Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 59.

3]

Sonntag, den 25. März.

( Nachdruckt verboten.)

Clementine Holm.

Eine Frauenstudie von Gabriele Reuter . Gretchen war gehorsam. Als sie das Zimmer verlassen halte, fiel Frau Holm ihrem Sohn mit stürmischer Leidenschaft um den Hals und rief:" Du haftest ja keinen Blick mehr für mich und ich habe gehungert in Sehnsucht nach Dir, zehn lange Jahre..."

Der Schrei ging wie ein Messer durch Ottokars Herz. Aber es ist nicht angenehm, Messerstiche zu fühlen, deshalb fuchte Ottokar seine Mutter zu beschwichtigen und sagte ruhig, indem er sie zum Divan führte:" Man muß doch gegen die von der Frau Mama eiwählte zukünftige Gemahlin höflich sein.... Aber sag' mal, Mütterchen, wo hast Du eigent lich dies excentrische Prinzeßchen aufgegabelt?"

-

Ach, cxcentrisch das gute Gretchen? Ich habe Mühe genug gehabt, ihre philisterhaften Anschauungen zu über­winden und sie aus dem alltäglichen Gänschen zu einer Frau heranzubilden, die meines Sohnes würdig ist."

"

-

1900

" Ihr schönes Haar soll niemand sehen als Du, ihre Das finde ich Figur willst Du zur Geltung bringen... eine undelikate Auffassung," sagte Frau Holm kalt. Sie ist doch die allgemeine," sagte ihr Sohn freundlich beschwichtigend.

Wenn Du Dich nach der Allgemeinheit richtest..." Gewiß, sie hat meistens Recht."

" So sagen alle alltäglichen Menschen."

Ich will auch weiter nichts sein als ein alltäglicher Menfch."

Wenn Du mir das werden wolltest, hättest Du nicht auf und davon und zur See zu gehen brauchen.

"

Mutter, crinnere mich nicht an den wahnsinnigen Streich. Ich habe ihn so bitter gebüßt, daß ich dadurch von allen Extra­vaganzen gründlich geheilt bin. Aber Du machst ein so ernst­haftes Gesicht hättest Du lieber gesehen, ich wäre als ein romantischer Vagabund zu Dir zurückgekehrt?"

-

Frau Holm schwieg und verließ das Zimmer. Dieser Sohn, an dem es so gar nichts zu beschützen, zu pflegen, zu beeinflussen gab, der so wohlgenährt, stattlich und in sich gefestet vor ihr Soso! Du hast dies Erziehungswerk an ihr vollstand, was sollte sie mit ihm anfangen? bracht." sagte Ottokar nachdenklich, indem er sich eine Cigarre In ihr erhob sich ein rebellischer Trok. Seit vielen anzündete. Nun da brauchen wir ja noch nicht zu ver- Jahren war sie es gewöhnt, immer und überall die Gebende zweifeln. Aber Du bist ganz blaß geworden, Mütterchen, die zu sein und die mit etwas Geräusch und Thätigkeit Gebende. Erregungen dieses Abends sind doch etwas zu viel für Dich Hier sollte sie um mit einem Male stille sigen und nichts geworden, Du mußt schlafen gehen." thun als lieben? Lieben und sich mit den spärlichen Ueberresten begnügen, die von seinem Gefühle und seinem Interesse für sie abbröckelten? Der Löwenanteil fiel ja Gretchen in den Schoß. Ihr, die ihn friedlich hinnahni, die nicht wie Frau Holm sich, seit man ihr das zehnjährige Kind vom Herzen gerissen, in Sehnsucht verzehrte, in einer Sehn­fucht, die schließlich wurde wie ein verschiviegener, heimlicher Wahnsinn.

Wie kann ich schlafen," sagte Frau Holm mit erstickter Stimme, wenn ich sehe, daß meine Pläne für Dich mißglückt sind, daß Gretchen Dir nicht gefällt."

"

Morgen ist noch ein Tag, an dem wir weiter über die Sache reden können," antwortete Ottokar in einer bestimmten Weise, die für den Augenblick das Gespräch definitiv abschloß. Beim Frühstück am nächsten Morgen trug Gretchen die dunklen Zöpfe in einem Kranz um das Haupt gewunden, das lose Gewand war von einem weißen Schürzchen zusammen gehalten. Ottofar flatschte in die Hände und rief:" Bravo ! Das lasse ich mir schon cher gefallen."

" Fandest Du sie nicht entzückend in dem Kleide, das sie gestern trug?" fragte seine Mutter verletzt.

Scheußlich!" antwortete Ottokar ruhig. Ich wäre nm liebsten gleich wieder abgereist."

Ottokar!"

" Wahrhaftig- ich bekam einen Todesschrecken und habe alle meine Selbstbeherrschung nötig gehabt, um Dir den ersten Abend nicht zu verderben. Selten habe ich eine solche Herzenserleichterung gespürt als in dem Augenblick, wo Du mir gestandest, daß Fräulein Gretchen sich nur auf Deinen Wunsch so hergerichtet habe."

"

Aber Ottokar!" rief Frau Clementine empört, Du willst dech nicht etwa, daß Deine Frau sich fleiden soll wie ein Ladenmädchen."

, Nein, nicht wie ein Ladenmädchen, aber wie cine Dame." Uid findest Du, daß Deine Mutter sich nicht kleidet wie cine Daute?"

Er warf einen Blick über sie hin.

Ihre Seele schrie nach all den Küssen, den Zärtlichkeiten, der Liebe, die ihr vorenthalten worden war und die mun dieses junge Ding in Empfang nahm.

Ja, sie hatte schenken, föniglich spenden wollen. Aber sie hatte auch eine heiße und stürmische Hingebung von beiden Seiten dafür in Empfang nehmen wollen.

Und mun...

Ueber diesem quälenden Schmerz wollte sie nicht be­merken, wie das arine Gretchen, welches Ottokar täglich ber­sicherte, wie froh sie sei, nicht mehr zum Staunen der Leute herumgehen zu müssen, sich zugleich bemühte, ihrer Schwieger­mutter zu beweisen, daß sie auch unter einem Pariser Korset ihr dankbares Herz bewahrt habe. Frau Holm scheuchte die zarten föchterlichen Liebkosungen durch eisige Schweigsamkeit von sich. Und Gretchen weinte sich an Ottokars Brust aus über den Zwiespalt, in den ihr Gefühl geriet, und er tröstete sie, wie ein verständiger, nüchterner Mann tröstet, und das verband die beiden noch viel inniger.

Ju Frau Clementine aber tobte und raste die Eifersucht. Sie wurde förmlich zu einer physischen Qual. Gretchens Gegenwart wurde der unglücklichen Frau unerträglich. Schon deren Schritt, ihre Stimme regte sie auf, tränkte sie, erboste sie. Ueberraschte sie das junge Pärchen, wie es sich schnäbelte, oder bemerkte sie, wie Ottokar leise die Hand seiner Braut faßte, so kam eine blinde Wut des Hasses gegen das Mädchen über sie.

Ach Mutter," sagte er und feufzte. Er dachte an seine Kindheit und wie die Jungen in der kleinen deutschen Stadt ihn gehöhnt und gefoppt hatten wegen seiner langen Locken und seiner blauen Sammetpumphöschen. Und wie er die Sammietkostüme verabschent hatte und seine Mutter dazu.... Und sie vergiftete den beiden alle Tage und Stunden Vielleicht war es einer der Gründe, um derentwillen er ihr mit boshaften Reden, mit faltent Schweigen, mit rotgeweinten in den zehn Jahren nicht geschrieben.... Das Herz hat Augen und einem schlaffen, natten Märtyrergesicht. heimliche Falten, wohin sich alte Kinderschmerzen verkriechen und lange leben bleiben.

Zwischen diesen Seelenerschütterungen aber förderte sic mit aller Energie ihren Plan, dem Sohn eine Lebensstellung Jedenfalls war Ottokar jetzt ein Mann, der seinen Geschmack in ihrer Nähe zu verschaffen. Gleich nach seiner Ankunft und seinen Willen ohne besondere Erregung durchsetzte. Er nahm hatte sie ihm ihre Ansichten und Hoffnungen mitgeteilt. einfach einen Wagen, fuhr mit seiner Brant in ein großes Ottokar antwortete ihr zwar, er sei mit seiner jebigen An­Ausstattungsgeschäft eine Märchenprinzessin trat hinein, stellung im ganzen zufrieden. Aber wenn sie es wirklich er­eine fein taillierte junge Pariser Mondaine trat heraus. reiche, ihn als Administrator viceköniglicher Besizungen zu Gretchens glückliches Gesicht bei dieser neuen Metamorphose placieren, so würde er sich das schon gefallen lassen. Denn Beruhigte ihn sehr und schmeichelte auch ein wenig feiner seine Gesundheit würde am Ende ein Leben in den Tropen Eitelkeit. auf die Dauer nicht vertragen.

Frau Clementines Mienen waren nicht ganz so befriedigt als die des jungen Paares, während es sich vor ihr zeigte. ... Sichst Du, Mütterchen, so kommt Gretchens reizende Figur zur Geltung."

Frau Holm veraustalete nun zur Feier von ihres Sohnes Heimkehr ein großes Fest. Sie lud die alten Freunde ihres Gatten dazu ein, und eine Menge Lente, von denen sie glaubte, daß sie ihr zu ihrem Ziele verhelfen können. Die