Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 91.

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Dienstag, den 12. Mai.

( Nachdruck verboten.)

Semper der Jüngling.

Ein Bildungsroman von Otto Ernst  . Ob Asmus Lust hatte! Er wußte gar nicht, was er Sagen sollte, und stammelte etwas hervor, was ein Dank sein follte.

1908

hatte, am Brunnen der Stadt Nahors. Wenn er sie aber gar am Laubhüttenfest mit dem Paradiesapfel und mit Myrten, Palmen und Weiden   nach der Synagoge wandeln sah, dann verwandelte sich der Weg nach Oldensund in die bierzigjährige Wüstenwanderung vom bitteren Wasser zu Mara und der Dase Elim bis zu dem Tage, da Jericho   fiel unterm Ha der Posaunen, dann sah er die ährensammelnde Ruth auf dem Acer des Boas und sah die Harfe Israels  hangen an den Weiden Babylons.

Am Abend saß er in der Petrikirche in Hamburg  , auf Schön wie die Kindheit war nun nach allen Sorgen einem Blake, wo er weder Sänger, noch Orgel, noch Orchester und Kämpfen die Zeit des Seminarbesuchs geworden, als fehen konnte. Das war's, was er brauchte. Denn seine fie sich ihrem Ende zuneigte. Ludwig Sempers Verdienst Musik tam von andern Orten her, als dorther, wo sie er- hatte sich ein wenig erhöht; Asmussens Stipendium war auf geugt wurde. Sein Theater und sein Konzert war immer zweihundertundvierzig Mark im Jahre gestiegen; ein paar noch anderswo als auf der Bühne und auf dem Podium gute Privatstunden taten ein übriges, eine Zeitschrift hatte über einem Baumwipfel des Hintergrundes, in einem ein paar Gedichte von Asmus Semper angenommen, und Winkel des Saales, im Lichtkreis einer einsamen Lampe aus Amerita tamen gute Nachrichten. sah er weit hinter dem Geschehen der Bühne, hörte er hoch

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Aber unter alledem war noch nicht das Beste. Das, über den Klängen der Musik Erlebtes und nie Erlebtes, was die ganze Welt so heilig und schön machte, war das fühlte er ein Leben ach, das man in solchen Stunden Studium. Nicht das Studium fürs Seminar; bei dem war erleben kann, das man nie in Wirklichkeit erleben wird. Wo, immer noch nicht viel Freude zu holen. Nein, das Studium, in welchen nie geahnten Rammern seiner Seele hatten diese das niemand von ihm verlangte als er selbst. Und darum Bilder geschlummert, die für Sekunden erwachten und dann war der Sonnabend so unaussprechlich schön, weil er nun verschwanden, um niemals wieder zu erscheinen? War es den ganzen Sonntag über studieren konnte, was er wollte. das Unentwickelte, Unerwachte, das in der Welt ist und das Freilich hatte Frau Rebekka ihre Bedenken. Das Eramen aus dem Traume sprach? nahte wieder heran, und ob Kant und Spinoza   und Gedichte­machen und Hamletdeklamieren dazu nötig sei, darüber hegte fie schüchterne Zweifel. Sie gab diesen Zweifeln aus Aus drud und meinte, ob er sich nicht zu sehr zersplittere. Ich hab' da neulich in so'n Buch von Kant   hinein­gegudt, das ist ja'n fürchterlicher Schnack; daraus wird tein Deubel flug."

Und es fam ein Orgelbrausen und ein Frauengefang, ber ging über alle Winkel und Richter der Kirchenhalle hin­aus, das war ein Strom, für den die Gewölbe des Hauses zu niedrig waren; wie ein ungeheurer Flammenstrom fuhr er durch alle Schranken von Stein und Erz hinauf in den unendlichen Himmel. Da betete Asmus Semper abermals. Er betete, daß er einst, wenn er wirklich ein Dichter werde, eine Dichtung schaffen wolle, deren Held ein König des Ver­standes sein solle. Vor der klaren Schärfe seines Verstandes follte verjährter Wahn und Glaube zergehen wie Nebel vor der Sonne. Und die Menge sollte ihn hafsen, verfolgen, ihn steinigen, weil er ihre Welt entgöttert habe. Und das würde das tragische Schicksal dieses Bertrümmerers sein: die andern würden nicht wissen, nicht ahnen, daß er ein Mensch war, der beim Klingen einer Quelle lachen und weinen fonnte, daß seine Brust ein Dom war, der von tausend Orgel und Engelstimmen klang und hinter dessen bunten Fenstern alle füßen Farben und alle heiligen Dämmerungen des Lebens wohnten; niemand sollte es verstehen, daß er das zarteste Herz von allen besaß.

-

ja

Du

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" sa, mitunter ist es sehr schwer," sagte Asmus. " sa, ist denn das notwendig, daß Du das lernst?" Ja, Mutter, das ist sehr notwendig."

Wenigstens solltest Du das Dichten aufschieben, bis mehr Zeit hast, das strengt Dich doch auch an."

Na ja, wenn es mich anstrengt, werd' ich es aufgeben," versicherte Asmus und lächelte nach innen.

30. Kapitel

( Das unlesbarste Kapitel des ganzen Buches: Asmus prügelt sich mit Kant und Spinoza   und verrenkt sich mehrere Hüften.)

Jung, Du verschmierst ja all die schönen Bücher!" rief Frau Rebeffa eines anderen Tages erschrocken, als sie ihm über die Schulter in die Kritik der reinen Vernunft  " hin.

einblickte.

Ja, das tat er freilich. Wenn er ein Buch wirklich las, so durchacerte er es mit dem Bleistift und warf jede Scholle herum und erquickte sich an dem frischen Ackerduft, der dann emporstieg; alle Bedenken, alle Zweifel, als Widersprüche, die ihm aufstiegen, schrieb er an den Rand, und das gab einen wunderlichen Buchschmuck. Gar oft ging es ihm wie seinem geliebten Fauſt:

Hier stock ich schon und kann nicht weiter fort; Ich kann das Wort so hoch unmöglich schäßen, Ich muß es anders übersehen,

Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.,."

Als Asmus unter einem Flaren, sternenreichen Winter­himmel nach Hause ging, war er sich klar darüber, daß es nichts sei mit Meister Bruhns Anschauungen über Ver­stand und Gemüt. Aber trob dieser und noch weit größerer Meinungsverschiedenheiten schauten fie einander doch mit Freundschaft und Liebe in die Augen an jenen wahren Sonnabenden, da die Sonne des Abends aufs Klavier schien und der Meister zu Asmussens Geige die Begleitung spielte oder die strenge Pflicht auf eine Weile vergessend ganz von selbst in einen Beethoven   oder Bach überging. Der Weg nach Hause führte Asmus regelmäßig durch einen Stadtteil, der stark, wenn nicht vorwiegend von Juden bewohnt war, und wenn er nun von den sonnabendlichen Feierstunden bei Meister Bruhn heimkehrte, paßte es immer und das war immer der schlimmste Zweifel: ob er bom sonderlich gut zu feiner Stimmung, wenn ihm die Juden Geiste recht erleuchtet war. Er balgte sich mit dem dürren in Festtagskleidung begegneten und in ihrem Gang und Königsberger Männchen wie wahnsinnig; aber er wußte ihren Mienen den Sabbat erkennen ließen. Er fand es Schön, den Feiertag am Abend zu beginnen mit dem Blick in ein heiliges Morgen"; auch sein Sonntag begann immer am Samstagabend, begann oft schon in der Musikstunde, wenn er deutsche Lieder hörte, begann manchmal schon mit der Vorfreude auf diese Stunde. Aber nicht fand er es schön, wie es die Juden taten, den Feiertag auch am Abend mit Sonnenuntergang zu beschließen. Er wenigstens konnte aus den heiligen Geheimnissen des Sabbats nicht zurüd­finden in den Alltag, wenn nicht ein langer, tiefer Schlaf dazwischen lag. Immer und immer riefen ihm diese festlich gekleideten Juden die Kindheit zurück, die unvergeßliche Zeit, da er mitten im verschneiten Winter das sonnige Land Abrahams   gesehen und mit Elieser um Rebekka geworben

wohl, daß er mit einem Gottessohne rang wie Jakob an der Stätte Pniel, und daß man sich dabei die Hüfte ver­renken konnte. Er verrenkte sie sich mehr als einmal und mußte manchmal einsehen, daß er nur deshalb widersprochen hatte, weil er nicht richtig verstanden hatte; das beschämte ihn wohl, aber hielt ihn von immer erneutem Ringen nicht ab. Nichts lag ihm ferner als Ueberhebung; seine Pietät gegen das Genie war eher zu groß als zu klein, und selbst folche Sätze wie:

Aber hierin liegt eben das Experiment einer Gegen. probe der Wahrheit des Resultats jener ersten Würdigung unserer Vernunfterkenntnis a priori"

konnten in ihm nicht den Verdacht erwecken, daß es dem Alles. zermalmer" denn doch wohl hin und wieder recht fehr an