— 2Aber merkwürdigerweise sah man ihm das nicht an. Erschaute meistens mit einem ernsten Gesicht in die Welt, wohldarum, weil er sie über alles Erwarten schön fand.Und in warinem Behagen stapfte er durch den tagelangen,wochenlangen Nebel und den„fisselnden" Regen Hamburgsund schaute mit Behagen in die grauen Kanäle und mit Ve-Hägen empor an den altersgrauen Häusern der ehrwürdigenStadt. Jedes dieser Häuser sah anders aus und guckte einenan wie ein Mensch und sagte:„Hier ist sicheres und behag-liches Wohnen." Und seltsam, obwohl die Straßen schmalund dunkel waren, glaubte man's doch, während man draußendurch die neuen Viertel seines heißgeliebten Oldensund, wodie wachsende Industrie eine Mietskaserne nach der anderenaufwarf, nur mit Ekel und Grauen ging. Asmus Semperhatte sich nie eine Vorstellung von der Hölle machen können:seitdem er die freche Prosa, die schamlose Häßlichkeit dieserKasernenreihen, diese Kolunibarien, diese vierstöckigen Hunde-Hütten— nein, Hundehütten waren gewöhnlich hiibscher—seitde mer die freche Prosa, die schamlose Häßlichkeit dieserZementkisten gesehen hatte, seitdem konnte er sich ein Bildmachen von einem Ort der ewigen Verdammnis. SeineSeele hatte ja Millionen von Saugfäden, die selbst aus demärmsten und dunkelsten Winkel noch Schönheit und Freudesogen: auch in seiner Tabak- und Studierstube fand er nochSchönheit und Freude: aber vor dem gemeinen Blick dieserHäuser zogen sich alle Fäden seiner Seele schaudernd zurück,und nie empfand er ein grimmigeres Mitleid mit den Armen,als wenn er durch diese Straßen ging.lFortsetzung folgt.)lNachdnlck verbotm.)Oer Oerr von l�aarnajärvi.Von Juhani Aho.Aus dem Finnischen übersetzt von Laura Fei».Es ging im Hause drunter und drüber. Alles war in hellerAufregung: Der Herr war im Begriff, in die Stadt zu fahren.Er war heute wieder einmal in furchtbarer Laune, schoß wütendüberall umher und schimpfte bald auf sein Weib, bald auf dieMägde, die hin und her rannten, um seinen Befehlen nachzukommen,aber vor Angst einander nur in den Weg liefen.„Weshalb ist das Rasierwasser wieder so heiß, daß es jetztstundenlang stehen muß, bevor ich mich trauen kann, das Kinnhineinzutauchen... Warum ist es so heiß, frage ich, warum?...Wer hat's so heiß gemacht, he?... Aber zum Teufel, wo stecktIhr denn alle?"Hellman brüllte so laut, daß die Fensterscheiben zitterten. Erwar in seinem Zimmer und dächte, feine Frau sei in dem an-stoßenden. Da er keine Antwort erhielt, stürzte er wie ein Wahn-sinniger davon, um die Frau zu suchen. Noch hatte er die Schwellenicht erreicht, als Frau Hellman bereits aus der Küche eiligstherbeikam.„Warum ist das Rasierwasser so heiß?" herrschte er sie an.„Wollt Ihr mich abbrühen wie ein Schwein? Was ist Euch eigent-lich in den Sinn gefahren?"„Ach Gott, diese Anni... Aber ich will gleich kaltes holen."Murmelte die Geängstigte vor sich hin und wandte sich schnurstrackswieder der Küche zu.„Anni. warum hast Du das Rasierwasser für den Herrn wiedergu heiß gemacht? Habe ich es Dir nicht schon tausendmal ge-sagt..."„Bitte, es ist nicht heißer als gewöhnlich."„Immer hat man durch Euch dieselben Nergernisse," gabHellmans Frau aufgeregt zurück.„Hier hol' geschwind kaltesWasser... Der Herr ist-schon ganz wild... und bring' dannauch gleich seinen Pelz aus der Kammer; vergiß aber ja nicht, ihnein bißchen am Ofen anzuwärmen."Die Hausfrau nahm das kalte Wasser in Empfang, eilte da-mit in die Stube zurück und goß davon etwas in das Wasch-decken ab.„Was zum Henker machst Du denn da wieder?"„Run, ich schütte ja nur kaltes Wasser zu."„Ja, aber natürlich wieder so viel, daß einem beim Rasierendas Kinn einfriert... Mutz man sich denn immer um solcherLappalien willen mit Euch Weibslcuten herumärgern? Es istregelmäßig dieselbe Geschichte, wenn ich wohin zu gehen habe...Ihr seid doch die geborenen Idioten!... Stell' doch die Kanneauf die Bank! Na. hörst Du denn nicht? Willst Du sie vielleichtden lieben langen Tag in der Hand halten?... llnd warum hastDu überhaupt nicht selber das Wasser für mich hergerichtet? Hm?"„Ich hatte in der Speisekammer zu tun und trug es daherAnni auf..."„Donnerwetter! Ich hob's Dir schon hundertmal gesagt, daßsie das Rasierwasser niclit anzurichten versteht, und daß Du esfelbst besorge» sollst."4-„Ich hätte es auch getan, aber da ich hörte. Du führest nachder Stadt, wollte ich der Frau des Küsters für die Socken, die sieuns gestrickt hat, zu den Feiertagen ein Stück Fleisch mitschicken."„Ich Hab' keinen Platz für Deine Bündel und Pakete... siesoll sich's selbst holen!"„Du weißt ja, sie hat weder Wagen noch Pferd."„So mag sie sich ihren HandschUUen herschleppen... Daherein schütte das Wasser... so. Wo ist das Handtuch?"„Hier."„Warum legst Du's nicht gleich her? Hast Du einspannenlassen?"„Roch nicht; aber ich will es sofort tun."Mit diesen Worten rannte sie davon. Mit eingezogenenSchultern und tief gebeugtem Oberkörper flog sie hastig über denHof bis zum Stalle und von dort wieder in das Haus zurück.„Was für ein häßliches Weibsbild sie doch ist," brummteHellman, der am Fenster stand und sie beobachtete, vor sich hin.Endlich begann er sich zu rasieren, aber seine Laune wurdenicht besser.„Weshalb ich mich überhaupt erst rasiere!" stieß er, währender sich einseifte, zwischen den Zähnen hervor.„Meiner Treu, fürso eine Bande, wie die da drinnen in der Stadt! Ich sollte eigent»lich unrasiert hingehen... in Schlafrock und Pantoffeln... Esist wahrhaftig zu gelungen! Da sitzen sie drunten beisammen undschätzen anderer Leute Habe nach ihrem Gutdünken ein. Sie sindalle miteinander das reine Bettelgesindel... Aber wie sie es vcr»stehen, unsereinem das Fell über die Ohren zu ziehen!... Ra.ich will's ihnen schon zeigen, mit wem sie's zu tun haben— mitmir, der sozusagen ganz Kaarnajärvi in die Tasche steckt!"In der Tat waren die Mitglieder der Steuerbehörde im Ge»meindehause versammelt, um die Steuereinschätzungen vorzu»nehmen, und Hellman stand im Begriffe, sich dahin zu begeben,um seine Interessen zu wahren; denn man hatte ihm hinter»bracht, daß--„Heda!" schrie er mit einem Male wieder mit solcher Stimm»gewalt in das Zimmer hinein, daß ein Stück Mörtel von der Deckeherabfiel.Schon wollte er sich von seinem Sitze erheben, da erschien seineFrau bereits wieder im Rahmen der Türe.„Ja, sitzt Ihr, denn alle auf den Obren?" fuhr er die Ein»tretende an.„Wo ist Pulkkinen? Er soll sofort hereinkommen."„Ich werde ihn gleich rufen."Wenige Minuten später stand Pulkkinen vor seinem Herrn.„Du hör' mich an! Wiederhole mir, was haben sie über michgesprochen? Aber nicht lügen! Verstanden?"„Ich lüge nicht, Herr. Was ich Ihnen erzählt habe, ist voll»kommen wahr... Ich war im Flur des Gemeindehauses undhorchte auf alles, was sie drin sprachen."„Schön, also was sagten sie? Beichte mir genau, was Du siehast reden hören."„Ich habe es nicht Wort für Wort im Gedächtnis behalten,auch habe ich nicht alles hören können, aber sie sprachen die An»ficht aus, daß..."„Wer war es. der die Ansicht aussprach?"„Alle miteinander."„War auch der Amtmann derselben Ansicht?"„Mag sein... Das weiß ich nicht genau."„Jawohl, Du weißt es! Du hast alles ganz gut gehört,Du willst es mir nur nicht sagen... Du bist ein großerDummkopf!"„Ich kann nicht mehr sagen, als ich gesagt habe."„Also sie meinten, sie wollten den Hellman einmal gehörigbesteuern?"„Ja, das meinten sie."„Und was noch? Sag's ganz offen... Nicht wahr, daß erja sehr reich sei und ordentlich geschröpft werden solle... Nurheraus damit!"„Ja, so war's, und daß die Steuern von einem Einkommenvon wenigstens sechstausend Mark bemessen werden müssen— dashörte ich ganz deutlich."Hellmans Augen blitzten aus dem Spiegel heraus wie dieeines tollen Hundes.„Von sechstau—? O, ich will den Schuften schon zeigen,daß— Sie sollen mich kennen lernen und müßte ich darüber allcSverlieren I Ich will doch— He, Ihr da draußen, herein da!"Die Magd kam aus den Ruf so rasch ins Zimmer, als hättesie jemand hineingestoßen.„Könnt Ihr nicht schneller kommen, wenn ich rufe? Weg mitdem Seifcnwasser da! Reines Waschwasser her! Warum kommtdie Frau nicht herein?"„Sie ist nicht da."„Wo ist sie?"«Sie ist in der Küche, um den Pelz vor dem Feuer zuwärmen."„Nein, so etwas! Sechstausend! Das ist schändlich, infam!Wollen sie mir nicht vielleicht gar die Steuern vom ganzen Dorfaufhalsen, wie, Pulkkinen?"„Das nicht." lachte der Bursche,„aber einige taxierten IhrEinkommen nicht auf sechs-, sondern sogar auf zehntausend."JS\ was?"„Ja und noch darüber, wenn daß Holzgcschäft besonders gut