Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 215.

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Creln.

Roman von Bret Harte  .

Sonntag, den 3. November.

( Nachdruck verboten.)

Cressy hatte die Hände hinter sich auf einen Tisch gestützt und lehnte sich dagegen, während sie die Spike ihres zier­lichen Stiefels betrachtete, der unter dem Saum ihres Kleides einen kleinen Halbkreis beschrieb. Ihre halb trogige, halb nachlässige Stellung ließ die vollen Linien ihrer Büste mehr hervortreten. Der Lehrer bemerkte das und wurde noch etwas strenger.

fühl.

" Dann soll das also für permanent sein?" fragte er

,, Was ist das?" forschte Cressy.

"

Dann wollen Sie also regelmäßig zur Schule kommen?" wiederholte der Lehrer kurz, oder ist das nur für ein paar Tage bis-"

Ach," sagte Cressy voll Verständnis und richtete die blauen Augen voll auf ihn, Sie meinen da s. Ach, das ist vorbei. Ja," fügte sie verächtlich hinzu und beschrieb einen größeren Halbkreis mit ihrem Fuß, das ist alle seit drei Wochen."

-

Und Seth Davis kommt der auch wieder?" " Der!" Sie ließ ein leichtes Lachen hören. Ich denk nicht. Wenigstens nicht, so lange ich hier bin." Sie hatte auf dem Tisch eine sigende Stellung eingenommen und ließ ihre kleinen Füße herunterbaumeln. Plötzlich klappte sie mit den Hacken zusammen und sprang auf." Ist das alles?" fragte sie. " Ja."

Stann ich nun gehen?" " Ja."

Sie legte ihre Bücher zusammen, zauderte aber noch einen Moment.

"

Es ist Ihnen doch gut gegangen?" fragte sie mit flüch­tiger Höflichkeit. Danke

-

ja."

..Sie sehen recht wohl aus."

In wiegendem Gange, wie er den Mädchen des Südens eigen, schritt sie zur Thür und öffnete sie, dann stürzte sie plöglich auf Octavia Dean zu, drehte sie ein paarmal im Streise und rafte mit ihr davon; einen Moment später er­schien sie Arm in Arm mit jener auf dem Spielplak, ohne die kleineren Kinder der Beachtung zu würdigen.

Als am Nachmittag die Schule geschlossen war und der Lehrer zurückblieb, um mit Rupert Filgen die Aufgaben für Onkel Ben durchzugehen, forschte der reizbare Adonis  :

Kommt Cressy Me Kinstry nun alle Tage, Herr Ford?" " Ja, entgegnete der Lehrer trocken. Nach einer Pause fetzte er hinzu: Warum fragst Du?"

Ruperts Locken hingen mißvergnügt auf die Stirn herab. " Nun, es ist just nicht angenehm, sie wieder zu sehen, gerade wenn man denkt, man ist sie los mitsamt ihrem Schaz, und ausstaffiert, wie wenn sie eben von der Schneiderin fäm'." Du solltest mit Deinem persönlichen Wißfallen zurück halten, Rupert, und nicht so von einer Mitschülerin reden, die überdies eine junge Dame ist," wies ihn der Lehrer zurecht.

" Der Wald ist voll von solchen Mitschülerinnen und solchen jungen Damen, wenn einer sie jagen will," meinte Rupert bedeutungsvoll. Hätt' ich gewußt, daß sie wieder­tommt, ich hätt er hielt inne und ballte die sonn­berbrannte Faust, ich hätt'-"

"

Was?" fragte der Lehrer scharf. " Ich hätt' die Schul geschwänzt, bis ihr die Schul' lang weilig geworden wär'. Es hätt' nicht lang' gedauert," fügte er mit unterdrücktem Kirchern hinzu.

Schon gut," schnitt der Lehrer ihm die Rede ab. Für jeit sollst Du Deine Pflicht thun und Onkel Ben zeigen, daß Du mehr bist als ein dummer Schuljunge, sonft," fügte er bedeutungsvoll hinzu, könnte ihm und mir unser Abkommen leid werden. Sorge dafür, daß ihr beide etwas vor Euch ge­bracht habe, wenn ich zurückkomme."

Er nahm seinen Hut von dem Nagel und verließ, einem plötzlichen Entschluß folgend, die Schulstube, um sich zu

1901

Cressys Eltern zu begeben. Er wußte noch nicht genau, was er sagen würde, allein seiner Gewohnheit gemäß verließ er sich darauf, daß ihm der Moment schon das Richtige eingeben werde. Im schlimmsten Falle konnte er eine Stelle aufgeben, welche, wie es schien, mehr Takt und Zartgefühl erforderte, als er damit vereinbar hielt, und er mußte fich gestehen, daß feine augenblickliche Beschäftigung- eine zeitweilige Aushilfe für einen armen, aber wohlgebildeten jungen Mann von zwanzig Jahren ihn dem Ziel seiner täglichen Träume kaum näher bringen werde. Denn Herr Hans Ford war ein junger Pilger, der sein Glück in Kalifornien   gesucht hatte und der so ungenügend ausgerüstet war, daß er nicht einmal Ver­wandte und gute Freunde besaß. Das erstrebte Glück war ihm bereits in San Francisco   aus dem Wege gegangen, hatte allem Anschein nach in Sacramento   seiner nicht geharrt und schien nun in Indianerbrunn gar nicht vorhanden. Trotz alledem zündete er sich eine Cigarre an, als er das Schulhaus aus den Augen verloren hatte, steckte die Hände in die Taschen und schlenderte mit der Sorglosigkeit der Jugend dahin, der nichts unmöglich ist.

Die Kinder waren bereits ebenso schnell und geheimnis­voll wieder verschwunden, wie sie gekommen. Zwischen ihm und dem zerstreut liegenden Dorfe Indianerbrunn erschien die Landschaft stumm und bewegungslos. Die bewaldete An­höhe, auf welcher das Schulhaus stand, senkte sich eine halbe Meile weiter nach dem Flusse hinab, an dessen Ufern der Ort, von hier gesehen, wie unregelmäßig hingestreut oder in der Eile zusammengeworfen, wie von einer Sturmflut dort abgesetzt erschien das Kosmopolitan- Hotel war gegen die Baptistenkirche getrieben und hatte zwei Kneipen und eine Schmiede mit sich gerissen, während das Gerichtsgebäude in einsamer Pracht auf einer eine halbe Meile entfernten wüsten Stelle gestrand et war. Der dazwischen liegende Raum er schien noch durchwühlt von den Werkzeugen früherer Gold­gräber.

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Herr Ford empfand keine besondere Sympathie für diese traurigen Zeugen vergeblicher Bemühungen das Glück, das er suchte, schien nicht in der Richtung zu liegen und sein Auge wandte sich schnell darüber hinweg zu den wal­digen Bergen jenseits des Flusses, die so nah und doch so ehrwürdig erschienen, oder wieder zurück auf den Pfad, den er längs des Hügels verfolgte. Hier war der halbwilde Charakter noch unverkennbar trotz der einzelnen vor dem Ort liegenden Wohnhäuser und der paar ferneren Farmen oder Ranchos. Das Land um die Häuser war noch mit Unterholz bedeckt; Bär und Bergtake streiften noch bis zu den rohen Zäunen der Ranchos; die letzte Geschichte des kleinen Snyder war keineswegs unwahrscheinlich oder beispiellos.

Eine leichte Brise strich über den heißen Boden und ver setzte die Blätter des Waldes rundherum in lebhafte Be­wegung. Derflimmernde Sonnenschein und der zitternde Schatten des bewegten Laubes spannen ein phantastisches Netz um den Dahinwandelnden. Der scharfe Duft der Waldkräuter, die seinen Schülern bekannt waren und die gewissenhaft in ihren Schulbänken aufbewahrt oder als Weihegabe an der Schwelle des Schulhauses niedergelegt wurden, erinnerte ihn an die urwüchsige Einfachheit und die köstliche Wildheit des kleinen Tempels, welchen er soeben verlassen hatte. Selbst der pfiffige Blick flüchtiger Eichhörnchen und das feuchte Auge zu­traulicher Kaninchen ließen ihn seiner kleinen Tagediebe ge­denken. Die Wälder atmeten die Freiheit, die er hier stets getannt hatte hier in dem köstlichen, schlichten Zufluchtsort, dessen Ruhe nun eine so lächerliche Störung erlitt.

Ein Wechsel des Gefühls, wie er seinem Charakter eigen war, ließ ihn auf einmal zögern; warum sollte er sich über­haupt dieses Mädchens wegen plagen? Warum nicht die Sache ruhig hinnehmen, wie sein Vorgänger es gethan? War es notwendig, sie unverträglich zu finden mit seinen Ansichten von der Pflicht gegen seine kleine Herde und seiner Mission ihnen gegenüber? Konnte seine Auffassung von Wohl­anständigkeit nicht mißverstanden werden? Für die Ab­geschmacktheit ihres Schulkostüms, traf die Verantwortung nicht ihn, sondern ihre Eltern. Welches Recht hatte er, ihnen deshalb Vorhaltungen zu machen, und vor allem, wie sollte er das thun?