Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 49.

11]

sollen.

Das Geld.

Mittwoch, den 11. März.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Emile Zola  .

Ferner behielt Karoline für Saccards Haushalt nur ein Pferd und einen Wagen bei, ergriff überall die Obergand, und prüfte die Rechnungen mit so pein­licher Sorgfalt, daß in der Mitte des Monats eine Ausgabenverminderung um die Hälfte erzielt war. Saccard war hochentzückt und sagte scherzend, jetzt sei er der Gauner, der sie bestehle, und sie hätte so und so viel Prozent von allen Ersparnissen, die durch sie zu stande gekommen, verlangen Nunmehr hatte ein inniges Zusammenleben begonnen. Saccard war auf den Einfall geraten, die Schrauben an der Verbindungsthür zwischen beiden Wohnungen wegnehmen zu lassen; man ging jett frei von dem einen Speisesaal zum andren über die innere Treppe hinauf. So kam es denn, daß, während der Bruder. oben arbeitete und von morgens bis abends sich einschloß, um seine Papiere aus dem Orient in Ordnung zu bringen, Frau Karoline ihren eignen Haushalt der einzigen Magd überließ und zu jeder Tageszeit hinunter­stieg, um ihre Befehle wie zu Hause zu erteilen. Eine wahre Freude für Saccard war das fortwährende Erscheinen dieser großen, schönen Frau geworden, die festen, stolzen Schrittes Durch die Zimmerflucht ging mit dem immer aufs neue über raschenden fröhlichen Widerspiel zwischen ihren weißen Haaren und dem jugendfrischen Gesicht, das sie umflatterten. Frau Karoline war wieder ganz munter geworden; sie hatte ihren Lebensmut wieder erlangt, seitdem sie sich nüßlich fühlte, jede Stunde beschäftigt und fortwährend auf den Füßen war. Ohne gezierte Einfachheit trug fie immer nur ein schwarzes Seleid, aus dessen Tasche das helle Klirren des Schlüsselbundes er­Klang. Das war sicherlich ein Hauptspaß für die gelehrte, philosophierende Frau, nur noch eine gute Hausmutter zu sein, die Haushälterin eines Verschwenders, den sie allmählich wie ein ungeratenes Kind lieb gewann.

Eine Zeitlang von ihrer Persönlichkeit sehr eingenommen, berechnete er schon, daß alles in allem mur ein Unterschied von vierzehn Jahren zwischen ihr und ihm lag, und er fragte sich, was wohl daraus würde, wenn er sie eines Tages in die Arme schlösse. War anzunehmen, daß sie seit zehn Jahren, seit der notgedrungenen Flucht aus dem Hause ihres Mannes, von dem sie ebensoviel Mißhandlungen als Liebfosungen erhalten hatte, immerfort wie eine fahrende Kriegerin ohne Verkehr mit Männern gelebt hatte? Vielleicht hatten gerade jene Reisen sie geschützt. Indessen wußte er, daß ein Freund ihres Bruders, ein Kaufmann Namens Beaudoin, der in Beirut  geblieben war und dessen Rückkehr bevorstand, sie heiß geliebt hatte und um sie heiraten zu können, auf den Tod ihres Mannes wartete, den man fürzlich wegen Säuferwahnsinns in eine Heilanstalt verbracht hatte. Augenscheinlich hätte diese Heirat nur ein leicht zu entschuldigendes, fast gejegliches Verhältnis besiegelt. Aber nun, wenn sie einen Liebhaber gehabt hatte, warum sollte er nicht der zweite werden? Doch blieb es bei dem Gedanken; Saccard fand in ihr einen so guten Kameraden, daß er häufig vergaß, daß sie ein Weib war. So oft er sie mit ihrem wunderbar schönen Wuchs vorübergehen sah und fich die Frage wieder vorlegte, was daraus entstünde, wenn er sie umarmte, so antwortete er sich, es würden ganz gewöhnliche, vielleicht auch ärgerliche Dinge daraus entstehen. Dann ver­schob er den Versuch bis auf weiteres und drückte ihr fräftig die Hand, hochbeglückt durch diese Herzlichkeit.

Mit einem Male verfiel Frau Staroline aufs neue in tiefen Kummer. Eines Morgens war sie niedergeschlagen, sehr bleich und mit rot geweinten Augen heruntergefommen; Saccard fonnte aus ihr nichts herausbringen und stand vom Fragen ab, da sie in ihrem Eigensinn behauptete, es fehle ihr nichts, sie sei wie alle Tage. Erst Tags darauf begriff er die Sache, als er oben eine gedruckte Mitteilung vorfand, worin die Verehelichung des Herrn Beaudoin mit der sehr jugend­lichen und unermeßlich reichen Tochter eines englischen Konsuls angezeigt war. Um wie viel härter mußte der Schlag gewesen sein, da die Nachricht mit diesem banalen Brief eingetroffen war, ohne jede Vorbereitung, selbst ohne ein Lebewohl! Dies

1903

bedeutete einen jähen Zusammensturz im Leben der unglück­lichen Frau, den Untergang der in der Ferne winkenden Hoffnung, an der sie sich in den Stunden des Ungemachs fest­flammerte. Außerdem hatte auch das Schicksal eine empörende Grausamkeit gezeigt. Zwei Tage zuvor hatte sie die Nachricht vom Tode ihres Mannes erhalten und achtundvierzig Stunden lang endlich an die nahe Verwirklichung ihrer Träume ge­glaubt. Nun ging ihr ganzes Leben aus den Fugen; sie blieb vernichtet und wortlos.

Eine zweite betäubende Ueberraschung stand ihr am gleichen Abend bevor. Ehe sie zur Ruhe ging, stieg sie ihrer Gewohnheit gemäß noch einmal zu Saccard hinunter, um die Da redete er zu ihr in so sanften Worten von ihrem Unglück, Anordnungen für den folgenden Tag mit ihm zu besprechen. daß sie laut aufschluchzen mußte; in dieser unüberwindlichen, ihren freien Willen lähmenden Rührung war sie in seine Arme gesunken.

Vierzehn Tage lang verharrte Frau Karoline in einem Bustande erschreckender Traurigkeit. Der Lebensmut, jener frohe Impuls, der aus dem Leben eine Notwendigkeit und eine Freude macht, hatte sie im Stich gelassen. Sie ging ihren viel­fältigen Geschäften nach, aber wie geistesabwesend, ohne über Ursache und Zweck der Dinge sich Täuschungen hinzugeben. Die menschliche Maschine arbeitete in der Verzweiflung des allgemeinen Nichts.

Inmitten dieses Schiffbruchs ihrer Tapferkeit und Fröhlichkeit genoß Frau Karoline eine einzige Zerstreuung. In allen ihren freien Stunden heftete sie, die Stirne an die Scheiben des einen Fensters im großen Arbeitszimmer gepreßt, ihre Blicke auf den Garten des Nachbarhauses, jenes Hotel Beauvilliers, in welchem sie bereits in den ersten Tagen ihres Einzugs einen Notstand, ein verborgenes Elend erraten hatte, welches eben durch seine verzweifelten Anstrengungen, das Aeußere zu wahren, erschütternd wirken mußte. Auch dort gab es also Schmerz erduldende Menschen! Ihr eigner Summer war von jenen Thränen gewissermaßen durchtränkt, und tödliche Schwermut drückte sie derart nieder, daß sie sich gefühllos und wie in dem Schmerze jener andren aufgegangen verfam.

Diese Beauvilliers hatten ehemals, abgesehen von ihren ungeheuer großen Befizungen in der Touraine   und in Anjou. auch noch in der Rue de Grenelle   einen großartigen Balast besessen; jetzt blieb ihnen in Paris   nur noch dieses ehemalige Landhaus, das zu Anfang des vorigen Jahrhunderts außer­halb der Stadtmauer aufgebaut und heute von den rauch­geschwärzten Bauten der Rue Saint- Lazare   dicht umschlossen war; die wenigen schönen Väume des Gartens standen wie in der Tiefe eines Brunnenschachtes verloren da, und Moos zerfraß die Stufen der zerbröckelnden, rissigen Freitreppe. Das Ganze war ein ins Gefängnis gestecktes Stückchen Natur, ein sanfter und toter Winkel voll stummer Verzweiflung, wohin die Sonne. mir noch mit einem grimlichen Schimmer hinab­stieg, welcher jeden mit eisigem Schauer anwehte. In diesem modrigen Kellerfrieden war die erste Persönlichkeit, welche oben auf der zerborstenen Freitreppe Frau Karolinens Augen fich darbot, die Gräfin Beauvilliers, eine große, hagere, schnee­weiße Sechzigerin von sehr vornehmem, etwas altmodischem Aussehen. Mit ihren dünnen Lippen, ihrer langen Nase, ihrem auffallend langen Halse hatte sie das Aussehen eines sehr bejahrten Schwanes von verzweifelnder Sanftmut. Hinter ihr war fast gleichzeitig ihre Tochter Alice von Beauvilliers erschienen; trotz ihrer fünfundzwanzig Jahre war Alice so unentwickelt und blutleer, daß sie ohne ihre verblühten Wangen und die bereits verfallenen Gesichtszüge für ein Schulmädchen gelten konnte. Schmächtig wie die Mutter, entbehrte sie des natürlichen Adels derselben: ihr Hals war bis zur Unschönheit verlängert, ihre ganze Erscheinung verkörperte den jammer­vollen Verfall des großen Stammes. Beide Frauen lebten allein, seitdem der Sohn des Hauses, Ferdinand von Beau­villiers, infolge der von Zamoricière verlorenen Schlacht bei Castelfidardo unter die päpstlichen Zuaven gegangen war. Alle Lage, wenn es nicht regnete, kamen beide Frauen hinter­einander zum Vorschein; sie stiegen die Freitreppe herunter und umschritten wortlos den schmalen Rasenplay in der Mitte des Gartens. Nur Ephenumfassungen waren zu sehen; Blumen wären nicht gediehen, vielleicht auch zu fostspielig