den sei, werden vielleicht die Wunden durch Ueberfahrcn von einemWagen erklären und durchblicken lassen, daß der Kläger ein ge»meiner Verleumder sei. Die Gerichtsverhandlungen finden endlichohne alle Feierlichkeit unter dem Zusammenlauf einer großen Men-schenmenge statt. Frauen treten als Zeugen auf, ihre Kinder an derBrust nährend; Kläger und Angeklagte stehen durcheinander, dochsind alle Angeklagten gefesselt, was sie auch für ein Verbrechen be-gangen haben mögen. In großen Haufen schauen die Chinesen zu;wie sie selbst immer bereit sein müssen, die Bastonnade zu cm»pfangen, so freuen sie sich auch, dem Vollzug bei anderen zuzusehen.Advokaten gibt es in China nicht. Doch gibt es Vermittler, diezwischen den Parteien eine Versöhnung anstreben. Fürchtet der eineTeil, Unrecht zu bekommen, dann lädt der Vermittler auf seineKosten den anderen Teil zu einem Mahl, und wenn sie vollgegessenund betrunken sind, suchen die Vermittler sie zu einem Ausgleich zuüberreden. Der Vermittler kennt alle Schliche und Ränke des Pro-zetzverfahrens, weiß, wie man am besten besticht, wie man durch An-drohung einer Gegenklage einschüchtert. Auch die Gerichtsdienerhelfen vielfach den Parteien. Bei der Verhandlung spielt der Rechts-kundige die Hauptrolle. Der Angeklagte leugnet, er ist im Bewußt-sein völliger Unschuld; doch der Rechtsgelehrte erklärt, daß er schuldigsei; er muß es sein. Man wendet die Tortur an; zunächst wird erauf den Bauch gelegt und erhält 20 Schläge auf dem entblößtenRücken. Dann neue Fragen, erneutes Leugnen. Nun geht's wiederlos; er bekommt Schläge auf die Hände, Ohrfeigen, schließlich 50oder 100 Stockschläge, bis das Fleisch aufschwillt und Blut fließt. DerChinese ist weniger nervös als der Europäer, er verharrt in stoischerRuhe, bis er den Schmerz nicht mehr erträgt und ein Verbrecheneingesteht, das er nicht begangen; der Reiche wird dann eingesperrtund kann sich mit einer größeren Summe wieder loskaufen; derArme wird gefangen gehalten, solange es dem Mandarin gesällt. Sovollzieht sich die chinesische Rechtsprechung, die nach dem Gesetze sogerecht und menschenfreundlich ist. In den Gefängnissen solleneigentlich die Leute milde behandelt werden; trotzdem sterben sehrdiele, so daß man sich fürchtet, sie durch die Eingangspforte hinaus-tragen zu lasten. Sie werden durch:in Loch fortgeschafft, das manwieder zustopft. Dies ist der schrecklichste Schimpf und die schiversteBeleidigung, die man einem Chinesen antun kann. Sein schlimmsterFluch lautet:„Mögest Du durch das Loch aus dem Gefängnis ge-schafft werden I" Die Gefangenhaltung gilt nicht eigentlich alsStrafe; sie wird auch nicht nach Tagen, Monaten und Jahren ab-gemessen. Das Gefängnis ist mehr eine Art Wartesaal, in dem manfestgehalten wird, bis man durch Bezahlung einer Summe ein Ver-brechen sühnt, seine Schulden bezahlt, gestohlenes Gut wiedergegebenhat, oder auch bis es dem Mandarin gefällt, den Betreffenden heraus-zulassen. Mancher mutz freilich bis zu seinem Tode warten. Unterden vielen Strafen des chinesischen Rechts sind die beiden gebräuch-lichsten: die Bastonnade und der Block, jener Klotz mit Löchern fürKopf und Hände, den der Verbrecher tragen muß. Die Bastonnadehat einen väterlich gütigen Anstrich. Der Gezüchtigte mutz sich nach-her dreimal vor dem Richter hinwerfen und ihm für die Sorgedanken, mit der er darauf bedacht ist, ihn zu bessern und zu erziehen.Für die Schriftgelehrten existiert eine besondere Strafe, die in demAuswendiglernen von Stellen berühmter Schriftsteller besteht. Ver-bannung kommt häufig vor, und s gibt verschiedene Formen derTodesstrafe, von der Zusendung des seidenen Stricks an hohe Beamtebis zur Erdrosselung und dem Kopfabschneiden.—Geographisches.ss. Eine geheimnisvolle Insel, über derenVorhandensein man noch immer nichts Sicheres weiß, sollim nordöstlichen Teil des Stillen Ozeans zwischen dermexikanischen Küste und den Hawai-Jnseln gelegen sein.Es scheint fast unglaublich, daß in diesem Meeres-gebiet noch igernd ein Stück Land unentdeckt geblieben seinsollte, aber der betreffende Streifen des Weltmeeres zwischen dem15. und 19. Breitenkreis und dem 132. und 139. Meridian IvestlicherLänge liegt gerade außerhalb des regelmäßigen Schiffsverkehrs. Diemeisten Berichte über das Bestehen von Land in diesen Regionenstammen von Walfangschiffen aus dem ersten Teil des vorigen Jahr-Hunderts. Kapitän Bcechey auf dem Schiff„Blossom" bcfuhr diesenMeeresteil 1827 ohne Anzeichen von Land wahrzunehmen; dagegenkam der Kapitän Bclcher 1837 nach der Beobachtung von Vögeln zuder Ueberzeugung, daß die Berichte über das Vorhandenfein einerInsel begründet sein müßten. 1839 nahm ein Schiff der von denVereinigten Staaten zur Erkundung des Stillen Ozeans entsandtenExpedition unter Wilkes seinen Weg durch das zweifelhafte Gebiet,vermochte aber die schwebende Frage gleichfalls nicht zu lösen. Manschenkte den alten Behauptungen weiterhin Glauben, bis 1899 Pro-fessor Agassiz mit dem Regierungsdampfer„Albatroß" die Meeres-zvne durchfuhr, ohne Land zu sichten, während gleichzeitig Tiefenvon 2700 Faden und mehr gelotet wurden. Danach hätte man wahr-scheinlich den rlten Glauben an die geheimnisvolle Insel endgültigaufgegeben, wenn nicht 1902 Kapitän Lawleß auf dem Dampfer„Australia" wieder auf der Fahrt zwischen San Francisko undTahiti ein auffallend seichtes Meer gefunden hätte. Es wird zuGunsten der alten Vermutung noch das Schicksal der amerikanischenKorvette„Levant" angeführt, die 1300 zwischen Hawai und Panamazugrunde ging. Das Wrack wurde 1861 gefunden und schien zuzeigen, daß das Fahrzeug an einem Felsen gescheitert sein mußte.Da noch immer«in Gebiet des OzeanS von etwa 75 000 Quadrat.kilometern unerforscht geblieben ist, kann die Existenz einer Inseloder eines Riffs nicht sicher verneint werden.—Humoristisches.— Die drei Wunderrabbis. Aaron, Citron und Gold-faden sitzen zusammen und erzählen sich merkwürdige Geschichten vonwundertätigen Rabbinern aus ihrer polnischen Heimat.Aaron weiß von einem zu erzählen, der brachte einmal abendszehn Personen mit nach Haufe, daß sie bei ihm speisen sollten. Wieseine Frau den unwillkommenen Besuch gesehen bat, ist sie außersich gewesen und hat gerufen: Gott, ich Hab doch bloß Fisch fürzwei Personen im Röhr, wie sollen satt werden so viele Menschen?Da hat der Rabbiner gesagt: mach auf das Röhr und sieh nach?Was soll ich Euch sagen? Wie die Frau geöfftiet, haben statt derzwei Portionen dagelegen zwölf Portionen Fisch, und alle zwölfhaben sich sattgegessen daran IDas ist sehr merkwürdig, meinte Citron, aber ich Hab' voneinem Rabbiner gehört aus meiner Vaterstadt, der hat einmal nochein größer Wunder(jetan. Er hat sich niedergesetzt mit einemanderen zu einem Spiel Karten, was man dort nennt„Ocko". Hatjener aufgedeckt vier Könige, was ist fast der höchste Trumpf undhat gemeint, er muß gewinnen. Da deckt mein Rabbiner auf undwas meint Ihr, was er hat gehabt? Fünf Asse!Nu, das ist doch gar nicht möglich I ereifert sich Aaron, wie sollenfünf Asse hineinkommen in eine Taille Karten?Und so streiten sie sich hin und her, bis Citron ausruft:Latz Du nach von Deine Fisch, werd' ich nachlassen von meineKartenlDa meldet sich Goldfaden zum Wort: Ich glaub' an das, wasDu gehört hast von dem Fisch und an das, was Du hast gehörtvon den Karten, aber jetzt will ich Euch erzählen etwa?, was ichselb st Hab' gesehen mit meinen eigenen Augen: geht da derRabbi von meiner Stadt übern Markt und trifft einen krankenJungen, der auf Krücken humpelt. Da geht er an ihn heran undspricht: Junge, kennst Du mich? Ich bin der große Wunder-rabbi und mein Wort geht in Gottes Ohr. Und ich sage Dir: werfweg die Krücken INu— und?— Wie weiter?Wie der Knabe das hört, wirst er wirklich fort die Krücken.Und ist gesund gewesen? fragen Aaron und Citron mitstaunenden Gesichtern.Nein; wie er fort wirft die Krücken, ist er gleich umgefallenund liegen geblieben.Nu?? Wo ist das Wunder??Ein Wunder ist es nicht, aber das Hab' ich gesehn mitmeinen eigenen Augen I—(„Lustige Blätter".)Notizen.— Ausgerungen. Das„Neue Magazin fürLiteratur" wird am 1. April mit den.Monatsblättern fürdeutsche Literatur"(Deutscher Kultur-Verlag, Berlin) verschmolzen.—— Carlot Neulings Komödie„Der Mann imSchatten" geht am Sonntag nachmittag im Lu st spielhausein Szene.——„Totes Leben", ein dreiaktiges Schauspiel vonWalter Müller-Waldenburg, Ivird im Schiller-Theater zu Zürich die Uraufführung erleben.—— In Landshut in Bayern wird im August das vonG. Schaumberg verfaßte Festspiel„Die LandshuterHochzeit 1475" aufgeführt werden.—(— D'Annunzios neue Tragödie„Die Fackel unterdem Scheffel" wurde bei der Uraufführung in Mailand ab-gelehnt.——„Walhall in Not", ein musikalisches Satyrspiel indrei Akten von Otto Neitzel geht am Sonnabend im Stadt-theater zu Bremen zum erstenmal in Szene.—— Heinrich Zügels Gemälde„Unter denWeiden" ist für das Wallraf- Richartz- Museum in K ö l n er-warben worden.—— Der erst im Jahre 1851 in Nordamerika eingeführteHau s sp er l i n g hat sich in der Zwischenzeit derart vernichrt, daßer zu einer allgemeinen Landplage geworden ist. VerschiedeneStaaten haben Hunderttausende ausgegeben, ohne auch nur eine be-merkbare Verminderung des Schädlings, der jährlich fünf bis siebenBrüten großzieht, zu erzielen. Wie er sich anderen Vögeln gegen-über benimmt, schildert ein Beobachter also:„Alle Nistkästen undHöhlungen für Blauvögel nimmt er für sich in Beschlag, und nochche die Schwalben aus dem Süden heimkehren, hat er in deren vor-jährigen Nestern bereits seine erste Brut großgezogen. Die Nesterdes Robin und anderer Vögel zerzaust er und trägt das Materialzum eigenen Neste. Die für die prachtvolle purpurschimmerndeMartinschwalbe bestimmten Schwalbenhäuser mit ihren vielen Rist-abteilungen besetzt er gleichfalls lange, bevor die rechtmäßigenBesitzer eintreffen, die sich dann scheuen, mit dem Raufbold sichzwecklos herumzubalgen und lieber das GeHöst verlassen."—— Auf der Sternwarte in Nizza wurde ein n e u c r K o m e tentdeckt. Er steht im Sternbild Orion, seine Helligkeit ist sehrgering. Die scheinbare Bewegung ist nach Nordosten gerichtet.—Berantwortl. Redakteur: Paul Büttner, Berlin.— Druck und Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u. Verlagsanstalt Paul Singer LcCo., Berlin L'iV.