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Dienstag, 14. Mai 1938
Nr. 112
Hand. Wird unter ihnen nicht ein wilder Kampf um das Erbe, um die Alleinmacht auSbrechen? Das alles sind Fragen, die Polen heute bewegen und deren Auftauchen die große Gefahr zeigt, in der jede Gewaltherrschaft, jede Diktatur schwebt, die auf den Namen und die Faust eines Mannes gegründet ist. * Ein Kenner polnischer Verhältnisse schreibt unS: 68 Jahre alt und genau am 9. Jahrestag seines gelungenen Staatsstreiches ist Joseph Pil- sudski zu Warschau gestorben. Er war einer von der Gattung jener, die es verstanden haben, die revolutionäre Bewegung zum Schemel ihres eigenen Ruhms zu machen. Ebenso wie Mussolini hat Pilsudski im Besitz der Macht seinen einstigen Kampfgenossen schnödeste Untreue erwiesen. Sein Vorgehen übertrifft aber noch sein Vorbild, denn anders als der Marsch auf Rom ist der Maiputsch Pilsudskis nur durch die aktive Mitwirkung dec sozialistischen Massen und der frei organisierten Eisenbahner gelungen. Als ganz junger Mann schloß Pilsudski , der Sohn einer Wilnaer Grundherrenfamilie, sich der illegalen P. P. S. (Polska Partya Soczialistycz- na) an, die den Kampf gegen die zaristische Fremdherrschaft mit geheim gedruckter Literatur, aber auch mit Streiks und Attentaten führte. Bier Jahre Verbannung nach Sibirien mußte er bald auf sich nehmen. Einige Jahre später gelang es der Ochrana, die Geheimdruckerei des „Robotnik" in Lodz auszuheben und Pilsudski mußte wieder sitzen, diesmal in Petersburg . Aber während deS russisch -japanischen Krieges 1904 biß 1908 konnte er in Tokio Hilfe zur Losreißung Polens suchen, die er freilich nicht fand. Seitdem lebte er in Galizien , unterstützt von den Sozialisten und— der k. k. Regierung, die ihn die Schützenvereine organisieren ließ, aus denen bei Welt- kriegSbegiyn die Polnische Legion unter Pilsud skis Führung wurde. Konflikte mit den Okkupationsmächten, die Polen sich selbst angliedern wollten, brachten ihn vor das k. u. k. Divisionsgericht in Marmaros-Szigeth. Dort verteidigte ihn der Oberstleutnant Dr. Hermann Liebermann— heute Emigrant I— erfolgreich gegen die schwere Anklage des Hochverrates. Die Preußen internierten nachher Pilsudski auf Kriegs- dauer in Magdeburg . Einst war er als Delegierter seiner Partei auf österreichischen und reichsdeutschen sozialdemokratischen Parteitagen erschienen und hatte unter einem Pseudonym für die unterdrückte polnische Arbeiterschaft gesprochen. Dr. Hermann Di am and, der leider schon vor einigen Jahren gestorben ist, erzählte dem Schreiber dieser Zeilen einmal: „1908 war Pilsudski lange Mein Gast. Wir alle schätzten ihn hoch wegen seiner Art und Energie. Aber als er einmal im Gespräch ganz überraschend seine uneingeschränkte B e- wunderungfürdenpreußis ch-d rutschen Militarismus äußerte, da konnte ich kein Vertrauen mehr zu ihm haben." Diamand freilich schwieg darüber und so blieb Pilsudski weiter in den Augen der polnischen Spiellisten das Vorbild ihres Kampfes. In den ersten Jahren des wiedererstandenen Polens galt er stets als Mann der Linken und— der Minderheitsnationen. So haben die Arbeiter den Militärputsch des 12. Mesi 1926 gegen die als korrupt verschrieen« Regierung Witos begeistert begrüßt und aktiv mitgemacht. Die von Krakau und Posen, den Zentren der Rechtsopposstion herbeigerufenen Truppen wurden von den Eisen
bahnern nicht befördert. Damit war der Sieg Pilsudskis entschieden. Nach Jahren der Zurückgezogenheit im Schloß Sulejuwek übernahm Pilsudski die Regierung. In grusiger Abwechsiung lösten sich die Legionsobersten Prhstor, Slawe! und andere auf dem Platz des Ministerpräsidenten ab, er selbst beherrschte alles vom Kriegsministerium aus. Seine innerpolitischen Absichten äußerte er in Zeitungsartikeln und Interviews, die nicht nur durch ihre fascistische Tendenz, sondern noch viel mehr durch die darin mit Vorliebe gebrauchten Ausdrücke in der ganzen Welt Aufsehen machten: der Marschall schrieb und sprach besonders gern Worte aus einer Sphäre, die sonst auch nur Halbwegs gebildete Menschen geflisientlich vermeiden. Psychologen schloßen bereits damals auf eine nicht unbeträchtliche geistige Erkrankung des Verfassers. Die Linke wehrte sich gegen Pilsudskis Beschimpfungen des Parlamentarismus und der Demokratie. Die Regierung antwortete mit Unter-' drückungsmaßnahmen. Ein wilder Bandenterror von Anhängern Pilsudskis , die die P. P. S. verließen rmd auf das Gehäffigste bekämpften, setzte gegen Versammlungen, aber auch gegen mißliebige Einzelpersonen ein. Ueberfälle auf bekannte Politiker und Publizisten der Linken häuften sich. Dann aber folgte der offene Regierungsterror. Vor den Parlamentswahlen von 1929 wurden die bekanntesten Führer der Opposition— Sozialisten, Bauernparteiler und Christliche Demokraten — unter Todesdrohungen nachts in vielstündiger
Bei der machtvollen Kundgebung in R o- t h a u, über die wir bereits in unserer Sonntagsnummer berichteten, hielt Genosse Dr. C z e ch eine Rede, in der er zunächst der Versammlung die herzlichsten Grüße und den innigsten Dank der Arbeiterbewegung überbrachte. Genoffe Dr. Czech führte dann in großen Zügen folgendes aus: Von der ersten Stunde an, da das profilhungrige deutsche Kapital daran ging, das Rothau - Neudeker Gebiet wirtschaftlich abzutöten, hat die sozialdemokratische Arbeiterklasse des ganzen Staates alle Phasen der Rothauer Rationalisierungstragödie mit angehaltenem Atem verfolgt und ist an der Seue der vom Schicksal so hart heimgesuchten, von der Profitgier des Kapitalismus in schwerstes Unglück gestürzten Proletariats gestanden. Bewundernd haben wir alle zu dem Heroismus aufgeschaut, den die Albeiter der unglücklichen Gebietes bei der Verteidigung ihrer Recht« bekundeten, und zu dem einzigartigen elementaren Lebenswillen, den sie während der fünf zurückliegenden Unglücksjahre an den Tag legten. Darum hat die Rothau -Nrudeker Arbeiterklasse in der klare« Erkenntnis, daß nur der Kapitalismus an ihrem Unglück schuld sei, in keinem Augenblicke den Glauben an den Sozialismus und ihre Partei verloren, die in ihren schwersten Stunden ihr treuester Berater, ihre Zufluchtsstätte gewesen ist. lind als dann die tapferen Rothauer Genoffen bei oen Gemeindewahlen im Dezember 1934 einen so h e r r- l i ch« n Sieg an die Fahne unserer Partei h:f- teten, indem sie nicht nur ihre Positionen behaupteten, sondern der Partei darüber hinaus auch noch neue Stimmen und ein Mandat eroberten, da wurde Rötha « zum leuchtenden Beispiel, zum FaNal für die ganze Bewegung.
Autofahrt, unterbrochen durch Erschießungskomö- dien, nach Brest-Litowsk gekarrt und dort in den urallen Kasematten einem Regime körperlicher und geistiger Mißhandlungen unterworfen, wie es den sadistischen Gelüsten des Kommandanten entsprach. Dieser, Oberst B i e r n a c k i, hat unter dem Kriegsnamen„Oberst Kotek" schon traurigen Ruhm erlangt, als er 1914/18 in Südpolen maffenhaft unschuldige Bauern ohne Gericht und Urteil als„russische Agenten" erschießen ließ. Sein Komplice in Brest-Litowsk war der Staatsanwalt Michalowfti, der dann zur Belohnung einer der höchsten Richter wurde. Justizminister war ein Mann mit dem bezeichnenden Namen Car. Der hob die Unabsetzbarkeit der Richter auf und schmiß alle Demokraten ebenso hinaus, wie es die Heeresleitung in der Armee mit den Offizieren besorgte. Die Wahlen selbst wurden durch Kassierung von Oppositionslisten und Vernichtung von Stimmzetteln im Großen gefälscht. Auf diese Weise hat man schließlich eine Mehrheit des Regierungsblocks zusammengebracht, nachdem der Exsozialist seinen Frieden mit den Großgrundbesitzern gemacht hatte, der ihnen Verschonung von der versprochenen Bodenreform sicherte. Aus den Verwaltungen der Krankenkaffen, Arbeitsämter usw. wurden die Sozialisten entfernt und durch vollkommen sachunkundige„Sanatoren"' (Anhänger der Regierungspartei„Sanacia") ersetzt. Eben jst all diese gewaltsame Reaktion durch die neue„Verfassung" vollendet worden.
Als einmal die belgischen Genossen in ihrem Wahlrechtskampf durch ihre kühne Tat dei Sieg erzwangen, da wurde das Wort vom„Belgisch reden" zum Kampfwort der gesamten internationalen Arbeiterbewegung. So wollen auch wir wünschen, daß die sozialdemokratische Arbeiterklasse unseres Landes am kommenden Wahltag durch kühnes Zugreifen einen vollen Sieg erringe, indem sie am 19. Mai nut unseren Feinden„roth auerisch" a brech- n e t. Genoss« Dr. Czech kam dann auf die Tragödie des Rothau-Neudeker Gebietes zu sprechen Und erinnerte an die einzelnen Phasen des Kampfes. Er berichtete über den Verlauf seiner Verhandlungen mit dem Generaldirektor Doderer und erinnert in diesem Zusammenhänge an eine für die deutschen Arbeitgeber und den Herrn Doderer charakteristische Episode: Als die Uehertragung des Rothauer Betriebes nach Karlshütte bereits entschieden war, versuchte das .FÄrsbrgemimsteriuMii: die: Fortzahlung der Svzurl- versicherungsbciträge für die Rationalisierungsopfer zu retten. Dieses Ansuchen wurde aber, obwohl d'r Rothau-Neudeker Aktiengesellschaft damals einen Gi» wina auswies, von Herrn Doderer schro f f ab- g e lo i e s e n, der aber, da es um die Beschaffun r von Wahlgeldern für die Heimatftont ging, in die Westentasche griff und ohne einen Augenblick zu schwanken, 800.000 KJ auf de« Tisch legte I Ob sie direkt der Heimatftont zugezählt wurden oder vom„Kameraden" Rosche übernommen und an dir Heünarfront flüssig gemacht wurden, bleibt dabei ohne Belangt An dem Schandgeld, das hier direkt oder indirekt in die Wahlkaffen der Heimatfront floß, kleben die Tränen der vielen Tausende pon Doderer vernichteten Arbeiterexistenzen- In diesem Zusammenhänge besprach Genoffe Dr. Czech das von unbändiger Verlogenheit strotzende
Hilferuf Abessiniens an Genf Genf . Tie abessinische Regierung hat bei« Generalsekretär des Völkerbundes erneut Bk- schwerde erhoben gegen die militärischen Meß' \ nahmen der italienischen Regierung, besonders ■ gegen die Entsendung zahlreicher Truppen I größerer Mengen Kriegsmaterial nach den italienischen Kolonien. Die Rote bemerkt dazu, daß die offiziell« Reden, die diese Vorgänge begleitet haben, bin« Zweifel an den feindlichen Absichte» der italienischen Regierung list seil. Dagegen sei Abessinien zu keiner Mobilisierung geschritten uns bekräftige seine friedlich« Absichten. Ohne Vorbehalt verpflichte es sich, fW dem Schiedsspruch unparteiischer Richter zu unterwerfen. Der neue Appell schließt mit der dringlich« I Aufforderung an den Bölkerbundsrat, nach Arli' kel 18 eine friedliche Regelung der Streitfrage r> | sichern, damit die politische Unabhängigkeit ttit> | Unversehrtheit des abessinischen Staatsgebietes<<- achtet und gegen jeden Angriff auftecht erhalt« werde.
Rothau -Flugblatt der Heimatftont. Es ist in M Zeile eine wahre Gipfelleistung d<" niedriger Gesinnung und hat bei Kl Rothau-Neudeker Arbeiterschaft nichts als tieft' Verachtung für das moralische Niveau der HeilllÄ' front ausgelöstz Denn die Arbeiter dieses UnglüK-' ! gebietes sind sich darüber keinen Augenblick im Zwei' fel daß, wenn ihnen irgend jemand in den zurök- liegenden bitteren Jahren beigestanden ist, er v«' allem die deutsche Sozialdemokrati' war. deren sämtliche Zweige, die Partei, die pal' lamentarische Vertretung, die Gewerkschaft, die G' noffenschaften und die„Arbeiterfürsorge" das M«' schenmöglichste aufboten, um die Pein zu linder«, die kapitalistische Raffgier über die Familien diew Elendsgebietes gebracht hat. Allein die Gewerksihests ten haben 33 Millionen K£ für das Gebiet siüfts gemacht, von den Leistungen der..ArbeiterfürsoNl' und allen anderen charitativen Korporationen W Partei gar nicht zu reden. Di« sozialistische Hilfsbereitschaft hat sich gerade b diesem Falle ingeradrzu leuchtender Weis« bck«n' det. Dagegen hat sich gerade in der Zeit des 0' st en Notstandes niemand ans den Reihen heutigen Heimatftont nach Rothau verirrt,«ie- mand den unglücklichen RationalisierungSopst« Beistand geleistet«nd auch niemand Lebens mittelpakete nach Rothau geschickt. ' Winoffe' Dd. Czech schldß-sekne Darlegungen«** einem Appell an die Versammelten. de« Wahltag$ Abrechnung mit dem Kapitalismus, aber auch«7 allen Hassern der Arbeiterklasse zu benützen. Uns«- gesamte Arbeiterbewegung ist überzeugt, daß*3 Arbeiter von Rothau. Neudek und Graslitz in Stunde der Entscheidung ihre Pflicht erfüllen werden- wie es die Rothauer bei der Dezember-Wahl gck« haben, deren herrliches Ergebnis der Partei in W* Kampfe als hell lodernde Flamme voranleuchtet. sozialdemokratische Arbeiterschaft versteht eS, daßff diesmal nicht um einen landläufigen Wahllos geht, sondern um eine schichsalsschwere Entscheids für den Staat und für die Arbeiterllasse. werden sie in diesem Wahlkampf, aber auch in.Jj weiteren schweren Kämpfen alle Kräfte für«fff Sieg der Arbeiterklasse anspannen. Wir sind ÄA zeugt, daß die Kämpfe, die wir jetzt auSzufE, haben, die ganze Bewegung um ein weiteres vcrwärtstragen und dem sozialistischen Endziel gegenführen werden!
Am 19. Mai- jothaucrisdi abrcdmcn‘1 f Aus der Rede des Genossen Dr. Czech vor den Rothauer Arbeitslosen
* Endlich gelang es ihm doch, das Jnsett auszuhusten, und er schöpfte Atem. Da er aber keine Sekunde verlieren wollte, fuhr er eilig fort: „Mich wird der Krebs aber nicht erwischen!" Das Lächeln, das diesen Ausspruch begleitete, sollte bedeuten: Den hab' ich drangekriegt, was? „Was meinen Sie?" ftagte Sophie und verspürte dabei ein Gefühl der Erlösung.„Sie können Krebs heilen?" „Das nicht, Fräulein, dazu sind wir alle zu klein, aber ich werde ihn bemogeln." „Wie wollen Sie das ferftgbringen?" „Ganz einfach, ich werde vorher verschwinden. Kurz, mein Magen ist nicht in Ordnung. Noch ein paar Jahre, und dann schwups, auf den Operationstisch. Von zehn Operationen an Magengeschwüren sind sieben tödlich." Sophie erschauerte in neuem Entsetzen. Sie sah ihn unter dem Operationsmesser. Er war der siebente. Die war der Augenblick, da in Sophies Herzen die Liebe zu Lazarus erwachte, den sie vor einer Viertelstunde kennengelernt hatte. Sie ahnte den Augenblick, da sie ihren Körper den Aerzten anbieten würde: Nehmt und schneidet, aber rettet ihn! Als sie sich etwas gefaßt hatte, flüsterte sie: „Vielleicht werden Sie einer von den Dreien sein, die gerettet werden." LazaruS machte eine Gebärde», als wollte er sagen:„Machen Sie sich keine Hoffnungen, bei meinem Pech..." Und bieder sprach er:„Mich
interessiert es nicht einmal besonders. Und entgeht unsereiner einem so blöden Tod, so bleibt ja noch dje Tuberkulose. Oder Vergiftung infolge dec Gifte, die man bei der Arbett einatmet,^und schließlich der Krebs." Der geschlossene Kreis der Todesarten bewirkte, daß Sophie alle Selbstbeherrschung verlor. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie sagte: „Sie tun mir so leid, so furchtbar leid." Lazarus war starr vor Staunen.„Wissen Sie, daß Sie die erste sind, die so zu mir spricht? Gewöhnlich lachen inich alle aus, wenn ich ihnen erzähle, was ich Ihnen jetzt erzählt habe. Insbesondere die Damen. Die heutigen Damen haben anscheinend kein Herz." Er erhob sich von dem Baumstamm.„Aber Sie, Fräulein, Sie sind anders... Sie sind ein gefühlvolles Fräulein... kurz... ich heiße Anton Foltr." Sie flüsterte:.„Es fteut mich." Hierauf nahm Foltr ihre Hand und blickte ihr lang und bedeutungsvoll in die Augen.„Ich bin ftoh, Ihnen begegnet zu sein", sagte er lyrisch. Das alles steigerte ihre jungftäuliche Verwirrung. Zum erstenmal näherte sich ihr ein Mann, der ihr nicht eine Arbeit befahl. Sie wollte den Zauber festhalten, der neue Lebenswege öffnete, die anders waren als alle, die sie bisher gegangen war. Aber ihre Furcht war größer und stärker. Sie flüsterte einige unpassende Worte die den ganzen Zauber verscheuchten:„Wir müssen uns beeilen, damit wir die andern einholen..." Foltr, der im Begriffe war, noch etwas zu sagen, etwas, was ihn später am meisten überrascht hätte und einer Liebeserflärung gleichkam — er empfand in diesem Augenblick Liebe für diese unbekannte Frau— Foltr zitterte und schwieg. Er seufzte nur und machte eine mutlose Bewegung. Der Augenblick war vorüber. Aber etwas war dennoch hängen geblieben. Sein Interesse für diese Frau war geweckt. Er
wollte jetzt über die sonderbare Sache nachdenken,, die ihn überrumpelt Hatte. Nachdem er sich wieder' auf dem Baustamm niedergelassen hatte, sagte er: „Eilen Sie den andern nicht nach, es ist nicht nötig. Es sind Spötter, denen nichts heilig ist. Kräutler! Jungfrau Maria mit den sieben Schwertern! Toni, das Herbarium! Das bin nämlich ich. Lassen wir die Gesellschaft ins Wirtshaus segeln und plaudern wir lieber— von Ihnen... Ich möchte gern wissen, wie Sie heißen." «Ich heiße Sophie, Herr Foltrn." „Foltr, nicht Foltrn", berichtigte er sanft. „Ich werde Sie, wenn Sie erlauben, Sophiechen nepnenl Weil Sie so gut sind. Weil Sie ein so weiches Herz haben. Darf ich." Sie senkte die Augen und gab ihm so gut zu verstehen, daß sie bereit sek, ihm noch viel mehr zu gestatten. Und sie wartete. An eine Flucht dachte sie nicht mehr. Sie wartete auf die Fortsetzung-der süßen Musik, die sie zum erstenmal im Leben gehölt hatte. Und sie schloß die Augen, um von dem, was jetzt kommen müßte, nicht zerschmettert zu werden. Nach der Pause, die sich unerträglich in die Länge zog, vernahm sie endlich wie aus weiter Ferne, seine Stimme.„Schade, Soph'.e- chen, daß ich nicht früher von Ihnen wußte." Pause. Weiter, nur weiter, dachte Sophie. Jetzt kommt das Große, Befreiende— cs wird mich doch nicht töten? Foltr hüstelte und schloß seine Rede:„Denn in diesem Falle hätte ich Ihnen mein Herbarium gezeigt," Sophie schlug die Augen auf und blickte Herrn Foltr maßlos erstaunt an. Ihre Pupillen erstarrten, als stürbe sie, und sie ftagte sich selbst: Bin ich oder er wahnsinnig geworden? Foltr faßte neuen Mut, hüstelte wieder und plapperte mit verlöschender Stimme:„Sophiechen, Fachleute versichern, mein Herbarium sei nicht das schlechteste in der Republik ." Mit fester Stimme, die bezeugte, daß er die Situation beherrschte,
fügte er hinzu:„Ein großes Wort, daß ich da»'', ausspreche l Ich arbeite aber auch schon jd j lang an der Sammlung und vollende hiermit Erbe meiner Mutter. Mein armes Mütterch^ Das Herbarium ist mein Stolz und meine nung." Die vcrzweifell aufgerissenen Aul' Sophiens verwirrten ihn wieder, und er seine Rede mit hoffnungslosem Gemurmel:„8-^ Sie einmal was brauchen sollten, Sophiechen alle möglichen Krankheiten—, ich stehe natürlich mit Freuden zu Diensten. Ihnen“ und besonders. „Bitte, danke", sagte sie aus angeboren Artigkeit. Sie verstand jetzt, daß Herr Foltr ixbeliebiger Mensch, sondern ein Mann-unerfor licher Möglichkeiten sei, der spielend von Liebeserflärung zum Herbarium herübervolE ren konnte. Sie begriff allmählich, daß Foltr über sich selbst erfchrocken war und 'energischen Rückzug angetreten hatte., Ich nicht so aus, daß sich die Männer auf ben. eE, Blick in mich verlieben, dächte sie, und die Ergebenheit in ihr Schicksal umgab sie mit der' bekannten Atmosphäre. Sie seufzte und n' melancholisch hinzu:„Ich bin niemals krank- N Es gab nichts, was Herrn Foltr so seine Haltung wiedergeben konnte wie so ein»U spruch.*„Ich bm niemals krank" war ein ins Wespennest. Foltr regte sich wirklich auf, persönlich beleidigt, und wieder erschienen Flecke auf seinem unmännlichen Gesicht. Er verzweifelt die Hände zusammen und rief:« gab Zeiten, da mich so unvernünftige Worte, Zorn bringen konnten, aber der Mensch sich auch an Unwissenheit und Leichtsinn, morgen sterben soll, tanzt heute und schreit voller Kehle:„Schaut mich nur an, Freunds« lohnt si-ch hin ein Mensch, der noch nie war!" Teures Sophiechen! Sie tun mir in vr Wahn leib!" (Fortsetzung folgte