Kunst. e. s. Eine neue Ausstellung bei Kassirer bringt vor allem «ine Kollektiv-Ausstellung van Gogh ' scher Bilder. Man muh sich erst einmal die anderen Säle ansehen, um den koloristischen Unter- schied recht zn empfinden. Bincent van Gogh war im Leben ebenso abenteuerlich wie er in seiner Malerei unerschrocken und fühlt war. Es epistieren manch seltsame, ja grausige Geschichten Über die ironische Brutalität dieses zu Exzessen veranlagten Malers. Doch kommt es hier nicht darauf an, Geschichten zn kolportieren, deren Wahrheit ja überdies oft recht anzuzweifeln ist. Charakteristisch und wertvoll ist an solchen Geschichten ja nur, dag man dem Be- treffenden, von dem sie erzählt werden, solche Absonderlichkeiten zn- traut, und so tragen sie zur Charakterisierung bei, wie ja solche Märlein meist erfunden werden im Hinblick auf die Person, deren Bild schon feststeht, so daß sie sich dem Gegebenen passend einfügen, so als Rankenwerk lind Arabeske den Kern illustrierend. Vineent van Gogh malt wie ein Wilder, den krasse Effekte nur befriedigen. Es steckt eine raffinierte Ueberkultur darin, die zur Naivetät zurück will. Er stellt die Farben ungebrochen nebeneinander. Und manchmal— wie auf dem in Gelb und Blau kraß gegensätzlichen männlichen Porträt— denkt man unwillkürlich an die tropische Sonne, solch brillante Glut lebt darin. Ja, mau wird nicht fehlgehen, die Farbenvorstellungen, die wir bei Naturvölkern sehen, jene lebhafte Freude an ungebrochenen Farben, die in heller Lust an dem Sichtbaren nebeneinander gestellt werden, zur Erklärung dieses Talents mit heranzuziehen. Dieses Fremdartige-Seltsame, das wir hinnehmen müssen als etwas Gegebenes, da es Naturanlage ist— die sich bei näherer Kenntnis der Lebensumstände wohl begründen ließe— befähigt van Gogh oft zu ganz prägnanten Gestaltungen, die sich fest zu einem Ganzen runden. Auch hier geht er nicht dem Einzelnen, Tifteligen nach, sondern gibt große, tiefleuchtende Flächen, die sich gegenseitig heben und verdeutlichen. Freilich haben wir auch solche Werke, wo der Maler den feinsten Nuancen geduldig und liebevoll folgt, wie die modernen Franzosen, wo er aus Strich und Strich die schöne, duftige Wirklichkeit zusammenwebt. So ein Steg am Kanal, über den ein Eisenbahnzug fährt(übrigens ein brillant lebendiger Ausschnitt), so vor allem ein großes Gartenbild, in dem tausendfälttg die Farben sprühen, umzogen von weiten Hallenanlagen, die den Raum ttef machen. Dann aber bricht immer wieder der Charakter, das Temperament durch, das etwas Wildes, Ungestümes, Ungezügeltes hat. Und Ivie die Farben grell schreien und doch ruhig in großen Flächen stehen, so ist in dem Schwung der Linien eine ungestüme rastlose Bewegung, ein unendliches Fließen. Da gibt van Gogh Felder mit harten, grellen Flächen, glühende Abendhimmel, vor denen Fabrikschlote gespenstisch stehen, tiefe dunkle Meere, die zuckend unter einem Lichtschein flirren, während Menschen, so klein wie Puppen in leb- haften Silhouetten sich vom Hintergrund abheben. Wo Wollen und Borbild fest in ein? passen, da schafft von Gogh dann Werke von jener harten Notwendigkeit, die ntan ab und zu schon in einzelnen der erwähnten Bilder spürt. Dahin sind einzelne Porträts zu rechnen, die in ganz selbständiger Weise aus dem Mannigfalttgen des eigenen Wesens das konzentrierend herauslösen, was bleiben wird. Gelten die anderen Bilder teils als inter - effante und wichtige Studien, teils als zeitliche Beeinflussungen bestehender Richtungen, so liegen hier neue Wesensmomente. Diese kleinen Porträts, namentlich das Bild einer alten Frau in dunkel- rotem Kleid gegen einen grünen Hintergrund, zeigen in vollendeter Vereinigung das zeichnerische und malerische Vermögen van Goghs, das sich hier ganz ausgibt, in eigenen Bahnen sich bewegt.— Ans dem Tierleben. — o— Vom Gorilla. Im Zoologischen Garten zu Breslau hat sich— eine große Seltenheit— ein Gorilla sieben Jahre lang am Leben erhalten. Vor einigen Wochen ist er nun aber doch ver- endet. Ueber dieses interessante Tier wurden erst jüngst während der Naturforscher-Versammlung in Breslau von dem Direktor des Gartens Grabowsky sehr wertvolle Mitteilungen gemacht. Es ist vierzig Jahre her, daß der erste lebende Menschenaffe dieser Art nach Europa� gelangte, und erst im Jahre 1875 wurden die Menschenaffen überhaupt von einem Forscher, von Koppenfels, in ihrer Heimat beobachtet, so daß wir erst seit dieser Zeit gewissenhafte Berichte über diese Tiere besitzen. Danach sind verschiedene Gorillas in die europäischen Gärten ge- langt, die Anzahl ist allerdings nicht sehr groß, und nur wenige hielten sich etwas mehr lvie ein Jahr am Leben. Vor allem hat das Berliner Aquarium große Verdienste um die Erwerbung dieser Menschenaffen. Der Breslauer Garten hat mit seinem Gorilla sehr viel(�liick gehabt. Dieses Exemplar, damals ein vierjähriges Weibchen, kam am 3. September 1897 nach Breslau und hat hier also über sieben Jahre lang ausgehalten. Es ist allerdings mit einer Für- sorge und Liebe gepflegt worden, wie sie wohl den wenigsten Menschen- kindern' zu Teil wird. Möchte man das Tier darum auch beneiden, so ist doch zu bedenken, daß die großen Menschaffen in unserem Klima zu den hinfälligsten Wesen gehören. Der Gorilla wog bei seiner Ankunft 31'/z Pfund und hatte es im August dieses Jahres zu einem Korpergewicht von 66 Pfund gebracht. Trotz der auf- merlianisten Pflege kamen Appetitstörungen bisweilen vor, im übrigen aber befand er sich ganz wohl und gab seinem Wohlbefinden durch Schlagen der Brust mit den Fäusten einen markanten Ausdruck. Dieses„Trommeln" ist auch bei den in Freiheit lebenden Gorillas häufig beobachtet worden, man hat es aber da für ein Zeichen von Wut aufgefaßt. Der Gorilla zeigte sich im Essen sehr verwöhnt, er begehrte immer Abwechslung im Futter. Und dieses mußte immer gut und frisch sein, schon durch den Geruch fand er fremde Beimischungen in seiner Speise heraus, und er verschmähte diese, wenn sie seinen erwähnten Anforderungen nicht entsprach. Seine Lieblingsspeisen waren Brot- und Semmelkrusten, Kleeheu, Akazienlaub, Rosenblüten, Obst, Datteln und gekochter Reis oder Kartoffeln— gewiß ein ebenso apartes wie raffiniertes Menu. Wie sein Geruch und sein Geschmack, so waren auch seine übrigen Sinne überaus fein. Er kannte nicht nur den Tritt des Wärters, ohne diesen selbst zu sehen, er erkannte ihn schon au? einer Entfernung von hundert Metern unter anderen Menschen heraus. Die leiseste Berührung seines Körpers nahm er wahr, kurzum, er besaß eine ganz außergewöhnliche Ausbildung der Sinne. Seine Gemütsbewegungen zeigten dieselbe fast nervöse Erregbarkeit. Wenn geschossen wurde, überkam ihm ein Zittern am ganzen Körper, und die Aufregung legte sich nur allmählich. In den ersten Jahren seiner Gefangenschaft zeigte er auch große Furcht bei Gewittern. In seiner Nachbarschaft war ein Schimpanse unter- gebracht. Beschäftigte sich jemand mit diesem, ohne ihn zu beachten, so war er auf seinen Nachbar eifersüchtig. Indes hatte er doch auch viel Sympathie für diesen, er reichte ihm Futter durch das Gitter zu, allerdings nur solches, das ihm selbst nicht mundete. Große Furcht besaß der Gorilla vor Negern und anderen dunkel- farbigen Menschen, eine Furcht, die allerdings alle Menschenaffen mit ihm teilen. Als die Tunesen vor einiger Zeit den Garten besuchten, flüchteten die Tiere in die hintersten Ecken ihrer Käfige. Den Menschen, diesen barbarische» Feind der Tiere, haben sie seit Urzeiten wohl hauptsächlich in seinen dunkleren Abarten kennen gelernt. Daher erklärt sich diese Furcht speziell vor dunkelfarbigen Menschen.— Huinoristisches. — Der Prozeß. Ein Grossist hat einen wichtigen Prozeß in Berlin , kann aber im Termin nicht anwesend sein und beauftragt seinen Advokaten: Telegraphieren Sie mir fosort nach Breslau , wie das Urteil ausgefallen ist. Um zwölf Uhr fällt die Entscheidung in günstigem Sinne, und fünf Minuten darauf telegraphiert der Advokat nach Breslau :„Die gerechte Sache hat gesiegt!" Woraus sogleich das Gegentelegramm aus Breslau eintrifft: „Sofort Berufung einlegen!"— („Lustige Blätter".) Notizen. o. Das Land der Sprachen. Wie ein genauer Kenner Indiens angibt, sollen im Pendschab 87 Mundarten und 20 Sprachen, in Assam 120 Mundarten und 54 Sprachen, in Nieder- bengalen 124 Mundarten und 60 Sprachen gesprochen werden.— — Klara Viebigs Dramenzyklus„Der Kampf um den Mann" ist von der„Neederlandsche Toonneelvereniging" in A m st e r d a m angenommen worden und wird noch vor Weihnachten in Szene gehen.— — Freundlich aufgenommen wurden: Adalbert v. H a n st e i n s Schauspiel„Zwei Welten" im Deutschen Theater zu Hannover :„Die Muse d e s Ar e ti n" von I. V. Widmann im B e r n e r Stadttheater:„Die Vogesen- t a n n e", ein„musikalisches Walddrama" von M. I. Erb in Straßburg. — — Wilhelm Kienzl hat ein großes Männerchorwerk mit Soli und Orchester vollendet. Das Werk, das den Titel„Fasching" trägt, soll noch in dieser Saison in W i e n durch den Wiener Männer- Gesangverein und das Philharmonische Orchester die Uraufführung erleben.— — Ein Modell-Theater, das zu F e u e r l ö s ch p r o b e n Verwendung findet, wird in Wien errichtet. Der Staat gibt 12 000 Kronen Zuschuß.— — In Westgothland(Schweden ) hat man bei Ausgrabungen einen wertvollen' Altertums fund gemacht: zwei Gold- ketten, je 20 Zoll lang, die zusammen 14 Pfund wiegen.— — Weihnachtsbäume werden schon im Harz geschlagen. Für 100 Stück ein bis drei Meter hohe Tannenbäume werden 40 M. geboten.— — Gin bemerkenswerter W e i n st o ck befindet sich in Magagnose bei Grasse (Alpes Maritimes ). Er wurde im Jahre 1873 gepflanzt und bedeckt jetzt zwei Terrassen von 68 Quadrat- meter Fläche. Der Umfang beträgt unten 58 Zenttmeter, die Höhe 3,50 Meter. Bei der Ernte 1903 trug dieser Weinstock die hübsche Zahl von 1137 Trauben, und dabei ist zu bemerken, daß diese Pflanze von Ziegelsteiupflaster eingefaßt ist, so daß jegliche Kultur verhindert wird.— Verautwortl. Redakteur: Paul Büttner , Berlin.— Druck und Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.VerlagSanstalt Paul Singer LcCo.. Berlin L W.
Issue
21 (01/12/1904) 236
Download single image
avaibable widths