Jedenfalls hatte er zu essen. Und reichlich! Also Ivar die Weltwunderschön I Eine wahre Wut, eine sittliche Entrüstimg hatte ihnoft ergriffen, wenn böse Menschen das bezweifelten oder gar dasGegenteil behaupteten.Und es gab solche Menschen I Wer mit diesen hatte er schonlange nichts mehr zu schaffen. Er dachte ihrer, wenn er überhauptan sie dachte, mit einer Art überlegenen Mitleids. Jetzt war ereigentlich nur noch Zufriedenheit, ganz Wohlwollen gegen alle Welt.Besonders heute abend. Und mit einem breiten Lachen erwiderteer daher die eifrigen Anpreisungen der zahlreichen großen und kleinen.jungen und alten Straßenhändler, die am Rande des TrottoirsSpalier bildeten. Wie lustig waren aber auch diese Leute selber.Einer überbot ja noch den anderen in schnodderigen, ulkigen Redens-arten. Die Witzworte flogen nur so. Ja, manche brachten sogarihre Anpreisungen in Reimen vor. In Reimen, die einfach zum Totlachen waren. Und wenn einer eben durch einen schnellen Sprungder Gefahr entronnen war, von einem Omnibus oder einer Droschkeüberfahren zu werde», so machte er gleich selbst einen saulen Witz dar-über. Ja. sein Nachbar rief sogar:„Fritze, laß' Dir nich' über-fahren— ick weinte mir bot, wenn ick eenen Konkurrenten ver-lieren dähtei"Zu komisch, zu komisch!Und im Ueberniaß angenehmer Stimmung rief der braveBürger einer Gruppe von Kindern, die rohgeschnitzte, einfache Spiel-fachen feil hielten, ganz leutselig zu:„Na, ihr kleinen Wertheimer,ihr tragt wohl eure Warenhäuser gleich mit euch herum?"„Jawoll, jawoll," krähte ein halbes Dutzend dünne Stimmchen,während ein halbes Dutzend dünne Aermchen ihm die Ware entgegen-reckte. Einen Käufer witternd umringten die Kleinen das dickebrave Ehepaar, indes einer den anderen mit Anpreisungen zu über-bieten suchte, zugleich bemüht, den mutmaßlichen Käufer durch ulkigeZwischenrufe bei guter Laune zu erhalten und seine besondere Auf-nierksamkcit auf sich zu ziehen.Der brave Bürger stutzte. So hatte er das eigentlich gar nichtgemeint, kaufen hatte er von den Knirpsen nichts wollen. Solcheplumpen, erbärnilich einfachen Sachen I Diese Zumutung I Halb unwillig,halb verlegen, wollte er schon den Ring der kleinen Belagerer durch-brechen. Aber vielleicht konnte er dem einen oder dem anderen einenSechser schenken— nicht allein in Worten, nein, auch durch die Tatsoll sich die christliche Liebe äußern. Trotzdem wäre er weiter-gegangen— es waren ja keine Bettler, es waren ja Verkäufer—aber da sprach seine Gattin schon den Gedanken aus. der auch ihneben durchblitzte:„Warte doch Manne I Ani Ende, für die Göhrenvon unserem Portier und für die von unserer Waschfrau— daswäre vielleicht gar nicht so dumm. Kinderhand ist leicht gefüllt—was verstehen die einfachen Leute von besseren Sachen— und dieGöhren machen sie ja doch nur kaput..Mit dreien der kleinen Straßenhändler war im nächsten Augen-blick ein Kauf abgeschlossen— ja den anderen dreien schenkte derbrave Mann sogar noch einen Groschen I Jedem einen Groschen— und das für nischt und wieder nischt. Es war ja Weihnachten.tlnd dann, so sagte auch die kluge Hausfrau:„Da haben wir immernoch verdient. Die müssen die Sachen noch billiger abgeben aks dieWarenhäuser es könnten, denn die wollen doch auch verdienen.Jetzt können wir für uns und Krausens immer noch inS Warenhausgehen."Als das brave Ehepaar nach beendeten Einkäufen mit derDroschke nach Hause gefahren war, da war es noch zufriedener mitder Welt und mit sich selber als gewöhnlich. Besonders mit sichselber. Und das wollte was heißen! Aber wie hatten sie sich auchbetätigt I Noch mehrere Male hatte der brave Bürgersmann in dieTasche gefaßt und Nickel verschenkt nach rechts und links. Fürnischt und wieder nischt l Einer steinalten Frau hatte er sogar einklankeS Fünfzigpfennigstück geschenkt I Und daß ihr dankbar unddemütig gekrächztes:„Gott vergelt's tausendmal!" ihm eigentlichbvv M. einbringen müsse, wenn der liebe Gott die Bitte der Altenerhörte— das war ihm nur so ganz nebenbei durch den Sinn ge-fahren. Wenn der liebe Gott es nicht tat— er würde ihn nichtmahnen l Gott bewahre IAuch die Dankesworte der Uebrigen wiederholte er sich imGeiste, nicht etwa, weil sie seiner Eitelkeit schmeichelten oder ihm sonstwohltatenl Nochmals: Gott bewahre!„Es ist nur," so sagte er zuseiner Frau unter deren beifälligem Schmunzeln,„daß man sieht,daß die Leute die Wohltat doch wenigstens anerkennen! Es gibt sodiele, die denken, man ist ihnen was schuldigt Und man tut es dochnur aus reinem guten Willen— aus reiner christlicher Nächsten-liebe."So sprach der brave Bürgersmann, und seine brave Frau nickte.Und mit wachsendem Wohlbehagen mertten sie, wie eine löst-liche, gehobene Stimmung sich ihrer bemächtigte, eine reine hoheFreude sie erfüllte, so daß ihnen vor Rührung ganz weich wurdeum's Herz. Das war eben die reine Freude, die lautere Genug-tuung für das Getane, eine höhere Befriedigung, wie sie ebennur der wahrhaft gute, edle Mensch empfinden kann.Ganz ergriffen saßen sie noch lange beieinander, tranken nochein paar Flaschen guten, schweren Bordeaux, und fast mit Ver-wunderung wurden sie gewahr, welch feine Gefühle sie zu fühlenimstande waren. Aber bald gewöhnten sie sich daran— sie wareneben noch bessere Menschen als sie selbst geahnt hatten. Und ganznatürlich war es, daß mit dieser Erkenntnis sich ihre Verwunderungin eine respektvolle, gegenseitige Bewunderung verwandelte.Man war eben doch„etwas Besseres"— in jeder Beziehung.Mit dieser köstlichen Selbsterkenntnis gingen der brave Bürgers»mann und die brave Bürgersfrau schlafen und sie schliefen denSchlaf der Gerechten. Ja— der mehr als Gerechten; ihre Gesichterselbst noch verklärt im Schlafe, wie die Gesichter von Kindern, diedas Christkindchcn reichlich beschenkt hat. Waren doch auch sie reich.lich beschentt. Beschenkt durch die erhöhte Erkenntnis, daß sie so feineGefühle fühlen konnten, daß sie noch viel bessere und edlere Menschenwaren, als sie bis dahin selbst gewußt und geglaubt hatten. Und dasist ein gar köstliches Geschenk— das �bt das Bewußtsein, dieVerdauung und damit auch das Allgemeinbefinden.—_ hg-Kleines Feuilleton.k. Die Launen des Blitzes. Am 25. November schlug der Blitzin Malo-Centre bei Dunkergue in eine kleine Villa, riß den Dach.stuhl ab. zerttümmerte zwei Schornsteine und einen Balkon unddrang dann in einen Salon ein, in dem sich die Bewohner desHaujeS, Hauptmann Clavel, seine Frau, ihre Kinder und seineSchwägerin befanden. Mit unglaublicher Geschicklichkeit entführte eraus der Frisur der Madame Clavel zwei Kämme, sengte dabei aberdas Haar kaum an; dann zerttümmerte er mit unerhörter Gewaltalles Gerät im Hause, stürzte die Möbel um, warf die Gegen»stände nach allen Seiten, zerbrach die Fenster, hob dieFensterläden aus ihren Angeln und schleuderte sie in die Dünen.durchlöchette Fußböden und stürzte sich in den Brunnen, woer eine Steinplatte im Gewicht von 80 Kilogramm vollkommen zer»schmettette. Als der bekannte französische Astronom Camille Flam»marion von der Wirkung dieses Blitzes hörte, schrieb er an Clavel.um weitere Einzelheiten zu erfahrt»; dieser erwidette ihm, dieZeitungen hätten noch nicht den hundertsten Teil des Zerstörungs»werkeö berichtet an, unerklärlichsten sei aber, daß die ganze Familievöllig unversehrt geblieben sei. Flammarion erinnert jetzt in„LaRevue" daran, wie mannigfaltig und phantastisch die vomBlitz erzeugten Naturerscheinungen sind. In dem erwähntenFalle zum Beispiel ist gar kein Feuer eingetreten, obwohlsich eine so große Hitze entwickelt hatte, daß Metalle und Fenster»scheiden schmolzen, während oft in anscheinend analogen FällenHeuschober in Flammen aufgehen. Häuser brennen. Balken ver»brennen, Bäume in Brand gesetzt werden und vom Blitz Getroffenevoin Kopf bis zum Fuß in Feuer gesetzt find. Am überraschendstenist die Tatsache, daß die beiden Kämme von der Gewalt des Blitzesaus dem Haar entführt wurden, ohne daß ein weiterer Schadeneintrat. Der Fall steht nicht ganz vereinzelt da; seit langemsammelt Flammarion Tatsachen- Material, daS er in einemkleinen Buch„Les Caprices de la Foudre" bearbeitet. Am1. Juni 1809 schmolz der Blitz in einem Mädchenpensionatin Bordeaux eine goldene Kette ein, die eine der Damendes Pensionats am Halse trug. Er hinterließ eine schwarze gezahnteLinie, die sich aber bald verwischte. Die vom Blitz getroffene Dameerwachte nach sechs Stunden, ohne irgend welche Schmerzen zu ver»spüren. In einen» anderen Fall strickten zwei Damen ruhig; derBlitz nimnit ihnen einfach die Stricknadel»» fort. Bei einer Abend»gesellschast streckt eine Dame während des GelvitterS den nackten Armzum Fenster hinaus: ein leuchtender Blitz raubt ihr das Armband. Ineinen» Wirtshaus wird einem Trinker der Becher von, Blitz a»ls der Handgerisien und auf den Hof geschleudert. Auf einem Wege wird einemReiter die Reitpeitsche entrissen. Einen» jungen Mädchen, das vorder Näh», aschine saß, wird die Schere entführt, sie selbst wird vomBlitz ergriffen, umgekehrt auf die Maschine gesetzt. Am 25. Juli1808 wird ein Reisender in Nantes aus den, Quai von, Blitz ein»gehüllt. Der Blitz entteißt einem Frankstück aus seinen» Porte»monnaie eine Silberschicht, bedeckt damit die beiden Seiten einesZehnftankstückes, und dies durch eine Lederschicht hindurch....Die Blitzstatistik hat in Frankreich seit ihrem Bestehe»6339 Fälle, in denen Männer und Frauen vom Blitze ge»ttoffen»vurden, registriert; Fla»ln,arion hat sie nachgeprüft, si«mit Tausenden von anderen Fällen verglichen und eineArt Klassifikation Begonnen. Warum hat der Blitz oft die Manie.Frauen zu enttleiden und zu necken, so daß es tatsächlich aussieht,als tteibe der Blitz ein tolles Spiel? Die Elektriker suchen solcheErscheinungen durch das Vorhandensein von guten und schlechtenLeitern zu erklären. Aber es bleibt doch vieles rätselhast. In derChronik des Jahres 1904 findet man zwei Fälle von Blitzschläge»�die in ihren Wirkungen ganz entgegengesetzt sind. Am 16. Septembertvllrde der Abbö Ritter aus Merschweiler bei einem Ausflug auf denRigi-Kulm vom Gewitter überrascht. Er erreichte ein Obdach, alsein Blitz ihn traf. Seine beiden Begleiter kamen unversehrt davon.Als sie Wiederbelebungsversuche anstellen wollten, fanden sie, daß derTod schon eingetteten war; merkwürdigerweise ivar die Sutane ganz ge»blieben, dasHemd abervöllig verbrannt. Am 6. August dagegen wurde derPächter Henri Vandenholt ,n Beverst in Belgien morgens früh um6 Uhr in» Bett vom Blitz getötet und die Leiche auf den Fußboden.geschleudert. Der Unglückliche war vom Kopf bis zum Fuß verkohlt.aber sein Hemd zeigte nicht die geringsten Brandspuren. Man hatLeute, die unvorsichtigerweise unter einzelnen Bäumen Schutz gesuchthaben, vom Blitz gettoffen angefiinden und während die Kleider»in»versehrt waren, zerfiel der Leichnam bei de: geringsten Berührung.Hände waren in Asche zerfallen in Handschuhen, die ganz gebliebenwäre»». Das merkwürdigste aber find die Photographien von Baumen