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folgung ab, deren Opfer der Kleine geworden war. Jedes Weib schrieb das Unglück derjenigen zu, auf die sie den meisten Groll hatte, und faßte schließlich den festen Entschluß, das nun einmal geschehene Unglück dadurch gutzumachen, daß fie der Familie am nächsten Tage ihre Dienste bei der Beerdigung

anbot.

Am nächsten Morgen, bei Tagesanbruch, zerbrachen sich alle Leute aus der Gegend den Kopf, wie sie zu Batiste gehen und wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollten. Es war eine Ueberschwenglichkeit von Neue, die sich von allen Ecken und Enden der Huerta auf die in Trauer versunkene Hütte ergoß. Schon bei Tagesanbruch schlichen zwei alte Weiber, die in der Nähe wohnten, in das Haus. Die bestürzte Familie war faum überrascht über das Erscheinen an einem Orte, den seit sechs Monaten kein Fremder betreten hatte. Die Frauen verlangten das Kind zu sehen, den armen Engel, und als man sie in die Kammer ließ, betrachteten sie ihn, wie er in seinem Bette lag, wo der Abdruck des mageren Körpers unter der Decke kaum zu sehen war. Das Tuch war bis zum Hals hinaufgezogen, der blonde Kopf in das Kissen eingesunken. Die Mutter hatte sich zurückgezogen und konnte nur stöhnen, zufammengefauert saß sie da, als sollte sie sich ganz klein machen und verschwinden.

( Fortsehung folgt.)

Salome von Richard Strauß .

Am Sonnabend war's, im Dresdener Opernhause, als die musikalische Sensation dieses Winters das Licht der Bühne erblickte. Man fann übe: Richard Strauß denken, wie man will: daß er an der Spike der lebenden Komponistenwelt steht, ist von feiner Seite bestritten. Das Interesse an der Uraufführung seiner dritten Oper war deshalb ein allgemeines und ging weit über Dresden und selbst Deutschland hinaus. Seit Monaten wurde man in den Spalten bürgerlicher Blätter mit Notizen über das bevor­stehende Ereignis gefüttert, und von dem ersten Auftauchen der Opernidee an bis zum extra neu erfundenen Orchesterinstrument. dem Zensurverbot und dem authentischen Interview, fehlte nichts, was nicht zum herkömmlichen Rüstzeug der Nellame gehörte. Man wird bei der Beurteilung des neuen Werkes von all diesem absehen dürfen und nur den Eindruck nachprüfen und wiedergeben, den das Anhörer und Anschauen des Werkes hervorgerufen hat. Und da mag denn zuerst ausgesprochen sein, daß der Musiker in Strauß dem Dramatiker einen Streich gespielt hat. Der Eindruck von Salome ist zwiespältig. Wir haben wieder nur eine Oper mehr erlebt, nicht aber ein musikalisches Drama ge­schaut. Daß die Tonsprache der neuen Oper modern ist, daß die Form leitmotivisch aufgebaut ist, hat dabei nichts zu sagen. Denn nicht die Form ist bestimmend, sondern das Wesen. Die Frage ist: Hat Strauß vermocht, das dramatische Leben seiner Personen und die szenischen Vorgänge so mit Musik zu durchtränken, daß die Musik ein unlösbarer Bestandteil des dramatischen Vorganges und der psychologischen Eigenschaften der handelnden Personen ge­worden ist? Und da müssen wir mit Nein antworten. Im Gegen­teil sogar, wir müssen sagen, daß das Original, das einattige Drama von Oskar Wilde, geschlossenere Wirkung ausübt. Wildes Stück bedeutet uns noch lebendige Kunst und ein Vergleich der Oper und des Schauspiels in der bühnenmäßigen Wirkung würde ficherlich zugunsten des letzteren ausfallen. Die Musik von Strauß ist eine Illustration zu Wilde, aber keine Ergänzung, allerdings eine stellenweise geradezu geniale Illustration, die sich andererseits aber auch wieder so selbstherrlich breit macht, daß sie den Bühnen vorgang gefährdet.

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Jochanaan singt, gehört zu den schönsten Gaben des Straußschen Schaffens überhaupt, Hört man diese erhaben dahinströmenden, machtvoll den Hörer bezwingenden Tone, so begreift man beim besten Willen nicht, wie eine Wiener Theaterzensur aus Gründen der Religion die Aufführung des Werkes untersagt. Denn edler, als dieser Jochanaan, fann eine biblische Gestalt faum in Er­scheinung treten.

Bei dem Rein- musikalischen der neuen Oper verweilt man gern. Es sind nicht landläufige Töne, die man vernimmt. Mag manches auch nur geistreich erdacht sein, das meiste dürfte doch aus dem Borne einer unendlich reichen Phantasie gequollen sein. Was wir an Strauß lieben, was seine sinfonischen Dichtungen uns so wert macht, seine musikalische Schlagkraft, fehrt auch in Salome wieder. Sie ist ihm als Mittel der Illustration außerordentlich wertvoll geworden. Seltsame Klänge, eigenartiges Zusammen­fügen von Tönen, packende Rhythmen, bestimmte melodische Bögen, alles ist ihm Mittel zu dem höheren Zweck, eine ganz bestimmte Wirkung zu erreichen. Nicht um der Musik willen werden die Töne niedergeschrieben und kombiniert, sondern um ganz bestimmte Effekte zu erreichen. Musikalischer Naturalismus, wenn man so fagen darf, beherrscht die Oper. Die Singstimmen llingen oft wie Sprache, wie charakteristische natürliche Laute. Sie stimmen nicht immer mit den Tönen des Orchesters überein, sondern ergehen sich frei, aber die Wirkung ist genau abgewogen zu den Klängen des Orchesters. Ein Kabinettstück von solchem musikalischem Realismus ist eine Streitszene der Juden über religiöse Togmen. Ta sucht einer den anderen zu übertrumpfen. Ein unglaubliches Stimmen­getirr ist zu bernehmen, aber doch ist jeder einzelne typisch bes Handelt. Diese fabelhafte Naturtreue der musikalischen Zeichnung verspüren wir in allem. Aber es bleibt musikalische Zeichnung. Es geht nur weniges von dem eigentlichen Kern des Stüdes restlos in der Musik auf.

lich über die Kühnheit der" Salome "-Musik entsehen, man wird Man wird sich in musikalisch- orthodoren Kreisen wieder weid­wieder behaupten, das sei schon teine Musik mehr. Und hierin liegt, meinem Erachten nach, gerade der Wert der neuen Oper. Nie Gehörtes. Zuweilen glaubt Musikalisch bringt sie Neues. man, eine Vision in Tönen aufsteigen zu sehen. Ein bisher nur Geahntes, das jetzt zum erstenmal Wirklichkeit annimmt. Ton­folgen im schulmäßigen Sinne find das natürlich nicht mehr. Aber ist die Musik der Harmonielehre wegen, oder die Harmonielehre der Musik wegen da?

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Schwierig ist die Musik. Nicht zum Verstehen, denn sie redet eine deutliche Sprache. Aber zum Ausführen. Es ist bewunders Denn in wert, was die Dresdener Künstler geleistet haben. An erster Stelle stand das Orchester. Ein orchestraler Apparat, der musikalisch- technischer Hinsicht war die Vorstellung ausgezeichnet. noch über das Nibelungen- Orchester geht, ist erforderlich. Musiker waren tätig. Der Orchesterraum war durch Umbau ertra Das neue Instrument, das für diese Masse vergrößert worden. Heckelphon, eine tiefe Hoboe, trat nur selten charakteristisch hervor. Eigentlich habe ich nur an einer Stelle seine Wirkung gespürt; da, als Jochanaan in der Tiefe des Brunnens enthauptet werden foll und Salome mit schauriger Neugier oben am Brunnenrand den Todesschrei erhorchen will. Da tönte ein unendlich banger Laut aus dem Orchester, eine seltsam verschleierte Klage. Daß das Orchester überhaupt virtuos behandelt ist, ist bei Strauß selbstver­ständlich. Er spielt ja auf diesem Instrument, wie faum ein weiter. Er denkt aber auch orchestral. Denn im Klavierauszug gesehen, klingt die Musik vielfach hart, während im Orchester alles fließt und in steter Bewegung die einzelnen Stimmen sich freuzen, sich verschlingen und so das charakteristische Gesamtbild ergeben. Die Aufnahme von seiten des Publikums zollte den Schwierig­keiten der Ausführung besonders Rechnung. Schon beim Betreten des Orchesterraumes wurde der Dirigent von Schuch demonstrativ mit Beifall begrüßt. Und als nach Schluß des ungefähr eine Stunde und vierzig Minuten dauernden Stüdes der Vorhang sich wohl an zwanzig Mal hob, galt der Beifall in gleicher Weise ihm und den Darstellern wie dem Komponisten.

Wildes Salome" ist Aesthetentum, raffinierte Stimmungs­schilderung. Es liegt viel Lyrit in ihr, viel Musikalisches. Diese Die Darsteller hatten zum Teil Aufgaben zu lösen, die weitab Stimmungen musikalisch auszufoften, fie in Tönen ausleben zu von den üblichen Bühnenfiguren lagen. Herodes, der von allerlei laffen, fonnte einen in seinem Fache ebenfalls großen Stimmungs- Zeichen und Ahnungen heimgesuchte nach der Stieftochter lüfterne fünftler wie Strauß wohl reizen. Daß Strauß den Versuch machte, fand in Karl Burrian einen Vertreter, der sich von den üb­statt eines Opernlibrettos ein wertvolles Bühnenwerk in Töne zu lichen Tenorbetvegungen möglichst fernhielt. Stimmlich zu glänzen, fleiden, müssen wir ihm danken. Wenn auch der Versuch selbst dem dazu bietet diese Heldentenorrolle teine Gelegenheit. Das wieder Drama zum Nachteile gereichte und seine Wirkung nicht steigerte, ist in hervorragendem Maße bei Jochanaan der Fall, dem Karl sondern sogar herabdrüdte. Warum dies geschah, ist nicht all zu Perron die Gewalt eindringlichen machtvollen Gefanges verlieh. schwer zu erklären. Strauß ist zwar auch Stimmungstünstler, aber Jochanaan sticht musikalisch von allem übrigen ab. Um ihn zu eine gesund empfindende Vollnatur. Und diese mußte sich Luft charakterisieren verließ Strauß das Gebiet der Chromatik und hob Am wenigsten fand sich machen. Strauß konnte das Empfinden der Salome nicht aus den ihn in diesem Zeichen aus allem empor. Trieben perverser Neigungen haut- goût- reifen Menschentums Frau Wittich, die Brünhilde und Kundry Bayreuths, mit der heraus nachempfinden. Sein Fühlen ist gesunder. Und so Salome zurecht. Sie gab sich auch hier zu sehr als Heldenweib, wurde denn seine Salome tiefer, inbrünstiger als das Original. zu schwver; mehr als Isolde, wie als Salome . Ich muß bei Salome Sie wurde aus dem gierigen, naiv perversen Geschöpf, dem halben an Klingers Büste denken, an das falte Geschöpf mit den mitleids­Kinde, zum Befriedigung heischenden Weibe. Der Hauch des losen Augen, den sicher über der Brust verschränkten Armen. Ein Lasters ist zum Teil sogar bor. ihr genommen. Isolden- Stimmung gieriges Weib müßte Salome sein, eine Raubtiernatur. Bei Wilde bringt auf uns ein. Das Heimliche, das Lyrische ist weggewischt, ist sie mehr Staße, liftig, schmeichelnd, ein verwöhntes Kind. Frau das Heroische ist an seine Stelle getreten. Daß Jochanaan, der Wittich war nichts von beiden. Strauß hat die Salome mit Tönen Täufer , der Prophet, start in der Bordergrund tritt, hängt hiermit bedacht, mit Ausbrüchen höchster Leidenschaft, die meist nur eine auch zusammen. Denn bei dessen Zürnreden und Prophezeien dramatische Sängerin fich leisten kann. Eine solche wird aber nur Tonnte Strauß feine musikalische Gabe rein walten laffen. Was selten die Geschmeidigkeit haben, die zur Salome erforderlich ist,

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