Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 162.
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Die Fanfare.
Donnerstag, den 23. August.
( Nachdruck verboten.)
Roman von Frit Mauthner.
Die Wirtschaft war seit Bodes Abreise so gut wie aufgelöst; ein Käßchen wäre nicht so leicht zu sättigen gewesen wie Frau Käthe, wenn ihr Mann nicht daheim war. Und jede Woche gab es einen Tag oder auch zwei von besonders viel Glück und Thränen, so oft einer der Briefe aus Italien tam und der liebe Mann darin lebhaft oder leise den Wunsch aussprach, wieder zu Hause in der Großgörschenstraße zu sein.
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Doch wie rosig schimmerte selbst dieses Flämmchen durch ihre Finger. Da drinnen floß doch ein gutes, junges Blut, und Johanna fragte sich in mancher Mitternacht, ob denn alle Mädchen ihres Stands ein so freudloses Leben führten. Nicht als ob sie sich zur Wehre seßen wollte gegen die Arbeit! Da stand ihre Pflicht vor ihr und die that sie ruhig, ernst, unweigerlich wie ein Soldat im Dienst. In der Familie Havenow dienten auch die Frauen. Aber die Welt war doch nicht freudlos! Da gab es vor ihrem Fenster Eisenbahnschienen und auf ihnen flogen doch auch freie und fröhliche Menschen dahin und daher. Da gab es in den breiten Straßen so viele Blumenhandlungen voll Farbe und Pracht, und die Leute, die eintraten, fauften doch nicht immer nur Totenkränze. Da gab sid Benn Johanna ihre Freundin verließ, empfand sie wohl es Musik, und sie war doch nicht nur dazu da, damit sie für mitunter herzliches Mitleid mit der armen Frau, deren Mann fünfundsiebenzig Pfennig die Stunde gelehrt wurde. Da gab. im Gefängnis saß und die so ahmungslos ihrer schweren es Theater und Konzerte für die Reichen, da gab es den Stunde entgegenging. Und doch kam etwas wie Neid über Sonntag für die Armen, da gab es den Weihnachtsabend ste, sobald sie ihre eigne Wohnung betrat, wo die häßliche für die ganze Welt, und nur Johanna war von allem ausNot und die Weihnachtssorge die Stuben völlig verödet geschlossen.
hatte, wo die Mutter mit einseitiger Zärtlichkeit bloß für D, dieser Weihnachtsabend! Der letzte Pfennig der Mutter, den entfernten Achim lebte und für die eigne Tochter nicht die letzten Ersparnisse Johannas waren für Achim verwandt einen Gedanken, kein Wort der Anerkennung übrig hatte. worden. Zoning
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Im Bette hatte Johanna nach ihrer Kopistenarbeit ein warmes Tuch für die Mutter gehäkelt. Einen guten Schirm hatte sie dazu gekauft. Die Kriegsrätin hatte nicht mehr so viel, um ihrer Tochter einen Pfefferkuchen und einen Apfel zu schenken. No signal due
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Johanna war ja in der Anschauung aufgewachsen, daß die Zukunft des männlichen Sprößlings, des zukünftigen Offiziers, alle andern Familieninteressen überbiete. Dabei hatte sie ihren Bruder herzlich lieb und wollte ihn gar nicht aus seiner Unkenntnis der häuslichen Verhältnisse reißen. Es stahl ihr sogar ein Lächeln ab, wenn Achim, der als Die Mutter nahm das Tuch um die Schultern und stellte Lieutenant furchtbar ehrsame und altfluge Briefe schrieb den Schirm beiseite. Davon fönne ein Offizier keinen Gealso Kadett wußte er sich vor Uebermut nicht zu lassen brauch machen. Johanna füßte die Mutter und brachte sie - ihr Vorschriften machte; sie sollte nicht so oft zu zu Bett, dann setzte sie sich wie jeden Abend an die Arbeit, Luftspielen und Possen ins Theater gehen, sie sollte ihren bot sich unter der Chiffre L. R. wieder einmal als Kopistin musikalischen Sinn durch Beſuch vieler Konzerte bilden, aber an und schrieb dann das Trauerspiel ab, an dem sie immer nur auf den besten Plägen, um niemals der Be- gerade beschäftigt war. Sie drängte alle Festgedanken zurück, rührung mit dem Bettel ausgesetzt zu sein; sie sollte in um nicht schwermütig zu werden. Sie hatten fein Gegenihrer Kleidung nicht gegen die neueste Mode verstoßen, sich aber über; so brauchte sie den Weihnachtsglanz nicht hinter hüten, durch Uebertreibung und durch übermäßigen Lurus fremden Fenstern zu sehen. Welches Recht hatte sie an das aufzufallen. Auch er selbst erwerbe sich nur durch weise Spar- Glück? Früher, wie sie noch ein halbes Stiud war, hatte sie Sie war ein armes samkeit in den Bedürfnissen der Eitelkeit das Recht, als ein ein Glück erwartet. Das war vorbei. Havenow- Trienik aufzutreten und zu leben. Mädchen und war eine Havenow. Und er, er war nicht von Die Briefe des Bruders trösteten Johanna über manche Adel, er hätte die Zustimmung der Mutter und vor allem Härte der Mutter. Der verwitweten Kriegsrätin war es die des Bruders nie erhalten. Geiviß nur darum hatte eben warm, wenu sie ihren Sohn im Besitz eines guten er sich zurückgezogen, nur aus Klugheit, nicht aus! Belzes wußte; darum brauchte in der Alvenslebenstraße kaum Furcht vor der Arnut. Darum war es besser, sie geheizt zu werden. Das bißchen Essen wurde in der Berliner blickte gar nicht in die Zukunft, die so finster war, wie sich Stube zu Mittag gekocht und dann blieb die Wohnung wohl der Stubenraum in dieser Christnacht um das trübe Flämmchen verschlagen" genug bis Mitternacht, welche Zeit ballte. Johanna gewöhnlich schon zu arbeiten aufhörte. Die Kriegs- Die Arbeit machte hente doch ungewöhnlich müde. Es rätin fühlte sich in ihren fahlen Zimmern behaglich, wenn fonnte noch nicht elf Uhr sein, und Johanna fühlte sich am Achim nur mit seinem Burschen zufrieden war. Darum Ende ihrer Straft. brauchte die Aufwartefrau mir noch zweimal in der Woche Da gingen schivere Tritte auf der Treppe, und es klingelte. zu kommen, und Johanna mußte täglich vor sechs Uhr Johanna ließ die Feder fallen, saut in den Stuhl zurück und aufstehen, um den zerfallenden Hausrat und ihre eig nen hauchte Richards Namen. So hatte das Glück denn auch zu Siebenfachen immer wieder für heute wenigstens in Ordnung ihr den Weg gefunden. Es war ihr gleich, was es brachte, zu halten. es kam von ihm. Das wußte sie. Es mußte zum zweitennial Klingeln, bevor sie mit dem Licht in der Hand hinaus eilte und die Thür aufriß. Ein Arbeitsmann stand draußen und reichte ihr eine lose Papierdüte. Auf seinem vom Frost geröteten Gesicht stand das ausgleichende Weihnachtslächeln der armen Leute. Er sagte nichts, und sie fragte nicht. Aus dem Papier strömte ihr Veilchengeruch entgegen.
Und die Kriegsrätin fah Licht, wenn ein Brief von Achim ankam, fie faß gern in der Finsternis, wenn sie ohne Nachricht war. Darum durfte Johanna nur die billigsten Kerzen für ihre Nachtarbeit brennen; die reichten ja wohl für die beiden Augen aus. Johanna sah selbst die Notwendigkeit ein; hatte doch die Gasgesellschaft längst die alte Rechnung eingemahnt und den Gasometer abholen lassen. Die beiden Kronen waren damals schon losgeschraubt und mit den Lampen verkauft worden. Die lekte große Petroleumlampe aus chinesischem Porzellan, welche in der guten Stube vor dem Spiegel stand, war unverkäuflich, weil ihre Glocke ein großes Loch hatte es mußte beim Saubermachen immer der Wand zugekehrt werden und unbrauchbar, weil der Delbehälter fehlte.
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Leider war der Verdienst aus den schriftlichen Arbeiten, für welche die Kerzen gebrannt wurden, ein geringer. Aber Johanna zerdrückte doch nächtlicherweile manche Thräne, wenn sie in der frostigen Stube am Tisch saß, die Füße mit einem alten Tuch zudeckte und an der trüben Flamine, die nicht weiter als bis zu dem Papierbogen vor ihr leuchtete, auch noch die verklammten Hände wärmen mußte.
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Gleich wollte sie jubeln, gleich, wenn dieser Mann erst fort war. Nur einen Botenlohn mußte sie ihm geben für das Glück, das er gebracht. Aber was? Es war kein Geld im Hause und kein Glas Wein, kein Stückchen Braten, nichts, nichts, keine Blume. Ratlos starrte Johanna den Mann an, und verlegen blickte sie auf die Papierdüte. Dußende vonj kleinen Veilchensträußchen blickten hervor.
Endlich nahm der Arbeitsmann das Wort:
Nee, Fräuleinchen, so arm bin ich nicht. Und der Herr wird mir den Gang gut bezahlt haben. Hier diesen Back Kinderspielzeug muß ich noch in die Großgörschenstraße tragen."
Johanna setzte den Leuchter auf den leeren Gasometerfasten und sagte:
,, Bier, Sie sollen auch von mir einen Botenlohu haben."