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Mitte des 12. Jahrhunderts ließ fich also in Italien schon als be- sie bedurften. Von Wein floß der Gießbach, Beizen und Gerstens tannt voraussehen, was unter Cucania zu denken sei. brote tämpften miteinander vor dem Munde der Leute um die
Wie von den Franzosen zu uns, so ist von Italien nach Frank- Gunst, verspeist zu werden, die Fische kamen ins Haus, brieten sich reich das Märchen vom Schlaraffenlande hinübergewandert. Tas selbst und trugen sich selbst auf, ein Suppenstrom führte warme Wort Cucania ist zwar vor jenem Gedicht des italienischen Baganten Fleischstücke in seinen Wogen, und für den Liebhaber flossen in nicht nachzuweisen; was man sich aber darunter dentt, das war Kanälen daneben pikante Saucen, gebratene Vögel, und allerlei feines schon viel früher in Italien unter dem Volk bekannt. Aus den Backwerk flogen einem in den Mund oder drängten sich um das Kinn, Tagen des Klassischen Altertums hat sich hier der Stoff des Märchens und das Spielzeug der Kinder bestand aus den ausgesuchtesten ins Mittelalter hinübergerettet. Ein Sprung von einem ganzen Delikatessen." Nach dem Dichter Crates brauchte man ehemals nur Jahrtausend ist nötig, um die Brücke zwischen der Sage von Cucania zu rufen, so traten die belebt gedachten Geräte in Thätigkeit. Zum und den ihr zu Grunde liegenden antiken Vorstellungen zu schlagen. Tisch sagte man: Komm' und deck' Dich, zum Backtrog: Knete den Die jüngste erhaltene Behandlung des Stoffes im Altertum findet Teig, zum Krug: Schenk' ein, zum Becher: Geh' und wasche Dich. sich in den Wahren Geschichten" des griechischen Shrers Lucian Aus andren Komikern ließen sich noch mehr Züge zusammentragen. aus Samosata , der um die Mitte des 2. Jahrhunderts in Rom Das Mitgeteilte läßt aber schon alle wesentliche Charakteristika vom schrieb. Die Münchhaufiaden der Wahren Geschichten" tehren be- Schlaraffenlande deutlich genug hervortreten. fanntlich ihre Spike gegen allerlei männiglich geläufige Fabeleien, die von älteren Dichtern und Prosaikern als bare Münze in Umlauf gesetzt worden waren, und die Lucian nun lächerlich machte, indem er sie noch überbot. Das Märchen vom Schlaraffenlande nimmt bei ihm einen großen Raum ein. Er verlegt es nach der Insel der Seligen, weit draußen in den Atlantischen Ocean, jenseits der Säulen des Herkules.
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Nur einige Striche von dem ausführlichen Bilde des Lebens dort, das Lucian zeichnete, seien hier wiedergegeben. Die Häuser der Seligen jind von Gold, der Boden ihrer Stadt von Elfenbein, die Mauern von Smaragden. Die Thore bestehen aus dem Holz des Zimmetbaums, während in den Bädern mit Zimmet geheizt wird. Auf den Halmen wachsen nicht Aehren, sondern fertige Brote. An Milch- und Weinquellen ist kein Mangel. Von den Bäumen pflüdt man Trinkgefäße aus krystallhellem Glafe...
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Was nun das wichtigste ist, mit all jenen schönen Dingen beabsichtigten die Komiter des 5. Jahrhunderts in humoristisch übertreibender Weise die Herrlichkeit des goldenen Zeitalters auszumalen. Es handelt sich bei ihnen um jene borgeschichtliche Zeit, als Kronos oder mit dem römischen Ausdruck Saturn die Menschen beherrschte. Diefe glückliche Epoche wird auch bei Prosaikern vielfach mit Vorzügen ausgestattet, die zu dem Schlaraffenmärchen gehören. So schreibt Plato über das goldene Zeitalter: Sie bekamen massenhafte Früchte von den Bäumen und Gewächsen aller Art; nicht der Aderbau brachte sie hervor, sondern die Erde gab sie von selber." Oder, wenn Lucian den Kronos rühmen läßt, wie glücklich einst die Menschen unter seinem Scepter gelebt hätten, als ihnen alles wuchs, ohne daß fie säten oder pflügten, nicht Aehren, sondern fertiges Brot und zubereitetes Fleisch, und der Wein floß in Strömen, und es gab Quellen von Honig und Milch." Wie die Eigentumsverhältnisse des goldenen Zeitalters beschaffen waren, darüber geben zahlreiche Stellen bei Tichtern und Prosaikern mit allgemeiner Uebereinstimmung Auskunft. Bei Virgil liest man
Nie vor Jupiter bauten das Fruchtfeld adernde Pflüger; Weder Mal noch Teilung durchschnitt die gemeinsamen Fluren: Alle fuchten für alle; ja, selbst die Erde, da niemand Forderte, trug unsflavisch und gern. Doch Jupiters Ratschluß Gab ihr tötendes Gift der schwarz aufschwellenden Natter. Sandte die hungrigen Wölfe zum Raub und regte das Meer auf, Schüttelt' den Honig den Bäumen herab und entrückte das Feuer, Hieß auch stocken den Wein, der in schlängelnden Bächen umberfloß."
Lucian verspottete mit seiner Insel der Seligen allgemein befannte, aus Griechenland nach Italien importierte Sagen von einem fernen Wunderlande, wo an allen Ueberfluß herrschte, Arbeit, Krankheit, Streit nicht eristierten. Im späteren Altertum dachte man es sich gewöhnlich in Indien gelegen. So weiß z. B. gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. der Rhetor Dio Chrysostomus von Indien zu berichten:" Dort fließen bekanntlich die Ströme nicht von Wasser, sondern von Milch, krystallhellem Wein, Honig und Del, und zwar einen Monat für den König darin bestehen die ihm gewährten Abgaben-die übrige Zeit aber für das Volk. Die Pflanzen dieses fruchtbarsten aller Länder sind köstlicher und größer als anderswo, ein mäßiger Lufthauch weht beständig, und die Temperatur ist immer dieselbe, am ehesten dem beginnenden Sommer zu vergleichen. Dazu ist der Himmel dort flarer, sind die Gestirne zahlreicher und glänzender. Unbekannt mit Krankheit und Armut, in stets blühender Jugend und Schönheit, leben die Menschen über vierbundert Jahre. Arbeit ist ihnen fremd, aber auch Gewalt und List. Spielend und lachend wandeln sie täglich mit Weib und Kind zu Strömen und Quellen, erquiden sich nach Belieben an warmen und falten Bädern und liegen dann singend auf blumen- Ströme flossen mit Milch und Nektar, gelber Honig tropfte von der reichen Wiesen unter schattigen Bäumen. Wollen sie von deren Früchten genießen, so neigen sich die Aefte zu ihnen herunter, und zahlreiche Vögel lassen von den Zweigen liebliche Weisen herab
tönen.'
Entsprechend läßt Ovid den feligen Urzustand als kommunistisch erscheinen: der Boden war Gemeingut wie das Licht der Sonne und die Luft. Auch er malt, wie Virgil, das Bild mit Zügen noch lockender aus, die dem Volksmärchen vom Schlaraffenland entnommen find: unbestellt starrte der Ader von schweren Aehren, grünen Eiche. Diese phantastischen Züge finden sich bei andren Schriftstellern nicht, auch sie aber charakterisieren das goldene Zeitalter als eine Epoche. die das Privateigentum noch nicht kannte. Seit langem wird darum der Mythus vom goldenen Zeitalter Die Lokalisierung des Schlaraffenlandes in Indien muß in aufgefaßt als eine dunkle Erinnerung an die verlorene Freiheit, den Zeiten erfolgt sein, als die Griechen durch die asiatischen Feld- Gleichheit und Brüderlichkeit des urwüchfigen Kommunismus, wie züge Aleranders des Großen einige Kenntnis von dem fernen er in der Gentilgesellschaft ehemals bestanden hatte. Und ohne Wunderlande erlangt hatten und die übertriebensten Meinungen von jeden Zweifel ist diese Auslegung richtig. Derselbe ehemalige Gesellden Schäßen und Herrlichkeiten des Hindulandes im Occident Ver- fchaftszustand wurde also auch durch das zum Mythus vom goldenen breitung und Glauben fanden. So ziemlich den ersten Anstoß dazu Zeitalter gehörige Märchen vom Schlaraffenland verherrlicht unter mag der Obersteuermann von Alexanders Admiral Nearch, der dem Gesichtspunkte des materiellen lleberflusses, der friedlichen Muße fügenhafte Historiker Onesikritos , gegeben haben, von dessen Geschichte und des behaglichen Lebensgenusses für alle. Der Kommunismus Alexanders man urteilte, nicht alles darin sei geschwindelt. Er will war das verlorene Paradies, nach dem die Griechen sich zurücksehnten. von dem berühmten Brahmanen Calanus in Erfahrung gebracht Märchenhaft übertrieben erschien das kommunistische Paradies ihrer haben, vor alters sei in Indien alles mit Gerste und Weizenmehl Phantasie nachmals in der dichterisch verklärten Gestalt des Schlabedeckt gewesen, wie jetzt mit Staub, die Quellen floffen außer von raffenlandes. Beim Kommunismus endigt der Weg zum Schlaraffens Wasser auch von Honig, Wein und Del; erst infolge der Schlechtig- lande. teit der Menschen sei ihnen von der Gotthei dies Glück entzogen, Mühe und Arbeit aufgeladen worden. Der Gedanke liegt also nahe, das Märchen vom Schlaraffenlande gleich so vielen andren Märchen, die jetzt im Abendlande eingebürgert sind, für ein ursprüngliches Erzeugnis der indischen Phantasie zu halten, das durch die Vermittelung der Griechen zu uns gekommen sei, wie andre durch die der Perser und Araber. Der Gedanke läge um so näher, als sich schon in dem altindischen Epos„ Ramayana" das Land der Uttara Sturus im Stile vom Schlaraffenland beschrieben findet. Trotzdem wäre die Jdee ein vollständiger Irrtum; denn thatsächlich ist das Märchen vom Schlaraffenland, so wie es zu uns gekommen ist, auf griechischem Boden heimisch. Erst in jüngerer Zeit ist auf das ferne Indien übertragen worden, was ursprünglich an Griechenland selber haftete, allerdings an dem Griechenland einer längst entschwundenen Epoche.
Kleines feuilleton.
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acy.
k. Bei den Heimatlosen der Millionenstadt. Eine ganze Anzahl Opfer hat die Kälte in den letzten Nächten in London gefordert. Am Montag wurden dem Leichenbeschauer für Central London 3wanzig plögliche Todesfälle gemeldet. Diese Sterblichkeit wird direkt dem falten Wetter der letzten Zeit, dem plöglichen Umschwung in Verbindung mit dem Hunger zugefchrieben. So macht sich die Stimme der Heimatlosen und Hungernden in London mit den ersten Winterſtürmen wieder deutlicher bemerkbar, wenn sie auch das ganze Das Märchen vom Schlaraffenlande war ursprünglich ein Jahr über dumpf hörbar ist. Selten ist dieser verzweifelte Chor griechisches Voltsmärchen, das die sehnsüchtige Erinnerung an das jedoch so start gewesen wie jest. In einer Stadt, die sich stolz entschwundene Glück eines früheren Zeitalters unter den Hellenen ihres Reichtums rühmt, rufen 30 000 Leute nach Brot und es erwerben zu können. fortleben ließ. Die Faffung, in der es im Volksmunde gangbar Obdach oder nach den Mitteln, zu war, ist uns natürlich nicht direkt erhalten. Seinen Inhalt aber Eine der schmerzlichsten Erscheinungen, die noch kennen wir aus Stellen attischer Komödiendichter des 5. Jahr- nehmender Stälte stärker wird, ist, daß auch viele Frauen und Ergreifende Bilder hunderts v. Chr. Da schildert z. B. Teleclides die Herrlichkeit der Kinder die Nacht im Freien zubringen müffen. entschwundenen Zeiten so:" Friedlich, von Furcht und Krankheit von der Art, wie diese Obdachlosen die Nächte verbringen, entwirft frei, lebten die Sterblichen, und von selbst bot sich ihnen dar, was ein Mitarbeiter eines großen Londoner Blattes. In zwei aufein