Nr. 281
Donnerstag, 13. Dezember 1934
Seit« 6
Das Dritte Reich schweigt Die Kulturwelt darf nicht schweigen
Seit zwanzig Monaten rast durch das Herz Giropas der Schrecken. Seit zwanzig Monaten werden in einem europäischen Kulturland alle Juden und Christen verfolgt, deren Gedanken und politische Meinungen vom Programm der Partei Adolf Hitlers abweichen. Als die ersten Berichte über das Dritte Reich die Welt in Erregung versetzten, sprach der Reichspropagandamin ister Goebbels von„Greuelnachrichten". Das Wort hat eine Fachbezeichnung für lügenhafte, antideutsche Tendenznächrichten geschaffen, und gute Dienste getan. Aber die Welt hat seit dem Frühling 1933 zu Furchtbares erlebt. Die blutige Flut, die sich vom Reichstagsbrand bis zum 30. Juni wälzte, hat das listenreiche Goebbels-Wort um seinen
Sammlung von B e r i ch t e n a u s d e u t s ch e n Konzentrationslagern erschienen. Was diese Sammlung mitzuteilen weiß, ist geeignet, alle bisherigen Berichte, aus dem Dritten Reich in den Schatten zu stellen. Das Buch ist eine gewissenhafte Zusammenstellung konkreter Anklagen. Zu jeder Tatsache werden Daten und Einzelheiten angegeben. Die Namen der Lagerkommandanten, alle SA- und SS -Leute, die für die furchtbaren Grausamkeiten verantwortlich sind und ihrer Opfer— mehr als 850 Namen-7- werden auge- fü.-rt. Leichenschändung, Amtsmißbrauch, Sexualvergehen, schwere Körperverletzung, Mord: das sind die Verbrechen, deren man diese Vertreter der deutschen Reichsgewalt mit allen zur Untersuchung notwendigen Angaben beschuldigt.
Aufgabe- und Empfangsbestätigungen für das Buch »Konzentrationslager! Adolf Hitler , Deine Opfer klagen an!“
1. Rückschein für Äe Sendung an Dr. Bumke, den Präsidenten des Reichsgerichts.— 2. Die, Empfangsbestätigung des Oberreichsanwalts Dr. Werner.— 3. Aufgabe- bescheinigungfür die Sendung an Adolf Hitler . Der Eingang des Buches ist— erst nach mehrfacher Reklamation— am 18. Oktober bestätigt worden.— 4. Quittung für das Reichsjustizministerium und 5. für den Propagandaminister Dr. Göbbels .
Sinn gebracht. Dieses Wort„Greuelnachricht" hat den ironischen Sinn verloren, es bezeichnet heute wirklich ein« Nachricht über deutsche Greuel. Mit dem sicheren Tastgefühl des erfolgreichen Rellamefachmanns, hat man in dem Augenblick die Taktik geändert, als sich der Sinn der Goebbels-Bezeichnung änderte. Das Dritte Reich antwortet nicht mehr auf Greuelnachrichten. Das Dritte Reich begann zu schweigen. Es spekulierte: wenn das amtliche Deutschland zu allem, was ihm vorgeworfen wird, schweigt, dann wird es eher gelingen, das Gewissen der Welt taub zu machen. Diese Methode zeigt sich erfolgreich, man gewöhnt sich an die deutschen Greuel, an das täglich vergossene Blut, an die deutsche Schande. Man glaube nicht, datz wir übertreiben. Zwei Beispiele von vielen beweisen unsere Behauptung. Der Spezialkorrespondent des „Manchester Guardian", einer der am besten über Deutschland unterrichteten Journalisten, hat in seinem Blatt, das zu den angesehensten der Weltpresse gehört, nicht mehr und nicht weniger behauptet, als dass Hitler in seiner Reichstagsrede über den 30. Juni die Zahl der Ermordeten unrichtig angegeben habe. Der Korrespondent des „Manchester Guardian" meldet ganz konkret, daß die höchsten deutschen Aemter eine Liste der am 30. Juni Hingerichteten besitzen, die sie geheimhalten und die die Zahl der Toten mit 282 angibt.„In dieser Zahl sind die unoffiziellen Hinrichtungen der Politiker und Braunhemdführer, gegen die nach General Goerings Worten die ursprüngliche Aktion erweitert wurde, nicht enthalten. Objektive Beobachter, sagt der Korrespondent,„schätzen die Zahl der Getöteten auf ungefähr 1000", also genau so viel, wie in der fran zösischen Revolution unter der Guillotine ihr Leben ließen. Der Korrespondent fügt seinem Bericht noch erschütternde Einzelheiten über die Erschießung von vierzehn Gefangenen im Kon zentrationslager Lichtenburg hinzu. Ein zweiter Fall, der die geänderte Taktik beweist. In Karlsbad ist im September dieses Jahres bei der„Verlagsanstalt Graphia" eine
Kein Verantwortlicher im Dritten Reich kattn behaupten, daß er von diesen in dem Buch„Konzentrationslager" erhobenen Beschuldigungen nichts weiß. Die„Verlagsanstalt Graphia" Hat sofort nach Erscheinen den Verantwortlichen: Adolf Hitler , Josef Goebbels , dem Reichsgerichtspräsidenten Dr. Bumke, dem Oberreichsanwalt Dr. Werner, dem Reichsjustizminister Gürtner, dem Reichsbischof Müller, dem deutschen Gesandten in Prag , Dr. Adolf Koch » und anderen das Buch durch die Post„eingeschrieben gegen Rückschein" u ermittelt und die Empfangsbescheinigungen dafür erhalten. Obwohl dadurch alle in die Lage versetzt wurden, alle Angaben nachzuprüfen, hat das Dritte Reich bisher weder Untersuchungsv erfahren eröffnet, noch ein Wort verlauten lassen, um die erhobenen Anklagen zu entkräftigen. Dieses Schweigemanöver darf keinen Erfolg haben, wenn es in dieser Welt überhaupt noch eine menschliche Solidarität und Gemeinschaft gibt.
Der unsittliche Schiller Es tut sich was hinter dem deutschen Zeitungs- strichj Was da, zwischen Konzentrationslager und heiß ersehntem ofsiziellen Händedruck, an unfreiwilligem Humor fabriziert wird, geht selbst auf keine Goebbels-Haut l Jetzt hat sich einer die„Maria Stuart " vorgenommen und sie vom hohen Standpunkt der Streicherschen Weltanschauung aus radikal vernichtet. Darüber hinaus aber nimmt der Nazimann den ganzen deutschen Klassizismus ins Gebet. .Unsere Klassiker", so verkündet er streng,„nehmen. ,. einenichtmehr zeitgemäße Haltung ein." Die„zeitgemäße Haltung" dürste wohl der Finger an der gleichgeschalteten braunen Hosen-Naht sein. Das werden nun Goethe und Schiller, diese gleichsam klassischen Untermenschen, niemals mehr lernen können.
Im Fall Dreyfus schrieb Emile Zola 1889: „Solang ein Unschuldiger im Kerker schmachtet, haben wir kein Anrecht, unter den Völkern mit- zuzählen. Erst wenn dem Unschuldigen sein Recht geschehen ist, wird Frankreich wieder das Land der Rechtlichkeit und des menschlichen Empfinden- sein." 1934: aber sind die Kerker und Konzentrationslager des Deutschen Reiches zum Bersten, angefüllt mit Unschuldigen— und die Welt hat begonnen, sich an diesen Zustand zu gewöhnen. Die Welt darf es nicht zulassen, datz der Hilfeschrei der gefolterten Menschen aus dem Drit ten Reich im braunen Schweigen erstickt wird. Das wache Gewissen der Kulturwelt muß diesen Schrei vernehmen und ihn hundertfältig wiedergeben, daß er laut genug werde, um die tauben Ohren der deutschen Verantwortlichen hörend zu machen.
Nazis suchen Judenhandel Boykottbruchversuch in England Jüdische Geschäftsleute in Großbritannien und Irland haben die Einladung erhalten, einer neuzugründenden deutsch -englischen Handelskammer.beizutreten. Das Unternehmen steht unter der Patronanz des Botschafters Baron Hoesch, und es wird ausdrücklich erklärt, daß die Juden keinerlei Benachteiligung im Handel mit Deutsch land erfahren sollen. P. Horowitz vom Jewish Representative Council, der leitenden Boykottkörperschaft, erklärte dem„Daily Herald", datz die Boykottleitung nichts mit diesem Plan zu tun hat, der aber der beste Beweis für die Wirk- samkeit des Boykotts sei; nun versuche der deutsche Botschafter eine Annäherung an jene, denen man die bürgerlichen Grundrechte geraubt hat. Nächste Woche wird in Anwesenheit des Botschafters von Hoesch die erste Versammlung der neuen Handelskammer abgehalten werden. Sehr begreifticherweise wird jeglicher Z u s a m m e n-
hang mit der deutschen Schuldenfrage abgelehnt. Eine Anzahl britischer Firmen haben ihre Bereitwilligkeit erklärt, der Kammer beizutreten. Mitglieder des Weltboykottkomitees werden der Versammlung als Beobachter beiwohnen. England und die wirtschaftliche Isolierung Deutschlands (DG) Deutschlands Kriegs- und Aufrüstungspolitik wäre nicht möglich, wenn England klar und eindeutig mit den anderen Staaten der früheren Entente die Abrüstung Deutschlands verlangen und diesem Verlangen durch die vollständige wirtschaftliche Isolierung Deutschlands Nachdruck verleihen würde. Englands Stellung in dieser Frage ist aber nicht klar und eindeutig. Das wurde besonders deutlich bei der Rede, die der stellvertretende Premierminister Baldwin über das Verhältnis zu Deutschland im Unterhaus gehalten hat. Baldwin hat ganz richtig festgestellt» daß Deutschland gegenwärtig mehr denn je von der Freundschaft und dem Handel seiner Nachbarn abhängig ist. Er hat hinzugefügt, daß die Nachbarn bereit sind, Deutschland zu helfen,„soweit es sich um den Handel und die Stabilisierung der Weltwährungen handelt", wenn Deutschland eine Bedingung erfüllt. Diese Bedingung ist aber nicht die Aufgabe der Rüstungen und die Abrüstung, die im Geheimen erfolgte Aufrüstung, sondern die Aufgabe der Geheimtuerei. Wenn man Deutschland erlaubt zu rüsten, so wird es damit nicht mehr geheim tun. Schließlich kommt es um der Erhaltung des Friedens doch nicht darauf an. daß es die Geheimnistuerei um seine Rüstungen, sondern diese selbst aufgibt. Das Verlangen nach Aufgabe der Rüstungen wird durch eine einschneidende wirtschaftliche Isolierung erzwungen werden müssen, über das Verlangen nach Aufgabe der Geheimnistuerei wird sich Deutschland eines Tages mit England verständigen. Es wird dann aus der teilweisen wirtschaftlichen Isolierung herauskommen, es wird offen weiter rüsten können und die Folge wird der Krieg unter günstigeren Bedingungen für Deutschland sein.
Ei» Schachspiel als Weihnachtsgeschenk für unsere Kinder
Viele Eltern denken gewiß schon lange darüber nach, womit sie ihre Kinder zu Weihnachten erfreuen sollen. Nach oftmals langem Nachdenken, fällt der Entschluß— ein Spiel. Ja, ein Spiel macht allen Kindern gewiß recht große Freude. Die Eltern kommen nun in das Spielwarengeschäft, wo ihnen ost zehn und mehr verschiedene Spiele vorgelegt werden und sie. ,stehen,-npn neuerdings ratlos»da. Mas, Mag /Wvhl^V<Ngh«ste,^nkb,ichönste fern? ,^rtz.Messe,urrr-dre^ Welt",,„Mit dem Taucher in die Tiefe des Meeres"', „Die lustige Schlittenfahrt",„Mit der Eisenbahn dem Rhein entlang" usw. Die Entscheidung fällt. Wir kaufen„Die Reise um die. Welt", da wird sich unser Kind gewiß sehr freuen. Am Weihnachtsabend ist die Freude über dieses Spiel auch wirklich sehr groß. Di« Kinder spielen nun das Spiel mehrere Male und-müssen schließlich gewaltsam zum Schlafengehen angehalten werden. Die Eltern sind befriedigt, denn sie haben die richtige Wahl getroffen. Kaum sind die Kinder am nächsten Tage erwacht, wird das Spiel neuerdings gespielt, aber bald von den Kindern selbst zur Seite gelegt und findet nur wieder Verwendung, wenn die Eltern daran erinnern. Ja, nach einigen Tagen weigern sich die Kinder sogar dieses Spiel zu spielen. Das ist für die Eltern oft unbegreiflich, aber leicht erklärlich. Jedes Spiel, welches durch Würfel entschieden wird, verliert die Beachtung sehr bald und besonders bei Kindern. DaS Kind weiß schon vor Beginn d«S Spieles, daß der Spieler, welcher di« Nr. S erreicht bis auf 15 vorrücken darf, weil das Bild von Nr. 5 ein Auto zeigt; daß der Spieler, welcher Nr. 18 erreicht, zweimal mit dem Würfeln aussetzen muß, weil dieses Bild von Nr. 18«inen Bahnübergang mit geschlossenen Schranken zeigt und so weiter. Das , Spiel befriedigt also nicht mehr, es ist fast noch neu und doch für das Kind wertlos. Ganz unbeachtet bleibt dabei die Gefahr, daß Spiele dieser Art di« Grundsteinlegung zur Spielleidenschaft aus Gewinnsucht bedeuten. Es muß daher beim Einkäufen eines Spieles eine andere Wahl getroffen werden. Da wird nun geftagt werden: Ja, was für«in Spiel sollen wir denn kaufen? Sind sie nicht im Wesen alle gleich? O nein, ist die Antwort, es gibt noch ein Spiel, welches mit Recht als das schönste und vollkommenste aller Brettspiele bezeichnet wird und sich von allen anderen Spielen grundsätzlich unterscheidet, und das ist das Schachspiel.
„In ihren Werken", heißt es weiter,„ist nicht der Zweck, die Unterhaltung, das Wesentliche, sondern das Mittel zum Zweck, die Lieb e, und über diesem Mittel vergessen sie den Zweck." Und auch„Maria Stuart " bewegt sich auf dem BÄ>en der kritiklosen Anerkennung „der Liebe an sich", ohne sich um ihre Heiligung durch das Kind zu kümmern.... Sie wird hier als ein Edelweib von besonderer Güte dargestellt, während sie in der Wirklichkeit doch eine schlimme Intrigantin und eine mannstolle Frau war. Man sollte historische Wahrheiten nicht so verdrehen, wie es der Dichter hier tut..." Ins Konzentrationslager mst diesem Schiller, der also an den Wurzeln neudeutscher Arterhaltung nagtl Leider ist er tot, und so kann der unerbittliche Krittler nicht mehr tun, als zornbebend fortzufahren: „WaS... i» der Erotik den heiligen Zweck außer acht läßt... muß in der nationalsozialistischen Kunst als unsittlich behandelt werdenl"
Während alle anderen Brettspiele fast ausschließlich der rollende Würfel entscheidet, muß das Schachspiel durch eigene geistige Führung entschieden werden und dqs ist der große, unschätzbare erzieherische Wert dieses erhabenen Spieles. Mit Recht erzieherischer Wert, weil jeder Mensch, der sich daS Spiel zu eigen machen will, freies logisches Denken, .Ruhe und Besonnenheit, Ausdauer, Selbstdisziplin, ^Entschlossenheit,«igeneUrteitSkraft und anderes niehr sich anerziehen muß. Diese EitzeHchaften find in diesem schönsten aller Spiele verborgen. Das Spiel gleicht aber auch einem unerschöpflichen Brunnen, weil die 32 verschiedenarttgen Figuren in Verbindung mit den 64 Feldern unzählbare Möglichkeiten in der Spielführung erschließen. Trotz all diesen guten, nutzbringenden Eigenschaften hat das, Schachspiel doch einen Nachteil und das ist, daß man«S nicht mit einer kurzen"Beschreibung erlernen kann, sondern die Erlernung erfordert monatelanges Studium. Dieser Umstand braucht aber nicht bange machen. Durch die Schachsparte des Arb.« Turn- und SporwerbandeS erscheint allmonatlich ein Schachmitteilungsblatt, welches mit der Jännernummer 1985 beginnend in einem Abschnitt für Lernende das Schachspiel vom Ursprung an behandeln wird und bei genauer Verfolgung dieses Teiles wird es : jedem Interessenten möglich sein, das Spiel zu erlernen. ' Alle Eltern und Schachfunkttonäre müssen natürlich dafür Sorge tragen, daß die Kinder nicht etwa durch das Schachspiel ihre anderen Pflichten vernachlässigen. Das Schachspiel soll nur als Erziehungsmittel Anwendung finden und dem Kind«.nützlich sein. Um nach dem Abschni t für Lernende im Schachmitteilungsblatt üben zu lömren, muß jeder Teilnehmer ein Schachbrett besitzen, auf welchem am Rande die Buchstaben und Ziffern angebracht sind. Die Eltern wenden sich daher beim Einkauf an das Sportgeschäft Aussig , Marktplatz 11, welches die rich« ttgen Schachbretter und Figuren führt. Ein solches Schachbrett mit Figuren kostet ungefähr 50 Kd und wird auf Anforderung per Nachnahme zugeschickt. Das Schach-Mitteilungsblatt muß im voraus für' ein Jahr abonniert werden und kostet mit Zustellung durch die Post liö 14.40.» A. Patz sen, Teplitz-Schönau .
Der unsittliche Schiller! Und diesen Vollweisen von Zion haben sie soeben noch anläßlich seines 175jährigen Jubiläums,.gefeiert! Aber der Kunst- und Kulturrichter des„neuen Deutschland " verdammt nicht nur, sondern er motiviert auch sein erbarmungsloses Urteil: „Wenn wir meinen, daß solche Stück« in der Jetztzeit unangebracht find, so ist das keine Prüderie. Die neue Ethik fordert keine Aufgabe der Erottk, sondern ihre Veredelung durch die Elternschaft, deren Aureole mahnend und warnend unaufhörlich hinter.aller geschlechtlichen Sinnlichkeit leuchtet und leuchten muß..." Und trotzdem wissen sie Bescheid:„Wohl wissen wir, daß'bei Lbernormgler Stärke des TriebeS sein höheres Ziel vergessen werden kann..." Gewiß doch! Aber die Krittk hätte bei dem Trieb-Sadisten Goering , bei dem Narziß -Führer und bei allen„röhmischen" Rattonalsadisten einzusetzeu, nicht bei Schillert P,