Nnterhaltungsblatt des HorwärtsNr. 6.Donnerstag den 9 Januar.1908pjadjinU verbalen.)ejSchilf und Schlamm.Roman von Vicente Blasco Jbanez.Sie hatten viele Kinder gehabt, wirklich sehr viele, aberbis auf ein einziges waren sie„glücklicherweise" alle gestorben.Es waren blasse, krankliche Wesen, und die im Fieber zittern-den Eltern hatten schon im voraus um die tägliche Nahrunggesorgt, die sie ihnen verschaffen mußten. Sic schienen inihren Adern anstatt Blut das Zittern des Wechselfiebers zuhaben. Der eine starb an Auszehrung, von der nüchternenNahrung, die der Süßwasserfisch bildet, aufs äußerste ge-schwächt; andere ertranken, indem sie in die Kanäle fielen,die das Haus umzogen, und nur einer, gerade der kleinstevon allen, trotzte dem tödlichen Keim der Reisfelder und sogaus der unzuträglichen Nahrung die armselige Substanz einesewig leidenden Körpers.Der Onkel Paloma fand dieses Unglück logisch und not-wendig. Man konnte Gott den Herrn nur loben, daß er sichmanchmal der armen Geschöpfe erinnerte, denn es war wider-wärtig anzusehen, wie sich die Familien der Armen vermehr-ten, und ohne Gottes Güte, der von Zeit zu Zeit die Reihenlichtete, gäbe es im See nicht mehr genug Nahrung für dieseganze Gesellschaft und sie wären gezwungen, sich gegenseitigaufzufressen.Onkel Palomas Frau starb, als er schon alt war. und derJunge sieben Jahre zählte. Der Schiffer und sein SohnToni blieben allein in der Hütte. Der Bursche war ver-nünftig und arbeitete wie seine Mutter. Er bereitete dasEssen, besserte alles aus. was im Hause auszubessern nötigwar. und lernte bei den Nachbarinnen kochen, damit seinWater nicht merkte, daß keine Frau im Hause war. Er tatalles ernst, als hätte der schreckliche Kampf, den er um seinLeben ausgefochten, eine unausrottbare Traurigkeit in ihmzurückgelassen.Ter Batcr war glücklich, wenn er in Begleitung seinesKleinen auszog, der auf dem Grunde der Barke, von einemHaufen Stricke verdeckt, fast verschwand. Er wuchs schnellheran, seine Kräffte wurden täglich bedeutender, und derOnkel Paloma blickte stolz, wenn er sah. mit welchem Eiferfein Sohn die Netze herauszog oder die Barke über den Seegleiten ließ.„Das ist der tüchtigste Mann von ganz Albufera," sagtePaloma zu seinen Freunden,„sein Körper rächt sich jetzt fürdas, was er als Kind gelitten hat."Nicht minder lobten die Frauen seine guten Sitten. Ertrieb keine Dummheiten, wie die jungen Leute, die in derSchänke zusammenkamen, und spielte auch nicht mit gewissenschlechten Subjekten, die nach Beendigung des Fischzugesauf dem Bauche im Schilf hinter irgend einer Hütte lagenund sich damit die Zeit Vertrieben, daß sie stundenlang end-lose Partien mit schmierigen Karten spielten.Immer ernsthaft und arbeitsfreudig, gab Toni seinemVater nicht die geringste Ursache zur Sorge. Der OnkelPaloma, der mit keinem Kameraden zusammen auf den Fisch-zug fahren konnte, weil er bei dem geringsten Versehen inWut geriet und den Ungeschickten windelweich geprügelt hätte,brauchte seinen Sohn nie zu tadeln. Erteilte er ihm ineinem Anfall schlechter Laune einmal einen Befehl, so warder Junge, der seine Gedanken erriet, schon dabei, ihn aus-zuführen..Als Toni Mann geworden war, hegte sein Vater, obwohler noch immer für das Vagabundenleben schwärnite nnddem Gedanken an die Familie recht gleichgültig gegenüber-stand, doch dieselben Wünsche wie der alte Onkel Paloma.Wie einsam lebten die beiden Männer in der öden, altenBaracke! Es war ihm peinlich, sehen zu müssen, wie seinSohn, ein großer starker Mensch, sich am Herd beschäftigte.das Feuer anblies und das Abendessen zubereitete. Oftmalsfühlte er Gewissensbisse, wenn er sah, wie diese kurzen,starken, behaarten Hände mit den Eisenfingern das Geschirrabrieben oder mit einem kleinen Messer die FischschuppenentferntenIn den Winternächten glichen sie Schiffbrüchigen aufeiner wüsten Insel. Sie wechselten kein Wort, kein Lachen,keine Frauenstimme ließ sich vernehmen, die sie hätte er-freuen können. Das Haus hatte ein düsteres Aussehen. Inder Mitte brannte ein lebhaftes Feuer in einem kleinen,viereckigen Raum. Gegenüber stand die Küchenbank, miteiner armseligen Ausstattung von irdenen Geschirren undalten Porz<?llantellern. Auf beiden Seiten die Türen derbeiden Zimmer, die wie alle Wände der Hütte aus Schlaminund Schilf hergestellt waren; über diesen Türen, die nichthöher als ein Mensch waren, sah man das Innere desschwarzen Daches mit einem Rußmantel, den das Herdfeuerseit zahlreichen Jahren abgesetzt hatte. Das Zimmer erhieltseine Luft durch eine im Stroh des Daches angebrachteOeffnung, durch die die Windstöße im Winter zischend herein-drangen. Vom Dach hingen die wasserdichten Kleider desVaters und des Sohnes herab, die sie bei den nächtlichenFischzügcn benutzten,— die steifen, schweren Beinkleider unddie Kittel, durch deren Aermcl ein Stock gespannt war. Manmochte glauben können, die beiden Bewohner der Hütte hättensich an einem Dachbalken aufgehängt.Der Onkel Paloma langweilte sich. Er stritt sich gern�in der Schänke fluchte er aus Leibeskräften, schimpfte aufdie anderen Fischer und blendete sie stets mit der Erinnerungder vornehmen Persönlichkeiten, die er gekannt; doch inseinem Hause wußte er nicht, was er sagen sollte. SeineUnterhaltung erhielt keine Antwort von seinem gehorsamenund schweigsamen Sohn, und seine Worte verloren sich ineinem ebenso respektvollen wie-drückenden Schweigen. DerSchiffer erklärte es in der Schänke laut und vernehmlich.mit seiner fröhlichen Brutalität, sein Sohn sei ein pfiffigerKopf, aber er zeige es nicht, sondern sei stets gehorsam undunterwürfig. Die Verstorbene mußte ihn wohl irgendwieeinmal hintergangen haben.Eines Tages redete er mit Toni in dem gebieterischenTone der latinischen Väter, die ihren Kindern nicht dasgeringste Recht auf einen eigenen Willen zugestehen, und,ohne sie lim Rat zu fragen, über ihr Vermögen und ihrLeben entscheiden. Er sollte sich verheiraten; es ginge nichtso weiter, es fehlte eine Frau im Hause. Und Toni nahmdiesen Befehl mit derselben Fügsamkeit auf, als hätte manihn ersucht, die große Barke klar zu machen, um am nächste»Tage einen Jäger aus Valencia in Salcr zu crwarlen. Eswar gut. Er würde den Befehl seines Vaters so schnell alsmöglich erfüllen, und während der Sohn seinerseits suchte.teilte der alte Schiffer allen Weibern in Palmar seine Absichtmit. Sein Sohn wünschte sich zu verheiraten. Alles, waser besaß, gehörte seinem Jungen: die Barke, die große Barkemit ihren neuen Segeln, und die alte, die vielleicht noch besserwar, ferner zwei andere Barken, und er wußte selbst nicht,wieviel Netze. Daun rühmte er die Vorzüge des jungenMannes; er war fleißig, ernsthaft, gediegen und vom Militär-dienst frei, denn er hatte sich durch eine gute Nummer aus-gelost. Schließlich war er ja keine große Partie, aber nacktwie eine Kröte im Rinnstein war sein Toni doch nicht, lindfür die Weiber, die es schon in Palmar gab...Mit seiner gewöhnlichen Verachtung des Weibes spotteteder Alte, indem er sich die Mädchen betrachtete, unter denensich zweifellos seine zukünftige Schwiegertochter befand. Nein,sie waren wahrhaftig keine Schönheiten, diese Jungfrauenvom See mit ihrer in dem faulen Wasser der Kanäle ge-reinigten Wäsche, die nach Schlamm duftete, und den gleichsamnnt einer klebrigen Masse überzogenen Händen. Unter denvon der Sonne ausgebleichten, weißlichen, blassen Haaren er-fchicn ihr trockenes, rötliches Gesicht etwas dunkler, die Augenglänzten im Fieber, das das Wasser des Sees, das sie trinkenmußten, fortwährend in ihnen hervorrief. Ihr eckiges Profil,ihre schmale, längliche, stets bewegliche Taille, und der ihnenentströmende Duft verlieh ihnen eine gewisse Aehnlichkeitmit den Aalen, als hätte die einförmige Nahrung einer Reihevon Generationen die Züge des Tieres, das ihnen als einzigeNahrung diente, schließlich in ihnen festgebannt.Unter all diesen Frauenspersonen fand Toni eine; einerecht unbedeutende, die seine Schüchternheit am wenigsten er»schreckte. Die Hochzeit fand statt, und die Hütte zählte ei«Geschöpf mehr, mit dem der Alte plaudern und sich herum»