Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 21.

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Mittwoch, den 30. Januar.

( Nachdruck verboten.)

Madame d'Ora.

Roman von Johannes V. Jensen, Und ohne d'Ora Zeit zu lassen, sich zu fassen und zu ant­worten, verließ er sie und ging durch das Atelier auf Edmund Hall zu, mit dem er einige Worte wechselte. Dann stellte er fich neben Mirjams Stuhl und sprach mit ihr, wie es schien, ganz leise. Madame d'Ora   sah ihm nach und seufzte tief auf, bleich vor Zorn.

,, Der Kerl hat sich seit damals Macht zu schaffen gewußt," sagte sie vor sich hin. Sie faßte sich.

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,, Er kommt oft hierher, aber immer nur auf kleine Besuche. Er ist ja so besorgt um Mirjam. Ach, Madame d'Ora  , Sie müssen mir, bitte, nicht böse sein, weil ich das vorhin gesagt habe... es entschlüpfte meinem Mund, ich habe nie gedacht

"

" Das macht nichts, liebe Frau Mc Carthy! Sie mir noch ein wenig von Pastor Evanston  . wirklich als Prediger so schnell durchgedrungen?"

Erzählen ster

Frau Mc Carthy erging sich gern des breiteren über Evanstons Tüchtigkeit und Erfolg. Aber Madame d'Ora  brachte aus ihrem freudetrunkenen Bericht nichts weiter heraus, als was sie bereits gehört hatte, daß Evanston   also da oben in dem prostituierten Stadtviertel Modeprediger war, und daß er Lichtbilder vorzeigte. Sie merkte sich den Namen der Kirche, in der er auftrat und ließ den Rest von Frau Mc Carthys langem Geschwäß in das eine Ohr herein- und aus dem anderen wieder hinausgehen.

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Zu welchem Glauben bekennt sich Herr Evanston   denn hier in New York   abgesehen von den Illustrationen ich meine, zu welcher kirchlichen Richtung gehört er?" " D, er ist episkopal! Wir, mein Mann und ich, sind ja Methodisten. Aber Herrn Evanstons Wirken ist gewiß so auf das Menschliche gerichtet... er legt fein großes Gewicht auf Dogmen. Seine Begabung liegt in der Erweckung. Er ist ja so beredt!"

Madame d'Ora   nickte, zufrieden mit der Karte, die sie gegen Evanston   in der Hand hatte. Jest wollten sie doch ein wenig über das reden, was sie in Salt Lake City   gehört hatie. Madame d'Ora   stand da und wartete, daß er mit seinem Geflüster mit Mirjam fertig werden sollte. Als es ihr aber zu lange währte, ging sie quer durch den Raum auf fie zu.

Herr Evanston  , ich habe Ihnen allerlei Grüße von Leuten zu bringen, die ich auf meiner Tournee getroffen habe.

Wo?" sagte er schnell und sah auf, ohne den ironischen Zug um den Mund.

" In Salt Lake City  ."

Er trat einen Schritt zur Seite und wieder zurück wie jemand, der etwas holen will und sich umwendet, er fab Madame d'Ora   mit einem Blick an, der sagen mochte, daß er wohl auch nur ein Mensch sei.

Haben Sie etwas dagegen, mit mir an die Fenster zu treten und mir Ruhe zu lassen, die Grüße in Empfang zu nehmen?"

Madame wandte sich um und schritt voraus. Sie lächelte, aber es war fein gutes Lächeln, sie wandte das Geficht um, ihm zu, mit einer Miene, als leite sie ein Tier, das sie gefangen hatte. Es war niemand an den Fenstern, und in dem großen Laboratorium konnte man nicht hören, was sie sagten.

,, Glauben Sie nicht, daß das, was ich zu erzählen habe, Ihre Freunde interessieren würde? Fürchten Sie nicht, in den Verdacht zu geraten, ein Stelldichein mit mir abzuhalten, Herr Joseph Evanston?..."

Sie brauchen mich noch nicht mit Vornamen zu nennen," unterbrach er sie, barsch und ungeduldig. Zur Sache, wenn ich bitten darf... Sie sind in Utah   gewesen, Sie haben mit Leuten gesprochen, die mich kennen?"

Ich bin in Utah   gewefen. Dort find Sie Mormone, Herr Evanston  . Sie treten hier also als Schwindler auf. Wenn Sie es wünschen, kann ich gern furzen Prozeß mit Ihnen machen."

1907

Evanston   besann sich einen Augenblick, und Madame d'Ora   stand da und genoß seine gebeugte Haltung; es war ihr eine Wonne, den Mann gedemütigt zu sehen. Aber sie irrte, er sentte die Stirn nur, um zu stoßen. Als er sprach, war seine Stimme kalt und mit durchdringender Energie geladen.

,, Sie können nichts beweisen. Niemand wird ein Work von dem glauben, was Sie von mir sagen könnten. Betrachten Sie das als Tatsache. Aber aus Bequemlichkeitsrücksichten wünsche ich, daß Sie schweigen, verstehen Sie mich, ich wünsche, daß Sie Ihr Wissen niemandem mitteilen

" Ha, ha, ha! Sie wünschen!"

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Es ist Zeitvergeudung von Ihnen, zu widersprechen. Schweigen Sie gefälligst sofort. Wenn Sie mir die aller­geringste Unbequemlichkeit verursachen, wird Edmund Hall dafür büßen! Seine Sicherheit ist von der meinen abhängig, er steht und fällt mit mir. Im selben Augenblick, wo Sie mich bremsen, geht er kopfüber." ,, Was meinen Sie damit?" flüsterte Madame d'Ora  . Der Atem verging ihr, sie fühlte, daß sie hier gegen einen Stein geprellt war. , Sie entsinnen sich des Auftrittes an Bord des Bacharach  " mit Edmund Hall und einem Mann aus London  ? Sie waren selbst zugegen. Ich war nicht dabei, aber ich weiß mehr als Sie. Dieser Mann aus London  , der Polizist ist, steht unter meiner Kontrolle... solange man mich in Ruhe läßt. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen. Sie haben Ver­stand genug, um zu sehen, was für eine Bedeutung Ihr Schweigen jetzt hat... Haben Sie Edmund Hall erzählt, was Sie von mir gehört haben?"

"

" Jal" antwortete Madame d'Ora   ängstlich.

,, Gut. Das macht nichts." Evanston   senkte die Stimme und sprach vernünftig wie ein Mann, der sein Leben in Not und Selbsthilfe gelebt hat, und der weiß, daß er Eindruck macht. Es schadet nichts, daß Herr Hall es weiß, er schwatt ja nicht, und ich bin ihm völlig gleichgültig. Aber ich verbiete Ihnen, ihm ein einziges Wort von dieser unserer Unter­haltung zu sagen. Aus Gründen, in die ich Sie nicht ein weihen will, hängt seine Sicherheit davon ab, daß er nichts weiß. Ich sage Ihnen, eine Stunde, nachdem Sie ihm diese Unterhaltung hinterbracht haben, werde ich die Folgen davon spüren, und eine halbe Stunde später wird Edmund Hall ge­liefert sein. Darauf können Sie sich verlassen. Jetzt wissen Sie also nichts von mir, und es ist, als hätten wir nicht mit­einander gesprochen. Rühren Sie nicht an mir!"

Er schwächte die Wirkung seiner Worte nicht dadurch ab, daß er auf Antwort wartete, sondern verließ sie und kehrte wieder zu Mirjam zurüd. Eine Minute verabschiedete er sich von Edmund Hall und ging. Madame d'Ora   hatte sich an die Fenster gesetzt, sie war halb betäubt und sah, ohne zu sehen, auf die rauchenden Wolkenkrazer hinaus. Was war dies alles? Was bedrohte Edmund? Etwas Entseßliches, ein Ge heimnis. Und sie durfte nicht einmal mit ihm darüber reden. Ja, fie entsann sich des Auftritts an Bord des Bacharach  ", der so unheimlich und rätselhaft gewesen war. Und jetzt waren da andere Seiten in Edmunds Benehmen, die ihr rätselhaft erschienen, seine Geistesabwesenheit, seine verbissene Ver­schlossenheit... Wie sonderbar war er an jenem Tage in dem unbewohnten Haus! Aber was auch über ihn schwebte, sie wollte niemals diejenige sein, die ihn verriet! Könnte sie nur durch ihr Schweigen retten, wie wollte sie schweigen, schweigen!

Edmund Hall war zu ihr herüber gekommen und stand hinter ihrem Stuhl.

" Jezt wollen wir es dunkel machen," sagte er freundlich. Du fürchtest Dich doch nicht, Leontine?"

Sie wandte den Kopf um und sah ihn an. Ihr Mund öffnete sich mit einem Singlaut:

Edmund!"

Fürchtest Du Dich," fragte er noch einmal. Sie aber schüttelte den Kopf.

Jetzt kann mir nichts mehr Furcht einflößen, Edmund." Er zog den Vorhang vor die große Fensterscheibe und klemmte ihn lichtdicht mit Hilfe von Leisten in den Rahmen. Es wurde schon einen Grad dunkler im Laboratorium. Herr Mc Carthy und ein anderer Herr waren mit den übrigen