bei gewöhnlicher Zimmertemperatur oder in besonders konstruiertenWärmekästen bei der Temperatur deS menschlichen Körpers. Baldsieht man nun. falls nicht die Bakterien infolge irgendwelcherungünstiger Umstände zugrunde gegangen sind, an einzelnenStellen des Nährbodens verschiedenartige Trübungen auftreten, diesich rasch vergrößern. Diese Flecke sind neuentstehende Bakterien-kolonien, und zwar jede nur aus einem Keim hervorgegangenund daher auch nur Bakterien dieser Art enthaltend.So ist es also gelungen, das scheinbar unentwirrbare Bäk-teriengemenge voneinander zu isolieren. Die Kolonien zeigen jenach den Arten verschiedenes Aussehen. Bald sind sie größer, baldkleiner, bald scharf begrenzt, bald mit verschieden gestalteten Aus-läufern versehen. Die einen liegen als Häutchen oder Knöpfchenan der Oberfläche, andere fressen sich in den Nährboden hinein,wieder andere haben die Eigenschaft, den Nährboden zu verflüssigen(daher die Eigenschaft mancher Käse zu laufen", denn der Käse istein Nährboden für bestimmte Bakterienarten, die sich dadurch dank-bar zeigen, daß sie dem Käse einen besonderen Geschmack verleihen).Einige Bakterienkolonien bilden Farben, so blau, braun, grün,blutrot. Besonders die letztgenannte Art, der Bacillus prodigiosus,hat früher viel Unheil angerichtet, wenn er sein rotes Banner aufgeweihten Hostien entfaltete und zu der mörderischen Legende von»blutenden" Hostien Veranlassung gab. Es ist nun möglich, vonIben einzelnen Kolonien wiederum auf besondere Nährböden abzu-impfen und so das Verhalten der Bakterien unter den verschieden-artigsten Einflüssen kennen zu lernen. Ddan kann die Nahrung,das Licht, die Wärme, die Lust, die Feuchtigkeit verändern, kanndiese oder jene Chemikalien in ihrer Einwirkung auf die Bakterienprüfen, kann andererseits die von den Kleinwesen gebildeten Stoff-Wechselprodukte untersuchen, kurz, kann mit den Bakterien experi-menticrcn wie mit eingefangenen Tieren. Einer der wichtigsten zuprüfenden Punkte ist das Verhältnis der Bakterien zu menschlichenoder tierischen Krankheiten. Man mutmaßte schon früher, daß dieUebertragbarkeit mancher Krankheiten, wie Milzbrand, Diphtherie,Typhus usw., an das Vorhandensein von organisierten Wesen ge-bunden sei; man hatte z. B. auch bei milzbrandkrankcn Tierenmikroskopisch kleine, fadenförmige Gebilde im Blut gefunden, ohnedoch die Rolle, die diese Gebilde bei der Entstehung der Krankheitspielten, ergründen zu können. Auch hier erwies sich Robert KochsMethodik als bahnbrechend. Nachdem es ihm gelungen war, jeneGebilde zu züchten und zu isolieren, übertrug er sie auf lebende ge-snnde Tiere und diese erkrankten an Milzbrand. Der Milzbrand-bazillus war entdeckt und als Ursache der Erkrankung nachgewiesen.Damit tritt die vierte Methode der Bakterienforschung in ihrRecht, die der Uebertragung auf Tiere. Wenn bei einer bestimmtenKrankheitsform regelmäßig Bakterien gefunden werden, die ihremFärbevermögen, ihrer Züchtung und allen sonstigen Eigenschaftennach stets dasselbe Bild zeigen, d. h. als sichere Art erkannt find,so muß der Nachweis erbracht werden, daß sie auch wirklich die Ur-Heber jener Erkrankung und nicht etwa nur als zufällige Begleit-erscheinung zu betrachten sind. Man versucht daher durch Ueber-tragung der rein gezüchteten Bakterien auf Tiere bei diesen dieentsprechende Krankheit hervorzurufen. Ist die betreffende Krank.heit, z. B. die Tuberkulose, schon als Tierkrankheit bekannt, so machtdas Gelingen gewöhnlich keine Schwierigkeit, vorausgesetzt, daß diegefundenen Bakterien wirklich die Krankheitserreger sind. Mitunterhandelt es sich aber um Krankheiten, die dem Menschen eigentümlichsind, zum Beispiel um Typhus. Dann gelingt eS nur sehr schwer,empfängliche Tiere dafür zu finden, oder der Versuch mißlingtin dieser Hinsicht überhaupt, so daß man sich an konstantem Bäk-teriennachweis in allen untersuchten Fällen genügen lassen muß.Die Bakterien verdienen aber die Ehrenrettung, daß sie nichtunter allen Umständen schädliches oder bestenfalls unnützes Ge-sindel darstellen. So war sckion oben erwähnt, daß cS Bakterienartensind, die dem Käse seine beliebtesten Eigenschaften verleihen. Bäk-terien sind es, die uns zur dicken Milch verhelfen; Bakterien fabri-zieren aus Spiritus den Essig; Bakterien reinigen die Flüsse vonden organischen Schlemmstoffen, die sonst alles verpesten würden;Bakterien haben wahrscheinlich großen Anteil am geregelten Gangeder Verdauung. Und schließlich sind es Bakterien, die an denWurzeln vieler Pflanzen sitzen, diesen den Stickstoff der Luft unddes Bodens zuführen und so zum Gedeihen wichtiger Nahrungs-mittel wesentlich beitragen.—Kleines feuiUeton*Musik.Ueber Volksliederpolitik, die ja neuerdings bei unsauch in Mode gekommen ist, macht Richard B a t k a im zweitenAprilheft des»Kunstwart" beherzigenswerte Ausführungen. Erwendet sich gegen die Bevormundung von oben her, gegen die totenFormeln des grünen TischcS und will lieber die natürlichen Quellenerschließen.Wir stehen, schreibt Batka, wieder mitten in einer Bewegungzugunsten des Volksliedes. Herrscher und Staaten nehmen sie inihnen Schutz. Hofkapcllmeister, Musikdirekioren, Chorregenten undMusikgelehrte werden zu Ausschüssen zusammengetan und setzeneine ausgebreitete Sammeltätigkeit ins Werk. An Pfarrer, Aerzte,Berantw. Redakteur: Georg Davidsohn, Berlin.— Druck u. Verlag:Lehrer usw. tritt man heran, man forscht, man zeichnet auf, MO»vergleicht, man veröffentlicht, bis vielleicht einmal der ganze mugeheure Liederhort des Volkes mitsamt den Lesarten in Papierund Druckerschwärze umgesetzt ist. Und dann? Dann stehen wirimmer noch am alten Fleck, denn ob tausend oder zehntausendVolkslieder im Druck vorliegen, ist für den lebendigen Volksgesangganz einerlei. Den Nutzen hat nur die Wissenschaft, die ihr Re-gister erweitert. Die kulturell wichtige Frage, wie all diese müh-sam aufgestapelten Werte endlich wieder in Umlauf gebracht werdensollen, wird fast niemals gestellt.O du armes Waisenkind Volkslied! Seit Herder die Freud«an dir geweckt hat, haben sie di chschier umgebracht mit ihrer Liebe!Da waren zunächst die Liedertafeln. Weil eS unter den Volks»liedern eine beträchtliche Anzahl gibt, die gesellige Lieder find undsich im harmonischen Satze vortrefflich ausnehmen, wurde ein neuerParagraph aufgestellt:„Es muß alles vervierstimmigt werden."Und so paukten denn Legionen von biederen Sängern ihre Parteetn, vor allem eifrig bedacht, den vorgezeichneten Ton zu treffen.Was als individueller, beseelter und lebendiger Vortrag eine?einzelnen gedacht war, das sangen nun ganze Scharen nach demStab eines ehrenfesten Taktschlägers. Melodien, die bestimmtwaren, vom Vortragenden mit voller Freiheit und schöpferischerPhantasie dem wechselnden Inhalt der Liedstrophen angepaßt undwie plastischer Ton unter der Hand des Bildners fast improvisatorischbehandelt zu werden, wurden pedantisch nach den vorgeschriebenenNotenwerten abgesungen oder man strebte bei den„guten" Chörender Virtuosität und dem Raffinement zu, die den Schein erweckenkonnten, dieser vielköpfige Singkörper sei eigentlich nur ein ein»ziges Instrument. Der Chorgesang, der doch nur für eine besondereVolksliedcrgruppe paßt, hat in seiner stilwidrigen Erstreckung aufdie ganze Breite des Volksliedes ihm das gesunde LebenSblut ent-strömen lassen und an dessen Stelle als schlechten Ersatz nicht selteneine falsche Kraftmeierei und schwächliche Sentimentalität in dieübriggebliebene Melodienhülse ergossen. Er hat es verschuldet, daßmanche unter Volkslied schließlich nur noch lyrische Duseleien oderHurralieder verstehen wollen. DaS so gut gemeinte Volksliederbuchdes deutschen Kaisers leidet bor allem an dem Nebel, daß sich dieHerausgeber nicht immer klar darüber geworden sind, was imMunde eines Männerchorcs möglich und passend ist und was nicht.Es mußte eben alles vervierstimmigt werden.Diese einseitige Betonung deS Musikalischen seitens der Hüterdes Volksliedes von Berufs wegen hat dem Volksliede überhauptviel Schaden gebracht. In völliger Verkennung des Wesentlichenhaben große Tonmeister versucht, dem Volkslied ein erhöhtes künst-lerisches Interesse zu verleihen, indem sie ihm ein prächtiges, färben-reiches, kunstvoll gewebtes harmonisches Gewand anlegen. In dieser„großen Toilette" führt man es dann auch wohl vor das Konzert-Publikum. Hof- und Kammersänger ließen sich herab, Volksliederin demselben Stile vorzutragen, wie sie sonst Kunstlieder zu singenpflegten, mit vollendeter Tonbildung usw. Es klang ja sehr schön,die melodische Linie kam wundervoll heraus, und schon der Ab-wechselung wegen, die sie brachten, gefielen diese Volksliederabendssehr. Aber dem Volksliede selbst war damit nicht geholfen. Denndas Volkslied hat seinen eigenen Stil, es ist nicht nur einfacherals'das Kunstlied, sondern auch wesentlich anders geartet. Daswissen unsere Volkssänger und die Vorkämpfer des echten Volks-gesanges, ein Heinrich Schmer, ein Robert Kothe in München, eineWolzogen und überhaupt alle, die mit dem Wesen des Volksliedesdurch langen praktischen Umgang wohl vertraut sind. Es bestehtbei uns kein eigentlicher, durch eine wohlbewahrte Ueberlieferungzusammenhängender Volkssängerstand, wie in Frankreich, aberwenn ich über den echten Vortragstil de? Volksliedes Bescheid wissenwill, frage ich lieber bei einem Brettlsänger an als bei einemMusikhistoriker. Denn die beiden Gattungen mögen inhaltlichverschieden sein: die Gesetze des Vortrages find bei beiden diegleichen. Weil die Ausdrucksmittel beider die nämlichen sind, näm-lich eine aus dem Stegreif abzuwandelnde, plastische Melodie, dieWiederholung der Verse und Vcrsglieder und der Kehrreim. Wieman diese Mittel, die dem'gewöhnlichen, an Kunstmusik gebildetenSänger als rein formelle Erscheinungen gelten, nicht as? gleich-gültige Zutaten, vielmehr als die stärksten Trümpfe des Liederstilsbehandeln, wie man ein und demselben melodischen Gebilde dieverschiedensten Ausdrucksnuancen abgewinnen kann, wie sich daSdichterische und musikalische Element in ganz besonderer Weise innigdurchdringt, darüber zu lehren gibt es noch keine Schule und keinKonservatorium. Man höre nur, wie Scholandcr oder wie dieUvette Guilbert einen Kehrreim behandeln INicht in den Gesangvereinen, nicht in den Konzertsälen stehtdie Wiege für die Geburt des Volksliedes bereit, ich glaube viel-mehr, daß in Kabarett und Variete, wenn auch in verrohter undvielfach entarteter Gestalt, die Keime desjenigen Stils liegen, dessendas Volkslied bedarf und der nur eine entsprechende Veredelungerfahren muß, um uns wieder starke, künstlerische Eindrücke zu bcr-Mitteln. Eine„gute" wandernde Volkssängergesellschaft, derenProgramm die besten Volkslieder bringt, scheint mir einer Unter-stützung aus öffentlichen Mitteln mindestens ebenso wert wie einmit den Leuchten der Wissenschaft und Kunst umsctzter grüner Tisch.Jener würde Leben schaffen, diese häufen totes Material.—Vorwärts Buchdr. u. Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin S\V,