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Herz für das Volk schlägt, das beweist wohl eine Briefstelle vorher: ..Mit dem Armen Jakob hab ich heute meinen Gottesdienst ge­halten. O schreib immer zu, das sind die Klänge, die bis ins Mark des Volkes dringen; daß ich imstande sein möchte, zu solchen Liedern Dich zu begeistern! Wenn man statt alberner Predigten solch Gedicht dem Volfe von der Kanzel vortrüge, es würde anders wirken, als tausend Sermone." Als Herwegh Emma   den Ent­schluß bekannt gibt, den 2. Band seiner Gedichte eines Lebendigen" früher zu veröffentlichen, jubelt sie:" Ich bin sicher, sie werden eine große Wirkung auf das politische Volksbewußtsein haben, und wer weiß, ob sie nicht die Vorläufer einer großen bewegten Zeit werden. Wenn der Eindruck eben nur Eindruck bleibt, dann hol der Kuckuck die ganze Schreiberei; aber Du wirst sehen, die krante Lise und der arme Jakob finden den Weg zu den Hütten der Aermsten, und ist erst das Volk gewonnen, dann kann man das beste erwarten. Nur aus den Massen der Prole tarier ist jeßt ein Ostern zu erwarten, daß es aber tommt und wir es noch feiern, steht flar in meiner Seele. Jch fühle es, wir werden noch, wenigstens ich, gewaltige Zeiten erleben, und ich erflehe sie mit der ganzen Glut meines Wesens. Dann sollst Du sehen, ob ich lieben kann, mein einziger Schatz.

Emma Herwegh   hat Wort gehalten. Keinerlei Verleumdung, feine Verspottung und keinerlei Anfechtung haben diese Frau jemals in ihrem freien Fühlen und Denken irre zu machen vermocht. Sie will, daß Herwegh   von ihr denke: Mein Mädchen ist kein Philister". Braut eines Republikaners, bekennt sie sich frant und frei als Republikanerin. Unsere Liebe ist wie das stolze, hehre Freiheits­banner, unbefleckt von dem Schmuße der gemeinen Menge und un­verlegt mitten im Zwiste und Kampfe der Völker, über ihnen wie ein ewig Gebot fortrauschend."

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Ein Glaube beseelt die beiden, einem Ziele streben sie mit allen Kräften zu: so rasch als tunlich miteinander vereint zu sein. Abgesehen von allerhand niedrigen Verleumdungen Herweghs, die aber bei Emma nichts auszurichten vermögen, erfahren wir da auch näheres über den Widerstand, den die Züricher   Kantonatsregierung der Ansässigmachung des Dichters entgegenstellte. Wohl oder übel muß sich Herwegh   entschließen, nach Baden   im Aargau  , zwei Meilen von Zürich  , auszuwandern. In Baselland  ," murrt er, bekommen sie am Ende auch noch Manschetten, und des Menschen Sohn, das heißt Dein fürchterlicher Schaz, hat bald keinen Stein mehr, wo er sein Haupt hinlegen kann. Lorbeeren die Hülle und Fülle, und feine Heimat! Prächtig! Gefällts Dir nicht auch, mein Schah? leber zu viel Ruhe wirst Du Dich Dein Leben lang nicht beklagen müssen." Emma ist über die Herwegh angetane Infamie aufgebracht. Gleichwohl weiß sie, er bedarf nicht ihrer Zusprache, um, wie es kommen mag, den Kopf oben zu behalten. Ja, laß sie es aufs äußerste treiben, Dich können sie ebensowenig stumm machen, als mich hörend auf das feile Geschwätz der Menge. Laß sie Dich ver­folgen, o, diese freien Republikaner! Sie werden fühlen, mit wem fie es zu tun haben, denn Dein Haß wird wachsen wie unsere Liebe, nicht so, Schatz? Warum kann ich im Augenblick nicht zu Dir? Ich bin Wut durch und durch, aber noch mehr als empört, in Liebe zu Dir. Wollen sie Dich nicht in Zürich  , nun wohlan, dann gehen wir in einen anderen Ort, hat er nur Raum für Dich und mich.. Glaub's: je mehr man Dich verfolgt, desto größer, desto schneller der Sieg, und wir wollen doch die Freiheit um jeden Preis!"

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Noch mehr Placerei hatte das Paar zu überwinden, um alle notwendigen Papiere zur Eheschließung und Naturalisierung in der neuen Heimat zu erlangen. Aber die unerschrockene Energie des Mädchens überwand alles. Immer sehnsüchtiger, immer stürmischer werden die Briefe. Zuletzt finden beide Menschen, daß sie sich brieflich nichts mehr sagen können und daß ihre Vereinigung in fürzester Frist heilsam und notwendig sei. Alle Fragen hinsichtlich der häuslichen Einrichtung sind erledigt; das Möblement steht fertig. Emma reist ab. Herweghs letter Brief aus Zürich   trägt als Datum den 20. Februar. Wenige Wochen darauf, anfangs April des Jahres 1843, macht das glückliche Paar seine Hochzeitsreise nach der herr­lichen Provence..

Dieser neue Briefwechsel aber bedeutet eine Bereicherung unserer Kenntnisse über Georg Herwegh   und seine allezeit so tapfere Frau. Wir werden diese Manifestationen nun nicht mehr vermissen wollen. Sie sind documents humain im vornehmsten Sinne des Wortes. Ernst Kreowski  .

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Kleines feuilleton.

kn. Leben und leben lassen." Ort der Handlung: Das Kleine, dunkle Kontor des wohlgenährten Herrn Martin.

Herr Martin steht vor dem Ladentisch und zeigt einem Kunden eine hübsche kleine Brieftasche. Diesem gefällt die Tasche; er frägt: Was kostet sie?"

Diese Tasche? O, die ist sehr billig! Zwei fünfundsiebzig." Dabei lächelt Herr Martin recht freundlich.

Der Kunde lächelte nicht. Im Gegenteil, er stutt und sagt: " Ja, aber vor einem Jahre habe ich eine gleiche Tasche bei Ihnen schon für 2 Mart 50 getauft!"

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Die Lederpreise steigen. Und dann die Arbeitslöhne, die wir jetzt o, die Arbeitslöhne es ist grauenhaft! Bei zahlen müssen diesem Artikel komme ich nicht mehr auf die Kosten." Aber Ihre Konkurrenz liefert diesen Artikel doch schon für 2 Mark 50.1

Meine Konkurrenz?"

" Jawohl, Ihre Konkurrenz!" Unmöglich!"

Reineswegs. Man sieht diese Tasche überall dafür aus­

liegen."

" Na", sagt Herr Martin und seine Stimme zittert, sehen Sie sich doch mal das Geschäfte gebahren solcher Firmen an! Weshalb tönnen sie denn so billig liefern? Deshalb, weil sie ihren Arbeitern wahre Hungerlöhne zahlen! Ich dagegen, ich bezahle sehr ans ständige Löhne, außerordentlich anständige Löhne. Ich darf behaupten, daß ich gerade für diesen Artikel in ganz Berlin   die besten Löhne gebe. Ja, sehen Sie, bei mir sollen die Arbeiter auch was verdienen! Mein Wahlspruch ist: Leben und leben lassen!"

Der Kunde ist von so viel Humanität vollständig überwältigt. Er sagt kein Wort mehr, sondern greift, vollständig besiegt, in die Tasche, holt sein Portemonnaie heraus und legt 2,75 Mark auf den Tisch. Herr Martin lächelt wie ein Feldherr nach gewonnener Schlacht, nimmt das Geld und wickelt die Ware ein. Der Kunde ent­fernt sich.-

Bald darauf erscheint der bescheidene und fleißige Herr Krämer, langjähriger Hausarbeiter der Firma, mit einem umfangreichen Kaften. Rasch wird der Kasten geöffnet; man sieht schöne, sauber gearbeitete Brieftaschen von derselben Art wie der Kunde eben ge­fauft hat und für die Herr Martin so gute Löhne bezahlt.

Herr Martin nimmt sich die erste, eine zweite, dann noch eine dritte Tasche aus dem Kasten, mustert sie mit kritischem Blick und sagt:" Brab gemacht, Herr Kramer! Die Ware ist gut!" Und in väterlich- wohlwollendem Tone: Na, Ihre Arbeit ist ja über­haupt gut!" Das ist Sphärenmusit für Herrn Kramer. Er hat nämlich etwas auf dem Herzen. Nun faßt er Mut und beginnt:" Herr Martin, ich wollte mal wegen der Preise..

Herr Martin sehr erstaunt:" Wegen der Preise?"

" Ja, ob Sie nicht etwas mehr geben wollten?"

" Mehr geben? Aber ich zahle doch Durchschnittspreise! Striegen Sie denn für diese Arbeit irgendwo mehr?" Herr Martin blickt den schüchternen Heimmeister herausfordernd an. " Ja, bei Herrn Wagner." Zaghaft kommts heraus. So? Wieviel denn?"

" Drei Mark pro Dußend, Herr Martin."

" Sooo!" Herr Martin reißt entsetzt die Augen auf. Bei meiner Konkurrenz?"

"

Jawohl, Herr Martin."

Woher wissen Sie denn das?"

Ich? Ach, ich hab's blos von meinem Freund gehört. Der arbeitet nämlich dort."

So!" sagt Herr Martin und atmet schier." Ja, wissen Sie, Herr Kramer, das sind dann eben Ausnahmepreise. Ich kriege für die Ware auch bedeutend weniger als Herr Wagner. Grade für diese Dinger! Ach wenn ich Ihnen mal vorrechnen wollte! Ja, soll ich denn aus meiner Tasche zulegen?!" Ein vorwurfsvoll- trauriger Blick trifft Herrn Kramer. Dieser ist schon halb besiegt.

" Sehen Sie mal, Herr Kramer, mein Wahlspruch ist: leben und leben lassen! Ja wohl, leben und leben lassen! Sie kennen mich doch und wissen: was ich machen kann, das mache ich. Aber was nicht ist, das ist nicht. Tut mir ja sehr leid, aber ruinieren? Soll ich mich ruinieren?"

Herr Kramer wagt nicht mehr, ihn anzubliden.

Sie haben gar keine Ahnung, wie wir armen Geschäftsleute gedrückt werden!" Herr Martin seufzt tief. Ich gebe ja bei diesen Sachen überhaupt zu! Ja, wahrhaftig! Ich kann's Ihnen aus meinen Büchern beweisen!"

( Herr Kramer gibt seine letzte Hoffnung auf.)

Um Ihnen ein Beispiel zu geben: wie ist es mir vorhin ges gangen? Da kommt ein Herr und kauft sich so eine Brieftasche. Diese Brieftasche kostet bei mir gewöhnlich 2,50 M. Wissen Sie, ich was er mir dafür gegeben hat? Sage und schreibe 2,75 wollte sagen 2,35 M. Jawohl 2,35 M. Das macht beim Stüd 15 Pf. Nun denken Sie mal, das geht mir beim ganzen Gros so, dann gebe ich zu: 144 X 151 Das macht. das macht 21,60 m. Nun, was sagen Sie dazu? Wo bleibe ich! na! Nee, lieber Mann, Wenn ich Ihnen da noch zulegen soll dann mache ich schon lieber die Bude zu, verkaufe den janzen Krempel und fange selbst an zu arbeiten! Dann habe ich mehr von meinem Leben, das fönnen Sie glauben!"

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( Herr Kramer bedauert den armen Herrn Martin und verflucht die Stunde, wo er an Zulage gedacht hat.)

" Ja, Herr Kramer, so leid wie mirs tut, aber ich kann diesmal nicht, wirklich, beim besten Willen nicht! Aber, wenn Sie wieder mal Wünsche haben und es ist mir möglich, irgend möglich, dann, das wissen Sie ja-1"

Herr Kramer nimmt still seinen Kasten und entfernt sich

Herr Martin tommt etwas aus der Fassung. m, jal Leider können wir die Ware jeht nicht mehr so billig herstellen. schleunigft.