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Sozialdemokrat

Sentralorgan der Deutschen   sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh Einzelpreis 75 Heller

Redaktion u. Verwaltung: Prag   XII., Fochova 62- Telephon 53077- Herausgeber: Siegfried Taub- Berantwortlicher Redakteur: Karl Rern, Prag 18. Jahrgang

Samstag, 12. März 1938

Aus dem Inhalt:

Paris   zu Oesterreich  : ,, Frankreich   wird nicht ruhig zusehen!"

Zum Verbandstag der Kleinbauern

Interview mit Nordpolfahrer

Nr. 60

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Gleichschaltung Oesterreichs

Schuschnigg weicht einem Berliner   Ultimatum Deutsche   Truppen auf dem Marsche nach Wien  

Rascher, als man erwartete, ist in Desterreich die Entscheidung gefallen: der National sozialismus war nicht bereit, das Ergebnis der Volksabstimmung abzuwarten, denn er mußte damit rechnen, daß er eine Niederlage erleiden und Desterreich auf immer verlieren würde. So hat er, gestützt auf das italienische Desinteressement", die gewaltsame Eroberung Desterreichs unternommen. Die Regierung Schuschniggs ist auf Grund eines befristeten Ultimatums zurück getreten, deffen Nichterfüllung mit dem Einmarsch deutscher   Truppen in Desterreich beantwortet worden wäre. Schuschnigg   selbst hat seinen Rücktritt im Rundfunk mitgeteilt. Die Exekutive ist in den Händen des nationalsozialistischen Innenministers Schß- Inquart, der fie im Sinne der Gleichschaltung Desterreichs verwendet; zu der Stunde, da diese Zeilen geschrieben werden, befinden sich große Abteilungen österreichischer Legionäre im Anmarsch auf Wien  . Die öfter­reichische Exekutive und das Bundesheer haben die Weisung, dem etwaigen Ein­marsch der deutschen   Truppen keinen Widerstand entgegenzusehen. Die gewaltsame Gleich schaltung Desterreichs wird begründet mit der angeblichen marxistischen   Verseuchung Dester­reichs, die von den deutschen   Sendern in den schwärzesten Farben dargestellt wurde. Es wurde davon gesprochen, daß sich die österreichische Regierung auf den bolschewistischen Mob", auf marristische Verbrecher" stüße. Ueber die Stellungnahme der We st mächte liegen keine abschließenden Berichte vor, behindert wurden etwa geplante Entscheidungen durch das Nichtvorhandensein einer französischen   Regierung. Nach 23 Uhr ertönte vom Sender Wien  zum ersten Mal das Horst- Wessel- Lied, um die gleiche Zeit wurde verkündet, daß Schß- Inquart zum Bundeskanzler ernannt wurde.

Schuschniggs Abschiedsworte:

Wir weichen der Gewalt!

Wien  . Bundeskanzler Dr. Schufch= nigg erklärte Freitag abends um 18 Uhr 55 im österreichischen Rundfunk folgendes: Der heutige Tag hat uns vor eine schwere und entscheidende Situation gestellt. Ich bin be­auftragt, dem österreichischen Volke über dieses Ergebnis zu berichten.

Die deutsche Reichsregie rung hat dem Herrn Bundespräsi denten ein befristetes Ulti. matumgestellt, nach welchem der Bundespräsident einen ihm vorge schlagenen Kandidaten zum Bundes­kanzler zu ernennen und die Regierung nach den Vorschlägen der deutschen  Reichsregierung zu bestellen hätte, widrigenfalls der Einmarsch deutscher  Truppen für diese Stunde in Aussicht genommen würde.

Stärkung der österreichischen Exekutive. Auch für In wahrhaft dramatischem Ablauf über­diese Forderung wurde ein bestimmter Termin stürzten sich die Ereignisse in Oesterreich  . Wäh gestellt. Präsident Miklas   na hmrend noch in den Straßen Wiens   für und wider diese weiteren Forderungen die Volksabstimmung demonstriert wurde, war nicht an. Er erteilte jedoch der Exekutive schon das deutsche   Ultimatum im Bundeskanzler­Weisung, der deutschen   Armee keinen Widerstand amt eingelaufen, stand Dr. Schuschnigg vor der entgegenzusetzen.

Seyẞ- Inquart:

Die Gleichschaltung marschiert!

Wien  . Minister Seyß- Inquart   hat folgende Erklärung abgegeben:

schwersten Entscheidung seines Lebens. Aber auch vor einer Entscheidung über das Schicksal Dester­reichs und vor einer Entscheidung von schicksal­after Bedeutung für ganz Europa  . An den Staatsgrenzen deutsche Truppen einmarschbereit! Das Ultimatum befristet. Und Desterreich allein! ,, Nach den Ereignissen der letzten Stunden Ein nicht geeintes, ein nicht tros Parteienverbot, fordere ich als Minister des Innern, dessen Amt sondern gerade infolge des Verbotes der sozial­ich immer noch ausübe, zur Aufrechterhaltung demokratischen Partei, die allein wirksame Gegens der Ruhe und Ordnung auf. Es handelt sich dar kraft gegen den Nationalsozialismus hätte sein um, in den nächsten Stunden und Tagen Diszi- tönnen, von der Nazipropaganda aufgewühltes plin zu wahren. Wenn es zu Kundgebungen Desterreich, ein Desterreich also, in dem ein Teil kommt, dürfen diese nirgends den Charakter von der Bevölkerung im Voraus den etwa einmars Exzeffen annehmen. Ich fordere die national- schierenden Truppen verbündet war! Schuschnigg  sozialistischen Formationen auf, Ruhe zu bewah- ivo Ilte Widerstand leisten, er wollte verfchoben werden. Auch diese Forderen und in diesem Sinne auch auf die übrigen fämpfen, er hat es durch seinen Versuch, das Volt rung wurde erfüllt. Daraufhin erklärten die Ver- Gleichgesinnten einzuwirken. Ich rechne damit, über den Willen zur Unabhängigkeit zu befragen, treter Deutschlands   in autoritativer Art, all dies daß sie die Exekutive unterstützen und ihr zur bewiesen. Daß er unter so ungeheuerem Druck genüge nicht und Bundeskanzler Dr. Schusch Verfügung stehen werden. Ein Widerstand im von außen, daß er unter militärischer Drohung igg muffe zuräd treten. Die Gr. Falle des Einmarſches deutſcher   Truppen nach und wahrscheinlich auch in der Regierung ver­füllung diefer Forderung war an eine bestimmte Desterreich kommt unter feinen Umständen in einsamt, den ihm aussichtslos erscheinenden Stunde gebunden. Weiter forderte Deutschland   Frage. Auch nicht von Seite der Exekutive. Es ist Kampf in tiefer Verzweiflung aufgab, fann man eine nationalsozialistische Mehrheit in der öfter Pflicht, die Muhe und Ordnung aufrecht zu erhal- allzugut verstehen. Der Verſuch, durch Erfül­reichischen Regierung und die Uebernahme eines ten. Ich hoffe, daß wir einer glücklichen Zukunft lung der Arbeiterforderungen die kampfge: vohn größeren Teiles der österreichischen Legionäre zur entgegengehen". ten Arbeiter als Verbündete im Ringen um die Erhaltung der Unabhängigkeit Defterreichs au gewinnen, wurde zu spät unternommen, viel zu spät.

Chamberlain warnt!

London.( Reuter.) In der freitägigen Unterredung mit dem Reichs­außenminister Ribbentrop   informierten Ministerpräsident Chamberlain und Lord Halifax   Ribbentrop   davon, daß die britische   Regierung auf die angewendeten und geplanten Methoden Deutschlands   gegenüber Dester reich mit ungewöhnlichem Ernst blicke, und machten ihn auf die möglichen Folgen dieses Vorgehens für das englisch  - deutsche Verhältnis aufmerksam.

Deutsche   Truppen in Oesterreich  

Ich stelle fest vor der Welt, daß die Nach­richten, die in Desterreich verbreitet wurden, daß Arbeiterunruhen gewesen seien, daß Ströme von Blut geflossen seien, daß die Regierung nicht Her­rin der Lage wäre, und aus Eigenem nicht hätte haben die österreichische Grenze bei Salzburg  , Ordnung machen können, von A bis 3erfun- Rufftein und Mittenwald   überschritten. den sind.

London.( Neuter.) Deutsche   Truppen

Der Bundespräsident beauftragt mich, dem Die Demonstrationen österreichischen Volke mitzuteilen, daß wir der Gewalt weichen. Wir haben, weil wir um am Donnerstag und Freitag keinen Preis auch in dieser ernsten Stunde Am Donnerstag und auch noch im Laufe nicht deutsches Blut zu vergießen gesonnen des Freitag gab es in den Landeshauptstädten, find, unserer Wehrmacht   den Auftrag gegeben, vor allem aber in Wien  , Nazifundgebungen und für den Fall, daß der Einmarsch durchgeführt wird, ohne Wider­Gegendemonstrationen. Die Nazi demonstrierten gegen den geplanten Voltsentscheid, die Anhän­stand sich zurück zu ziehen und die ger der Vaterländischen Front, vor allem aber Entscheidung der nächsten Stunden abzuwarten. Die Arbeiter, demonstrierten gegen die Nazi. In Der Bundespräsident hat den General der In Linz   wurden bei den Zusammenstößen einige fanterie S ch i l hausky, den Generaltruppen­inspektor, mit der Fahrung der Wehr­Personen verlegt. Polizeis und Militärabteilun­gen übernahmen den Schutz der öffentlichen macht betraut. Durch ihn werden weitere Gebäude. Weisungen an die Wehrmacht   ergehen.

Wiener SA bewaffnet

Die Voltsabstimmung abgesagt, Schuschnigg zurüdgetreten, der Nationalsozialist Seyß- In­ quart   der eigentliche Herr Desterreichs, die nas tionalsozialistischen Formationen ganz so, wie in Deutschland   nach Hitlers Machtantritt  und als Ordnungshüter angekündigt durch Schß­zur Aufrechterhaltung der Ordnung" berufen Inquarts Rede das ist der Beginn der Gleichs schaltung Desterreichs und damit des Endes Oesterreich mö8wrirchre- öarujuengu Desterreichs! Desterreich hat in dem Augenblid, da Deutschlands   Ultimatum angenommen wurde, aufgehört, ein selbständiger Staat zu sein. Es wird von nun an, auch wenn es noch einen eigenen Bundespräsidenten und eine eigene Re­gierung haben wird, von Berlin   oder Berchtes gaden aus regiert werden.

nalsozialisten, die in den Abendstunden begannen, Wien  . Die Demonstrationen der Natio­Der Regimewechsel in Desterreich, ein von find bisher noch nicht zu Ende. Auf den Straßen außen und durch militärische Drohung erzivun fieht man zahlreiche Nationalsozialisten in SA  - gener Regimewechsel, ist das schicksalschwerste, das Uniformen und mit Gewehren. Die Mitglieder folgenreichste politische Ereignis der europäischen ber Baterländischen Front haben die Straßen voll. Nachkriegszeit. Gewiß ist es die folge andes ständig geräumt. Insbesondere in der Inneren rer großer Geschehnisse, des italienischen Faschis Stadt, in der Kärtnerstraße, der Ringstraße und mus, des nationalsozialistischen Machtantrittes dem Graben sind nur Nationalsozialisten zu in Deutschland  , des verhängnisvollsten politischen sehen. Vor dem Zentralgebäude der Vaterländi Irrtums, den je ein Staatsmann beging, des schen Front Am Hof" wurde das Bild Schusch- Irrtums Dollfuß  ' im Februar 1934. Aber nichts niggs herabgeriffen und die österreichische Fahne wird so auf die politische Entwicklung Gesamt­zerriffen. In das Gebäude des Bundeskanzler europas einwirken, nichts das Bild der europä amtes find Studenten eingedrungen; einer von ischen Politik so sehr ändern, wie die Nazisierung ihnen histe auf dem Maste beim Gebäude eine Desterreichs, die erzwungene Gleichschaltung des Hakenkreuzfahne, die bisher noch nicht beseitigt Donaustaates. Denn Wien   das ist ja nicht wurde. Auch vor dem Rathause hat sich eine große nur die Stadt der Lieder und des Heurigen und Ansammlung von Nationalsozialisten gebildet, die Stadt einer alten reizvollen Kultur und die die demonstrieren und fordern, daß auch auf dem Stadt, in der so vie nirgends sonst in der Welt Nathause die Hakenkreuzfahne gehißt werde. Auch sozialistische Arbeiter ihre Gestaltungskraft zeig­in anderen Stadtvierteln sind Demonstrationen ten, Wien   ist ein weltpolitischer Senotenpunkt. Die Ostmark war einst und war es viele Jahr­hunderte hindurch Bolliverk der abendländischen wiesen wurde, wurde der Kommandant der Rom   hüllt sich in Schweigen Stultur gegen den Often, von hier aus breitete Sicherheitswache; Redinger, verlegt. Auf der sich nach Abwehr der türkischen Vorstöße das Wollzeile im ersten Bezirk wurden die Fenster- Rom.( Havas.) Die amtlichen Abendland wieder nach dem Osten hin aus. Das scheiben im Gebäude des Reichsverbandes der Kreise lehnen jede Art Erklärung über Donauland unter nationalsozialistischer Gewalt Wien  . Von informierten Stellen erfahren monarchistischen Desterreicher eingeschlagen und den italienischen Standpunkt zu den das ist breit und tief nach dem Osten vor­wir folgende weitere Einzelheiten: die Fahnen heruntergeriffen. Die Demonstras Die reichsdeutsche Regierung stellte der tionen dauerten bis in die späten Nachtstunden. Ereignissen in Desterreich ab. Lediglich springende Ausfallsbastion des neudeutschen Im österreichischen Regierung verschiedene Bedingun- Mehr und mehr wuchs die lebermacht der Nazi- der Minister für Volkskultur sagte, daß perialismus. Daß sich auch für die Tschechoslo­watische Republik nach dem Wegfall der Neutra­sen über die Durchführung und die Sicherstellung Gegner. In einigen Bezirken marschierten die mit Rücksicht auf diese Ereignisse, die lität der österreichischen Grenzen eine neue Ei­Si ber geheimen Abstimmung. Diese Bedingungen Arbeiter in geschlossenen Zügen auf und ver- sehr ernst und sehr heikel find, die offituation ergibt, bedarf keiner besonderen Erläu wurden er II t. Darauf ersuchte die reichs- drängten die Nazi. Zwanzig Personen wurden ziellen Kreise abfolute bipoterung. Noch sind die Folgen der österreichischen deutsche   Regierung die Volksabstimmung folle verlegt, darunter zwei schwer. matische Reserve üben müssen. Umwälzung nicht abzusehen. Wir treten in eine

So verabschiede ich mich in die­fer Stunde von dem österreichischen Volt mit einem deutschen   Wort und einem Herzens­wunsch: Gott   schütze Desterreich!". Die Lawine

der Hitler- Forderungen

Größeren Umfang nahmen die Kundgebun­gen in Wien   an. Die Wiener Neuesten Nach­richten" schäzen die Zahl der Demonstranten auf 6000. Bei einem Angriff auf das Haus der im Gange. Waterländischen Front im 7. Bezirk, der abge=

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