Mnterhaltungsblatt Nr. 220. Sonntag, den 10. November. 1901 (Nachdruck verboten.) ß] artjctfu. Roman von Stet Harte. Zu Zeiten ließ dem Lehrer die absolute Frucht- losigkeit von Onkel Bens Bemühungen das wirklich schwere Amt Ruperts in dem rechten Lichte er- scheinen. That er das in Wahrheit aus reinem Wissens- durst? Das ließ sich nicht vereinbaren mit allem, was Jndianerbrunn von seinem bisherigen Leben und Thun  wußte; er war ein einfacher Goldgräber ohne Wissenschaft- liche oder technische Kenntnisse: seine oberflächliche Bekannt- schaft mit dem Rechnen und die Krähenfüße, welche seinen Namenszug vorstellen sollten, waren für seinen Bedarf mehr als ausreichend. Mit diesen letzteren Handzeichen schien er sich übrigens ganz besondere Mühe zu geben. Eines Nach- mittags glaubte der Lehrer bei der anscheinenden Frucht- losigkeit seiner Bemühungen verbessernd eingreifen zu müssen. Wenn Sie sich Mühe geben wollten, Ihre Buchstaben mehr nach der Vorschrift zu machen, wäre es besser. Ihr Naincnszug ist gut genug so, wie er ist." Aber er sieht nicht richtig aus, Herr Ford," entgegnete Onkel Ben und betrachtete mißtrauisch seine Arbeit; es fehlt 'was dran." Nicht doch. Da steht ja D A B N E I nicht besonders deutlich zwar, aber es sind doch alle Buchstaben da." Das ist's ja eben, Herr Ford, es sind nicht alle da. Ich schreib' immer D A B N E A. um Zeit und Tint' zu sparen, aber es sollt' heißen D A U B I G N I," buchstabierte Onkel Ben mit sorgfältiger Deutlichkeit. Aber das schreibt man d'Aubigny I" Ganz recht." Und das ist Ihr Name?" Ich denk', ja." Voll Zweifel betrachtete der Lehrer Onkel Ben. War das eine fixe Idee von ihm?War Ihr Vater Franzose?" fragte er schließlich. Onkel Ben brauchte Zeit, um sich auf die Nationalität seines Vaters zu besinnen.Nein." Oder Ihr Großvater?" Ich denk', nein. Wenigstens weiß ich nichts davon." War Ihr Vater oder Großvater Boyageur') oder Trapper oder Kanadier  ?" Sie waren aus Pike Counft in Missouri  ." Immer noch zweifelnd schaute der Lehrer auf Onkel Ben. Aber Sie nennen sich Dabney; was veranlaßt Sie zu der Annahme, daß Sie eigentlich d'Aubigich heißen?" So ist der Name immer in den Briefen von der Ve- Hörde an mich geschrieben. Halt'mal. Ich kann's Ihnen zeigen." Eifrig befühlte er seine Taschen; schließlich brachte er eine alte Börse zum Vorschein, entnahm derselben ein zer- knittcrtes Briefcouvert, strich es sorgfältig glatt und verglich es mit seinen Schriftzügen. Sehen Sie da. Es ist richtig d'Aubigny  ." Der Lehrer war unschlüssig. Schließlich war es keines- ivegs unmöglich. Er entsann sich mehrfacher Fälle von solchen Namensänderungen unter den kalifornischen Einwanderern. Doch konnte er nicht umhin, zu sagen:Dann dachten Sie wohl, d'Aubigny   wäre besser als Dabney?" Halten S i e ihn für besser?" Frauen würden es wohl thun. Ihre Frau würde gewiß lieber Frau d'Aubigny   als Dabney heißen." Die Anspielung traf; Onkel Ben errötete plötzlich bis hinter die Ohren. Daran dacht' ich nicht." meinte er hastig.Ich hatte 'ne andre Idee. Ich meinte, wenn man sich was kauft und mit Geld herunihautiert, ist es besser, wenn man seinen Namen auf dem Schild stehen hat, wenn er sich gut ausnimmt, nicht? Wenn ich'mal Land oder Grubenaktien kaufe, ja dann müßt's doch von Rechts wegen auf den Namen dÄubiguy geschehen." Mit einer gewissen verächtlichen Ungeduld hörte Herr Ford zu. Es war schlimm genug für Onkel Ben, daß er Bedeutet hier: kanadischer Bootsmann. über seinen ersten Unterricht erfundene Geschichten erzählt hatte, aber daß er nun um einer kindischen Eitelkeit willen sich als den Besitzer eines Vermögens ausgab, war ebenso kläglich wie abgeschmackt. Es war kein Zweifel, daß er be- züglich seiner Schulkenntnisse gelogen hatte; kaum an- zunehmen war, daß er wirklich d'Aubigny hieß, und aus alledem folgte selbst abgesehen davon, daß er als arm bekannt war daß er abermals lüge. Wie die meisten logischen Denker vergaß Herr Ford, daß der Mensch auch unlogisch und folgewidrig handeln kann, ohne unaufrichtig zu sein. Wortlos wandte er sich ab, als wolle er nichts mehr davon hören. In den nächsten Tagen," fuhr Onkel Ben hartnäckig fort, werd' ich Ihnen was erzählen." Lassen Sie das jetzt und arbeiten Sie," sagte der Lehrer scharf. Na ja," murinelte Onkel Ben und wurde wieder rot. Er ergriff von neuem die Feder und nahm seine alte Stellung ein. Doch schon nach wenigen Augenblicken wurde es offenbar, daß des Lehrers kurze Zurechtweisung oder seine eignen Gedanken ihni keine Ruhe ließen. Geräuschvoll reinigte er seine Feder, wobei er. um besser sehen zu können, ans Fenster ging und pfiff mit unterdrückter Fröhlichkeit vor sich hin. Dann ließ er sogar leises Singen hören, wobei er gelegentlich nach dem Lehrer blickte, welcher an seinem Pulte saß und ihn gänzlich unbeachtet ließ. Nun erhob er sich, nahm vorsichtig seine Bücher zusammen, stapelte sie neben Herrn Fords unbeweg- lichem Ellenbogen auf einander und verfügte sich mit vor- sichtigen Schritten zu dem Nagel, an welchem sein Hut und Rock hingen. Als er im Begriff war, sie anzulegen, fiel es ihm plötzlich ein, daß das in der Schule unschicklich sei. und so nahm er sie denn auf dem Arm mit hinaus. Mit den Worten:Ich habe rein vergessen, daß ich noch jemand sprechen wollte. Na, denn auf morgen!" schritt er leise pfeifend ins Freie. Tiefe Waldesstille lag über der Schule. Sie schien einsam und leer. Etwas wie Gewissensbiffe machten sich bei dem Lehrer geltend. Allein er entsann sich, daß Onkel Ben ohne Widerrede und wie einen Scherz viel schärfere Zurecht- Weisungen von Rupert Filgen hingenommen hatte, und daß er selbst aus einem Gefühl der Pflicht gegen den Mann ge- handelt habe. Doch das Bewußtsein der Pflicht, einem Menschen Uebles ztifiigen zu müssen, der sich selbst etwas auf- gebürdet hat, bringt nicht immer Befriedigung. Herr Ford fühlte sich unbehaglich und zürnte der unschuldigen Ursache dieser Stimmung. Warum sollte sich Onkel Ben gekränkt fühlen, weil er es einfach ablehnte, seinen ungeschickten Aufschneidereien Gehör zu schenken? Das kam davon, daß er es einmal gethan hatte I In Zukunft sollte ihm daS eine Lehre fein. Dennoch stand er auf uud trat in die Thür. Die Gestalt Onkel Bens war zwischen den Blättern nur noch undeutlich zu erkennen. die Bewegung der Schultern aber zeigte, daß er immer noch vorsichttg einherschntt, als sei der Boden unsicher und gefährlich. Während die Stille noch anhielt, begann der Lehrer mechanisch Tische und Bänke zu überschauen, um vergessene oder zerstreute Sachen aufzuheben und die Bücher der Kinder zurechtzulegen. Ein paar Blumen, welche die verliebte Oktavia Dean gepflückt, zierlich mit einem schwarzen Faden umwunden und wie gewöhnlich in Ruperts Tintenfaß gesteckt hatte, lagen noch am Boden, wohin sie der hochmütige Adonis   mit der immer gleichen Regelmäßigkeit geschleudert hatte. Indem er eine auf dem Boden liegende Tafel aufhob, bemerkte er auf deren Rückseite eine Zeichnung. Sofort erkannte Herr Ford in ihr das Werk des jungen Karikaturzeichners Hans Filgen. Breit in der Behandlung, klar in der Absicht und frei im Detail stellte sie Onkel Ben dar. wie er, auf dem Boden liegend, ein Buch in der Hand hielt und sich von Rupert Fügen tyrannisieren ließ, während Cressy Mc Kinstry, mit einem Doppelgesicht dargestellt, dem zuschaute. Mit kühnem Realismus hatte er jedem seinen Namen auf die Beine ge- schrieben die wohl in dieser Absicht etwas ver- größert erschienen so daß an der Identität nicht zu zweifeln war. Ebenso kühn, aber nicht minder effektvoll tvar die Unterhaltung zwischen zwei Personen zur Dar- stelluug gebracht, indem jeder ein Ballon an den Mund ge-