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Warum kaufts denn net d'n Gasteigfeller? Der is do verde. Sie unterzieht auch die Wohnungen einer Kontrolle, be g'wiß leicht zum hab'n!" schränkt sich aber dabei auf diejenigen der besitzenden Klasse, während Und den Beteiligten fiel's wie Schuppen von den Augen: fie fich um die teilweise entseglichen Wohnstätten des Proletariats der alte Gasteigfeller, bequem gelegen, ein gutes altes nicht im geringsten fümmert. Es stehen in Galata   einige Häuser in Gewölbewert am Aufstieg der Tegernseerlandstraße, mit der Nähe eines türkischen Friedhofs, der voll von Miasmen ist, die für jeden, der die Leistungen der türkischen Munizipalität von Pera großem altem schattigen Garten darüber, und fester, breiter, beurteilen will, von einigem Intereffe sein müssen. Schmutzigere, alter Halle der einzige Fehler der, daß man von oben übelriechendere Spelunken find in ganz Europa   nicht zu finden. Der teine Aussicht hatte, sondern mitten zwischen andren Kellern Boden, auf dem sie stehen, ist vollständig durchfeucht die Gasse vor dem fag, aber welcher Münchener Steller hat denn Aussicht? Hause ist nur im Sommer trocken, da sonst bei dem winterlichen Und nun wuchs die Sache sich rasch aus. Die Fabrikgebäude Regenwetter die von den Höhen Peras herabgeführten Schmutz­waren ohnedies sehr klein; zur Mälzerei gebrachs an Raum: wässer hier zur Stagnation tommen. Die steilen Straßen werden wie, wenn man die paar zwischen dem Keller und der Fabrik, nämlich nie gelehrt, sondern man überläßt es den Regengüssen, mit also der neuen Brauerei gelegenen fleinen Häuschen und Gärt dem Straßenfot aufzuräumen, der dann dort unten in der Straße der Pfeifenverfertiger( luledschi) fich aufhäuft. chen ankaufte und Verbindungsbauten ausführte? Um über Da eine municipale Statistit, wie jede andre, in der Türkei  die Straße zu kommen, eine eiserne Brücke hoch in der Luft, völlig fehlt, auch für staatsgefährlich angesehen würde, kann ich die bom Darrboden zum Dach der Brauerei? Das konnte keine Bahl der Bewohner der einzelnen Häuser nicht genau angeben. Unsumme kosten! Sicher ist aber, daß jeder Quadratfuß bis aufs äußerste ausgenutzt Bewohner find arme spanische Juden und Griechen. Das Non plus ultra jedoch von Proletarierwohnungen kann man drüben in Stambul   finden. Wie recht zum Hohn auf die Aermsten der Armen, die in ihnen hausen müssen, liegen fie an einer Stelle, die ihrer Lage nach wohl einzig schön in Europa   iſt, am Strande des Marmarameeres, von wo der Blick über das schöne südliche Meer auf die reizenden Prinzeninseln und die bithynische Küste mit ihren ragenden Berggipfeln fällt.

( Fortsetzung folgt.)

Aus Konftantinopel.

9.

Mitte Januar.

Bon dem Meere da draußen dringt die talte Nebelluft land­einwärts. Die schmutzig grauen Wellen spülen verdrossen um die Schiffe und gegen die Kaimaner. Hinter dem grauen Schleier hervor, der hier alle Dinge mit der gleichen nordischen Ungeschlachtheit bes haftet sein läßt und den Farbenglanz und die Formschönheit der füdlichen Landschaft unbarmherzig erstickt hat, tönen durcheinander die Dampferpfeifen und die wilden Töne der Nebelhörner beängstigend, als ob ein Heer von Riesen der Vorwelt im Anzuge wäre, um diesen alten Herd menschlicher Kultur zu vernichten. Die menschliche Kultur" wie dürftig repräsentiert sie sich an diesem grauen Morgen am Kai von Konstantinopel! Man schent fich ordentlich, diesen vollflingenden Namen in dieser Umgebung auszusprechen ist das die Stadt Konstantins, die Königin der Städte, von der aus der Welt Gesetze gegeben wurden, die Pforte zum Orient, durch die fich materielle und geistige Schäße über das Abendland ergossen?

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Eine Reibe dürftiger Holzbaraden längst des Ufers, die Straßen im tiefsten Schmug; von den Menschen viele, sehr viele in Lumpen gehüllt, von fahler Gefichtsfarbe, die der Hunger erzeugt hat und die selbst die Kälte nicht zu röten vermag. Wenn man die Augen auf das Häusermeer von Galata   und Pera schweifen läßt, findet man nicht einmal die billige Eleganz einer europäischen   Provinzial­stadt, ganz zu schweigen von monumentalen Bauten, die einen darau erinnern könnten, daß der Ort eine mehr als zweitausendjälge Geschichte besitzt.

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Hier in den alten byzantinischen Seemauern, in den Türmen und Bastionen haben sich hunderte von armen Familien eingenistet. Als Baumaterial haben sie das Blech der russischen Petroleumbehälter verwandt, Steine aus altbyzantinischen Bauten, vom Meere an gefchivemmtes Holz und in den so entstandenen meistens ein­räumigen feuchten, übelriechenden Löchern läßt die türkische Regierung die herrschen muß, wo zwar das Meer recht nahe ist, aber eine Kanali­Leute wohnen Mar; kann sich vorstellen, was für ein Geruch dort fation gänzlich fehlt. Man bekommt nur hier weniger von dem Elend zu sehen; denn die türkische Armut ist bis zu einem gewissen Sie liebt nicht die Burschaustellung Grade stolz und verschämt.

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des Elends; wo nur irgend so etwas wie eine Fensteröffnung in den unglaublichen Konstruktionen angebracht ist, ist diese durch das neugierige Augen fernhaltende Holzgitter( Mufcharabié) geschloffen, Aber man sieht schon von außen genug und riecht! Es giebt viele andre Quartiere in dem großen Dorfe Stambul  , die ähnliche Grenel zeigen, wo der Typhus ein steter Gaft ist und die Bevölkerung decimiert. Doch der echte Muselmann darf sich dagegen nicht auflehnen der Fatalismus ist eine herrliche Er findung für faule Leute.

11796

Es ist schon seit langem mit dem Abbruch des stolzen türkischen Weltmachtsgebäudes, das den Umfang des oströmischen Reichs in feiner besten Zeit übertraf, angefangen worden. Seit 1879 fing die Meerwärts zu sehen verhindert uns die Nebelmater wir sind osmanische Bevölkerung an, alle die Gebiete zu verlassen, die ihre also gezwungen, uns von dem Anblicke dieses schmuzig grauen Ahnen siegestrunken, weltmachtsfreudig mit dem trimmen Schwerte  Häuserhaufens hypnotisieren zu lassen, über den ein düsterer, erobert hatten. Von der Krim  , vom Ufer der Donau  , aus dem nordischer Himmel sich herabsentt ein Ort, wo wahre Lebens- Balkan, vom Kaufafus ergoß sich eine wahre Völkerwanderung frende erstorben sein müßte, wenn nicht die Bewohner so wenig hinter die türkischen Grenzen. Wie alle Völkerwanderungen, vollzieht Ansprüche machten auf ein menschenwürdiges Dasein. Schon längst fich auch diese in Schüben, die sich auf eine lange Reihe von Jahren hätte die internationale Sanitätsfommiffion dort Wandel schaffen verteilen und noch lange nicht zum Abschluß gekommen find. müssen, wenn nicht der Kommerzialismus, deffen Hochburg in der Levante   jener unerquickliche Steinhaufen bildet, seinen Raubban rücksichts- und gedankenlos betriebe, ohne sich viel barum zu fümmern, tvenu mephitische Dünfte sich in den engen mittelalterlichen Gaffen sammeln und die Abwässer aus den nicht ausgemauerten Kanälen an die Oberfläche der Erde treten.

Wahrhaftig, Stangen und Cools Pflegebefohlenej würden heute nicht schlecht enttäuscht sein, wenn sie die türkische Hauptstadt, von deren Wunder ihnen der Prospekt der Gesellschaftsreise zu berichten wußte, in diesem Zustande sähen. Die Mutter der Welt" zeigt sich heute als das, was sie ist eine Greifin, deren Antlig fiebert und mit Runzeln bedeckt ist. Sie ist es fatt, sich zu schminken und zu pußen und die Spuren des Berfalls zu verbergen.

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Heute ist wieder ein solcher Schub Einwanderer angekommen. Es scheint eine ganze Dorfgemeinde zu sein, von den Greisen, die an Krüden   sich mühsam bewegen und sorgsam verschleierten alten ge­büdten Frauchen augefangen, bis auf die Kinder, die mehrere Schichten Kleider übereinandertragend estimoartig eingehüllt sind und nur ihre echt nordischen, roten runden Wangen zeigen, und die Augen, die voll melancholischer Neugier in den grauen Nebel hinein schauen, der ein rechtes Bild ihrer Zukunft ist.

Die Frauen betvachen die Gepäckstücke, die soeben von dem rumänischen Dampfer gelandet worden sind. Sie sind ärmlich ge­leidet in lange, schmußige Kaftane. Was von ihren Gesichtern unter den dichten Schleiern sichtbar wird, läßt erkennen, daß sie den Män­nern im Schweiße ihres Angesichts in Hof und Feld zur Hand ge­gangen find.

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fie gefellt sich

Galata! Das alte reiche gemiefische Galata   mit seiner truzzigen Umwvallung, feinen Vorrechten und Freiheiten, wo ist es hin­geschwunden? Oben auf der Höhe des Bergs ragt noch der alte Wartturm von Galata   weit über Meer und Land; hier und da ent­deckt man noch einen Rest der Stadtmauer und einen zerfallenen Wallturm; aber unter der Türkenherrschaft ist die nördliche Hälfte des Orts wenigftens zu einem Sammelplatz für alles Gesindel der Die Männer haben den tatarischen   Typus start ausgeprägt- Levante   herabgefunken. Der Auswurf des christlichen Proletariats der Hauptstadt findet sich hier zusammen mit den unglückseligen Israeliten, die aus Rußland   ausgestoßen, hier gescheitert sind und da fie Arbeit nicht finden fonnten, vom Lafter leben, das fie er barimungslos und unter dem Schuße der hohen Obrigkeit exploitieren - mit den Bagabunden aus aller Herren Länder, die mit oder ohne frimineller Vergangenheit hier einen sicheren Zufluchtsort finden, wo fie fich ungescheut dem füßen Müßiggang   oder dem Lafter hingeben tönnen.

Eine alte Frau, deren Gesicht nichts wie Runzeln ist nimmt sich nicht mehr die Mühe der Verschleierung zu ihnen. Es scheint die weise Frau des Dorfs zu sein. Sie hat eine Lebertasche umgehangen, die den Koran   enthalten wird. Sie trägt ein Beden und eine Wasserkanne für die religiösen Ab­waschungen in einem Säckchen trägt sie den Neft ihrer Habe.

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die hervortretenden Badenknochen und die etwas geschlitten Augen. Ihre Vorfahren sind einst mit Tschingis Khan in die Krim   eins gezogen ihre Bäter haben sich auf dem Boden der Dobrudscha  niedergelassen und jegt werden sie von der türkischen Regierung in Klein- Asten angesiedelt.

Was treibt sie dazu, ihre alten Heimstätten zu verlassen und das Gewisse mit einer sehr ungewissen Zukunft zu vertauschen? Ich glaube, es ist weniger religiöser Fanatismus von volkswirtschaft. lichen Gründen ganz zu schweigen- als das Unvermögen, nicht Die Sanitätstommission, die ich oben erwähnte, hat vor allem als Herrenvoll zu leben und Unterthanen zweiten Grads unter fich den Zweck, über den Gesundheitszustand der Hauptstadt zu wachen zu haben. Die Türken find bon unglaublicher wirtschaftlicher Sorg und zu verhüten, daß Konstantinopel   ein Seuchenherd von Europa   Ilosigkeit; sie denken gar nicht daran, daß das türkische Lotterregiment