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man berbot ihr sogar den Besuch der Kirche. Ein aus dem Opferstock empfangenes Almosen sollte ihr zur Ueberfahri nach Port Said   eingehändigt werden,- natürlich dritter Klaffe.

Pastor Zorn machte Herrn Jamain darauf aufmerksam, Saß er sich in aller Augen kompromittieren würde, wenn er sich noch ferner mit ihr beschäftigte.

Elias nahm davon keine Notiz, diese Härte verdichtete aber noch den Schattenkreis um sein Herz, und in banger Vorahnung sagte er sich:

" Der Tag wird kommen, da auch ich kein Mitleid in Zion finden werde."

Von nun ab faßte er zu Ritty eine mehr brüderliche Neigung.

Unter dem Vorwande, Herrn Goldmann noch eine ge­wisse Summe zu schulden, richtete er ihr außerhalb der Mauern und weit weg von der europäischen   Bannmeile, an der Damaskusstraße eine Wohnung ein. Sie lag in einem kleinen arabischen Hause, dessen weiße Kuppel zwischen den grauen nachdenklichen Wipfeln der Oliven lachend hervor­schaute. Dort besuchte er sie oft, denn eine melancholische Kameradschaftlichkeit, die jedes Begehren ausschloß, hatte sich zwischen ihnen entwickelt. Sie sprach zu ihm von ihrem ge­liebten Toten, er bekannte ihr seine begrabenen Hoffnungen. Er unterhielt sich auch mit ihr über seine Studien und ver­traute ihr seine Idee an, unter dem Titel, die Auferstehung des Heidentums" alle von ihm gesammelten, die vormessiani­schen Religionen betreffenden Dokumente zu vereinigen und, so zu sagen, eine heidnische Bibel zu schreiben.

Sie interessierte sich dafür und erschrak nie vor diesen vielfachen Gottheiten und deren phantastischen Kultus, in dessen tiefsinnigen und geheimnisvoll menschlichen Reiz Elias fie mit poetischen und beredten Worten einweihte.

Da sie eine schöne und deutliche Handschrift hatte, brachte Ser Gelehrte ihr auch häufig Manuskripte zum Kopieren, so daß er sie auf diese Weise beständig an seiner Geistesarbeit teilnehmen ließ. Und oft jagte er sich, von ihrem verständnis­innigen, etwas männlichen Wesen überrascht:

,, Es ist seltsam, wie sehr sie sich von Cäcilie unterscheidet. Kommt es daher, weil sie gelitten hat, oder weil sie eine Ge­fallene ist? Sollte vielleicht die Frau erst durch all das Leid, das ihr unsere Liebe zufügt, zu unserer Schwester werden?"

Wenn er dann aber in der Dämmerung zur Stadt zurück­tehrte und durch die engen, dunkeln Straßen schritt, so dachte er an sie mit einem innigeren Gefühl als Freundschaft; und stand er in einsamer Nacht auf seiner Terrasse, so malte er fich manchmal den Traum von einem neuen Leben voller Nach­ficht, Sanftmütigkeit und Ruhe aus.

8.

Eines Nachmittags schritt Elias auf der Damaskusstraße dem Häuschen Kittys zu.

Er mußte über einen kleinen mohamedanischen Friedhof, wo bunte, vom Winde aufgeblähte Haifs wie Fesselballons um die Gräber schwankten, und die roten Kopfbedeckungen der Kinder den gleichmäßig grauen Untergrund des Todes wie mit Anemonen und Adonis   schmückten. Ueber den Gräbern spannten Negerinnen Zelte auf; Verkäufer von Rafauett­bohnen und Mandelkuchen klapperten vergnügt mit ihren fupfernen Refseln; Effendis in hellen Hemden spazierten lang­sam umher und ließen die Perlen ihrer Bernsteinrosenkränze lässig durch die Finger gleiten. Auf Teppichen hockend, be­grüßten sich vornehme Damen von Grab zu Grab. Sie aßen, rauchten, schwagten, schöpften frische Luft, besprißten sich mit Rosenwasser und beugten sich von Zeit zu Zeit vertraulich murmelnd zu dem steinernen Turban herab. Dann lauschten fie, als ob sie auf eine Antwort von dem Toten hofften. Und Elias dachte in all diesem Friedhofsjubel:

"

Es ist doch seltsam, daß dieses Volk erst bei der Be­rührung mit dem Tode auflebt; sollte der Tod wohl süßer wie das Leben sein?"

Er fand Kitty bleicher als gewöhnlich, unter einem Delbaum des Gartens sigend. Beschriebenes Papier türmte sich auf dem Tische vor ihr auf.

Wie! Sie haben schon alles abgeschrieben? Sie er müden sich zu sehr, liebe Kitty. Ich finde, Sie sind heute recht blaß."

"

Es lag mir viel daran, Ihnen diese Arbeit abliefern zu fönnen. Ich reise morgen ab," sagte sie, und ihre Lippen zudten

Ein heftiger Schmerz schnitt ihm durchs Herz, und er Ließ sich schwer neben sie auf die Bank fallen,

-NO

Sie reisen ab? Wohin?"

Ein Achselzucken war die Antwort. Es sollte wohl an­deuten, daß das Ziel ihrer Reise noch unbestimmt sei. Warum tun Sie mir diesen Schmerz an?"

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Es muß sein, mein Freund. Ihr Herz ist zu gut und Ihr Sinn zu hoch, um auf alles zu achten, was um Sie herum vorgeht. Aber ich weiß es, ich kenne es zur Genüge. Uebrigens hat Herr Zorn selbst mich mit seinem Besuch beehrt, um mich darauf aufmerksam zu machen. Ich muß abreisen."

Aber warum? Was gibt es?"

,, D! mein Freund, Sie ahnen es wohl. Ich habe schon selbst gedacht, und merke jegt, wie unrecht ich tat, ihrem Ausweisungsbefehl zum Troz zu bleiben. Und doch, es war so gut, so süß, nach jenen furchtbaren Schrecknissen in dieser durch Ihre Freundschaft bereiteten Freistätte und unter diesen friedlichen Delbäumen ein wenig auszuruhen. Und dann war noch der arme Teure dort unten auf dem verlassenen, aufgeweichten Friedhof da; ich wollte ihn nicht verlassen, ehe ich nicht die Bäume wieder grünen sah und auf sein von der Sonne beschienenes Grab ein paar Blumen gepflanzt hätte. Ich sagte mir: Hier in dieser mohamedanischen Vor­stadt werde ich sie nicht mehr belästigen; sie werden mich vergessen, ich bin ja auch zu unbedeutend, als daß man sich lange mit mir beschäftigen sollte. Aber damit habe ich mir doch wohl zu sehr geschmeichelt. Es scheint, daß unser fast täglicher" Verkehr ihr Schamgefühl verletzt. Wäre ich eine Diakonissin das soll kein Ausfall gegen Cäcilie sein und Sie ein Pastor, so könnten wir in aller Heiligkeit mit­einander verkehren. Doch ach, ich bin nur eine leichtfertige Sängerin und Sie, mein lieber Herr, ein mangelhaft bekehrter Gözendiener. Beziehungen zwischen Leuten wie wir sind notwendigerweise unrein und von Sinnlichkeit" befleckt, wie sich Herr Zorn ausdrückte." ( Fortseßung folgt.)

-

Der Veluv.

( Nachdrud verboten.)

-

Lange Jahrhunderte hindurch hatte der Berg in der dem Beginn unserer Zeitrechnung vorangehenden Zeit geschlafen. Das Bewußtsein der Gefahr war aus den Köpfen der Lebenden ge­schwunden, und uralte Ueberlieferungen, die von längst vergangenen Schreckniffen zu erzählen wußten, wurden als Märchen verlacht. In dem tiefen Sicheltale des Atrio del Cavallo, dem Reste des ungeheueren vorgeschichtlichen Kraters, der durch den Ausbruch des Jahres 79 nach Christi zerstört wurde, sammelte Spartacus seine Stlavenscharen, mit denen er die Heere der Konsuln schlug. Von den Polstern der Villa des Lucullus auf Kap Misenum  , unter denen der Gardehauptmann Macro den dahinfiechenden Kaiser er­stickte, konnte der harte und grausame Claudier Tiberius   noch in feinen letzten Lebenstagen den müden Blick über die lachende Küfte Campaniens schweifen lassen. Ein Vierteljahrhundert später meldete sich, von keinem beachtet, das kommende Unheil durch ein Erdbeben an, das die bei einem Gladiatorenspiel versammelten Bewohner Pompejis nicht sonderlich schreckte, und wiederum 16 Jahre später( 79 n. Chr.) war die vornehme, glänzende Villeggiatur der Römer am Ufer des Garnus unter der Asche und den Lapilli verschwunden, die der wütende Berg 6 Meter hoch über ihr auf­häufte, während wasserreiche Aschenmassen, über die sich noch glühende Lavamassen ergossen. Herculanum und das Seebad Stabiae unter einer bis zu 30 Meter dicken Tuffschicht erstickten. Jm Lichte der Wahrheit und in der Beleuchtung durch die dichterische Phantasie ist dieser berühmte Bultanausbruch so viel tausendmal geschildert worden, daß diese Stizze darüber hinweg­gleiten kann, um sich jüngeren Katastrophen zuzuwenden. Unter den mehr als 40 Eruptionsperioden, von denen die Geschichte seit­dem zu berichten weiß, sind aus spätantiker und mittelalterlicher Zeit die gewaltigsten diejenigen der Jahre 203, 472, 512, 685, 982, 1036 und 1139. Dann schweigt der Vulkan wiederum durch ein halbes Jahrtausend. Seine Abhänge bedecken sich aufs neue mit üppigen Gärten und Weinpflanzungen, bis im Jahre 1631 wieder ein heftiger Ausbruch erfolgt. Wie gewöhnlich hatte der Befub durch Vorboten, zwei Erdbeben, die am 5. und 15. Dezember stattfanden, das kommende angemeldet. Ein deutscher Schweizer  , der dem Ausbruch als Augenzeuge beiwohnte, beschreibt den Be­ginn, nachdem er die Erdbeben erwähnt, mit folgenden un gefünftelten Worten: Nachdem dadurch viel Stätte, Märkt, Flecken und Dörffer eingerissen und zu Grund gefallen, sah man Feuer lichem Brausen, Knallen und Krachen geborsten und auffgerissen, und Rauch aus gemeltem Berg auffgehen. Dann ist er mit greu­hat einen so schrödlichen Rauch und Dampff, einem dicen, finstern Gewölde nicht unähnlich, von sich gegeben und angefangen, mit einem grausamen und erschrödlichen Feur zu brennen, welcher Brand dann mit solchem grausamen Krachen gegen 9 Uhr der=