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Julie begann zu weinen.

So ist Jenny immer zu mir; immer zanken und schelten; sie ist bloß neidisch, weil Mutter sagt, daß ich so schnell arbeiten fann wie sie; wenn man ihre Sachen genau untersuchen wollte-"

,, Da sieh Dir, bitte, meine Hunde an; alle die auf der rechten Seite vom Büffett. Meine sind alle in schönster Ordnung; wenn mir einer einen mit einer schiefen Schulter zeigt, will ich doch gleich-"

Sie arbeiten schon tüchtig. Jekt fiken sie auch bei ihrer Arbeit und Gott weiß wie viel Schillinge er uns dann wieder ab. in der Küche. Johnnie macht uns viel Kummer, der Junge ziehen würde." kann doch kein wahres Wort sprechen. Erst neulich wieder hat er so gelogen; da schnallte der Vater sich seinen Gürtel ab und hat ihn damit durchgehauen; aber auch das nüßt nichts. Wenn Jenny und Julie nicht wären, wüßte ich nicht, wie wir jemals auskommen sollten. Sie arbeiten den ganzen Tag an ihren Hunden, und die Leute sagen immer, ihre Hunde seien besser gemacht als alle andern. Aber bei dem ewigen Drehen und Füllen werden ihre armen Finger ganz zu Schanden... Aber klagen thun die Mädchen doch nie, und ich würde es auch nicht thun, wenn er nur ein bißchen freund­licher wäre und nicht immer die Hälfte von seinem Gelde im Wirtshaus vertränke. Für Dich habe ich mich immer gefreut, kann den mit Doinom heißen Kopf haftig nichts vorsföhnten, aber manchmal ist's mir doch wahr­haftig gerade so, als müßte ich mich hinlegen und sterben, wenn ich nachdenke, was aus den Kindern werden soll, weil wir doch immer weniger Geld friegen, und immer mehr Aus­gaben kommen. Ich habe Dir noch nichts davon gesagt, aber Du siehst es mir doch an, daß schon wieder eins kommt; ja, ja, die vielen Kinder find's, an denen wir armen Frauen ganz zu Grunde gehen. Ja, Dein Unglück ist auch schwer, aber Du mußt eben Mut haben, wir werden alles thun, was möglich ist; mehr als hoffen kann man ja nicht."

Mrs. Saunders wischte wieder ihre Augen mit dem Schürzenzipfel ab, und dann gingen Mutter und Tochter ohne weitere Worte zusammen in die Küche, wo die Mädchen an der Arbeit saßen.

Die Küche war ein langer, niedriger Raum mit einem Fenster, das auf den kleinen Hof hinausblickte. Am Ende des Hofes war ein Kohlenloch, ein Schutthaufen und ein kleiner hölzerner Stall. In der Küche stand ein langer Tisch und an der Wand eine Bank; links war die Kochmaschine, ihr gegen über stand ein wackliges, altes Büffett, und zwischen den arm seligen Tellern und Töpfen waren die Spielhunde aufgestellt. Manche nicht größer als eine Faust, manche fast so groß wie ein kleiner Pudel. Jenny und Julie waren einige Tage hin­durch sehr fleißig gewesen und vollendeten eben die letzten Hunde, die zu der Bestellung gehörten, die sie vom Laden er­halten hatten. Drei kleinere Kinder saßen am Boden und waren damit beschäftigt, das braune Papier zu zerreißen und es den größeren Schwestern zuzureichen, wenn diese es forderten. Die großen Mädchen saßen da über den Tisch ge­beugt vor den eisernen Formen und füllten diese mit braunem Papier, welches sie festklebten und dann mit flinken, geschickten Fingern arrangierten.

,, Ach, da ist ja Esther," sagte Jenny, die Aeltere. meine Güte, sieht die großartig aus! Wie' ne Dame! hätte Dich kaum erkannt!"

Jenny hat gern alles ebenso dick, wie sie selbst ist, drum stopft sie soviel Papier in ihre Hunde." ( Fortsetzung folgt.)

Die Kinderubr.

Diese sonnenlose

Grad' am ersten Vorfrühlingstag war es. geit, die mir endloser schien, als jemals zuvor, war jäh versunken. leber die weite Ebene, dort draußen in meiner stillen Einsamkeit, flutete schimmernde Verheißung. Die toten Bäume, die verstreut standen, atmeten und man wähnte den leuchtenden Hauch wie leises, hellgrünes Gewebe um die dunklen Aeste geronnen. In der Ferne erschlossen geheimnisvoll blauende Waldzüge Pforten neuer Welten fremder Seligkeit, und Jeder Hahnenschrei jedes Hundegebell war wie verzaubert. Irgendwo ein herüberwehender Beitschentnall erweckte die Borstellung einer luftigen Frühlingsfahrt, da heiße Jugend begehrlich zu zweit ins ahnende Leben lutschiert. Die himmelan steigenden Rauchfäulen, die im Thal, dort, wo der Kanal ausgeschachtet wurde, von den Maschinen wehten, schienen wie von heiligen Opferfeuern den Dank für die Wiedergeburt der Sonne zu künden.

nicht die Menschen herausströmen aus den Häusern, den Wertstätten, War das alles nicht geschaffen zum freien Feiertag? Würden den Arbeitsstuben, den Schulen, und in festlicher Gewandung fingend zum Feit der ersten Sonne, der gewaltigen Lebenshoffnung strömen? wird nicht all' das millionenfache Dasein, das unter Tage fümmert, aufwachen und jubeln in der Wallfahrt des Glücks?

Ach, nichts regt sich, kein Märchen erblüht, kein Fest gebiert der leuchtende Augenblick. Die Arbeit läßt niemanden frei, und alles bleibt mirrisch und müd. Mich selbst aber, den eine mächtige Be­gier treibt, mich auf diesen feuchten Boden, Natur umarmend, niederzuwerfen, hält von der Verwirklichung der verzückten Sehn­sucht die nüchterne Erwägung ab, daß solcher Enthusiasmus unver meidlich eine Woche reuevollen Schnupfens zur Folge haben würde. So ziehe ich den Vorhang vor meinen empfindsamen Uebermut, und steige, den wirren Vorfrühlingswahn als eine gar nicht originelle Angelegenheit verscheuchend, in den alten Hüttelzug, in dessen überheizten Wagen die geschlossenen Fenster der eingesperrten Luft den ganzen Reichtum an Miasmen reijender Du Menschlichkeit ungemindert erhalten. Ich fühle. Hier gedeiht kein Vorfrühling, höchstens erwächst ein mattes

Beide tüßten ihre Schwester, aber mit großer Vorsicht, aus Furcht, die schönen Kleider Esthers, die sie bestaunten, mit ihren flebrigen Fingern zu berühren; dann dachten sie, in Bewunderung versunken, darüber nach, wie herrlich es doch sein müßte, eine Stelle als Dienstbote zu haben.

Esther hob jetzt Harry, einen kleinen, vierjährigen Jungen, in ihren Armen empor und fragte ihn, ob er sie

noch kenne.

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,, Nein, ich glaube nicht," sagte er.

Aber Du kennst mich doch noch, Lizzie," sagte sie zu einem siebenjährigen Mädchen, dessen helles, rotes Haar förmlich leuchtete in der rasch zunehmenden Abenddämmerung. Ja," sagte die Kleine." Du bist meine große Schwester; Du bist über ein Jahr fort gewesen, in Stellung."

Und Du, Maggie, kennst Du mich noch?" Maggie schien zuerst zweifelhaft, aber gleich darauf nickte fie eifrig mit dem Kopf.

Komm, Esther, sieh mal, wie schön Julie ihre Hunde macht," sagte Mrs. Saunders. ,, Sie macht sie bald ebenso schnell wie Jenny. Sie ist freilich noch ein bißchen nachläffig, folgt noch nicht so gut, wie sie sollte. Hier zum Beispiel ist : einer, der hat zwei ganz verschiedene Schultern."

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Ach, Mutter, als ob einer den Unterschied bemerkte!" Den Unterschied nicht bemerken, nun seh doch einer! Sieh Dir bloß den Hund an, ist das natürlich? Wie kann man so nachlässig sein."

Esther, sieh Dir bloß Juliens Hund an," rief Jenny. Der hat bloß' ne halbe Schulter; ein wahres Glück, daß Mutter es gesehen hat, denn wenn der Fabrikant so was sieht, findet er gleich noch ein halbes Duyend andre auch schlecht,

In Berlin   schwindet der lezte Rest des überschwenglichen Ge­Gefühl, daß es leidlich schönes Wetter sei, und auf der Schattenseite an den Abhängen der grau überstrichenen Badsteingebirge weht es wie Kellerluft. Jetzt ist meine Seele fest und solide gepflastert, und wenn ich versuchen würde, einen Stein auszuheben, nichts andres würde hervorwachsen als ein Getvirr emsig friechender Asseln. Jetzt bin ich gewappnet, auch den Anblick jenes fleinen los die furchtbare Welt der Heimarbeit in einem Ausschnitt ge­Saales im Gewerkschaftshause zu ertragen, wo schlicht und schmud zeigt wird.

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der Arbeit.

Das ist die ewige Aussperrung der Sonne, das ist der lebens­längliche Kerker der Arbeit, der Dunkelarrest nie endender socialer Entbehrung. Heimarbeit flingt das Wort nicht traulich wie ein Bild Ludwig Richters? Heimverwüstungsarbeit sollte man diesen Hier verschwindet die gleißende Bezirk des Grauens nennen. Schaufenster   Heuchelei So sollte man die Ausstellung in Saint Louis gestalten. In jedem Produkt follte Arbeitslohn und Arbeitszeit angegeben sein, und dazu jenes Chaos fleinster giftiger Geschoffe, die unabläffig auf die ge­marterten Leiber der Arbeitenden eindringen, scharftantige Metall splitterchen, tödliche Staubatome, zerstörende Gaje. Anfangs entsegt man sich, wenn man auf den Betteln, die die Ausstellungsgegenstände Schnell aber erläutern, Stundenlöhne von 20, 15 Pfennigen lieft. gewöhnt man sich, in diesen Arbeitserträgen Reichtümer zu sehen. In der Blumenfabrikation und der Papierindustrie sinken die Löhne auf fünf Pfennige, und bei den Sonneberger Spielwaren und den Schwarzwälder ühren wird die Menschenarbeit völlig entwertet; die Ernte einer Stunde ist nur noch in Bruchteilen eines Pfennigs zu messen.

franken, modernden Eingeweide der Lohnarbeit. Hier blickt man in die

In dieser Ausstellung zerfällt aller Glanz des Lebens. In nicht das Blut der ruchlos getöteten Stunden, das aus den Boren lichten Gewändern führt Ihr die Liebste zum Tanz feht Ihr der zarten Stoffe unablässig rieselt? Seidene Blumen ranken an der leidenschaftlich wogenden Brust zerquälte Nächte- die Stunde 6% Pfennige spendend haben sie geschaffen! Andächtig

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