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standen haben mag, jedenfalls hat sie ihn nicht vermocht, aus der zuletzt den Hunger und die Sorge nicht mehr ertragen, und leider refignierten Stimmung seiner Jünglingsjahre herauszutreten. Im macht er dann keine schriftlichen Eingaben an die Behörden, sondern Gegenteil, anstatt wie so viele andre Schriftsteller die Ideale der er schlägt mit der Faust an die Thür der Leute, welche noch etwas bormärzlichen Zeit nun herrlich erfüllt zu sehen und begeistert hinter zu essen haben. Letzteres geschah denn auch dieses Mal an dieser Bismards Triumphwagen herzulaufen, zog Raabe   sich mehr und Stelle. Das Murren des Arbeitervoltes wurde zur Meuterei; man mehr in sein Inneres zurück. Da trug er die ewigen Ideale des demolierte ein wenig und warf sehr viele Fenster ein, man sprach Wahren, Guten und Schönen unzerstörbar, aber ohne Hoffnung, sie davon, daß es müßlich sein würde, verschiedene Leute lebendig zu im Leben der Menschheit verwirklicht zu sehen; die Abneigung gegen braten. Aus der nächsten Garnisonstadt rüdte natürlich eine Infanterie­das erbärmliche, engherzige Pfahlbürgertum äußert sich immer une compagnie heran, um die Ruhe wiederherzustellen. Es kam zu einem verhohlener. Es ging ihm wie seinem Kandidaten Hans Uluwvirrsch Busammenstoß; drei der unglücklichen Fabrikler wurden erschossen, im Hungerpastor"( 1864): Er gehörte min einmal zu mehrere erhielten Schuß- und Stichwunden. Die arme Eleonore jenen glücklich unglücklichen Naturen, die jeden Widerspruch, lag tagelang in den bösesten Krämpfen; aber die Prinzipalin schnob der ihnen entgegentritt, auflösen müssen, die nichts mit Wut, wie jene sanfte Agnes, welche nach Ermordung des Kaisers einem Apage beiseite schieben können. Er hatte eben jenen Albrecht 1. das Kloster Königsfelden   baute, nachdem ihr das Hunger nach dem Maß und Gleichmaß aller Dinge, den so wenige Blut der Unschuldigen bis an die Waden gestiegen war. Auch Menschen begreifen, und welcher so schwer zu befriedigen ist, und der Prinzipal war sehr erbost, und mit ihm geriet Hans vollständig nur durch den Tod befriedigt wird." Er ist ohne Hoff- jetzt auf eine Art aneinander, welche die Lösung des Kontraktes, mung, sein Streben nach Harmonie, seinen Hunger nach dem Jdealen die Kündigung desselben auf Ostern zur Folge hatte. Es war aber auf dieser Welt des Alltäglichen gesättigt zu sehen, und er fühlt sich wie Hans Unwirrsch täglich jenem Staar ähnlicher, welcher in Yords sentimentaler Reise an den Stäben seines Käfigs rüttelt und jammert: " Ich kann nicht heraus! ich kann nicht heraus!"" So abgestoßen wird sein faustisches Sehnen von der eintönigen Langweiligkeit der ideallosen Philisterwelt um ihn, daß sein zweiter großer Roman Abu Telfan  "( 1867) darauf abzielt, die Gefangenschaft bei den bösartigen Regern von Abu Telfan   im Lande Tumurkie am Fuße des Mond­gebirges sei bei weitem vorzuziehen dem Leben in der wohl­geordneten Residenz eines deutschen Kleinstaates.

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auch dem Prinzipal nicht zu verdenken, daß er mit einem Menschen, der in Betracht solcher Vorkommnisse solche zugleich abgeschmackte und schändliche Ansichten offenbarte, nicht länger unter einem Dache leben wollte. Aber es war schon recht, was fonnte man von solch einem Hungerleider von Hauslehrer anders erwarten, als daß er die Partei der Hungerleider nehme? Wie fonnte" Das" eine eigne Meinung haben, selbst wenn es darum gefragt wurde?" Raabe   hat nie mit dem Socialismnis kokettiert, wie uns ein eifriger Verehrer seiner Muse zum Ueberflüß versichert. Wir lassen ihn uns auch so gefallen, wie er ist. Auf ihn selber passen die Berse, die er seinem Hungerpastor in den Mund legt: Auf alle Höhen

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Da wollt ich steigen, Zu allen Tiefen Mich niederneigen. Das Nah' und Ferne Wollt' ich erkünden, Geheimste Wunder Wollt' ich ergründen. Gewaltig Sehnen, Unendlich Schweifen, Im ew'gen Streben Ein Nieergreifen

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Das war mein Leben."

Wir wünschen ihm zu seinem siebzigsten Geburtstage, daß sein Leben noch lang genug währen möge, um ihn erkennen zu lassen, daß auch im Dasein der Völker ideales Streben sein Ziel erreichen kann. A. Demmer.

Unsere Litteratur ist arm an bedeutenden Humoristen, Auch Raabe   fann man nicht, ohne in Uebertreibung zu fallen, den größten Humoristen der Weltlitteratur. Männern wie Cervantes  , Stabelais, Dickens  , an die Seite sezen. Aber er ist zweifellos einer der größten Meister des Komischen in der deutschen Litteratur, der größte neben Fritz Reuter  , vor dem cr vorans hat die Künstle rische Geschlossenheit seiner Werke. Aber derselbe Raabe   hat in that the seinem Abu Telfan  " als Motto gegeben den Ausspruch des Propheten Muhammed  : Wenn Ihr wüßtet, was ich weiß, würdet Ihr viel weinen und wenig lachen." Und in der That weint aus den Werken Raabes troy alles fomischen Beiwerks die Menschheit so bitterlich, daß sein vertrauter Freund Jensen so weit geht, seine Bücher als epische Gestaltungen der Reflexionen Schopenhauers" zu bezeichnen. Dieser Vergleich mit Schopenhauer hinkt nun aber ganz gewaltig. Der Schopenhauersche Pessimismus verwirft alles irdische Streben, sieht die einzige Möglichkeit der Erlösung vom Uebel und Leiden in der Verneinung des Willens zum Leben. Raabe   dagegen steht zu dem Goetheschen Wahlspruch: Wer immer strebend sich be­müht, den können wir erlöfen". Arbeit und Liebe ist Raabe   die Barole, aus der nach ihm menschliches Glück allein ent­springt. Und er steht doch auch der geschichtlichen Ent­widlung nicht ganz so teilnahme und hoffnungslos gegenüber, wie der griesgrämige Philosoph; wenigstens heißt es in der Chronik der Sperlingsgasse":" Berkehrt auf dem grauen Esel Zeit" fizzend, reitet die Menschheit ihrem Ziele zu. Horch, wie luftig die Schellen und Glöckchen am Sattelschmuck flingen, den Kronen, Liaren, phrygische Mützen Männer- und Weiberkappen bilden. Welchem Biel   schleicht das grane Tier entgegen? Jst's das wiedergewonnene Paradies; ist's das Schaffot? Die Reiterin kennt es nicht; sie will es nicht kennen! Den Kopf dem zurückgelegten Wege, der dunkeln Vergangenheit zugewandt, lauscht sie den Glödchen, mag das Tier über blumige Friedensauen wandern oder durch das Blut der Schlachtfelder waten fie lauscht und träumt! Ja, sie träumt. Ein Traum ist das Leben der Menschlichkeit, ein Traum ist das Leben des Individuums. Wie und wo wird das Erwachen sein?"

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Der Der

Kleines Feuilleton.

Der Dicke und der Dinne.( Nachdruck verboten.) 8ivei Freunde, der eine did, der andre dünn, trafen sich auf dem Bahnhof der Nikolaibahn.

Der Dide hatte soeben im Bahnhofsrestaurant zu Mittag ge­geffen, und seine fettigen Lippen glänzten noch wie zwei reife Kirschen. Er roch nach Sherry   und Fleur d'Orange.

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Der Dime, foeben aus dem Coupé gestiegen, war mit Koffern, Bündeln und Schachteln beladen. Er roch nach Schinken und Kaffee Sinter seinem Rücken wurde ein mageres Frauenzimmer mit spißem Kinn seine Frau und ein langaufgeschoffener Gymnafiaft mit zugefniffenen Augen sein Sohn sichtbar. " Porphiri!" rief der Dide, als er den Dünnen gewahr wurde. Bist Du's? Lieber Freund, wie lange haben wir uns nicht gea sehen!"

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Liebster!" wunderte sich der Dinne. Mischa! Freund meiner Jugend! Wo kommiſt Du her?"

Die Freunde füßten sich dreimal und blickten einander mit Thränen in den Augen an. Beide waren angenehm überrascht.

Lieber Freund!" begann der Dünne nach dem Küssen. Das habe ich nicht erwartet! Solch' eine Ueberraschung! Nu sich mich bloß mal ordentlich au! Immer noch solch ein schöner Kerl wie früher! Eben solch ein Herzbrecher und Stußer! Ach du großer Gott!... Nu, wie geht es Dir? Neich? Werheiratet? Ich bin schon verheiratet, wie Du siehst.... Das hier ist meine Frau Luisa geborene Wanzenbach Lutheranerin. Sohn Nafanail, Tertianer. Das, Nafanja, ist mein Jugendfreund! Wir waren zusammen im Gymnasium."

Und dies mein

Noch eins trennt Wilhelm Raabe   von Schopenhauer  . Philosoph verachtet die Bielen  ", die Massen der Völker. Romanschriftsteller dagegen liebt und schäßt sie. ,, Aus der Tiefe steigen die Befreier" der Menschheit; und wie die Quellen aus der Tiefe kommen, das Land fruchtbar zu machen, so wird der Acker der Menschheit ewig aus der Tiefe erfrischt." und anderswo:" Ein großes Stück Phantasie steckt im Volf und in der Philosophie, und Damit bewegen beide alles, was sie erfassen. Zu den höchsten Höhen des Reiches des Geistes vermag die ungeschulte Phantasie des Volkes sich zu erheben; wieder zu den Kindern und Einfältigen kann die echte Philo­sophie herabsteigen. Beide vor denselben unlösbaren Fragen- Immanuel Stant, der Königsberger Profeffor, wie Jakob Böhnie, der Görlitzer Schuster." Den Mühseligen und Beladenen hat sich Raabes Auge mit großer Vorliebe und Sympathie zugewandt, Scenen aus ihrem Leben malt er meisterhaft mit der scharfen Beobachtungsgabe, die ihm eigen ist. Es sind meistens fleine Handwerker, deren Leben er Nafanail dachte ein wenig nach und nahm die Müze ab. schildert; denn in dem Deutschland   vor vier, fünf Jahrzehnten, von Wir waren zusammen im Gymnasium!" fuhr der Dünne fort. dem er spricht, war das Industrieproletariat noch nicht in Massen vor- Erinnerst Dich noch, was Du für einen Spitznamen hattest? handen, wie heute. Aber wenigstens an einer Stelle im Hunger- Herostrat nannten wir Dich, weil Du mal mit der Cigarette ein pastor" tommt er auf die Verhältnisse der entstehenden Großindustrie Loch ins Klaffenbuch gebrannt haft. Und ich hieß Ephialtes, weil zu sprechen: wo Hans Univirrsch bei dem Fabrikanten von Kohlenau ich zu pezzen liebte. Hohoho!.. Was wir für Kinder waren! im Magdeburgischen als Hauslehrer weilt: Fürchte Dich nicht, Nafanja! Komm doch näher. Und das ist meine Frau, geborene Wanzenbach... Lutheranerin. Nafanail dachte ein wenig nach und versteckte sich hinter dem Rücken des Vaters.

Es brach in der Gegend gegen Mitte des Herbstes eine böse Krankheit aus, welche viel Aehnlichkeit mit dem Hungertyphus hatte. Sehr viele Leute starben daran, sehr viele trugen ein lebens­längliches Siechtum davon, und sehr, sehr viele der Ueberlebenden befanden sich, wenn die Leichen aus den Häusern geschafft waren, in der drückendsten Not und Armut. Auch der ärmste Mensch kann

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Nu wie geht's Dir denn jetzt, Freund?" fragte der Dicke, den anderen entzückt anblickend." Bist Du wo angestellt? Hast es weit gebracht?"