Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 50.
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Mittwoch den 11. März.
( Nachdrud verboten.)
( Schluß.)
Als der Alte sein Geheimnis gebeichtet hatte, fühlte er sich erleichtert. Dem Kummer folgte die Entrüstung. Die Elenden! Diese Neleta, eine leidenschaftliche Hündin! Sie hatte den Jungen zugrunde gerichtet und zum Verbrechen getrieben, um ihr Geld zu behalten; doch Tonet war zweimal feige, und mehr noch als um sein Vergehen verleugnete er ihn und verwarf er ihn, weil er sich toll vor Angst, aus Furcht vor den Folgen, selbst umgebracht hatte. Dieser Herr gab einfach zwei Gewehrschüsse auf sich ab, um sich jeder Verantwortlichkeit zu entziehen; er hatte es bequemer gefunden, zu verschwinden, als seine Schuld zu bezahlen und die Strafe zu erLeiden. Stets floh er die Pflicht und suchte aus Furcht vor dem Kampfe die leichten Pfade. Was für Zeiten, gerechter Gott! Was war das für eine Jugend!
Sein Sohn hörte ihn kaum; er blieb unbeweglich; von Verhängnis zerschmettert, beugte er das Haupt, als wären die Worte seines Vaters Schläge, die ihn für immer niederwarfen.
Die Borda begann wieder mit lauter Stimme zu ächzen und zu klagen.
Still, habe ich Dir gesagt," rief der Onkel Toni mit gebieterischer Stimme.
Es war ihm entfeßlich, daß andere auf seinen stummen, ungeheuren Schmerz durch Tränen antworteten, denn er konnte sich nicht auf diese Weise Erleichterung verschaffen.
Onkel Toni sprach endlich. Seine Stimme zitterte nicht, sie war leicht von der Aufregung verschleiert. Das schmach volle Ende des Unglücklichen war der Schlußpunkt seines schlechten Verhaltens, den er hatte voraussehen können. Er hatte ihm oft gesagt, es würde ein böses Ende mit ihm nehmen. Wenn man arm zur Welt kommt, ist die Faulheit ein Verbrechen. Gott hat die Dinge so geschaffen, und man muß sich unterwerfen Aber ach, es war sein Sohn... fein Sohn Fleisch von seinem Fleisch! Die unerschütterte Gerechtigkeit eines Ehrenmannes zwang ihn, der Katastrophe gegenüber fühllos zu bleiben, doch in seiner Brust fühlte er einen Drud, als reiße man ihm ein Stück aus den Eingeweiden und werfe es den Aalen des Albuferafees als Nahrung hin.
Er wollte ihn zum letzten Male sehen.... Verstand sein Vater? Er wollte ihn in die Arme schließen, wie er es getan, als er Rind war, als er ihm das Schlummerlied vorfang, sein Vater arbeitete, um einen reichen Bauern, der viele Felder besäße, aus ihm zu machen.
Bater", sagte er mit ängstlicher Stimme zu dem Onkel Paloma, Vater, wo ist er?"
"
Der Alte antwortete entrüstet. Sie sollten die Dinge so laffen, wie es das Schicksal gefügt hatte. Es war Torheit, den Lauf des Verhängnisses ändern zu wollen. Kein Skandali Lüften wir nicht den geheimnisvollen Schleier, es war gut so, denn alles war verborgen.
Da die Leute Tonet nicht mehr sahen, so würden sie sich einreden, er wäre auf die Suche nach neuen Abenteuern und nach einem glücklicheren Leben ausgezogen und befände sich von neuem in Amerika . Die See würde sein Geheimnis bewahren, es würde wenigstens ein Jahr vergehen, ehe jemand an der Stelle vorüberfam, wo das Unglüd passiert war. Die Begetation der Albufera genügte, um alles zu verbergen. Kam die Sache dagegen aber wirklich heraus, so würde sich die Justiz einmischen, man würde die Wahrheit entdecken, und anstatt eines verschwundenen Paloma, dessen Schurkentat nur fie allein kannten, würde man sich einem entehrten Paloma gegenüber befinden, der sich selbst getötet hat, um dem Gefängnis und vielleicht gar dem Schafott zu entgehen. Nein, Toni! Er sagte ihm das mit seiner Autorität als Bater. Für die wenigen Wochen, die ihm noch zu leben bestimmt waren, sollten sie ihn achten und seine lezten Tage nicht mit Bitterfeit erfüllen, indem sie ihn entehrten. Er wollte mit seinen
1908
Kameraden, den Schiffern, noch weiter trinken und ihnen ins Gesicht sehen können. Alles war gut so, und man mußte schweigen.... Wenn man den Leichnam übrigens jetzt entdeckte, würde man ihn nicht mit den Sckramenten begraben. Infolge seines Verbrechens und seines Selbstmordes war er der geweihten Erde beraubt, die allen beschieden war. Er befand sich weit besser auf dem Grunde des Wassers, im Schlamm begraben. Von den Tränen der Borda erregt, ließ sich der Alte zu Drohungen hinreißen. Sie hatte wohl Qust, sie zugrunde zu richten?
Die Nacht war endlos und das Schweigen wurde tragisch. Das tiefe Dunkel der Hütte erschien noch dichter, als hätte das Unglück seine schwarzen Flügel auf sie ausgebreitet. Mit der Fühllosigkeit eines harten, selbstsüchtigen Greises, der sein Leben möglichst zu verlängern sucht, war der Onkel Paloma auf seinem Stuhle eingeschlafen. Sein Sohn verbrachte die Stunden unbeweglich, die weit aufgerissenen Augen auf die schwankenden Schatten gerichtet, die das zittrige Kerzenlicht auf die Wand warf.
Im Schatten verborgen, saß die Borda am Herde und schluchzte ganz leise.
Plötzlich begann der Onkel Toni zu zittern, als wäre er plöglich erwacht. Er erhob sich, begab sich zur Tür, öffnete sie und betrachtete den besternten Himmel. Es mußte drei uhr fein. Die Nuhe der Nacht schien in ihn einzudringen und ihn in dem Entschlusse zu bestärken, der in seiner Seele aufgetaucht war.
Er näherte sich dem Alten, schüttelte ihn, um ihn zu wecken, und sagte mit flehender Stimme:
,, Vater... Vater, wo ist er?"
Der Onkel Paloma, der noch halb schlief, protestierte wütend. Man sollte ihn in Ruhe lassen. Dagegen ließ sich nichts machen. Er wollte schlafen, und man sollte ihn nicht mehr wecken.
Doch der Onkel Toni ließ sich nicht abschrecken und drang weiter in ihn. Er sollte bedenken, es wäre sein Enkel, er nicht ein letztes Mal gesehen. Er sollte ihn sich doch vorwäre sein Vater. Er fönnte nicht mehr leben, wenn er ihn stellen auf dem Grunde des Sees, in Verwefung übergegangen, von den Tieren verzehrt, ohne den Schuß der Erde, die doch dem Aermsten zuteil wird, in der doch selbst Sangonera ruhe, der keinen Vater hatte. Ach, arbeiten und sein ganzes Leben sich schinden, um seinem einzigen Sohne den Lebensunterhalt zu sichern und ihn dann im Stich lassen, ohne auch nur zu wissen, wo sein Grab ist, wie die toten Hunde, die man in die Albufera wirft... nein, das konnte nicht sein, Vater, das wäre zu grausam. Nie hätte er mehr den Mut, über den See zu fahren; denn er müßte denken, seine Barke führe über den Körper seines Sohnes.
,, Vater, Vater," flehte er, indem er den Alten schüttelte, der fast schon wieder schlief.
Der Onkel Paloma richtete sich heftig auf, als wollte er ihn schlagen. Ließ er ihn nun endlich in Ruhe?... Was, er sollte sich noch einmal auf die Suche nach diesem Feigling Man sollte ihn schlafen lassen. Man sollte nicht im Schmuß wühlen, denn man würde dadurch die Schande der Familie nur in die Deffentlichkeit tragen.
machen?
die
er
,, Vater, wo ist er?" fragte der Onkel Toni ängstlich. Er wollte allein gehen, aber er sollte ihm um Gotteswillen Stelle nennen. Wenn der Großvater nicht sprach, so wäre imstande, den Rest seiner Tage damit zu verbringen, den zu durchsuchen, bis er ihm sein Geheimnis entrissen. „ Im Gebüsch des Bolodro," sagte der Alte ,,, suche ihn." Damit schloß er die Augen und neigte den Kopf, um feinen Schlummer wieder aufzunehmen, den er sich nicht entgehen lassen wollte.
See
Der Onkel Toni gab der Borda ein Zeichen. Sie nahmen ihre Spaten, ihre Ruderstangen, ihre spißen Dreizacke, derer. fie sich beim Fange der großen Fische bedienten, zündeten eine Fackel an der Kerze an und durchschritten beide im tiefen Schweigen der Nacht das Dorf, um über den Kanal zu fahren.
Die schwarze Barks an deren Kiel die Fackel befestigt war, bewegte sich die ganze Nocht durch die Schilfro gr- und