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Bei den großen Morgenrundgängen, die Lucas zweimal immer der schön sein wollende Geck mit zierlichen Belegungen, wöchentlich durch seine Schöpfung machte, widmete er daher forgfältig rasiertem Gesicht, das Monocle im Auge. Nur der das meiste seiner Zeit und seines Herzens den Schulen und unstete Blick, der schlaffe Mund verrieten die innere. Ver­auch den Krippen, wo die ganz Kleinen behütet wurden. wüstung. Einen Spazierstock in der Hand, den glänzenden Er begann gewöhnlich bei ihnen, ehe er sich in die Werk Cylinder auf dem Kopfe, so war er im Begriff, sein Haus zu stätten und Magazine begab, er genoß gleich in den ersten verlassen. Morgenstunden die Freude über diese fröhliche, in Gesundheit blühende Jugend. Da er jede Woche andre Tage für seine leberwachungs- und Ermunterungsrundgänge wählte, wurde er nirgends erwartet, erschien er immer überraschend inmitten der lärmenden kleinen Welt, wo alle ihn als einen fröhlichen und guten Großvater vergötterten.

An einem prächtigen Frühjahrsmorgen wandte also Lucas seine Schritte den Schulen zu, um seinen Kindern, wie er sie nannte, wieder einen Besuch abzustatten. Die Strahlen der Morgensonne fielen in einem Goldregen durch das Laub der Bäume, und Lucas ging langsam durch eine der Alleen dahin, als er, an dem von den Boisgelin bewohnten Hause vorbeikommend, durch eine wohlbekannte, liebe Stimme auf gehalten wurde.

Suzanne, die ihn hatte herankommen sehen, war bis zur Gartenthür geeilt und hatte ihn angerufen.

,, Ach, lieber Freund, ich bitte Sie, tommen Sie auf einen

,, Wie, schon auf den Beinen, schon in Bewegung?" rief Lucas ihm mit gemachter Heiterfeit zu.

"

Ich muß wohl, verehrter Freund," erwiderte Boisgelin, nachdem er ihn eine kurze Weile mißtrauisch gemustert hatte. Wie sollte ich ruhig schlafen, wenn mein Geld und die Arbeit aller meiner Leute mir Millionen täglich tragen und alle Welt mich betrügt? Ich muß meine Augen überall haben, muß allerorten selber zum Rechten sehen, wenn mir nicht stündlich Hunderttausende unterschlagen werden sollen!" Suzanne warf Lucas einen bekümmerten Blick zu. Dann sagte sie:

sch habe ihm geraten, heute zu Hause zu bleiben. Wozu diese Quälerei?" ( Fortsetzung folgt.)

( Nachdruck verboten.)

Augenblick herein. Der arme Mann hat wieder einen Anfall Die Geschichte eines Bibelspruchs.

bekommen, und ich bin sehr in Sorge seinetwegen."

Sie sprach von Boisgelin. Eine Zeitlang hatte er zu arbeiten versucht, unbehaglich in seiner Ünthätigkeit inmitten dieses von der Arbeit aller seiner Bewohner surrenden Bienenkorbs. Jagen und Reiten genügten nicht mehr, um feine Zeit auszufüllen, und seine Unfhätigkeit lastete schwer auf ihm. So hatte ihm denn Lucas, auf Suzannens Für bitte und um seiner erhofften Umwandlung in einen andern Menschen Vorschub zu leisten, eine Art Inspektor­stelle in den Genossenschaftsmagazinen anvertraut, wo er eine nur wenig Zeit in Anspruch nehmende Ueberwachungsthätig­feit auszuüben hatte. Aber der Mensch, der nie etwas mit seinen beiden Händen geleistet hat, der Nichtsthuer von Ge­burt, hat keine Macht mehr über sich, kann sich in keine Regel, in keine Methode mehr fügen. Boisgelin mußte bald er­kennen, daß er zu einer fortgesetzten Beschäftigung unfähig war. Seine Gedanken verwirrten sich, seine Glieder ver­weigerten den Gehorsamt, er wurde von Schlafsucht, von voll kommener Entkräftung befallen. Allmählich glitt er wieder in die Leere seines früheren Lebens zurück, in das vollkommene Nichtsthun, womit er stets nuplos seine Tage verbracht hatte. Nur fehlte ihm jetzt das Betäubungsmittel des Lurus und der Vergnügungen, und eine ungeheure, entsetzliche Lang weile überkant ihn, die durch nichts unterbrochen wurde. So lebte er denn dahin und alterte in stumpfsinniger Betäubung über all die unerhörten Dinge, die sich rings um ihn begaben, und die auf ihn wirkten, als ob er auf einen andern Planeten gefallen wäre.

( Schluß.)

Jedem gewöhnlichen Sterblichen erscheint die ausschlaggebende Sentenz, die einem Maftbürger bei dem Versuch, durch die enge Himmelspforte zu passieren, erwachsenden Schwierigkeiten in Parallele stellt mit den Verlegenheiten eines Kamels, wenn es durch ein Nadelöhr gehen soll, durchaus klar, vollkommen eindeutig, und das gewählte Gleichnis, das höchstragende Christus bekannte Lebewesen und der denkbar kleinste Durchgang, entspricht vortrefflich dem Zweck, eine nach moralischen Begriffen vollständige Unmöglichkeit. zum prägnanten Ausdruck zu bringen. Anstoß kann daran füglich ur nehmen, wer sich durch die Worte Jesu   getroffen fühlt, aber doch für einen anständigen Platz im Himmelreich auserwählt zu sein glaubt, und wer aus der Lehre Christi nur das duldende, dem llebel als ein prächtiges Werkzeug zur Erhaltung alles bestehenden Un­nicht zu widerstehen gebietende Element herauszuschälen beflissen ist, rechts, dagegen über Jesu Keulenschläge gegen Befit, Ausbeutung, unterdrückung wohlweislich mit einem stillen Trommelschlag hinweg geht. Dieser lieblichen Gattung ist denn freilich das fatale Kamel­Gleichnis von jeher ein Dorn im Auge gewesen, den man mit aller Gewalt, mit den spaßigsten Kniffen und Pfiffen auszuweichen versuchte. Das einfachste und radikalste Mittel dazu wäre gewesen, die ganze Stelle für eine Interpolation, d. h. ein nachträgliches Einschiebsel, zu erklären. Golche Interpolationen, die also nicht von dem Autor stammen, sondern Solche Interpolationen, die also nicht von dem Autor stammen, sondern zu irgendwelchen Zwecken später hineingefälscht worden sind, finden fich bei alten Schriftstellern zahlreich und sind auch in der Bibel des öfteren nachweisbar. Wem das Kamel- Gleichnis unbequem war, für den hätte es demnach nahegelegen, frischweg zu behaupten, dieser oder jener kommunistische Fanatiker habe den ganzen Bassus in das neue Testament hineingeschmuggelt. Dies uralte Hausmittelchen für schwierige Fälle fonnte aber nicht zur Verwendung ge­langen, weil sich der fragliche Ausspruch Christi nicht bloß in einem der Evangelien findet, sondern sowohl bei Matthäus, als bei Marcus. und Lucas zu lesen steht. Er muß also schon in der gemeinsamen Quelle dieser drei Evangelien, den in aramäischer Sprache abgefaßten Reden Jesus   vom Apostel Matthäus  , verzeichnet gewesen und Der Geist Boisgelins hatte sich in letzter Zeit verwirrt. daraus von den Evangelisten in ihre Darstellung verarbeitet worden Von früh bis Abend schlich er herum, gleich einem Phantom sein. Weit entfernt demnach, für untergeschoben gelten zu können, der Trägheit, irrte bleich und verstört durch die wimmelnden gehört das Kamel- Gleichnis, weil von einem Augen- oder Ohren­Straßen, durch die lärmienden Schulen, durch die dröhnenden zeugen der Scene mitgeteilt, zu den authentischten, den best­Werkstätten, bei jedem Schritte in Gefahr, mitgerissen und beglaubigten Ansprüchen Christi, die überhaupt vorhanden sind. Wenn aber auch demgemäß diese scheußliche Versperrung der Himmelsthür  überrannt zu werden. Er allein that nichts, während für die Neichen sich nicht durch Annahme einer Interpolation aus alle andren im überströmenden Frohgefühl der Thätig der Welt schaffen läßt, so verzweifelte man darum doch nicht daran, keit sich regten und beeilten.. Er hatte hatte sich nicht die den Reichen in dem Gleichnis angekündigten Schwierigkeiten im acclimatisieren können, seine Vernunft hatte sich unter Jenseits, wenn nicht ganz zu beheben, so doch möglichst zu mildern. der Einwirkung all des Neuen un ihn herum ge- Zunächst versuchte man es mit einer niedlichen Konjektur zur Vers trübt, und da er allein inmitten dieses Volkes von Arbeitern besserung des Textes: ein ganz famoses Manöver, das sich auf müßig war, wurde er von dem Wahn erfaßt, daß er der keinen geringeren ersten Urheber zurückführt, als den heiligen Gebieter, der König sei, auf dessen Geheiß alle diese Sklaven Origenes   in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts. Dieser Kirchen­vater nahm es für seine eigene Person mit der Beobachtung von arbeiteten und unermeßliche Reichtümer zu Tage förderten, Christi Geboten sehr genan, inden er nicht nur, von den Freuden üder die er nach seinem Gefallen, für seinen persönlichen und Zerstreuungen der Welt zurückgezogen, in freiwilliger. Armut und Genuß verfügte. Die alte Gesellschaft war zusammengestürzt, Abgeschiedenheit lebte, sondern sogar auf Grund jenes Ausspruches. aber der Begriff von der Herrschaft des Kapitals war in Christi  , wo er denen, die es zu fassen vermöchten, die Selbst­feinem Geiste aufrecht geblieben, und er war in seinem fastrierung empfiehlt( Matth  . XIX. 12.), sich entmannt hatte. Aber Größenwahn der übermächtige, der Gott   Kapitalist, dem alle das Christentum hatte damals schon reiche und mächtige Gönner, Kapitalien der Erde gehörten und der alle Menschen zu feinen denen man die Hölle nicht zu heiß machen wollte. Origenes   selber war, als die Mutter des Kaisers Alexander Ceverus, die Sklaven, zu unterwürfigen Handlangern feines persönlichen tuge Mammäa, sich auf der Durchreise einige Zeit in Antiochia   auf­Wohlgemusses gemacht hatte. 6: 2 hielt, an den Hof gezogen worden, um der mächtigen Dame über Lucas traf Boisgelin auf der Schwelle der Hausthür, das Christentum Vorträge zu halten, aus denen fie zwar nicht als mit der peinlichen. Sorgfalt gekleidet, die er auch jetzt noch Bekehrte, wohl aber mit einer gewiffen, theoretischen Wertschäßung auf seine Person verwendete. Siebzig Jahre alt, war er noch des neuen Glaubens hervorging. Origines aber lernte in der höfifchen

"

Hat er Anfälle heftiger Erregung? fragte Lucas. " Rein," antwortete Suzanne. Er ist nur sehr still und schen, und ich bin nur deshalb so besorgt, weil sein Wahn ihn wieder erfaßt hat."