Zlnterhaltungsblatt des HorwartsNr. 1.Mittwoch den 1 Januar.190S»IMachvnick verboten.)8ckilf uncl Scblamm.Roman von Vicente Blasco Jbanez.Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Thal.I.Me jeden Nachmittag kündete das Postboot seine An-kunft in Palmar auch diesmal mit verschiedenen Horn-stöben an.Der Schiffer, ein dürres, kleines Männchen, dem ein Ohrfehlte, ging von Tür zu Tür, um die Besorgungen fürValencia zusammenzuholen, und als er an die unbewohntenStellen der einzigen Dorfstraße kam, tutete er von neuem,um seine Anwesenheit den zerstreut an den Usern des Kanalsstehenden Häusern kundzutun. Ein Schwärm fast nackterGassenjungen folgte dem Schiffer nicht ohne eine gewisseBewunderung. Für sie, die auf einer Schmutz» und Schilf-insel lebten, war dieser Mann der Gegenstand einer starkenNeugier.Viermal kam er nämlich täglich in ihre Gegend, brachtedie schönsten Fische des Sees nach Valencia und dafür eineMenge von Gegenständen ans dieser Stadt zurück, die ihnengeheimnisvoll und phantastisch erschien.Aus Canamels Schänke, die die erste in Palmar war,kam eine Gruppe Feldarbeiter mit ihren Leinensäcken auf derSchulter: sie wollten die Barke benutzen, um nach Hause zufahren.Auch die Frauen strömten zum Kanal, der mit seinenHütten und seinen Aalkästen den Eindruck einer Straße vonVenedig machte.Das Postboot, das in dem wie Erz glänzenden totenWasser unbeweglich stehen geblieben war, glich einem riefen-haften Sarge. Mit Personen und Paketen überfüllt, tratdas Wasser über seine Ränder, und über dem dreieckigen, mitdunklen Stoffen geflickten Segel hing ein Fetzen, der zuanderen Zeiten eine spanische Fahne gewesen war und dadurchden amtlichen Charakter der armseligen alten Barke. verriet,die ringsumher einen unerträglichen Gestank verbreitete. DiePlanken dufteten von dem warmen Brodem, der aus den mitAalen angefüllten Karben drang, und nach den Ausdünstungender dichtgedrängten Hundertc von Passagieren, die mit-genommen wurden: es war ein eigenartiger, übler Dunstvon glibbrigem Leder, von Fischschuppen, schmutzigen Füßen,besudelten Kleidungsstücken, an denen sich die Bänke der Barkeglattgescheuert hatten.Die Passagiere, meistens Mäher, kamen von Pcrello,einem Orte am äußersten Ende des Albuferasecs, bevor sichdieser niit dem Meere verbindet. Sic schrien wild durch-einander und verlangten von dem Schiffer, er solle sofort ab-fahren.„Die Barke war ja schon voll, es war für niemand mehrPlatz."Das stimmte: aber der kleine Mann wandte ihnen seinfehlendes Ohr zu, als wollte er damit andeuten, daß er keineLust hätte, sie anzuhören, rind staute langsam die Körbe undSäcke auf, die die Frauen ihm vom Ufer des Flusses zu-reichten. Bei jedem neuen Gegenstande, der hereingereichtwurde, erhoben sich Proteste; die Passagiere rückten zu-sammen oder wechselten den Platz, und die Leute aus Palmar,die in die Barke stiegen, nahmen mit wahrhaft engelhafterGeduld die Flut von Schinipfworten entgegen, init denen die,die sich schon auf dem Boote befanden, sie überschütteten.„Nur ein bißchen Geduld, Ihr habt hier ebensoviel Platz.wie Ihr im Himmel haben werdet."Die Barke sank unter einer so starken Last, ohne daß derSchiffer die geringste Unruhe zeigte, denn er war an kühneFahrten gewöhnt. Es war auch nicht ein Zoll breit mehrfrei. Zwei Männer blieben, an den Mast gelehnt, stehen:ein anderer lag, wie eine versteinerte Figur, am Bug.Indessen begann der Schiffer, der sich durch nichts ausder Ruhe bringen ließ, wieder auf seinem Horn zu tuten,ohne sich um die cinstimniigen Proteste zu kümmern.„Bei Gott, der größte Spitzbube hätte genug... Solltensie vielleicht so den ganzen Nachmittag in der September«sonne zubringen, die sie von der Seite röstete und ihnen denRücken verbrannte?"Es war still geworden, denn die Leute auf dem Postbootsahen, wie sich vom Kanal her ein Mann näherte, der vonzwei Frauen gehalten wurde,— ein blasses, zitterndesGespenst mit fieberglänzenden Augen, das in eine Bettdeckegehüllt war.An diesem heißen Nachmittage schien das Wasser fast zukochen. Ein jeder schwitzte auf der Barke und jeder suchtedie unangenehme Berührung deS Nachbarn zu vermeiden:doch dieser Unglückliche zitterte vor Fieber, seine Zähneschlugen mit grauenhaftem Klappern aneinander, und derTag schien für ihn nur eine eisige Nacht zu sein. Die Frauen,die ihn stützten, protestierten mit groben Worten, als siesahen, daß die Passagiere der Barke sich nicht vom Fleckerührten. Man sollte ihm einen Platz einräumen, er war einKranker, ein armer Arbeiter. Er hatte sich beim Mähen inden Reisfeldern das Wechselfieber, das verfluchte Fieber derAlbufera, zugezogen, und wollte nun nach Ruzafa, um sichim Hause eines Verwandten kurieren zu lassen.„Waren sie etwa keine Christen?... Man sollte ihmdoch aus Mitleid einen Platz einräumen."Und das arme Fiebergespenst wiederholte schlotternd, wieein Echo, mit dem Schluchzen eines vom Frost Geschüttelten:„AuS Mitleid, aus Mitleid."Er stieg mit Gewalt ein, ohne daß die egoistische Masseihm Platz machte: da er keinen Raum fand, so ließ er sichzwischen den Beinen der Passagiere niederfallen und strecktesich auf dein Boden der Barke aus, das Gesicht den schmutz-bespritzten Schuhen zugewendet. Die Leute schienen au solcheSzenen gewöhnt, denn diese Barke wurde zu allem benutzt.Sie diente zum Transport der Lebensmittel, als Kranken-haus und als Kirchhof. Tagtäglich nahm sie Kranke aus undtransportierte sie nach dem Flecken Nuzasa, wo die Leute auSPalmar, denen es an Medikamente fehlte, einige Hülse gegendas Wechselficber fanden. Starb ein armer Teufel, der keineeigene Barke hatte, so setzte man den Sarg einfach auf diePostbarkc, und das Boot nahm seine Fahrt mit denselbengleichgültigen Passagieren auf. die unerschüttert lachten undschwatzten und den düsteren Kasten mit dem Fuße stießen.Als der arme Kranke sich niedergelassen hatte, erhobensich die Proteste von neuem.„Worauf wartete er denn, dieser Kerl mit dem ab-geschnittenen Ohr? Fehlte nockj jemand?"Und fast alle Passagiere empfingen mit lächelndemGesicht ein Paar, das aus der Tür von Canamels Schänketrat, die unmittelbar am Kanal lag.„Der Onkel Paco!" rief man im Chorus,„der OnkelPaco Canamcl!"Ter Wirt der Schänke, ein ungeheurer, aufgedunsenerMann, der die Wassersucht zu haben schien, stöhnte bei jedemSchritt, seufzte wie ein Kind und stützte sich auf seine FrauNelcta, eine kleine Person mit hellroten Haaren und leb-haften grünen Augen, die weich wie Samt erschienen. Derreiche Canamel! Immer krank und jammernd, während seineFrau, die immer hübscher und liebreizender wurde, von ihremSchänktisch aus über ganz Palmar und Albufera herrschte.Ihm fehlte nichts weiter als die Krankheit der Reichen, zuviel gutes Essen und Ueberfluß an Geld. Man brauchte nurseinen Bauch, sein rundes Gesicht und seine Wangen, zwischendenen die Nase fast verschwand, und seine in Fettwulstenverschwimmenden Augen anzusehen.„Alle die, die an seinemUebel litten, sollten sich nur ihren Lebensunterhalt mit Mähenin den Reisfeldern verdienen, und das Wasser sollte ihnenbis zum Gürtel reichen,— dann würde es ihnen gewiß nichtmehr einfallen, krank zu sein."Canamel schob mühsam ein Bein nach der Barke vor,ohne Neleta loszulassen, während er auf die Leute schimpfte.die sich über seine Gesundheit lustig machten.„Er wußtewohl, wie ihm zu Mute war, ach Du lieber Gottl"... Da-mit ließ er sich auf einem Platze nieder, den man ihm mitjener kriechenden Gefälligkeit einräumte, die die Leute vomLande stets den Reichen gegenüber zur Schau tragen,während seine Frau, ohne sich einschüchtern zu lassen, die