißhandlungen auszuüben, ja daß Kinder, die ihnen einmal entzogen wurden, zum zweitenmal in ihre Gewalt gegeben werden können? Wir brauchen unbedingt einen weiteren Ausbau unserer Ge- setze nach dieser Richtung hin: keinem, der wegen Mißhand- lung bestraft oder dem ein Kind wegen Roheit oder Vernach- läffigung entzogen wurde, dürfte jemals wieder gestattet werden, irgend ein Kind um sich zu halten: und werden ihm später andere Kinder geboren, so müßten sie von der Ge- burt an gegen ihn geschützt, von Staats wegen ihm entzogen werden. Und der Staat, der, wie schon erwähnt, doch ein starkes Interesse hat am Bevölkerungszuwachs, warum nimmt er sich nicht all der um Elternliebe betrogenen Kinder an, warum ersetzt er ihnen nicht die Eltern, warum baut er nicht große Häuser, in denen liebevolle warmherzigeMütter" und Väter" den Heimen derStaatskinder" vorstehen, ihnen darin ein wahres Elternhaus bieten? So manchem Kindesmartyrium könnte wohl auch weit schneller als jetzt ein Ende bereitet werden, wenn die Lehrer in noch erhöhtem Maße ihr Augenmerk aus die körperliche und seelische Verfassung ihrer Schüler richten und sich gelegentlich eingehend mit ihren häuslichen Verhältnissen befassen wollten. Spricht nicht oft der wehe Blick der Hilflosigkeit aus einem Kinde deutlicher als alle Worte? Erzählen nicht häufig ein abgezehrtes dürftiges Körperchen, übergroße Schwäche und ständige Müdigkeit eines Kindes, geistiges Zurückbleiben und noch so manches andere Anzeichen von dem Elend seines Da- seins? In solchen Fällen noch den Ursachen zu forschen, ist die Aufgabe eines jeden, dem auch nur die geringste Möglich- keit dazu gegeben ist, um,. wo es nottut, rettend eingreifen zu können. Max vauthenöep. Zu seinem fünfzigsten Geburtstag. Di« Siege des Naturalismus, vor bald dreißig Jahren, hatten nch mit verhältnismäßiger Schnelle vollzogen. Sein Lebensgefühl, das Gefühl sozialer und physiologischer Bedingtheit, entsprach in starker Weise dem allgemeinen Lebensgefühl, wie eS sich einerseits, als Folge der ungemessenen Jndustrieentwicklung, unter der leben­digen Erfahrung der wirtschaftlichen Abhängigkeiten und anderer- seits unter dem Einfluß der»aturwissenschaftlichen Feststellungen gebildet hatte. Von den Wissenschaften kam auch die Methode: Sach- lichlleit und Genauigkeit der Beobachtung und Wiedergabe. ES kam dem Naturalismus auf die Wahrheit des Lebens an, auf die un- beirrte Wirklichkeitstreue. So entstand jene Form breiter nichts auslassender Lebensdarstellung, jener physiologischer Jmpressionis- mus, der sich als schärfste Reproduktion von WirklichkeitSeindrücken in einer Art von photographischer Momenttechnik darstellt. Aber schon in den Tagen der naturalistischen Hochflut setzten Gegenströmungen ein. Der Naturalismus war soziologisch gerichtet; er sah das Individuum nicht. Mit seinem Wirklichkeitssinn blieb er am Zuständlichen kleben, sagen wir: an den Stofstvechselvor- gängen des Lebens; die Phantasie hatte keine Berechtigung für ihn. Und in seiner Wissenschaftlichkeit war er ungeistig. Seine Not- wcndigkeit zugegeben: lag seine Enge und Einseitigkeit klar vor Augen. Er hatte die Massepseele darzustellen vermocht. Wovor er aber versagte, das war die Seele des modernen AuSnahmemenfchen in ihrer neuartigen, unendlich differenzierten Reizsam keit. Und von dorther kamen die Frondeure. Man nannte die Ntamen Strind- berg, HuySmanS  , BarreS, Maeterlinck  , Mallarme  , Wild  «, Jaeobsen, zum erstenmal; und die Dehmel, PrzybyszewSki  , Scheerbart  , Mom- bert, George, jeder von anderer Seite, waren doch einig in der Tendenz: Ueberwindung des Naturalismus durch eine neue geistige Kunst, die die Seele, die Phantasie wieder in ihr Recht setzt. Es waren die neunziger Jahre, das Jahrzehnt der genialen Anfänge. Freilich vermochte auch diese Bewegung, in einer cntgöttertcn, nach neuen Lebensidccn sich durchtastenden Zeit, dem Naturalismus kein geschlossenes, geistiges und künstlerisches Weltbild entgegenzu­setzen und damit keine große Forni. Die Methode blieb imprcssio- nistisch, nur diesmal auf die inneren Vorgänge angewandt, auf die Stimmungen" des Individuums. All das Unaussprechliche, kaum Gefühlte der modernen Ausnahmeseele wurde hier in einer neuen, symbolischen" Klang- und Bildkunst von äußerster Vcffeinerung ans Licht geholt. Mit dieser Bewegung heraus kam auch Max Dauthendey  . Hier ist sein« geschichtliche Stelle. Um 1895 erschien sein Gedichtwerk Ultra Violett. Einsame Posten"; damals ein Gelächter für alle Banausischen, in Wirklichkeit aber eine Tat von künstlerisch revolu- tionärer Bedeutung. Mit der Auffchrist wollte der Dichter besagen, daß dies« Gebilde seiner Phantasie Seelenstrahlen seien, jenseits der Grenzen gewöhnlicher,naturalistischer" Sichtbarkeit. Das Werk war ein Tagebuch seltener Stimmungen; Extasen verzückter Sinne, die in Klängen, Farben, Düften schwelgten. In der Einsam- keit nordischer Landschaft, von allem Verkehr mit Menschen abge- schieden, war die Natur dem Dichter in seiner Reizsamkcit zum Ereignis geworden, zu einem Stimmungserlebnis; in dem seine eigene Seele sich mit den sinnlichen Reizen der Drnge mischte, und er suchte, den jeweiligen Augenblick in impressionistischen Vers- notizen- festzuhalten. Daß Dauthendey   auf jedes erläuternde Ich- wort verzichtete, machte das Eindringen schwierig. Bockedingung war eine ungeheure Empfindlichkeit des sensitiven Apparates und Bereitwilligkeit zu nachschaffender Hingabe. War dies zu geben. so verwandelten sich die toten Stimmen zu einem berauschenden Konzert nie erlebter Sinneseindrücke. In dem Buch herrschte der Farbenrausch. Alles war auf Farbe bezogen. Klang und Duft setzten sich in Farbtöne um.(Bei E. Th. A. Hoffmann findet man ein gleiches, bei Otto Ludwig  , Baudelaire.) Aber auch Seelisches wird in Farben ausgedrückt, wie in der Toten- fever-Stimmung:Beim Paternoster schwingt die Luft. Vom Kirch- türm wälzen sich Metallwellen. Schwarze Kreise breiten sich. Im Schwarzen ein Weiß mit großen schluchzenden Augen. Die schwarzen Kreise weiten sich und ziehen sich zusammen und die weißen Augen und weiten sich und ziehen sich zusammen. Sie durchdringen das Licht, alle Farben, durch olles geht ihr Pochen und Wogen wider- standsloS." Diese.Farbentunst hat in der Zeit ihre Entsprechung in der Malerei der Ludwig von Hosmann und Edvard Münch. Es gibt inUltra Violett" Gedichte, die wie in Worte umgesetzte Bilder dieser Künstler wirken. In dem Neuartigen des malerischen Sehens liegt das Neue, Ausschlaggebende des Dauthendeyschen Buches. Die Farbe ist das ursprüngliche Erlebnis des Dichters. Dauthendey   ist der Farbendichter der deutschen Lyrik und seine eigenste Kunst ist die Kunst des Landschaftlichen. Will man Dauthendeys Bedeutung formulieren, so ist zu sagen: Er hat die Landschaft dem modernen Auge neu erschlossen. Aus einer unendlich verfeinten, nervösen Beeindruckbarkeit ist ihm ein ganz neues Sehen und Empfinden geboren worden und ein der- schärfteS Vermögen des Ausdrucks, und in seinen bewegten Rbyth- men hat er die künstlerisch adäquate Sprache für das Verhältnis der modernen Seele zur Natur gefunden. Eine solche Lebenswirkung, eine solche Seelenwirkung geht frei. lich von denUltra Violett-Impressionen noch nicht aus. Dauthen. deh ist in ihnen nur einsames Ich. Die Welt ist ihm nur eine Summ« von Sensationen, von Stimmungen, an deren eigenwillig unbekümmerter Aufzeichnung er sich genügt. Erst mußte ihm ein Du erwachsen, eine lebendige Gegenstimme, aus der mehr zu ihm sprach als die Reizung toter Tinge. Das erotische Erlebnis mußte ihn zu den andern hinreißen und zur Welt. Er mußte das Leben fühlen, Blut in Blut. In dem folgenden Buche,Reliquien", voll- zieljt sich, manchmal erschütternd, dieser Uebergang. aus dem ein neues Verhältnis zum Sein sich herausbildet. Turä, die Liebe erwacht Dauthendey   zum Leben, und sie wird ihm zum Mittel- abermals die Emma Meier beim Schlitffchuhausziehen ge- küßt. Die Nachtricht trieb mir plötzlich dos Blirt zu Kopfe. Geküßt! Das war freilich schon was anderes als die faden Gespräche und scheuen Händedrücke, die sonst als höchste Wonnen des Mädleführens gepriesen wurden. Geküßt! Das war ein Ton aus einer fremden, verschlossenen, scheu geahnten Welt, das hatte den leckeren Duft der verbotenen Früchte, das hatte etwas Heimliches, Poetisches, Unnennnbares, das ge- hörte in jenes dunkelsüße, schaurig lockende Gebiet, das von uns allen verschwiegen, aber ahnungsvoll gekannt und streif- weise durch sagenhafte Liebesabenteuer ehemaliger, von der Schule verwiesener Mädchenhelden beleuchtet war. DerNord- kasfer" war ein vierzehnjähriger, Gott   weiß wie zu uns ver- schlagener Hamburger Schuljunge, den ich sehr verehrte, und dessen fern der Schule blühender Ruhin mich oft nicht schlafen ließ. Und Emma Meier war unbestritten das hübscheste Schulmädchen von Gerberscru, blond, flink, stolz und so alt wie ich. Von jenem Tage cm wälzte ich Pläne und Sorgen in meinem Sinn. Ein Mädchen zu küssen, das übertraf doch alle meine bisherigen Ideale, sowohl an sich selbst, als weil es ohne Zweifel vom Schulgesetz verboten und verpönt war. Es wurde mir schnell klar, daß der solenne Minnedienst der Eis- bahn hierzu die einzige Gelegenheit sei. Zunächst suchte ich denn mein Aeußeres nach Vermögen hoffähiger zu machen. Ich wandic Zeit und Sorgfalt an meine Frisur, wachte pein- lich über die Sauberkeit meiner Kleider, trug die Pelzmütze manierlich halb in der.Stirn und evbettölte von meinen Schwestern ein rosenrot seidenes Foulard. Zugleich begann ich auf dem Eise die etwa in Frage kommenden Mädchen höf­lich zu grüßen und glaubte zu sehen, daß diese ungewohnte Huldigung zwar mit Erstaunen, aber nicht ohne Wohlgefallen bemerkt wurde. Biel   schwerer wurde mir die erste Anknüpfung, denn in meinem Leben hatte ich noch kein Mädchen engagiert. Ich suchte meine Freunde bei dieser ernsten Zeremonie zu be- lauschen. Manche machten nur einen Bückling und streckten die Hand aus, andere stotterten etwas Unverständliches her- vor, weitaus die meisten aber bedienten sich der eleganten Phrase: Hab' ich die Ehre? Diese Formel imponierte mir sehq. und ich übte sie ein, indem ich zu Hause in meiner Kammer mich vor dem Ofen verneigte und die feierlichen Worte dazu sprach. Der Tag des schlveren ersten Schrittes war gekommen. Schon gestern hatte ich Werbegedanken gehabt, war aber mut- los heimgekehrt, ahne etwas gewagt zu haben. Heute hatte ich mir vorgenommen, unweigerlich zu tun, was ich so sehr fürch- tete wie ersehnte. Mit Herzklopfen und todbeklommen wie ein Verbrecher ging ich zur Eisbahn, und ich glaube, meine Hände zitterten beim Anlegen der Schlitffchuhe. Und dann stürzte ich mich in die Menge, in weitem Bogen ausbolend, und bemüht, meinem Gesicht einen Rest der gewohnten Sicher» heit und Selbstverständlichkeit zu bewahren. Zweimal durch- lief ich die ganze lange Bahn im eiligsten Tempo, die scharfe Luft und die heftige Bewegung taten mir wohl. Plötzlich, gerade unter der Brücke rannte ich mit voller Wucht gegen jemanden an und taumelte bestürzt zur Seite. Aus dem Eise aber saß die schöne Emma, offenbar Schmerzen verbeißend, und sah mich vorwurfsvoll an. Vor meinen Blicken ging die Welt im Kreise. Helft mir doch auf! sagte sie zu ihren Freundinnen. Da nahm ich, blutrot im ganzen Gesicht, meine Mütze ob, kniete neben ihr nieder und half ihr aufftehen. Wir standen nun einander erschrocken und fassungslos gegenüber, und keines sagte ein Wort. Der Pelz, das Gesicht und Haar des schönen Mädchens betäubten mich durch ihre fremde Nähe. Ich besann mich ohne Erfolg auf eine Eni- schuldigung und hielt noch immer meine Mütze in der Faust. Und plötzlich, während mir die Augen wie verschleiert waren, machte ich mechanisch einen tiefen Bückling und stammelte: .Hab' ich die Ehre? Sie antwortete nichts, ergriff aber meine Hände mit ihren feinen Fingern, deren Wärme ich durch den Handschuh hindurch fühlte, und fuhr mit mir dahin. Mir war zumute wie in einem sonderbaren Traum. Ein Gefühl von Glück, Scham, Wärme, Lust und Verlegenheit raubte mir fast den Atem. Wohl eine Diertelftunde liefen wir zusammen. Dann machte sie an einem Halteplatz leise die kleinen Hände frei, sagte Danke schön! und fuhr allein davon, während ich ver- spätet die Pelzkappe zog und noch lange an derselben Stelle stehenblieb. Erst später siel mir ein, daß sie während der ganzen Zeit kein einziges Wort gesprochen hatte. /lbenölieö in schwerer Zeit. Nun geistert graue Tämmrunz, nach Hause woll'n wir zehn. Bang unsre Herzen schlagen, wir schaun uns an und fragen und können's nicht verstehn. Lieb Vlllmlein, Gott genade, Der dunkle Tod geht um, Halmsaat in finstren Feldern, wild Glück in nächtigen Wäldern, wir weinen um euch stumm. Bedrückend aus der Weite irrt heimatlose Rot. Heimweh verfluchter Brüder, und starke Seelen wieder erheben sich vom Tod. Zn unfern Herzen tragen wir übergroßes Leid und fühlen tief Erschauern. wir ducken uns und trauern und altern vor der Zeit. Heim, heim. Schon sall'n die Feuer grelleuchtend in die Rächt. Gram fingt den Kindern Lieder, die Kerzen schwelen nieder, die Uhren ticken sacht. O. Dohlgemuth.