Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 4.
4]
Dienstag, den 7. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Schilf und Schlamm.
Roman von Vicente Blasco Ibanez . Autorisierte Uebersezung von Wilhelm Thal. Laß los, Sancha, laß los, umarme mich nicht mehr, du bijt zu groß."
Ein neuer Ring ergriff seine Arme und klammerte sie ein. Der Mund der Schlange liebkoste ihn wie früher, ihr Odem blies in seinen Schnurrbart und verursachte ihm ein angstbolles Beben, während die Ringe sich immer enger zu fammenzogen, bis der Soldat erstickt, mit frachenden Knochen, in das bunte Bolster eingeschnürt, zu Boden sank. Wenige Tage darauf fanden einige Fischer seinen Leichnam, er war nur noch eine unförmliche Masse, gebrochene Knochen und violett schimmerndes Fleisch, die traurige Wirkung von Sanchas Umschlingung. So starb der Hirt, das Opfer der Umarmung seiner alten Freundin."
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Auf der Postbarke lachten die Fremden über diese Geschichte, während die Frauen mit einer gewissen Unruhe ihre Füße bewegten. Sie glaubten, was sich da auf dem Grunde der Barke mit dumpfem Gestöhn rühre, wäre die Schlange Sancha.
Der See ging zu Ende. Die Barke drang von neuem in das Netz der Kanäle, und in der Ferne, in weiter Ferne hoben sich von dem ungeheuren Reisfelde die Häufer von Saler ab, des kleinen, Balenzia am nächsten liegenden Dorfes des Albufera, mit dem von Barken und Schiffen wimmelnden Hafen, die sich mit ihren Masten vom Horizont abhoben. Der Tag ging zur Rüste, und die Barke fuhr mit geringerer Schnelligkeit über die toten Wasser des Kanals. Der Schatten des Segels fiel wie eine Wolke auf die Neisfelder, die sich in der untergehenden Sonne rötlich färbten, während fich unten, auf einem orangefarbenen Hintergrunde, die Schattenrisse der Passagiere abzeichneten.
Beständig zogen, die Ruderstange in den Händen, Leute borüber, die, auf den Barken stehend, aus den Feldern heimfehrten; eifrig fchoffen si evorwärts, diese kleinen schwarzen Barken, deren Rand das Wasser streifte. Diese Boote waren die Pferde des Albufera. Schon in dem frühesten Kindesalter lernt jedes Wesen, das in dieser Seegegend geboren wird, ein Boot steuern, wie man gehen lernt. Es ist unbedingt notwendig, um auf dem Felde zu arbeiten, um zum Nachbar zu gehen und um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Alle, Kinder, Frauen oder alte Leute handhaben mit gleicher Leichtigkeit und Gewandtheit die Nuderstange, die sie in den Schlamm einbohren, um das Fahrzeug über das tote Wasser zu treiben.
In den Nebengräben bewegten sich unsichtbar andere fleine Barken, und jenseits des Gestrüpps sah man große Boote mit unbeweglichen Masten, die mit heftiger Anstrengung vorwärts getrieben wurden.
1908
Als hielte er sich wegen seiner anerkannten Eigenschaft als reicher Mann für verpflichtet, das Wort zu ergreifen, so hörte Canamel zu stöhnen auf und versicherte mit ernster Miene, er fenne nur zwei Tiere auf der Welt, die tadellos wären: die Taube und die Ratte. Wenn man sie nannte, hatte man alles gesagt.
Die Unterhaltung wurde lebhaft. Der Widerwille, den ihre Gefährten zur Schau trugen, feuerte die Bewohner des Albufera nur noch eifriger an. Diese Leute, die ein so trauriges, häßliches Dasein führen, auf Fleisch verzichten, von den Herden nichts weiter kennen, als was sie in der Dehesa weiden sehen und verurteilt sind, sich beständig von Aalen und Sumpffischen zu nähren, hezten sich gegenseitig auf, um eine falsche Tapferheit zu zeigen, und die Fremden durch die erstaunliche Ausdauer ihrer Magen in Verwunderung zu ver feßen. Die Frauen erzählten, welch ausgezeichnetes Gericht die geschmorte Ratte mit Reis bildet, biele hatten es gegessen, ohne es zu wissen und es für ein unbekanntes Fleisch gehalten. Andere sprachen von Schlangenragouts, rühmten das weiche, weiße Fleisch, das weit besser als das der Aale schmeckt, und der Schiffer, der zum ersten Male seit der Abfahrt das Schweigen brach, erzählte, er hätte eines Abends mit anderen Freunden in Canamels Schänke eine von einem Matrofen gefochte Staße gegessen; dieser Matrose war viel in der Welt umhergestreift und hatte in der Bereitung gewisser Speisen eine wahrhaft gesegnete Hand.
Es begann dunkel zu werden. Die Felder färbten sich schwarz. Der Kanal nahm beim fahlen Lichte der Dämmerung erzgraue Farbe an. Auf dem Grunde des Waffers spiegelten fich die erften glänzenden Sterne, bei der Bewegung der Barke bald hier und bald dort aufschießend, wider.
Man näherte sich Saler. Ueber den Dächern der fleinen Häuser erhob sich inmitten zweier Pfeiler der kleine Kirch turm der Demana, das Haus, in welchem Jäger und Fischer an den bedeutungsvollen Tagen zusammenfamen, an dem die Fischposten ausgelost wurden. Vor dem Hause bemerkte man einen ungeheuren Bostwagen, der die Paffagiere des Bootes später nach der Stadt befördern sollte.
Der Wind hatte aufgehört, und das schlaffe Segel flatterte am Mast herunter. Der Mann mit dem abgeschnittenen Ohr hatte wieder die Ruderstange ergriffen, die er gegen den Rand bohrte, um das Fahrzeug vorwärts zu bringen.
In diesem Augenblic fuhr, nach dem See steuernd, eine fleine, mit Erde beladene Barke vorüber. Ein Mädchen handhabte geschickt die Ruderstange, und vor ihr saß ein funger Mann mit einem Panamahut auf dem Kopfe. Ein jeder kannte sie. Das waren die Kinder des Onfels Toni, die Erde nach seinem Felde brachten: die Borda, das unermüdliche Findelfind, das wie ein Mann arbeitete, und Tonet, der Kubaner, der Enkel des Onkel Paloma, der reizendste Bursche des ganzen Albufera, der die Welt gesehen hatte und schöne Dinge zu erzählen wußte.
,, Guten Tag, Knebelbart," rief man ihm vertraulich von der Barke aus zu.
Von Zeit zu Zeit sahen die Passagiere des Postbootes. Man gab ihm diesen Spitznamen wegen des starken wie fich an den Rändern dieser Gräben Breschen öffneten, Schnurr- und Knebelbartes, der sein ohnehin schwarzes Ges durch die das unter einem schlammigen Mantel schmutzigen fich noch verdüsterte, ein unbeliebter Schmuck in der Grüns schlummernde Waffer plößlich still und geräuschlos Albuferagegend, wo alle Männer sich rasieren. Andere durchfloß. Diese Eingänge waren durch Aalneze versperrt, fragten ihn mit ironischem Erstaunen, seit wann er denn die an Bflöcken hingen. Beim Vorüberziehen der Postbarke arbeite. sprangen ungeheure Ratten aus den Reisfeldern und verschwanden im Schlamm.
Die, welche sich schon wegen der Vogeljagd aufgeregt, fühlten, wie die Wut von neuem in ihnen aufstieg, als sie die Kanalratten erblickten.
Das wäre eine schöne Jagd, ein prächtiger Schmaus!" Die Leute vom Festlande protestierten angewidert gegen den Gedanken, Ratten zu essen, unter dem lauten Gelächter und den Scherzen der Bewohner des Albufera. Gewiß, ein töstlicher Bissen. Wie konnten sie das Gegenteil behaupten, ohne sie je gekostet zu haben? Die Ratten aus den Sumpfebenen fressen nur Reis, das ist ein fönigliches Gericht. Man mußte sie nur sehen, wie sie, abgezogen, zu Dußenden an ihren langen Schwänzen hingen auf dem Markt von Sueca bon den Ständen der Schlächter. Nur die Neichen kauften fie; die Aristokratie des Albufera aß nichts anderes."
Die kleine Barke schoß weiter, ohne daß Tonet, der einen raschen Blick auf das Boot warf, diese Scherze gehört zu haben schien.
Mehrere sahen Canamel mit einer gewissen Unverschämt. heit an und erlaubten sich dieselben Anspielungen, die man ihm in der Schänke auftischte.
,, Achtung, Onkel Paco, Ihr reist nach Valenzia , während Tonet die Nacht in Palmar zubringen wird."
Der Gastwirt tat zuerst, als hörte er nichts, bis er sich mit nervöser Bewegung ungeduldig aufrichtete, und ein Zornes. bliz aus seinen Augen schoß. Doch die Fettmasse, die seinen Körper bildete, war stärker als fein Wille und schwerfällig. gleichsam von der Masse erdrückt, fiel er wieder auf die Bank zurück. Wieder begann er schmerzlich zu stöhnen und rief dabei zwischen seinen Slagen:
„ Gesindel! Gesindel!"