Freitag, 24. April 1936 16. Jahrgang V 2 MzMmft 70 Heiter 9-mlsMÄrrV IENTRALORGAN f| MS MIIT«rHIM«VIlintMAIfBlTICCN»! ADREITFPDADTEI II DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI ' IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung mag xii., fochova«. telefon am. HERAUSGEBER« SIEGFRIED TAUB  . VERANTWORTLICHER REDAKTEURi DR. EMIL STRAUSS, PRAG  . Die unwürdige Kemiidie der Sanktionen Verrat des Friedens und der Völkerbünde« I Erhöhung der Kriegsgefahr! Von Walter Scheveneis, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes  Die Gewissensfragen an Hitler Paris  . Nach den Informationen der Lon­ doner   Korrespondenten der Pariser Abendblätter wird die britische   Regierung Deutschland   zehn Frage« stellen: 1. Beabsichtigt Deutschland   definitiv und verpflichtend den künftigen von ihm vorgeschlage- nen Brrtrag anzunehmen oder hat es im Sinn, auch in Zukunft dir Politik fortzusetzen, dir je­weils ihm seine angeblichen Interessen bestimmen werden? 2. Glaubt Deutschland  , daß es noch immer rinnicht gleichberechtigter" Staat im Vergleich zu den übrigen Staaten ist, wir es behauptete, als es den Brrtrag von Versailles   und das Locarno­abkommen kündigte? 3. Enthält der deutscheBorschlag zur definiti­ve» Regelung der internationalen Lage nicht einige verschiedene Vorbehalte, wie z. B. in Sa­chen der d r u ts ch e» Minderheiten in den an Deutschlmrd grenzenden Staate»? 4. Ist die deutsch  « Regierung bereit, aus­drücklich zu verspreche», daß sie«ährend der Zeit der künftige» Beratungen das Rheinland N i ch t b e f e st i g e n wird? 5. Anerkennt Deutschland   di« Schiedssprü­che eines int eilt« ti o n a le« Tr i b u- n a l s und wird es sich seiner Entscheidung in Deutschland   betreffenden Konfliktsfällen unter­werfen?.' ' 6. Wird Deutschland   für eine genau be ­stimmte Zeit den territorialen st atus ,no in Europa   annehme«?, 7. WaS bedeutet präzis der deutsche Vor­schlag dtr R ü st«« g s b e s ch r ä« k«« g und hauptsächlich der Lnftrüstungsbeschränkung? 8. Ist di«.deutsche   Regierung bereit, die Aufmunterung der nationalsozialistische« Propa­ganda. in© este rr e i ch.und in den an Deutschland   grenzenden Staaten einzustellen? 9. Welche Absichten hegt Deutschland   in Danzig   und M e.m«.l? 10. Welche sind die präzise« Kolonial­forderung e n Deutschlands  ? Katzenjammer in England (E. B.) Die Stimmung in der englischen Presie nach dem letzten Mißerfolg des Völkerbun­des kann nur als Katzenjammer gekennzeichnet werden. Sogar entschieden sanktionistischr Blätter wieSundayTime S", die die Ansichten des DurchschnittSengländers aus­drücken, geben za, daß die SanktionSpolitik sich als unzulänglich erwiesen hat. Politik kenne ebensolche Mißerfolge wie jedes andere Geschäft, meint die konservative Zeitung. Bisweilen treten Augenblicke ein, da man mit Verlusten rechnen müsse. Man solle jedoch diese Verluste möglichst rinschränken und die dabei gewonnene Erfahrung ausnutzen, um zu einem anderen System überzu­gehen. In der Genfer   Politik der ,,kollektive« Sicherheit" sei gerade jetzt ein solcher Augenblick ringetreten. Tatsache bleibe: Mussolini  habe Genf   besiegt, und Abessinien dürfe sich nicht mehr auf den Völkerbundpakt verlassen. Der Mißerfolg des Völkerbundes im abessinischen Konflikt habe bewiesen, daß der Genfer   Mechanis­mus nicht funktionsfähig sei. Der bekannte Publi­zist G a r w i» wendet sich in demObserver" in einem außerordentlich scharfen Artikel gegen die B ö l k e r b« n d» p t i m i st r n, die gleich­zeitig n i ch t s von der wahren mili­tärischen Situation verstanden habe«. Das«Hessin ischeReich, meint Gar- Win, habebereitS auf gehört zu exi­stier en, Mussolini   habe eine« S i eg errungen, der in der Geschichte der Kolonialkriege. bei­spiellos sei. Damit müsse heute jeder Real­politiker rechne«. Die radikale«Reynolds PaperS" stehen«och immer auf dem Stand­punkt der Sanktionen: Schuld an dem Mißer­folg habe aller« die englische konservative Regier« n g. Die konservative Regierung hab« ihre Pflichte« gegenüber dem System der kollek­tive« Sicherheit nicht erfüllt. Der Völkerbund   Haie noch di« letzte Möglichkeit diesen Fehl« zu korri­gieren, wen«« nämlich zur Verstärkung d« Sanktionen schreite. Madrid  . Die Agrarpartei veröffentlicht eine Erklärung, in welcher es'heißt, sie sich von den Wahlen der Delegierten für die Präsidenten-' «ahl sernhalten werd«. Hock hat Italien  nicht gewonnen... Ein englisches Urteil Der Außenpolitiker des Londoner  »Daily HeraId", R. W. Ewer, kommt in einer Er­örterung über die Genfer   Verhandlungen zu dem Schluß, daß Italiens   Behauptung, den Abessini­schen Krieg bereits siegreich entschieden zu haben, nicht den Tatsachen entsprech«. Das schnelle Vor­dringen der italienischen Truppen seit Anfang März erkläre sich dadurch, daß die Italiener.sich seit diesem Zeitpunkt ihren Weg mit Senfgas bahnen, einem Giftgas, Legen das die Abessinier keinen Schutz kennen, so daß ihnen nichts als schleuniger Rückzug bliebt Mit dieser Art der Kriegführung habe aber Italien   nach der Ver­letzung des Völkerbundstatuts noch eine weitere internationale Konvention(gegen den Gaskrieg) gebrochen, so daß der Völkerbund  , wenn er sich nicht selbst aufgeben, wolle, zu neuen Maßnahmen gegen Italien   schreiten müsse. Die zweite Ge­fahr, die den Italienern drohe, sei die Regen­zeit, die in einzelnen Teilen Abessiniens schon begonnen habe. Die' tropischen Regengüsse werden die Lage der am weitesten vorgestotzenen Abtei­lungen sehr schwierig gestalten, da während des Regens die Verbindungsstraßen unbrauchbar und die Flugzeugoperationen, die für den italienischen Vormarsch so wichtig sind, unmöglich werden kön­nen. Die schwerste Gefahr für die Italiener ent­stehe aber in der Heimat: die finanzielle Lag« Italiens   sei mehr als bedenklich geworden. Die Reserve an Gold und Devisen sei auf 50 Millionen Pfund zusammengeschmolzen, und der abessinische Krieg habe monatlich einen Abgang von neun Millionen Pfund verursacht. Gelinge es den Abessiniern also, sich über die Regenzeit zu halten, so werde Badoglio im Herbst nicht mehr die Mittel zur Einleitung einer neuen Offensive haben. SA-Mann In der Zelle erhängt (F. K.) Chemnitz  (Sachsen  ). Hier wurde der SA-Mann Fischer deshalb verhaftet, weil er illegales Material gelesen und nicht bei der Ge­ stapo   abgegeben hatte. Ein anderer SA-Mann zeigte ihn deshalb an. Nach kürzerer Haftzeit schrieb Fischer seiner Mutter, sie möge ihm einen Anzug ins Gefängnis schicken, da er hoffe bald entlasten- zu werden. Einige Tage nach Ankunft dieses Briefes würde die Mutter des Fischer zum Polizeipräsidium"bestellt, wo ihr einer der Leiter der Gestapo   Jöst mitteilte, daß sich ihr Sohn in der Zelleselbst erhängt", habe. Seit der Völkerbund im abessinisch-italie­nischen Konflikt die faschistische italienische Regie­rung als Angreifer bezeichnet und der Achtzehner- Ausschuß. die ersten finanziellen und wirtschaft­lichen Sanktionen beschlossen hat, unterstützten gewisse diplomatische Kreise eine große Presse­kampagne zum Zwecke der Verhinderung der wirksamen Durchführung der Sanktionen und der Einbeziehung des Petroleums. Man bediente sich dabei der Feststellung, daß die Sanktionen der Krieg, seien. Wir haben auf den Wahnwitz einer solchen Behauptung vom ersten Augenblick an hingewiesen. Auf allen Fronten haben uns die Tatsachen man muß fast sagen leider in allzu auffälliger und brutaler Weise Recht ge­geben.. Auch die naivsten Gemüter müssen heute zugeben, daß die langsame und viel zu un w irksam« D ur ch füh rung un­zureichender Sa nktionen dem Angreifer die Möglichkeit gegeben hat, sein kriegerisches Vorgehen zu verschärfen. Dieser Tatbestand wurde zum direkten.Anlaß des Auf­tretens der Hitlettegierung vom 7. März 1936. Es ist im Gegenteil das Fehlen einer wirklichen und wirksame« Politik der Sanktionen, das Krieg bedeutet und allzeit bedeuten wird! Die nationalen und internationalen Arbei­terorganisationen haben unermüdlich die schweren Verantwortungen der Regierungen hervor­gehoben, die die Ursache des B e r s a g e n s des Völkerbundes sind. Wenn man sich Rechenschaft darüber gibt, was in den letzten sechs Monaten geschehen ist, um den Krieg zu verhindern oder zu beendigen-.-so kann man sich eines-GeWls des Erschreckens über so viel Schwäche, Kurzsichtigkeit oder gar bewußte Mit­schuld all jener nicht erwehren, denen die Völker den Schutz des Friedens anvertraut haben. Man fragt sich entsetzt, ob nicht vielleicht von allem Anfang an die Erklärungen der Staatsmänner gar nicht ernst ge­meint waren. Seit Monaten sah die Welt den Angriff Italiens   gegen Abessinien kommen. Die öfstntliche Meinung war alarmiert. Ihr Druck auf die verantwortlichen Regierungen war so stark, daß alle Regierungen zur Stellungnahme gezwungen waren, als der italienische   Faschismus am 3. Oktober den Krieg vom Zaum brach. Schon am 7. Oktober bezeichnete der Völkerbund Italien   als Angreifer und gab damit auf Grund des Art. 16 des Völkevbundspaktes zu, daß sich alle Mitgliedsstaaten in gleicher Weise als ange­griffen betrachteten wie Abessinien. Finanzielle, wirtschaftliche und sogar militärische Sanktionen waren von diesem Augenblick an eine Selbstver­ständlichkeit. Die HaltuW. der verantwortlichen Regierungen war jedoch, bei weitem nicht jene, welche der gesunde Menschenverstand' erwarten konnte. Trotz der Verletzung des Völkerbunds­paktes hielten alle Staaten ihre diplomatischen Beziehungen mit de^^befreundeten",^so sym­pathischen" italienischen Nation aufrecht. Die ganze Geschichte der letzten sieben Monate zeigt, daß alle Diplomaten«nd insbesondere gewisse Regierungen alles taten,«m Italien  zu schonen und ihm Gelegenheit zu geben, seinen verbrecherische« Angriff zum Ziele zu führen. Rekapitulieren wir kurz: am 3. Oktober begastn Italien   den seil langen Monaten offen vorbereiteten Krieg. Es kann keinem Zweifel unterstehen, daß die kompetenten Regierungs­stellen und diplomatischen Instanzen aller Län­der auf dem laufenden waren und bereits alle Möglichkeiten ins Auge gefaßt hatten. Trotz der Einstimmigkeit von 50 Nafionen verstreichen jedoch noch mehr als sechs Wochen bis zur Durch­führung der ersten Sanktionsmaßnahmen. Die wirksamste Sanktion, d. h. das Embargo auf Petroleum, dessen Durchführung bereits, nach allen Seiten geprüft worden war, sollte im. Zusammenhang einem letzten Schlichtungsversuch erst'am 25. November beschlossen werdend Zu diesem Zeit­punkt wurde jedoch seltsamerweise die Arbeit des Sanktionskomitees ohne Angabe eines plauschley Grundes vertagt. Die Ursache war klar, als den beiden Ländern am 13. Dezember der K o m- promißvorschlag Laval-Hoare unterbreitet wurde. Es erübrigt sich, daran zu erinnern, welcher kategorischen Entrüstung und Ablehnung dieser Antrag in allen Ländern be­gegnete. Noch einmal erhob sich der Wille der Völker und fegte dieses Dokument des Verrats des Friedens«nd des Völkerbundes weg. Leider nahmen sich die Dip'lomaten die Lektion nicht zu Herzen. Wohl mußte« Hoare  «nd Laval gehen, aber es blieben genug Ersatzmänner Übrig, um die Methoden von Hoare   und Laval wenn auch mit mehr Geschicklichkeit fortzusetzen. Unter dem Vorwand, daß eine Verständigung immer noch möglich sei, vertagte das Sanktions­komitee Schlag auf Schlag die Sitzungen, die die Petroleumsanltiön beschließen sollten. Am 3. März trat das Schlichtungskomitce(Dreizehn) zusammen und schlug den beiden Parteien Frie­densverhandlungen vor. Abessinien nahm ohne. Vorbehalt an. Italien   wich jeder bestimmten Ant­wort aus. Es versuchte offensichtlich im Ein­vernehmen mit' anderen,Ländern die nötige Zeit zu gewinnen, sein Opfer endgültig durch Waffengewalt zu vernichten. Inzwischen erfolgte der Gewaltstrelch Hitlers  . Die Aufmerksamkeit der. Welt wandte sich vom italienischen faschistischen Angriff oft und kon­zentrierte sich auf den Angriff der Nazis gegen den Frieden. Wie Mussolini   seit dem 7. Oktober jede gute Gelegenheit wahrnahm, so benutzte er auch diesen Zwischenfall, um seine Tanks, Flug­zeuge, Gasbomben usw. zu grausamster Wirkung zu bringen. Am 18. März mußte das Sanktjons- komitee wohl oder übel zusammentreten, wo­mit die Aufmerksamkeit neuerdings auf den Krieg gelenkt wurde, den Italien   gegen Abessinien und den Völkerbund führt. Die Sitzung wurde unvermittelt vertagt und zwei Tage nachher erschien wie durch ein Wunder aus unbestimm­barer Quelle die Nachricht vom Ende der Feind­seligkeiten in Abessinien. Sofort wurde die Dis- kussionsgrundlage verschoben. Alle Diplomaten waren sich plötzlich einig, daß von neuen Sank­tionen keine Rede mehr sein Finne. Als sich dann am 21. März herausstellte, daß die Nachricht von der Beendigung des Krieges auf einem falschen Gerücht beruhte, wurde die Diskussion nichts­destoweniger auf der durch dieses Gerücht ge­schaffenen Grundlage fortgesetzt. Man prüfte, ob die Sanktionen eingestellt werden sollen, bevor Jtabtxn einen Waffenstillstand angenommen hat, oder ob es zweckmäßiger sei, von Italien   die Ein­stellung der Feindseligkeiten vor der Außerkraft­setzung der Sanktionen Au   verlangen, ja man zog sogar in Erwägung, ob die beiden Beschlüsse gleichzeitig gefaßt werden sollten. Endlich ließ man sich dazu herab,, mit Italien   darüber zu sprechen, ob dis FriedenSverhandlungen in Genf  oder anderswo stattfinden sollen und ob ein Ver­treter des Völkerbundes als Beobachter oder Unterhändler zügegen sein könne. Diese durch den Vorschlag von Flandin vom 2. März geschaffene Lage hält auch heute noch an(21. April), ohne daß sich irgendeine Mög­lichkeit zugunsten einer Regelung abzeichnet, die dem Gerechtigkeitssinn der Weltmeinung Genug­tuung geben könnte und gleichzeitig mit den Prin­zipien des Völkerbundes übereinstimmt. Inzwischen dringt. Mussolini  * mit größter Grausamkeit in Abessinien vor und verdoppelt. seine Anstrengungen, um seine', militärischen Ziele vor Beendigung der Diskussionen in Genf  zu erreichen. Alles scheint darauf hinzudeuten,. daß die Diplomaten in Genf   ausschließlich den' Wunsch hcwen, ihm diese Möglichkeit zu geben., Wenn der Krieg unter diesen Umständen h«; endigt wird, d. h. nach der völligen Vernichtung des abessinischen Volkes, so haben weder das Schlichtungskomitre, noch das Sanktions­komitee, noch der Völkerbund und noch viel weniger die Anhänger des Friedens und der