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mentiertheater frisch beleben wird. Das Wagestück, eine Aristophanische Komödie und obendrein gar die„ Lysistrata" vor einem modernen Publikum zu spielen, war nicht gering, doch es gelang in unerwartet hohem Maße. Die Bearbeitung hatte recht geschickt, aus dem Zegt alle heute unverständlichen Anspielungen und mythologischen Reminiszenzen ausgemerzt, die Chöre, die in dem Original einen breiten Raum einnehmen, bis auf kleine Refte beseitigt, vieles gekürzt und die allzu argen Eindeutigkeiten des Dialogs cin bischen zivilisiert. Bei den Kürzungen freilich hätte man noch energischer verfahren sollen. Die erforderlichen Striche find unschwer nachzuholen. Hauptsache ist, daß Reinhardts vollblütige Regisseurphantasie die Szenenfolge, die beim Lesen einen schwankend unbestimmten Eindruck hinterläßt, zu einer Bilderreihe von lebendigster Anschaulichkeit zu gestalten vermocht hat. Der Reichtum seiner hier betätigten Erfindungskraft verdient Betrunderung. Die alten Griechen werden das Lustspiel gewiß ganz anders gespielt haben. Doch was schadet das, wenn Reinhardt durch seine freie Wiedergabe eine Stimmung weckt, die uns die Lust, mit welcher die Athener einst im Theater den tollen Ausgelassenheiten ihres Lieblings gefolgt fein mögen, von Grund aus verstehen und nachempfinden läßt. Die malerischen Reize, in denen cr hier schwelgt, wirken als ein notwendiges, vom Wesen dieser Dichtung selbst erfordertes Moment. Die Komit wird in dem Glanz und Farbenrausch, in dem sie sich bewegt, noch komischer, die Sinnlichkeit verliert dadurch etwas von ihrer derben Erdenschwere. Vorzüglich war, wenn auch der Lärm hier stellenweise gu laut anschwoll, die szenische Steigerung am Schlusse. In dem wilden Getümmel, das den ehelichen Streit beschließt, in dem Stampfschritt des unsichtbaren Tanzes lag eine orgiastische Ertase, die den Gedanken an die Dionysfeste, die Wiege althellenischer Dramatik wachrief.
Das Stüd stammt aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges. Es mag sein, daß der Dichter, der, ein Gegner des demokratischen Regiments in seiner Heimat, den Krieg mit Sparta r ein Unglüd hielt, auch in der„ Lysistrata" politische Tendenzen verfolgte. In der Ausführung tritt aber diese Absicht weit hinter die Lust am ungebundenen Phantasiespiel zurüd. Das Leid des Strieges wird hier, von einer einzigen gefühlvoller gefärbten Stelle abgesehen, als bloßes Poffenleid behandelt. Die Damen von ganz Griechenland sind auf die Nachricht, daß Spartaner und Athener einen borläufigen Waffenstillstand geschlossen, von der unternehmenden Lysistrata auf die Akropolis , die alte Stadtburg von Athen , zusammenberufen. Die Organisation eines allgemeinen passiven Widerstandes gegen die heimkehrenden Gatten und Liebhaber soll ins Werk gesetzt und die unverständigen Mannsleute follen dahin gebracht werden, daß sie den Waffenstillstand in dauernden Frieden verwandeln. Um die zur Tag- und Nachtzeit schmerzlich Entbehrten für alle Zukunft zurückzugewinnen, soll jede Frau solange fich dem Werben ihres Mannes versagen, bis der Gefoppte, mürbe gemacht, die Forderung erfüllt, endgültig allen Kriegsgelüften abzuschwören.
Der schnatternde, vielfarbig gepuzte, erregt die hellen Tücher schwenkende Frauenschwarm vor der feierlich schönen Burgterrasse war ebenso reizend als drollig anzusehen. Nachdem der Bundesschwur geleistet ist, flattert das bunte Völlchen die breite Frei treppe hinauf, die Burg, in der Kriegsschatz liegt, zu besehen. Höchst amüsant wirkte der Aufmarsch der alten Greise, die in topfwackeln der Entrüstung über den unerhörten Handstreich Feuer an die Weiberfestung legen wollen, und, von den anmutigen Rebellen mit Wassergüssen siegreich in die Flucht geschlagen werden. Schwerer ist es, den inneren Feind in Schach zu halten. Die Dämchen träumen nur von ihren Männern und wollen schon de= sertieren. Aber es gibt auch solche, die treu zur Sache stehen. Ein Gatte von besonders ungestümem Temperament, Schildfraut war brillant in dieser Rolle, schleicht durch die ausgestellten Wachen und wird von seinem Frauchen, das er mit den süßesten Tönen herbeiruft, in raffiniert- durchtriebener Weise angeführt. Endlich verkündet eine Botschaft der Spartaner, deren Frauen gleichfalls aufständig geworden, die Bereitschaft zum Friedensschluß. Das schwächere Geschlecht hat gefiegt. Die Männer stürmen zur Burg hin und jeder hascht sich die Seine. Aus den Sulissen erschallt der Takt des Tanzes.
Frau Eysoldt war eine schmiegsame, feine, vor allem in telligente Lysistrata, Camilla Gibenschüß eine anmutigfofette Myrrhine, Hedwig Wangel ein spartanisches Manntreib von enormer Draftit. Neben Schildkraut wäre unter den Herren in erster Reihe Waffmann, der einen freuzdummen Magistratsbeamten mimte, zu erwähnen.
dt.
wissen Nuken sozialer Tendenzdichtungen zu bezweifeln. Es fragt sich dann aber auch, ob der Dichter die Fähigkeit hat, tiefer zu schürfen und ob der Gegenstand für eine künstlerische Behandlung taugt. Ein Stoff aus dem Betriebsleben der Eisenbahn besitt entschiedene dichterische Qualitäten, das ist nicht abzustreiten. Also könnte auch das Lokomotivführer- Schauspiel auf ein nachhaltiges Interesse rechnen, wenn sein pseudonymer Verfasser, der mit dem fürzlich vielgenannten Kriminalkommissar Müller identisch ist, ein wirklicher dramatischer Dichter wäre. Jedem Leser der sich die Erörterungen über das Eisenbahnunglück bei Strausberg ins Ge dächtnis ruft, wird sofort flar sein, um was es sich in diesem Drama handelt. Ursache des Unglücks: vermorschte Schienen schwellen, miserabler Unterbau im Zusammenfluß mit Ueberlastung der Unterbeamten. Schuld an allem trägt die Verwaltung, die an allen Ecken und Enden knausert. Von Rechts wegen müßte sie auf die Anklagebank kommen und nicht der arme Lokomotivführer. Die Disziplin verlangt aber, daß die Unschuldigen schuldig gesprochen werden. Mit dieser bisher noch unerfüllt gebliebenen Forderung hat der Verfasser eine moralische Geschichte vom ver führten Mädchen, das ins Wasser gegangen ist, verknüpft. Das wäre ja gut und schön wenns nur über das Niveau der Hinter treppenpoesie hinausreichte und das ganze Stück, statt ein dialogisierter Zeitungsartikel zu sein, ein wirkliches Drama wäre. Die zwei ersten Afte sind äußerst ledern und die letzten beiden kommen über szenische Bilder nicht hinaus. Indessen wird kein Baum durch einen Arthieb gefällt. Vielleicht gelingt Eberhart später Besseres. Um der Tendenz willen ging das Publikum mit dem Verfasser willig mit und rief ihn mehrfach vor die Rampen.
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Sprachwissenschaftliches.
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e. k.
Die Läuterung des Ausdrucks. Die Sprache wird von lebenden Menschen gebraucht und ändert sich mit ihnen. Wer heute eine althochdeutsche Schrift vornimmt, versteht sie nicht: sie tommt ihm zu unverständlich und fast fremd vor. deutschen gegenüber erstrecken sich meist auf die Ferm der Wörter Die Veränderungen der neuhochdeutschen Sprache der althochund auf das Aufkommen neuer Wörter, gum wenigsten auf die Die sprachliche Fügung der Wörter beruht auf gewissen Gefeßen, sprachliche Fügung, sofern diese nicht durch jene hervorgerufen wird. die zwar nicht wie eiserne Einschnürungen wirken, aber dennoch meist nicht ungestraft durchbrochen werden können, sofern sie der Ausdruck der dem Deutschen eigenen Erfassung der Dinge und Vers hältnisse sind.
Solange nun die erwähnten Veränderungen sich organisch aus bem fortschreitenden Bau der Sprachen ergeben, wird nichts da gegen einzuwenden fein; auftreten muß man aber dagegen, wenn fie willkürlich und völlig ungerechtfertigt vorgenommen werden und nicht allein geeignet sind, den Sinn zu stören, sondern auch die nappheit und damit die Schönheit des Ausdrucks beeinträchtigen. Nehmen wir z. B. folgendes Ungeheuer, das in der Nummer 28 dieser Zeitung zu sehen oder vielmehr zu lesen war: sizen und auch nicht erlangen können, sind auszuweisen." " Diejenigen Arbeiter, die eine Legitimationstarte nicht be Gedränge seiner täglichen Pflicht nicht vor den zahllos umherDieser Sab ist nicht etwa von einem Schriftsteller, der sich im schwirrenden Bazillen schüßen konnte, in der Eile niedergeschrieben worden, sondern er verdankt seinen Ursprung dem Gehirn eines preußischen Bureaukraten, der seine Dummheiten bedächtig ausflügelt und damit eine große Leistung vollbracht zu haben glaubt. Sagen wir: von einem früheren Korpsstudenten oder von einem gewesenen Feldwebel.
und vor allen Dingen von seinen Schnißern reinigen und ihn so Zunächst wollen wir den Sak von seinen Geschmadlosigkeiten faffen:
auch keine erlangen kann, ist auszuweisen; oder: Arbeiter, die keine Wer von den Arbeitern keine Legitimationsfarte besitzt und Legitimationskarte besigen und auch keine erlangen können, sind auszuweisen."
mieden und dann, was die Hauptsache ist, steht die Berneinung an Wie man sieht, ist das schleppende„ derjenige, welcher" ver der richtigen Stelle.
Die falsche Stellung der Berneinung ist weiter nichts als eine Dummheit, die ihren letzten Ursprung vielleicht im Gerichtssaal hat, wo oft Handlungen mit Nachdruck verneint werden, und die jebt eine so große Verbreitung gefunden hat, daß selbst Schriftsteller, die sich etwas auf ihren Geschmad zugute tun, ihr mit Haut und Haaren verfallen sind. Wer es nicht glaubt, faufe sich irgend eine Zeitung, besonders am Montag.
Vielleicht wird es besser, wenn allgemein beachtet wird, daß die Verneinung im Deutschen zu dem Worte gesetzt wird, dessen Begriff nicht vorhanden ist.
Kann der Arbeiter etwa überhaupt nichts befißen oder erlangen, oder hat jemand das bestritten? Befißen oder erlangen kann er schon, dazu wird ihm niemand die Fähigkeit absprechen, denn wozu sonst der ganze Spektakel wegen seiner Begehrlichkeit? Aber was nicht da ist, das ist die Legitimationsfarte, also sebe ich mit Erlaubnis meines Denkvermögens die Verneinung auch vor diese. Jetzt gehet hin und tuet desgleichen.
Friedrich Wilhelmstädtisches Schauspielhaus: Rotomotivführer Claußen", Schauspiel von G. E. Eberhart. Es ist ein besonderes Verdienst der modernen Richtung, daß sie im Drama eine Erweiterung der bis dahin enggestedt gebliebenen Stoffgrenzen auf foziales Gebiet hinausgebracht hat. Sur entsprach nicht immer das fünstlerische Vermögen dem heißen Bemühen nach möglichster Vertiefung in das Ringen unserer Beit. Sonst würde sich doch eines der vielen Dramen aus dem Leben bestimmter Berufe und Schichten während des letzten Jahrzehnts mehr als ein Eintagsleben erkämpft haben. Anregungen wurden ja gewonnen. Und wir sind heute weit entfernt davon, einen geVerantw. Redakteur: Georg Davidsohn , Berlin.- Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdr. u. Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin SW.
E. W.
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