Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 111.

Donnerstag, den 9. Juni.

( Nachdruck verboten.)

Mm die Freiheit.

1898

,,, wie häßlich das ist!" rief Gabriele unmuthig. Leidet Ihr an solchen Gesichten, so hättet Ihr ein Bußprediger werden sollen." " Das glaube ich selbst, daß ich meinen Beruf verfehlt habe. Doch verzeihet meine Ungeschicktheit in höfisch kurz­Geschichtlicher Roman aus dem deutschen Bauerntriege 1525. weiliger Rede. Man lernt sie nicht auf den Universitäten."

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Von Robert Schweichel  .

,, Mir scheint vielmehr, daß man sie dort verlernt," er­widerte sie schlagfertig. Ich erinnere mich wenigstens, daß Ihr ehedem gern fröhlich mit den Fröhlichen waret. Selbst mit so unbedeutenden Geschöpfen, wie Sabine und ich es sind, pfloget Ihr gern der Kurzweil. Unseres Lachens und Lärmens ward mitunter der guten Frau von Muslor zuviel."

Ja, so war es, bevor ich nach Welschland ging," pflichtete er ihr mit einem rasch wieder erlöschenden Lächeln bei. " Thomas Zweifel, der es verstehen muß, behauptet, daß Ihr dort gar gelahrt worden seid. Dennoch werdet Ihr mich nicht glauben machen, daß Ihr in dem Lande Italia nur über den Büchern gehockt habt. Wie, Doktor, Jhr solltet bei den gluthvollen Schönen Welschlands nicht auch ein wenig in die Schule gegangen sein?"

Der Tod ihrer Eltern hatte die schöne Gabriele zur Be­fizerin eines großen Vermögens gemacht, sodaß man sie auch wohl die reiche hätte nennen können. Ihr Vater Joseph Neureuter war ein anschlägiger Kopf gewesen, der sich zu nächst mit erborgtem Gelde- auf den Großhandel mit Wein und Getreide geworfen hatte. Ein anderer war den Patriziern nicht gestattet und auf diesen waren auch die Häuser der Ge­schlechter eingerichtet. Zu diesem Zwecke lagen große Keller unter den geräumigen Hausfluren, auf denen von den Herren der selbstgebaute Wein ausgeschänkt wurde, und in den spiß zulaufenden Giebeln zwei- auch dreistöckige Getreideböden sowie Speicher auf den Höfen. Joseph Neureuter hatte nicht nur Getreide und Wein, die zu Markte gebracht wurden, vor den Sie sah ihn mit ihren sammetartig schimmernden Augen Thoren aufgekauft, sondern wann sie noch in Halmen auf herausfordernd an; er aber versezte ablehnend: Leider darf dem Felde standen und als Trauben am Stock hingen. Daß ich mich solcher Lehrmeisterinnen nicht rühmen. Die einzige seine vom Glücke begünstigten Spekulationen dem Wucher so Schönheit, von der ich in meiner Muße zu lernen trachtete, ähnlich wie ein Ei dem anderen sahen mun, er arbeitete war die der Meisterwerke italischer Kunst. Die Zeit ist zu nach hochgeehrten Vorbildern, nämlich nach denen der großen ernst, um zu den Füßen schöner Frauen zu seufzen." Handelsgesellschaften in Nürnberg  , Augsburg  , Ulm  , die durch Die stolzgewölbten Brauen Gabrielen's zogen sich wie ein ihre Ringe die Preise aller möglichen Waaren bestimmten. entstehendes Wetter zusammen. Dennoch erwiderte sie munteren Bürger und Bauer freilich fluchten ihnen. Was half's? Von Tones:" Ist die Zeit wirklich so ernst, wie Ihr behauptet, mehr als einem Reichstage wurden Beschlüsse gegen solch Herr Doktor? Ei, um so eifriger sollte man die Blumen der wucherische Ausbeutung des Volkes durch die Handelsgesell Freude pflücken, wo sie sich bieten. So denke ich, möget Ihr schaften gefaßt; aber sie blieben todte Buchstaben. Die ver- mich darum auch schelten. Wenn Ihr dem Rechte Eurer einigte Geldmacht war stärker als die Erekutivgewalt der Jugend entfaget, ich thu's mit nichten, sondern mache das Kaiser. der meinigen geltend. Ist Euer Blut, das früher so munter floß, in dem sonnigen Süden erstarret, so müßte ich Euch aufrichtig bedauern, wenn- ich es glaubte." Sie richtete sich gegen ihn in den Hüften auf, als wollte sie ihm durch ihre Jugend und Schönheit ihre Berechtigung voll vor Augen stellen.

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Das Vermögen Gabriele's bestand fast ausschließlich aus Gilten   und Rentenbriefen auf Rothenburger   Bauernhöfen. Auch auf dem Hofe Simon Neuffer's stand eine solche Gilt. Verwaltet wurde das Vermögen von dem jetzigen zweiten Bürgermeister, Konrad Eberhard, der ihr bei dem Tode ihrer Eltern von dem Rathe der Stadt zum Vormund bestellt worden. Der Mann fah gar scharf nach den Rechten des Mündels, wie mancher, der nicht so glücklich wie Simon war, so daß er seinen Zins bei Heller und Pfennig oder in natura entrichten konnte, am heutigen Morgen zu seinem schweren Leid erfahren. Da die schöne Gabriele feine Verwandte in der Stadt besaß, so hatte Erasmus von Muslor durch seine Tochter sich bestimmen lassen, ihre verwaiste Freundin in sein Haus zu nehmen, nachdem das Kloster die Erziehung der beiden Mädchen beendet hatte. Konrad Eberhard hatte sein Haus seiner Mündel nicht anbieten können, da er ein Wittwer war.

Er schaute ihr mit einem langen Blick in die strahlenden Augen, und sie erröthete.

,, Es ist wahr, daß ich als ein Veränderter aus Welsch­land heimgekommen bin," sagte er. ,, Denn ich habe in­zwischen einen tieferen Blick in das Leben gethan und so möchte ich bezweifeln, ob das Gaukeln im flüchtigen Sonnen­schein ein wahrhaftes Genügen zu gewähren vermag."

Gabriele biß die kleinen weißen Zähne zusammen und wandte den Kopf ab. Er fuhr eindringlich fort: Nein, schöne Gabriele, dieses Flattern in Puz und Tändeleien kann Euch nicht genügen. Ihr seid zu stolz dazu. Es giebt ein Höheres, als nur seinem eigenen Jch zu leben. Ein neues Morgen­roth erglüht am Himmel, und Millionen von mühseligen Herzen wenden sich ihm hoffend zu. Meint Ihr nicht auch, daß es eine schöne, eine große Aufgabe wäre, seine Straft einzusehen, damit diese Hoffnung sich erfülle? Wäre es nicht herrlich, den Beladenen das Joch von den Schultern zu nehmen, damit sie den Kopf frei erheben und als wahrhafte Ebenbilder Gottes auf Erden wandeln?"

Seinem Sohne war die vielbeneidete Ehre zu theil ge­worden, die schöne Gabriele zu Tisch zu führen. Mar Eberhard war erst im Spätherbste aus Welschland heimgekehrt, wo er auf der berühmten Hochschule von Bologna   die Würde eines Doktors des römischen Rechtes erworben hatte. Er war ein ernstblickender junger Mann mit scharfgeschnittenen, durch geistigten Zügen, und die schwarze schmucklose Gelehrtentracht ließ ihn in dem bunten Geflitter ringsum noch ernster erscheinen. Sein Ernst wollte selbst der Schönheit seiner Tischnachbarin nicht weichen. Horchet!" rief Gabriele mit einem Zug von Hohn in Es mochte diese Wahrnehmung sein, welche Sabine von Muslor dem schönen Gesicht und berührte mit zwei Fingern seinen fragend zu ihrer Freundin hinüberzublicken veranlaßte. In Arm. Das Getöse vom Markte drang in sein aufmerkend Ohr. diesen Blicken schien sich Sabinen's ganzes Interesse an der Und für diesen rohen Pöbel wollet Ihr Eure Kraft einsehen?" Tafelrunde zu erschöpfen, denn sonst saß sie ebenso theil- fragte sie mit wogender Brust. Sind das nur Menschen? Ich hörte nahmslos wie morgens auf ihrem Jagdzelter jetzt an der Euren Vater einmal zu dem Herrn von Bermeter sagen, daß man Tafel neben dem obersten Stadthauptmann, dem Ritter sie noch schwerer belasten müßte, sonst schlügen sie im Uebermuth Albrecht von Adelsheim  , der sie zu Ostern als seine Gattin aus. Ist das nicht ein Schreien und Toben, wie von wilden heimführen sollte. Die schöne Gabriele erwiderte die Blicke Thieren?" der Freundin, indem sich ihre gewölbten Purpurlippen etwas spöttisch schürzten, und so sprach sie jetzt zu ihrem Nachbar: Hilf Himmel, Herr Doktor, Ihr schauet ja schon eine ganze Weile darein, als ob Ihr Erscheinungen hättet.".

Vielleicht ist es auch so," erwiderte May Eberhard und richtete die tiefliegenden dunkeln Augen ernst auf sie. Was dünket Euch, wenn der große Zauberer Vergil   die Gestalten des Meisters Zeitblom an den Wänden dort in einen Todten­tanz verwandelte?"

"

Und wenn sie fast zu Thieren entartet find, wessen Schuld ist es als die unserige, schon von unseren Vätern her?" fragte Mar Eberhard mit blizenden Augen. Es ist unsere Pflicht, das Unrecht, das sie entmenscht hat, zu fühnen. Wenn nicht, nun, so mögen wir es wohl befahren, daß sie uns eines Tages die Zähne weisen."

Mit Zuckerbrot wollet hr sie firren?". Iachte Gabriele grell auf. Ich bin für die Peitsche, Herr Doktor Eberhard. Ja, die Peitsche, die Peitsche!" Sie athmete rasch; ihre Nasen­