Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 16.

16]

Sonntag, den 23. Januar.

( Nachdruck verboten.)

Alltagsleuke.

Roman von Wilhelm Meyer- Förster  .

1898.

gelitten als alle. Auf den Schmerz waren bei ihm wilde abenteuerliche Pläne gefolgt. Er wollte den Mörder seiner Schwester fordern und todtschießen wie einen Hund. Aber, lieber Gott, was hätten wohl X., Y., der Lieutenant und alle Welt gesagt, wenn ein dummer Junge aus Sekunda, der noch dazu Er athmete tief auf. Es war eine anständige Stelle, Abraham Simon hieß und ein jämmerlicher, schwächlicher Bursche die in dem etwas mäßig besuchten Hause wohl keine war, mit solchem Plan hervorgetreten wäre! Er kaufte sich glänzende sein und viel Arbeit erfordern würde, die einen Revolver, um dem Lieutenant aufzulauern und ihn über dann aber auch der Ausgangspunkt für eine gute den Haufen zu schießen. Seine Hand zitterte vor Erregung, Karriere werden konnte. Jedenfalls aber brauchte er wenn er sich diesen Moment ausmalte. Der Zeigefinger zuckte fich Klara gegenüber dieser Stellung nicht allzusehr zu mechanisch hin und her, als ob er alle sechs Kugeln aus dem schämen, denn daß seine Braut auf teine glänzende Heirath Revolver   jagen wollte. Er ging auch wirklich und wartete Anspruch machen konnte, hatte er gestern in den fast ärmlichen stundenlang vor des Lieutenants Hause. Aber der kam nicht, Wohnräumen der Geheimräthin zur genüge erkannt. Er war und in schwerem Fieber schlich der Junge heim. Herr auf das höchste erstaunt gewesen, als diese Wohnung gar so Klaus hätte vielleicht ohne Furcht des Weges kommen sehr mit den feinen und theuren Kleidern der Damen ton- und an dem Versteckt seines Toofeindes vorbeigehen können, trastirte, und er war zu naiv, um zu wissen, daß die Welt im entscheidenden Moment wäre die Waffe wohl doch in namentlich beim Männerfang betrügt und betrogen wird. Ruhe geblieben. Das sind immer trübe Rachepläne, die Eigentlich war er sogar froh, daß die Familie seinen be- schließlich keiner Fliege ein Leid thun und den armen Vers scheidenen Verhältnissen keine Pracht entgegenseßen konnte, folger nur noch viel unglücklicher machen. denn daß er in diesem Falle Klara überhaupt nicht erhalten würde, war mehr als flar. Auch konnte er unter den bestehenden Umständen die Unwahrheiten betreffs seiner Person jedenfalls leichter forrigiren, und schließlich tröstete es ihn, daß er irgendwo einmal gelesen hatte, wie ehrenvoll es sei, wenn der Mann ein armes Mädchen heimführe.

Er ging ins Royal und wurde mit dem Besitzer über sein Fortgehen nach einigem Hin- und Herreden einig. Dann schleuderte er etwas beklommen dem Halleschen Thore zu, um Klara zu besuchen. An der Ecke der Kochstraße hing fich plötzlich eine Dame an seinen Arm, und er war nicht sehr erfreut, in dem elegant gekleideten Mädchen seine Schwester zu erkennen.

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Abraham hatte au Eva alles verloren, seine einzige Schüßerin, die ihn gegen Verwandte und Bekannte vertheidigte, wenn Frau Silberstein oder Onkel Jakob auf diesen ewig verbitterten und unangenehmen Jungen" schalten; ſeine treneste Freundin, der er alles anvertrauen und seine schweren Gedanken sagen konnte, ohne von ihr wie von dem Vater für frühreif und überspannt erklärt zu werden; sein Jdeal, zu dem er aufblickte, seinen Halt, seine Stüße.

Er ging in die Schule und schrieb seine Arbeiten, sprach noch weniger als früher und war allein.

In den allerersten Tagen nach Eva's traurigem Ende hatte sich der Justizrath eng an seinen Sohn geschlossen, aber Abraham war nicht der Tröster, den sein Vater suchte. Der Aber mit einem Schwall von Worten zerstreute sie sofort Justizrath bildete sich dann ein, Abraham's Hinstarren und seine Bedenken und hatte in fünf Minuten ihre neueste Geschichte fremdes Wesen habe seinen Grund in der peinlichen Szene, erzählt: von ihrer Verzweiflung, von ihrem Lebensretter, von die zwischen ihm, dem fremden Mädchen und seinem Sohne der armen Eva Simon, um die sie Trauerkleider trage stattgefunden hatte, während der Tod im Hause schon einges wunderhübsche Kleider, nicht wahr? und welch entzückender tehrt war. Er war außer sich über eine solche Gehässigkeit Mann der Justizrath sei. Sie brauche nie mehr in die Armuth und Ungerechtigkeit, und statt zu erwägen, daß allerdings diese zurückzugehen und man fönnte überhaupt nicht wissen, was Szene unverlöschlich Eva's Bruder vor Augen stehen mußte, noch geschehen würde. fand er in Abraham's Wejen eine unerhörte Auflehnung und eine Kritik, die kein Sohn das Recht hatte, dem Vater gegenüber auszuüben. Er that Abraham in jeder Weise damit unrecht. Der Schmerz um Eva hatte alle andern Gedanken in ihrem Bruder wenigstens momentan vergehen lassen. Was fümmerte ihn in diesen Tagen die Fremde! Mit ganzer Seele hätte er sich dem Vater in die Arme geworfen und Trost bei ihm gesucht, wenn nicht die Scheidewand längst zwischen beiden er richtet gewesen wäre. Bruder und Schwester hatten zusammens gehört, die Kinder und der Vater aber waren seit Jahren einander halb fremd geworden, Abraham noch mehr als Eva. Das Mädchen hatte immer wieder das Band geknüpft und sich an den Vater gelehnt, der Junge fand dazu nicht die warmen Herzenstöne. Sie hatte zwischen Vater und Bruder wie ein Bindeglied gestanden, nun war sie fort, und die Rette hätte nur durch große Liebe und viel Nachsicht neu zusammengefügt werden können.

Richard war natürlich auf das angenehmste überrascht. Die Geschwister, die sich eigentlich wenig oder gar nicht fannten, gingen zusammen in ein Restaurant und plauderten. Er ließ Bier und Hummerfalat auftragen und freute sich, die gut fituirte Schwester fraktiren zu können. Wenn Papa Kreiser von seiner Zelle in Plößensee aus die beiden hätte sehen können, gekleidet wie Grafenkinder, vergnügt schmausend und plauderud, er hätte neben Stolz und Freude doch auch ein wenig Merger und Neid empfunden.

Du mußt mich besuchen, Richard, auf jeden Fall. Ich habe dem Justizvath schon von Dir erzählt, er wird sich riesig freuen."

Er berichtete dann von seiner Verlobung, und Aenuchen war ganz außer sich vor Freude und Theilnahme. Kurz, die beiden, die sich in der dürftigen Zeit um einander nicht ge fümmert hatten, fanden sich jetzt gegenseitig reizend und schlossen eine prächtige Geschwisterfreundschaft. Sie wollten jezt tren zu einander halten, ganz gewiß.

Richard begleitete die Schwester noch ein Stück Wegs, da er es mit seinem Brantbesuche aus erklärlichen Gründen nicht allzu eilig hatte, und sie trennten sich mit dem Versprechen baldigen Wiedersehens.

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Als Aennchen nach Hause kam, nahm ihr Rite dienst beflissen den Mantel ab. Das Fräulein" war zur Ver­walterin des Hauses ernannt und spielte ihre nene Rolle mit Grandezza. Bisweilen, wenn es einmal sehr langweilig war, ging sie wohl in die Küche, setzte sich auf den Stuhl in der gemüthlichen Herdecke und plauderte mit den beiden Mädchen, im allgemeinen hielt sie aber auf Würde und trug Eva's Schlüsselbund mit guter Haltung.

Im Eßzimmer, wo bereits gedeckt war, fand sie nur Abraham; der Justizrath war noch nicht zu Hause. Sie nahm eine Handarbeit vor, und beide saßen schweigend.

Au Abraham hätte wohl nur ein sehr scharfer Beobachter eine Veränderung wahrnehmen können, und doch hatte er mehr

Da war es denn ein trübes Verhängniß, daß jene pein liche Szene in dem schlimmsten Moment dazwischen getreten war, und wenn Abraham sie in dem alles tödtenden Schmerz turze Zeit vergaß, der Vater behielt sie immer ängstlicher im Gedächtniß. Er maß ihr für seines Sohnes Benehmen eine entscheidende Bedeutung bei, und damit zerriß das letzte schwache Band.

Wie ein Trotz kam es über den Justizrath. Von seinem eigenen Sohne sich moralisch maßregeln zu lassen, dazu hatte er denn doch nicht Lust. So wurden die beiden an Eva's Leiche einander fremder als je.

Abraham   sprach mit Anna fast nie mehr, und der Justiz­rath juchte umgekehrt die Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit feines Sohnes ihr gegenüber doppelt wett zu machen. Sie ihrerseits hatte Eva's Tod mit so aufrichtigem Schmerze empfunden, wie das ja auch durchaus natürlich war, daß sie damit des Anwalts Herz noch mehr erobert hatte. Er war jetzt in der Trauerzeit stets abends zu Hause, und so trostlos l'einsam starrten ihm die Wohnräume entgegen, daß er froh