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Charaktere. Es ist, als ob in ihnen nichts als Liebesleidenschaft, verzehre. Diese Beichte legt er vor Alessandro ab, nicht ahnend, daß als Kunst- und Naturempfinden existierte. Jeder andre Jubalt, der dieser selbst in Liebe zu Bianca Maria entbrannt ist. Erst aus nach der kämpfenden und arbeitenden Welt der Wirklichkeit hinüber einigen Worten, welche die blinde Gattin Alessandros an ihn deutet, iſt in ihnen ausgelöscht. Sie verschieben und verschwimmen in richtet, erfährt er davon. Je besudelter er sich selber erscheint, dem gleichmäßig glänzenden Lichtmeer, in das der Dichter sie hinein um 10 unerträglicher ist ihm der Gedanke, daß die taucht. Das Gefühl der Leere stellt sich im Fortgang der Erzählung Schwester ihre Reinheit je verlieren könne. Sie muß ihm schwören, immer stärker ein; um so mehr, da keine straffere Komposition, Alessandro zu entsagen. Der letzte Akt ist eine Totenklage. Leonardo ,. feine zielsicher fortschreitende Entwicklung die erlahmende Aufmerk- durch den Schwur noch nicht befriedigt, hat die Schwester in die famteit festhält. Wasser der Perseusquelle hinabgestoßen. Er und Alessandro knien vor dem Leichnam, und die Blinde, die in furchtbarer Ahnung heran­tastet, wird an dem Leichnam der geliebten Freundin plötzlich sehend. Mit einem Schrei bricht sie zusammen, und der Vorhang fällt. Nichts ist hier mit überzeugender Seelenkunft entwickelt, alles gewaltsam herbeigezerrt. Auch an jeder symbolistischen Vertiefung, die über die Mangelhaftig­keit der Psychologie vielleicht hätte hinweghelfen fönen, fehlt es. Was hat die Begierde und die Wahnsinnsthat des Leonardo mit der toten Stadt" oder mit der Opferthat, die die Blinde vollbringen wollte, zu thun? Wo find hier geheimnisvolle Zusammenhänge, denen. nachzufinnen, sich irgendwie verlohnen würde? Weit flattern die Fäden, die der Dichter zur Einheit hat verbinden wollen, auseinander. Die großen Worte verstärken nur noch den Eindruck peinlicher Zer­fahrenheit.

Aber wenn jene lyrische Stimmungskunst, über die d'Annunzio als fein Eigenstes verfügt, für den Noman, in dem sie fich doch völlig frei entfalten kann, nicht hinreicht, so natürlich noch um vieles weniger für das Drama. Man spürt den Hauch seiner Poesie hier nur wie aus der Ferne. Daß der Dichter nicht selber reden darf, daß er alle die feinen und zarten Eindrücke, die seine Phantasie uns mitteilen will, nur durch den Mund fremder Personen und den Bedingungen des Dialogs entsprechend äußern darf, ist eine lästige Fessel. Der an­geborene fühne Schwung der Sprache gerät so in fortwährenden Konflikt mit der gegebenen Situation und der ihr gemäßen, viel bescheideneren Ausdrucksweise des gewöhnlichen Lebens. Und doch, die lyrischen Töne, wie seltsam sie sich im Munde der sprechenden Personen manchmal ausnehmen, sind das Schönste in den Dramen, das was an den Dichter d'Annunzio erinnert. Mehr noch wie in der toten Stadt" trat das in der Gioconda", dem d'Annunzio - Drama, das die Truppe der Duse hier vor einem Jahre aufführte, hervor. Es gab da Schilderungen, die sich an Kraft der Anschauung mit den schönsten Stellen aus den Romanen messen fonnten. Aber um so übler sticht von diesem Feinen und Zarten dann die ganz äußerliche Gewaltsamkeit der Handlung" ab, der trasse Effett, zu welchem er, wo die tiefere Kunst der psychologischen Entwicklung ihm versagt ist, seine Zuflucht nimmt. Der armen Silvia in der Gioconda" werden im Streit mit einer Nebenbuhlerin durch eine fallende Statue die Hände abgequetscht, und Bianca Maria in der" Toten Stadt" wird zur Erhöhung der Tragit gar von einem halb verrückten Bruder in der Quelle des Perseus erfäuft.

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Vortrefflich war in der Aufführung Rosa Bertens , die die blinde, entsagende Gattin des jungen Alessandro gab. Keiner der stimmungsvollen Züge, mit denen der Dichter diesen weiblichen Charakter ausgestattet hat, ging hier verloren. Die Schauspielerin brachte die höchste Sensibilität der Nerven, wenn sie lauschte und tastete, mit eben solcher Sicherheit zum Ausdruck, wie das schöne ruhige Gleichmaß dieser gefaßten Seele. Etwas Feierliches und doch ein freundlich liebenswürdiger Schein war über die ganze Figur ges breitet. Den Alessandro spielte Herr Böttcher, die junge Bianta Maria Fräulein Sophie Wachner. Des Unglücksmenschen Leonardo hatte sich Mar Pohl vom Schauspielhause angenommen. Aber selbst seinem reichen können gelang es nicht, die für diese pathologische- eraltierte Person, die in dem Stüde selbst nur mit ganz verschwommenen Strichen gezeichnet ist, irgend ein stärkeres Interesse zu erwecken.- Conrad Schmidt .

Kleines Feuilleton.

Kleines

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Die Tote Stadt", das ist der Trümmerhaufen des goldreichen Mykene , in der durstigen Ebene von Argus. Dort, in einer ein­famen Villa wohnt Alessandro mit seinem wunderschönen, plötzlich erblindeten Weibe Anna und das Geschwisterpaar Bianca Maria und Leonardo. Alessandro ist ganz dieselbe schwankende und egoistische Mannesnatur, wie Lucio Settala in der Giocanda". Er weiß, mit Ivie unendlicher Hingabe sein Weib an hängt, daß sie nicht leben tann ohne ihn, und weiß auch, daß die wunderbare Feinfühligkeit der Blinden rc. jede Untreue rasch erraten wird. Aber seine Leidenschaft wirft alle die betrübende Thatsache, daß die Bekanntschaft selbst mit den fun Ein Specialist für das perpetuum mobile. Bedenken zu Boden. Widerstandslos ergiebt er sich dem Zauber damentalsten Naturgefeßen noch lange nicht Gemeingut ist, stellt der jugendfrisch erblühenden, seiner Frau aufs engste befreundeten einen schlagenden Beweis dar, daß es noch immer Leute giebt Maria Bianca. Wie Lucio die Giocanda, in deren herrlichem Körper und zwar nicht wenige, worunter manchmal anschlägige Köpfe er alle Träume feiner Phantasie verwirklicht findet, als Künstler die Fleiß, Zeit und Geld an die Sisyphusarbeit verschwenden, das braucht, wie er ein Versiegen seiner schöpferischen Kräfte fürchtet, wenn sogenannte Perpetuum mobile zu erfinden, d. h. einen mechanischen er nicht diese prangenden Formen immer wieder in Marmor nach Apparat, der ohne Kraftzufuhr von außen her im stande sein soll, bilden kann, so meint auch Alessandro eine Art von Künstlerrecht beständig in Gang zu bleiben und Kraftleistungen zu vollbringen. auf Marias Biancas Liebe zu haben. Nur in der Verbindung mit Erfreulich ist immerhin, daß die Ueberzeugung von der Unvereinbar ihr, in der er das Bild altgriechischer Anmut verehrt, werde er die feit dieser fixen Idee mit den unwandelbaren Naturgesehen heute un Schwingen seiner Dichtung frei entfalten können. endlich verbreiteter ist, als vor noch gar nicht so weit zurückliegender Beit. Ist es doch keine zwei Jahrhunderte her, daß Bar Peter I. im Namen des russischen Reiches allen Ernstes einen erflecklichen Preis aussette auf die Erfindung des perpetuum mobile( 1713). Bur selben Zeit war auch ein deutscher Landesvater ein eifriger Ans hänger dieser wissenschaftlichen Verirrung. Der Landgraf Karl von Heffen- Staffel( 1670-1730) wird in der Geschichte der Technologie gewöhnlich rühmlich erwähnt wegen der Protektion, die er dem großen Franzosen Denys Papin, dem Konstrukteur des ersten, von den un wissenden Weserschiffern zerstörten Dampfbootes, angedeihen ließ. Daß er aber wegen des einen Falls doch nur jenem sprichwörtlichen blinden Huhn zu vergleichen ist, das auch einmal ein Körnchen findet, daß dieser Potentat, der zu den unangenehmsten Vertretern des deutschen Sonnenfürstentums zählt und als der verschwenderische Erbauer von Wilhelmshöhe berüchtigt ist, auch als Mäcen nicht von lauterem, zielbewußtem Wissensdrang geleitet war, beweist am besten sein plumper Hereinfall auf einen raffinierten Gauner, der ihn mit dem perpetuum mobile beglückte.

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Nicht diese Liebe die Figur des Alessandro bleibt ganz im Unbedeutenden stecken wohl aber der Reflex derselben in der Seele der Blinden ist das menschlich Jnteressante in diesem Drama. Das Weib Alessandros ist, gleich der Silvia in der, Giaconda", eine stille, edle Dulderin, nur noch rührender und größer wie diese. Als ihre bangen Zweifel zur Gewißheit werden, da will sie aus dem Leben scheiden, aber ohne Groll gegen die Freundin und den geliebten Mann. Der Lod, der sie von aller Qual erlöfen wird, soll jene beiden, die fröhlichen, jungen und gesunden, von dem lebendigen Gespenste, das sich ihrem Bunde so lang entgegen stellte, befreien. In ihre schmerzlich entfagende Liebe mischt sich kein Tropfen eifersüchtigen Hasses. Eine weiche und zugleich erhabene Stimmung geht von ihr aus. Der erste Akt, der in vielerlei feinen Zügen sich um diese Haupt­gestalt herumgruppiert, erweckte eben darum bedeutende Er­wartungen.

Aber dann liefen von Aft zu Aft die Fäden immer verworrener durcheinander. Leonardo, der Bruder Biancas Marias, leitet die Ausgrabungen in der toten Stadt". Endlich ist das große Werk ge­Der Industrieritter, der den Landgrafen Karl als leicht zu lungen, ein Grabgewölbe bloßgelegt, wo mit goldenen Schmuck be- fällendes Opfer ausbaldowerte, Johann Ernst Elias Beßler oder mit deckt, mit Schilden und Schwertern vermoderte Griechenleichen seinem nachherigen Spizbubennamen Orffyré, war ein heller Sachse ruhen. Ein Fund von unschätzbarem Werte. Werte. Er glaubt aus der Gegend von Zittau ( geb. 1680). Nach buntbewegten Jugend­in den Gestalten die Helden der alten Sage wiederzu- schicksalen, aus denen der vollständige Besuch des Zittauer erkennen. In fiebernder Extase stürzt er zu den Freunden. Gymnasiums hervorzuheben ist, verlegte er sich auf das berufs und mit allem Pomp einer echt d'Annunzioschen Rede wird ihnen das Große verkündet. Die Arbeit in dem glühenden Sonnenbrand fcheint seine Straft gebrochen zu haben, seine Knie wanken, Gehirn und Augen schmerzen ihn. Schon denkt man, die tote Stadt" solle fich an dem Störer ihrer Ruhe rächen, und ihn von der Höhe seines Ruhmes ins Grab hinabziehen. Aber plötzlich schlägt der Wind Von der toten Stadt" ist nicht weiter die Rede, Leonardos Krankheit fließt aus einer andren Quelle.

um.

Wie aus der Pistole geschoffen kommt im zweiten Atte sein Ge­ständnis, daß er mit einer widerwärtigen Begierde, die der Anblick der eignen über alles verehrten Schwester in ihm weckt, Tag und Nacht zu ringen habe, und daß diefer innere Kampf seine Kräfte

mäßige Erfinden und suchte sich bald als besondere Specialität das vielgewünschte perpetuum mobile aus. Nachdem er durch eine Wunderkur zweifelhaften Charakters die Hand der vermögenden Jungfer Schumann in Annaberg ergattert hatte, konnte er sich ganz seiner Lieblingsidee widmen und brachte, zuerst im Jahre 1712, zu Gera ein perpetuum mobile zur Ausstellung, das 21/2 Leipziger Ellen im Durch messer hatte, 4 Zoll dick war und etliche Pfund heben konnte, bald aber auf 5 Ellen und 6 Zoll Dicke vergrößert wurde, in der Minute fünfzigmal umlief und 40 Pfund einige Klafter hoch hob. Hiermit nicht zufrieden, zerschlug er den Apparat und baute einen neuen von 6 Ellen Durchmesser, der am 31. Oktober 1715 in Merseburg von einer herzoglichen Sachverständigen- Kommission geprüft wurde. Die