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glücklichen sei also gefagt, daß der L. P. Führer durch die Ge- mal mehr redet. Das nächste Nationalfest wird nicht mehr irgend biete der Kunst, durch die Geschichte der Zeit 40 Jahre lang ein einem 2. P. gelten, sondern die dankbare Nation wird sich dereinst flinter und fleißiger Berichterstatter der Voffischen Zeitung" gewesen nm den 60. Geburtstag jenes Genius vereinigen, der so vielen ge ift, wo er, wie es scheint, mehr grüne als goldene Lorbeeren ge- nügt hat wenn auch ohne die Pedanterie der Grammatit. A. H. sammelt hat; denn der Verlag von Leffings Erben ist erzieherisch ist die triumphierende Chiffre! Bon Pietsch zu Holzbock- das ist genug veranlagt, um seine Angestellten nicht durch den Mammon zu der Weg. berderben, unter dem er selbst so schwer leidet. Nach dem Adreß­buch heißt 2. P., der mit jubelnden Zungen gepriesene Führer, Ludwig Pietsch  , von Haus ein Maler, dann der unerschöpfliche Ball­und Reifedichter der Bossischen Beitung".

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zu

Kleines feuilleton.

Joc.

In dieser Eigenschaft hat 2. P. faft ein halbes Jahrhundert Bon jenen, die man nicht sehen soll, erzählt das N. Wiener zahllose Herden strahlender Schönheiten, genialer Köpfe, edel ge Tageblatt": Bitma ist das lezte Dorf vor Nertschinsk  , dem ge­formter Stirnen bemerkt". Kein Wunder, daß all die Bemerkten, fürchtetsten aller sibirischen Berbannungsorte, wo sich die Gold­soweit sie noch lebten, fich dankbar erwiesen und nun auch ihrerseits minen befinden. Keinem Menschen hat je der Name Zitma so wohl den achtzigjährigen Herold ihres Ruhmes bemerkten. So ward diefer geklungen als jenen Unglücklichen, die Zeit ihres Lebens nach Geburtstag zu dem Familienfest aller derer, die mit zäher Energie Nertschinst verbannt sind. Ihr ganzes Sinnen und Trachten, das fich untereinander ihre Bedeutung versichern. 2. B. hat mit uns Ziel ihrer Wünsche, ihr einziger Hoffnungsschimmer ist, jenes fleine ermüdlicher Geduld die Ruhmeshalle der talentvollen Bourgeoiste Lörfchen zu erreichen, denn ist es ihnen gelungen, soweit unbemerkt nohst ihrem dynastisch- feudalen Ehrensaal, aufgeschichtet. so dach zu finden. Sie wissen, daß sie nur wenige Meilen weit von Indeffen jo gleichgültig der Jubelgreis stets gewesen, er ver- 3u entkommen, so find sie sicher, dort Nahrung, vielleicht auch Oba körpert doch ein Stüd der Entwicklung der deutschen Bourgeoisie, rtutet entfernt und auf der Straße nach Europa   sind. Meistens insbesondere in ihrer Berliner   Abart. L. P. geht aus von dem gewarten die Sträflinge die wärmere Jahreszeit ab, che sie einen bildeten, schöngeistigen, Kleinbürgerlichen, liberalen Bürgertum, das Fluchtversuch wagen, doch wenn sich zufällig eine günstige Gelegen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gedeiht, das 1848 und in der Konfliktszeit ein wenig aufbrandet, das ein paar Männer und heit hierzu im Winter bietet, so wird sie begreiflicherweise ohne Baudern ergriffen, obwohl sich dann kein Flüchtling der Hoffnung sehr viele wilde Philister erzeugt hat. Während der Reaktionszeit figt man in politifierenden Tee- Zirkeln und Literaten- Klubs bei- hingeben darf, vor Einbruch des Frühlings Europa   zu erreichen. fammen. 2. P. fennt alles, was Namen hat. An jeden und jedes hat er Erinnerungen". Auch an Lassalle hat er sich erinnert, aber der Tischdichter des Achtzigjährigen fügt gottlob hinzu, daß ihm der Stürmer nicht gefährlich geworden:

Aber der Hecht wuchs mit in dem Teich und bedrohte die Karpfen, Db auch Haschisch Du geraucht mit Laffalle und Tische gerüdt haft, Dennoch verführte er nicht Dein royalistisches Herz. Das royalistische Herz verfettete sich in L. P. ebenso wie in dem reicher werdenden Bürgertum. Die blaffen Tee- Ideale schwanden bald völlig, und die Ereignisse des bürgerlichen Daseins bestanden in Subskriptionsbällen, Theaterpremieren, Ausstellungseröffnungen, Wohltätigkeitsbazaren, lebenden Bildern, Sommerreisen. Für 2. P. wurde das Erdendasein mehr und mehr zu einem elvigen théâtre paré, ob er nun die Greuel des Krieges, eine Baren frömung, ein Ballfest, eine Bildersammlung berichterstattete. Das Geheimnis seines Erfolges und seiner Beliebtheit war seine über­quellende Lobesfähigkeit. Auf einem einzigen Balle entdeckte er mehr strahlende Schönheiten, als die gesamte ästhetische Freigebigkeit der Weltgeschichte spendet. Er wurde der bezaubernde Stilist weiblicher Reize und Toilettengeheimnisse; er beherrschte die Fachausbrüde der Textilindustrie wie ein gelernter Konfettionär. Er schwelgte in der süßlichen lüsternen Simili- Art des seligen Clauren, und das fitten­strenge Publikum der Vossin, die eine ernste Abhandlung über Prostitution mit einer Massenkündigung der Abonnements beant wortet hätte, bewunderte diesen Fleisch- und Konfektionsenthusiasmus. Von 2. P. in einem Bericht mit Namen, Chiffre oder auch nur andeutungsweise erwähnt zu werden, war das Jdeal der guten und besten Gesellschaft. Den Ausschnitt des Lebens, den des Künstlers Temperament nach Bolas Wort gestalten soll, ver­wechselte 2. P. 40 Jahre lang mit dem Ausschnitt an weiblichen Hälsen. Noch heute sieht man den Greis auf allen Veranstaltungen der Gesellschaft, stets in der Nähe weißer nackter Frauenarme und juwelenstarrender Brüste; in der Sprache des Nationalfestes nennt man das jugendfrisch und schönheitsdurstig.

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In den seltensten Fällen wagen es die Flüchtlinge, in irgend einem Hause um Obdach zu bitten, und selbst die Erlangung von Nahrungs­mitteln wäre mit großen Schwierigkeiten und Gefahren verbunden, mitunter auch ganz unmöglich, wenn ihnen nicht von unbekannter und ungesehener Hand der nötigste Lebensunterhalt auf ihrer Flucht gespendet würde. Wie sich eine solche Spendung vollzieht, schildert ein Schriftsteller, der ihr einmal zur Weihnachtszeit beiwohnte. In einem Hause am Ende des Dorfes war die Gorniza( jener Wohnraum, der nur bei besonderen Festlichkeiten benützt wird), hell erleuchtet, und der große Kachelofen sprühte. Die Familie hatte sich vollzählig versammelt, um den Weihnachtsabend mit einem Festmahle würdig zu begehen. Knapp unter dem Fenster stand ein gedecktes Tischchen mit einer hellleuchtenden Lampe, einem Struge Wasser und einem Stück Brot, und bei jedem frisch aufgetragenen Gerichte stand die Tochter des Hauses auf und setzte eines der besten Stücke auf den Nebentisch. Tas Mahl war bereits zu Ende, und man hatte die gebräuchlichen Choralgefänge angestimmt, als plög lich eine Stimme von draußen klar und deutlich die Worte rief: ,, Gott   sei mit Euch!" Wie mit einem Schlage verstummte der Ges fang, und der Hausvater, von seinem Siße aufstehend, ohne sich jedoch von seinem Blaze zu rühren, antwortete in feierlichem Tone: und mit Dir. Wir haben Dich erwartet, Dein Teil ist bereit.". Draußen vor dem Fenster vernahm man nun das Geräusch knarrender Schritte im festgefrorenen Schnee, das Fenster wurde ein wenig geöffnet und eine Hand erschien in dem Spalte, taftete etwas umher, griff dann das Brot und verschwand. Alle Anwesenden hatten sich und zu Boden geschlagenen Augen da. Jekt erschien die Hand zum ernst und schweigend erhoben und standen mit gefalteten Händen Nimm ihn hin!" sprach der zweitenmal und nahm den Krug. " Heute ist ja der Heilige Abend. Muschik, ohne den Kopf zu wenden. zurück. Man hörte, wie der Krug in langen, gierigen Zügen ge­ Betet für mich!" kam die Antwort Willst Du noch etwas?" leert wurde, und dann verhallten allmählich die sich entfernenden In allen Häusern Sibiriens  , Schritte im krachenden Schnee

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wo wohlmeinende Menschen wohnen, steht jahraus, jahrein ein ge­deckter Tisch mit Lampe  , Brot und Wasser beim Fenster bereit für jene, die man nicht sehen soll, das heißt für Flüchtlinge.  -

So huldigte 2. B. berzüct Tag für Tag allem, was Macht, Reichtum, Namen hat. Er führte das Prinzip des Inseratenteils der Boffin in den redaktionellen Tegt ein. Kein Inferent fann seine ie. Was einem auf einer Reise in Indien   passieren kann, Vorzüge laut Tarif höher anpreisen, als es 2. P. tat. Niemand schildert ein Beamter des Regierungsmuseums in Madras. Dieser fäßte deshalb auch die Künstler, die den Markt beherrschten, höher Gelehrte hatte im letzten Jahr eine längere Reise durch das Gebiet als diesen Kritiker, der den gesamten Bilderkatalog mit lobenden von Maisur zu völkerkundlichen Zwecken und namentlich zur Forts Bemerkungen als Voffischen Kunstbericht reproduzierte. Nur das jepung seiner Untersuchungen über die körperlichen Eigenschaften Häßliche war dem Manne zuwider; denn er war ein Jdealist. Und der Canaresen unternommen. Seine Arbeiten vollzogen fich unter wenn er auch für die revolutionäre Eigenart in den Anfängen einer fast unglaublichen Schwierigkeiten, die ihm durch die panikartige Künstlerlaufbahn nur Spott übrig hatte das schadete auf die Angst der Eingeborenen bereitet wurde. Diese hielten ihn nämlich Dauer nicht; denn da er sehr alt wurde, hatte er immer Zeit, für einen geheimen Werbe- Offizier und flohen bei seiner An­schließlich, wenn es nicht anders mehr ging, falsche Einschätzungen näherung von Stadt zu Stadt. Die Furcht der Eingeborenen wurde zu korrigieren. noch besonders verstärkt durch die Art, wie der Forscher für seine 2. P. schuf in Wahrheit die weiblichen und männlichen, die gewissenschaftlichen Zwecke Schädelmessungen vornahm. Er machte malten und gemeißelten Werte der bürgerlichen Dekadenz, der kom- nämlich, um die Lage der Naht zwischen Stien und Rasenbein an mandierende Generalreporter der liberalen Bourgeoisie, die vom zuzeigen, auf die Haut einen fleinen Strich mit weißer Farbe. Die Extrablatt der Freude über den Märzfieg von 1848 bis zu dem um- Leute aber glaubten, daß diese Behandlung als Erkennungszeichen bezwinglichen Ehrgeiz fich entwickelt hat, die Tischkarten der kaiser  - für eine nahbevorstehende Aushebung gelten oder sonst unangenehme lichen Diners nachzuessen. Folgen haben könnte. Als nun in einer Stadt in unmittelbarer Nähe des Forschers ein Mensch starb, wurde dies dem Einfluß seines bösen Blickes" zugeschrieben. Der Reisende kam auf diese Weise mitunter in eine peinliche und merkwürdige Lage, namentlich alle Greise, Weiber und Kinder ergriffen vor ihm die Flucht, wenn sie nur irgend konnten. Die Verkäufer von Nahrungsmitteln schlugen ihre Preise auf, um überhaupt nur ein Geschäft zu machen, und ein Missionar beklagte sich bei dem Gelehrten, daß er den Preis für die Butter nicht mehr bezahlen könnte. In einer bedeutenden Stadt war gerade, als der Forscher ankam, der Tag eines Tempel­festes, aber es fanden sich nicht einmal genug Männer, um den

Dennoch lang in das 2. P.- Nationalfest vernehmlich ein Totenglödlein. Auch wenn 2. P. noch weitere achtzig Jahre lang für Leffings Erben weibliche Reize fachverständig barstellt, diese bourgeoise Epoche ist bereits im Sterben. Die alte Garde, die sich feit 40 Jahren 2. P. ergibt, und immer noch nicht sterben will, war es, die fich in dem Fest scharte. 2. P. und die Seinen lasen doch bisweilen immer noch ein ernstes Buch, sie wußten mancherlei, und bemühten fich, deutsch   zu schreiben. Schon aber zieht die neue Zeit herauf. Um Lessings Erben wird es einsam. August Scherl  konzentriert die bürgerliche Deffentlichkeit, die von Idealen nicht ein­