Als Esther am folgenden Tage William in der Straße bemerkte, ging sie zu Miß Rice hinauf und bat um die Er- laubnis, ausgehen zu dürfen. Könnten Sie mich wohl für eine Stunde entbehren, Fräulein?" Miß Rice, die einen Mann in der Nähe des Hauses be- werkt hatte, sagte rasch: Gewiß, Esther." Haben Sie auch nicht Furcht, allein im Hause zu bleiben? Ich gehe nicht weit fort." Nein, ich erwarte Mr. Aldcn. Ich werde ihm die Thür öffnen und dann den Thee selbst machen." Esther verließ das Haus und ging raschen Schrittes die Straße hinaus, als hätte sie etwas zu besorgen. William kam von der andern Seite herüber und ging neben ihr her. Nun sei doch nicht mehr so schlecht und strenge zu'nem armen Teufel; hör' mich doch bloß einmal an." Ich will Dich aber nicht anhören; was kannst Du mir sdenn zu sagen haben, das ich hören müßte?" Ihr Ton war immer noch schroff und mürrischz aber er bemerkte doch eine kleine Veränderung darin. Komm ein paar Schritte mit mir und hör' mir nur zu; wenn das, was ich sage, Dir nicht gefällt, brauchst Du mich nie mehr anzuhören." Und Du glaubst wirklich, daß Deine Versprechungen noch Wert für mich haben könnten? Tu mußt mich wahrhaftig für eine rechte Närrin halten!" Wer, Esther, so höre mich doch an; Du willst mir nicht vergeben, gut aber wenn Du mich doch nur bis zu Ende hören wolltest." Tu kannst ja sprechen; eS hindert Dich keiner daran." Das geht nicht so schnell, das ist eine lange Geschichte. Ich weiß, daß ich mich schlecht gegen Dich benommen habe, aber es war das nicht so sehr mein Fehler, wie Du vielleicht glaubst; ich könnte Dir eine ganze Menge Sachen erzählen, die mich entschuldigen." Was liegt nur au Deinen Erklärungen und Ent- schuldigungen? Wenn Du mir nichts andres zu sagen hast" Aber der Junge." Ach so. an den Jungen denkst Du?" Ja, und auch an Dich, Esther; die Mutter ist vom Kinde unzertrennbar!" Allerdings! Aber der Vater nicht!" Wenn Dn in diesem Ton weitersprichst, werde ich nie Mut haben, das zu sagen, was ich sagen will. Ich habe mich schlecht gegen Dich benommen, das weiß ich, und ich möchte nun hie Vergangenheit, so viel ich kann, gut machen." Und das willst Du durch Dein Hinter-mir-her-Iaufen machen? Woher weißt Du denn, ob Du mir nicht dadurch gerade Unglück bringst?" Willst Du damit sagen, daß Du einen andern hast und mich nicht mehr brauchst?" Du tveißt ja nicht mal, ob ich nicht'ne verheiratete Frau bin; Du weißt gar nicht, in was für einem Hause ich lebe. Du läufst mir jetzt nach, weil es Dir gerade so Paßt, aber ob ich dadurch nicht vielleicht wieder meine Stelle verlieren könnte daran denkst Du nicht!" Zanken hat doch jetzt keinen Zweck, laß uns irgendwohin gehen, wo wir ruhig miteinander reden können; und wenn Dir dann das, was ich sage, nicht gefällt, so gehen wir eben wieder auseinander. Du sagst, ich weiß nicht, ob Du nicht vielleicht verheiratet bist; das weiß ich allerdings nicht, aber wenn Du noch frei bist nun um so besser. Bist Du's aber nicht, so brauchst Du's nur zu sagen, dann gehe ich und komme nie wieder. Ich habe Dir genug Böses angethan, ich Hab' nicht die Absicht, nun auch noch zwischen Dich und Deinen Mann zu treten." William sprach sehr ernsthaft, und die Worte schienen ihm auch von Herzen zn kommen, so daß Esther fast gegen ihren Willen gerührt wurde. Nein," sagte sie,ich bin noch nicht verheiratet." Das freut mich." Ich weiß nicht, welchen Unterschied das für Dich machen kann, ob ich verheiratet bin oder nicht. Wenn ich's auch nicht bin, io bist doch Du es." William und Esther gingen schweigend nebeneinander her und horchten auf das in der Ferne verhallende Rollen und Rauschen der großen Stadt. Der Himmel war fast farblos; ein blasses Grau, vermischt mit einem matten Blau, und von dieser fast monotonen Mischung hob sich die aus roten Ziegeln erbaute Vorstadt ab wie ein rotes Monument. Vor einem freien, unbebauten Felde blieb William stehen. Wir wollen hier hineingehen," sagte er,«da können wir besser plaudern." lFortsetzung folgt.)] (Nachdruck verboten) rjeirnkchn Von Karl Busse . (Schluß.) Wie aus Stein geschnitten saß der Me da. Seit der Junge ihn vorhinVater" genannt, der nach alter Gewohnheit immer Papa" zu ihn, sagte, hatte er gewußt, daß Schweres seiner wartete. Und alle Kraft wandte er seitdem darauf, sich in der starren Ruhe zu erhalten, die er dem Schicksal entgegensetzte. Ich Hab' gethan, was täglich geschieht. Wenn ick in der ganzen letzten Zeit die Zeitungen las, und wenn ich las. dieser und dieser und dieser hat Geld unterschlagen, dann Hab' ich immer gedacht: welches Datum diejenige Zeitung wohl tragen mag, die meinen Namen als den eines Betrügers nennt. Nun kann ich's mir aus- rechnen: übermorgen steht eS in den Blättern." Eintönig redete er, fast ohne Freud ' und Leid. Klag' mich nicht an I Was Du mir sagen könntest, Hab' ich mir alles selber gesagt. Viel mehr noch. Nun ist das Spiel aus. Bis gestern Hab' ich gehofft, noch alles verdecken zu können. Es geht ja schon lange. Ein ganzes Jahr lang. Vorige Ostern lernt' ich eine kennen die hat mich verhext. Ich Hab' die Lene König von nebenan lieb gehabt. Aber die andre hat mich langsam zerbrochen. Stück für Stück... erst ging mein ganzes Gehalt drauf. Dann Hab' ich Schulden gemacht. Dann, als nur die anständigen Leute nicht mehr borgten, borgten mir die unanständigen.' Wucher- geschickten... ich wüßt' es... wenn ich nur Geld bekam, um es dem Weibe vor die Füße zu werfen I Dann nahm ich Geld aus der Kasse. Ein paarmal Hab' ich's zurückgelegt. Zuletzt könnt ich's nicht mehr. Da Hab' ich alles auf eine Karte gesetzt, an der Börse ge- spielt verloren... Schluß! Vater, als ich verloren hatte, Hab' ich mich gefreut. Denn nun war alles glatt und klar. Es gab nur uoch Tod oder Zuchthaus. Das Hundeleben der letzten Monate... mit den Träumen, daß man schon gepackt wird... nnt der Angst vor jedem Schritt, bei jedem Klingelzeichen... das ist schlimmer als alles. Da bin ich in einen Vorort gefahren, in den Wald gegangen. Kreuz, quer... zehnnml hatt' ich den Revolver an der Stirn. Aber so verlunipt war ich schon, daß ich zu feige war, loszudrücken. Immer hatt' ich eine Ausrede... ich wollte Euch noch wieder- sehen... Abschied nehmen. Uin mir auch die letzte Entschuldigung abzuschneiden, fuhr ich her. Da bin ich I Jetzt spielt wohl schon der Telegraph nach allen Himmelsrichtungen. Und morgen friih klopfen sie an die Thür... an Deine Thür, Vater... und werden fragen: Wo ist Dein Sohn?" Ein Rucken und Zucken ging durch den Körper des Greises. Die starre Ruhe hielt nicht vor. Er erhob sich, schritt auf den Sohn zu, packte ihn mit beiden Händen den welken, knöchernen, aber noch kräftigen vorn am Rocke und schüttelte ihn aus Leibeskräften wie einen jungen Hund. Sein Gesicht stand fahl, bläulich in der Dänmierung. Er konnte nicht reden. Einen unartikulierten Laut brachte er nur hervor. Dann, als verließe ihn die Kraft, tastete er sich zurück, setzte sich wieder und ächzte. Richard Zintgraff hatte einen zerquältcn, übernuideten Ausdruck im Gesicht. Ich Hab' mich vor der Stunde, wo ich Dir das sagen würde. gefürchtet. Gefürchtet viele Monate lang. Nur zuletzt nicht mehr. Ich Hab' gar nichts mehr... kein Ehrgefühl, nicht'mal Scham... alles zerbrochen! Man denkt in den ewig langen Nächten so viel. Gedanken, die man sonst gar nicht hat. Man glaubt, jeder glaubt, so etwas kann nur einem andern passieren. Und wo das nun so ist, fragt man sich: Warum fällt es gerade auf Dich! Du hättest die Lene König heiraten, ein zufriedener Mensch werden können... Schluß. alles vorbei! Weshalb? Weil man ein Lump geworden ist. Ich Hab' zuerst alle Schuld ans das... das Weib gewälzt. Lüge, Vater I Denn ein andrer Hütt' sie eben fortgestoßen. Aber seltsam ist mir, daß ich und keiner früher gedacht hat, waS in mir steckt. Daß ich so weit kommen kann. Ja, und eine Rettung giebt es nicht mehr. Wenn ich selbst nach Amerika käme Kellner werde bitter I Aber ich komm' nicht durch. Ich will auch nicht. Ich Hab' mir gesagt: Junge, Du bist ganz fertig; tiefer kannst Du nicht kommen. Willst Du im Zucht- Haus mit geschorenem Schädel Körbe flechten? Beweis' Dir selber, daß noch ein Nest von Ehrgefühl in Dir ist stirb 1" Der Alte hatte schon längst mit der Hand Striche gezogen, alS wollt' er nicht mehr hören. Jetzt fragte er kurz: