Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 108.

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Sonntag, den 5. Juni.

( Nachdruck verboten.)

Um die Freiheit.

1898

und nur mit Hilfe eines langen Stabes, der ihm heute müßig im Arm ruhte, so sicher durch die Straßen tastete, als ob er sehend gewesen wäre. Er hatte den großen, martigen Kopf,

Geschichtlicher Roman aus dem deutschen Bauernkriege 1525. dessen Tonsur zu einer leuchtenden Glaze geworden, etwas in

Von Robert Schweichel  .

den Nacken gebogen und verrieth schon dadurch, daß seine starrenden Augen der Sehkraft entbehrten. Ein dichter Bart ,, O," machte Käthe Neuffer, die unterdessen Lautner mit floß tief auf die Kutte herab, die mit einem weißen Strick ge­ihren klaren mußbraunen Augen gemustert hatte, und es flang gürtet war. Seine nur mit Sandalen bekleideten Füße waren nicht wie eine Enttäuschung. Das längliche, wohlgebildete roth von der Kälte. Es folgten Paul Jckelsamer's gelehrter Gesicht Lautner's, seine ebenmäßige, beinahe feine Gestalt, die Bruder Valentin, der lateinische Schulmeister, wie er genannt jedoch nicht schwächlich erschien, mochten einem Mädchen im wurde, und Meister Philipp der Tuchscheerer, an die sich noch Vergleich mit den derben Zügen und dem unterſeßten Wuchse einige angesehene Bürger mit ihren festlich geputzten Frauen Kaspar Etschlich's wohl gefallen. Auch hatte sie für den Humor, schlossen. der in seinen dunkeln Augen zwinterte, sicher weniger Empfäng- Kaspar Etschlich nannte seiner hübschen Base die Namen lichkeit als für den schwermüthigen Geist, der auf der weißen der Hochzeitsgäste mit mancher lustigen Bemerkung, die ihr Stirn des um mehrere Jahre jüngeren Goldschmiedes wohnte. Lachen erregte. Er war ein Rothenburger   Kind, während Diefem fiel es nicht schwer, zu errathen, wer seine Begleiterin Böckingen   bei Heilbronn   die Heimath seines Freundes war. war, hatte Kaspar ihm doch seit der Rothenburger   Kirchweih Beide hatten sich um die letzte Osterzeit auf der Wanderschaft im Monat Juni wiederholt von seiner hübschen Baſe kennen gelernt. Hans Lautner hatte eben seine Lehrjahre zu in Ohrenbach   erzählt. Hans Lautner fand, daß er Heilbronn   beendigt und war nach dem kunstreichen Nürnberg  nicht zu viel von ihr gesagt hatte. Gefällig fleidete ihre fernig gepilgert, Kaspar Etschlich von Ulm  , wo er zuletzt gearbeitet biegsame Gestalt der rothe faltenreiche Rock sowie die dunkel auf dem Heimwege nach Rothenburg   begriffen gewesen. So blaue Jacke, welche, den runden bräunlichen Hals freilassend, hatten ihre Wege sich gekreuzt und Kaspar's Schilderungen die breitgewölbte Brust und die vollen Arme eng umschloß. seiner malerischen Vaterstadt Hans verlockt, ihn nach Rothen­Ein blaues Seidenband, der einzige Schmuck, den der Kasten- burg zu begleiten. Der junge Goldschmied war dann auch geist jener Zeit außer einem silbernen Fingerreif den Land- so glücklich gewesen, hier in Christof Ellwanger einen ebenso mädchen erlaubte, hielt über der klugen breiten Stirn das geschickten wie gutherzigen Meister zu finden, während Kaspar lichtbraune Haar zusammen, das in zwei dicken Zöpfen bei seinem Vater, dessen einziges Kind er war, in Arbeit trat. herabfiel. Käthe Neuffer hatte ihrem Vetter schließlich nur noch zer­streut zugehört und wandte sich jetzt plötzlich mit der Frage an Hans, warum er auf der letzten Kirmeß mit seinem Freunde sich nicht hätte blicken lassen?

Kaspar stieß den Freund mit pfiffiger Miene an, als ob er sagen wollte:" Gelt, sie ist des Anschauens schon werth!" und heller schimmerte das gesunde Jugendblut durch Käthe's volle bräunliche Wangen.

,, Weil er sich gern wie ein Schuhu mit seiner Pfeifen irgend wo verkriecht, wann's einen freien Tag giebt und ein vernünftiger Mensch lustig ist," antwortete Kaspar an des Freundes Stelle.

" Ja, bist Du denn ein Spielmann?" verwunderte Käthe sich. Ich hab' gemeint, daß Du ein Goldschmied bist."

"

,, Aber so lass' doch Deinen Freund reden," rief Käthe ungeduldig und kraufte die leicht über der stumpfen Nase ineinander fließenden Brauen.

wollen."

Eine Frage, die auf ihren dunkelrothen Lippen schwebte, blieb unausgesprochen, weil in diesem Augenblicke die Musik sich vernehmen ließ, welche den Hochzeitszug aus der Kirche führte. Eben war auch die Sonne der Nebel Herrin geworden und Jubelrufe begrüßten den seltenen Zug, dem voraus die Spiel­leute luftig in ihre Schalmeien, Pfeifen und Zinken bliesen. Oh, der versteht sich auf viele Sachen," kam, der Vetter Fürwahr ein seltsamer Zug; denn die schlicht gekleidete Braut abermals Hans zuvor. So gut zum Tanz aufspielen wie in Myrthenkranz und weißem Schleier wurde von dem er, könnt's selbst unser Stadtpfeifer nicht, aber im Tanzen bin Bräutigam im Priesterrocke geführt, über dem er den weißen ich ihm über." Mantel mit schwarzem Kreuz der Herren vom deutschen Orden trug. In der gleichen Tracht erschien auch der Kommenthur des Ordens, Kaspar Christan, neben dem würdevollen Rektor der Lateinschule, dem Magister Wilhelm Bessenmayer, der für die ,, Aber er sagt's Dir nimmer, wo er gesteckt hat," schnitt Festtafel ein schwungvolles Carmen in der Sprache der alten Kaspar wieder, um das Mädchen zu necken, dem blonden Ge­Römer gefertigt hatte. Unmittelbar hinter dem Brautpaare führte fellen das Wort ab. Im Schlingenbach hat er gesteckt. Das der Altbürgermeister und Pfleger des Gotteskaftens von St. ist nämlich ein grausam wüst Holz, mußt Du wissen, allwo Jakob, Herr Ehrenfried Kumpf das Fräulein von Badell, in deren die verwunschenen Seelen unserer Ehrbaren sputen. Soll Haus unmittelbar am Burgthor die Hochzeit gefeiert werden so gar klein nit sein, die fürnehme Gesellschaft dort. Die sollte. Das reiche Fräulein stand im mittleren Alter, und hat der Hänselin durch sein Spiel auf der Pfeife erlösen man merkte es ihrem flugen Gesicht an, wie zufrieden sie mit diesem Ehebunde war, welcher der alten Kirche offen den Fehdehandschuh hinwarf. Munter plauderte sie mit ihrem Begleiter, zu dem sie hinaufsehen mußte; denn er war ein großer, etwas hagerer Mann, in der Mitte der Vierzig un gefähr, dessen dunkle Augen mit dem Glanz und der Leb­haftigkeit der Jugend um sich schauten. Er wurde auf seinem Wege gegrüßt, und Fräulein von Badell nickte jedesmal freundlich mit, wenn er mit einer fordialen Handbewegung oder einem Nicken seines Kopfes dankte. Ehrenfried Kumpf war bei der Bürgerschaft sehr beliebt, sowohl wegen seiner uneigennützigen Sorge um das Gemeinwohl als auch wegen seiner zuweilen etwas derben Wahrheitsliebe, die keinen Unterschied des Standes kannte, hauptsächlich aber als ein offener Freund der Refor- des Rathhauses befand sich unter einem schmalen Vordache mation. Das waren denn freilich Eigenschaften, die ihn den Geschlechtern, die alle Rathsstellen ausschließlich aus ihrer Mitte besetzten, zuweilen recht unbequem machten. Hätte das Wahlrecht bei der Bürgerschaft gelegen, er wäre nach Ablauf seiner Amtszeit wohl immer wieder zum regierenden Bürger meister erforen worden.

Ihm zunächst schritt, aus mächtigen Augen schauend und mit dem lebhaft gerötheten Gesicht des sanguinischen Eiferers, die stattliche Gestalt des Doktor Deutschlin. An der Hand führte er den blinden Bruder der Braut, der sich sonst ohne Leitung

Käthe drohte dem Vetter mit der Faust. Hans lachte ein wenig und sagte:" Von wegen mir fönnten sie bis zum jüngsten Tag sputen, ich würd' darum nicht den kleinen Finger rühren. Was sollt ich auf der Kirmeß? Ich kann nicht tanzen."

Simon's Schwester sah ihn mit ihren schimmernden Braun­augen ganz erstaunt an, erwiderte jedoch nichts. Denn der Menschenstrom, in dem sie langsam mitgeschwommen waren, staute und preßte sich jetzt in der Enge zwischen der östlichen Langseite des Rathhauses und der Herren- Trinkstube, hinter deren Rückseite sich der Hochzeitszug durch die Georgengasse auf den Hauptmarkt geschwungen hatte. In der Langjeite eine Reihe von Verkaufsbuden. Der schöne Renaissancebau aus körnigem Taubersandstein, mit weit ausladenden Vor­stufen und der Laube mit offenem Altan   darüber, der heute die Marktseite des Rathhauses ziert, ward erst ein halbes Jahrhundert später aufgeführt. Die Herren- Trinkstube mit der Frohnwaage im Erdgeschoß erhielt durch viele Steinbilder auf kunstvollen Tragsteinen und durch ein zierliches Eck­thürmchen ein schmuckes Aeußere. Auf der Marktseite be­fanden sich zwei Uhren, von denen die eine die Zeit, die andere die Länge des Tages und der Nacht angab.