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Gibt das Münchener Tonkünstlerfest tatsächlich den Gang, den die Entwickelung deutscher Musit nimmt, mit ausschließlicher Bestimmtheit an? Parallel mit dieser Richtung, wenn auch zum Teil gegenfäßlich zu ihr, läuft eine andere, die in Mag Reger Namen und Ausdruck findet. Er ist in München diesmal überhaupt nicht zu Worte gekommen. Db Zufall oder Absicht es verschuldete, mag dahingestellt und ebenso die Frage unbeantwortet bleiben, wofür sich die Kunst entscheiden wird. Die großen Künstler, auf die wir noch immer hoffen müssen, gehen ihre Wege selber. Mag der allgemeine deutsche Musikverein, der Veranstalter der Tonfünstlerfeste zusehen, daß dies nicht ohne ihn oder gegen ihn geschehe! Dr. D. J. Bach.
Kleines feuilleton.
Physiologisches.
müssen, um bestimmte Ausgangspunkte wieder zurückzugewinnen,[ einem tiefen Bedürfnis seiner Künstlerischen Natur entsprach. bon denen aus sich neue Möglichkeiten bieten. hieß an Richard Wagner vorbeizugehen, wenn schon nicht über ihn Go bedeutet die modernste Musik immer auch jedenfalls einen hinaus zu kommen. Nun über Wagner geht auch Klose in Jlsebiй" Rückschritt. Ob es dann auch zu Fortschritten kommt, muß die Zu- nicht hinaus. Gerade sein Werk, das er dramatische Sinfonie" nennt, kunft lehren. Darum wird gegen alles Neue gar so oft auch der Vor- um damit den schwankenden Charakter des Werkes anzudeuten, lehrt wurf des Dilettantismus erhoben. In der Tat läßt sich nicht ver- abermals die schon früher betonte Tatsache, daß alle Entwickelung kennen, daß ein Werk wie die beim Münchener Tonfünstlerfest auf- nach jedem Großen ein Stüdchen zurüdgeht, um erst von dort aus geführte Messe des Lebens" von Frederik Delius zunächst neue Wege über den Großen hinaus zu finden. An" Ilsebill" den Eindruck der dilettantischen Formlosigkeit hervorrufen muß. merkt man nicht nur den Schritt zurück, sondern auch den schönen Doch hier bei diesem Werk, das ohne Zweifel die bedeutendste Gabe und nicht ganz erfolglosen Eifer, den neuen Weg zu finden. des ganzen Festes war, wenn man von den Opernaufführungen absieht, mag es Prinzip gewesen sein. Daß Delius mehr ist als ein hilfLoser Dilettant, zeigt der unleugbare Eindruck, den manche Stellen Seiner Symphonie hervorrufen. Die Messe des Lebens" für Soli, Chor und Orchester beweist mehr Verwandtschaft als Abhängigkeit bon Debussy und damit orientiert es uns auch allgemein über den Stand der neuesten Musik. Diese will nicht mehr gestalten, sonbern nur noch verschwimmende und verdämmernde Eindrücke erwecken. Als Rückgrat besitzt die Musik nichts als den Tert, Worta Barathustras nach Nietzsche . Sie find nicht komponiert", wie man wohl früher zu sagen pflegte, sondern sie sind der stehengebliebene Anlaß für diese Musik. Die moderne Musik mit all ihrem BeStreben, zu den allermenschlichsten Urgründen zurückzukehren, muß bazu die merkwürdigsten Umwege einschlagen, vor allem den über die Literatur und die Philosophie. Auffallend ist die Häufigkeit, mit der Nietzsche als tertliche Unterlage für Kompositionen dienen muß. Einesteils Nietzsche der Philosoph. Jedes große Kunsttverk, auch das musikalische, bedeutet eine Philosophie für sich, Röntgenuntersuchung totgeborener Kinder wenn auch nur törichter Understand diese Philosophie in Worte Die Frage, ob ein Kind, das tot zur Welt tam, nicht doch eine Zeit wird kleiden, auf ein System wird zurückführen wollen. Unsere lang gelebt hat, kann unter Umständen von größter Wichtigkeit sein. Neutöner" aber haben es zu philosophischen Doktordiffertationen Der franzöfifche Gelehrte Vaillant, der erst vor kurzer Zeit infolge gebracht, die statt in Worten in Noten geschrieben sind. Auch in einer Behauptung, auf radiographischem Wege den Scheintod vom Noten kann man vortrefflich verworrenes Zeug und aufgedunsene wirklichen Tode unterscheiden zu können, eine recht heftige Redensarten sagen. Zweitens aber wird Niehsche der Dichter Polemik durchzufechten hatte, die anscheinend nicht zugunsten von den Komponisten bevorzugt. Auch dies ist eine allgemeine feiner Methode verlief, erklärt jetzt in den SigungsEigenschaft der modernsten Musik, daß sie ein ausgezeichnetes lite- berichten der Pariser Akademie der Wissenschaften, daß die Nöntgen xarisches Verständnis bekundet und nur die vorzüglichsten Dich- methode das genannte Problem lösen könne. Die Durchstrahlung tungen benutzt. Denn diese Dichtungen arbeiten für die Musik. der Leiche soll erkennen lassen, ob ein Kind geatmet und irgend Bei dem Mangel an Erfindungskraft, bei dem Unvermögen der welche Nahrung zu sich genommen hat und damit eine wertvolle Selbständigen Gestaltung ist es am besten, die Worte des Dichters Bereicherung der gerichtsärztlichen Methoden darstellen. Die Unterfür sich allein reden zu lassen und mit der begleitenden Musik suchungen haben gestattet, fünf Gruppen zu unterscheiden: höchstens der Stimmung nachzulaufen. Auch auf diese Art lassen 1. Kinder, die gar nicht gelebt haben: das Röntgenbild läßt überfich unleugbar große Wirkungen erzielen. Immer häufiger wird haupt kein inneres Drgan erkennen. 2. Kinder, die einige Atemzüge Die Mischkunst, zum Beispiel die Verse des Dichters sprechen und getan haben: der Magen allein ist sichtbar; je mehr Atemzüge stattvon der Musik nur untermalen zu lassen; wir sind nicht mehr fanden, desto durchsichtiger, deutlicher und größer wird er, indem er weit davon, daß einmal zu Worten des Dichters aus irgend einem von der Dimension einer Erbse bis zu der einer besonders großen Nebenraum nur gestaltlose Klänge herüberwehen werden. Auch dies Bohne hinaufgeht. 3. Kinder, die 1-14 Stunden gelebt haben: wird künstlerische Wirkungen geben. Nur die Musik als solche Durchsichtigkeit und Größe des Magens nehmen noch weiter zu; wird dann aufhören, eine felbständige Kunst zu sein. Eine Kunst die Eingeweide werden auf dem Bilde sichtbar. 4. Kinder, die aber, die sich selber aufgibt, verliert auch die Beziehungen zum mehrere Tage gelebt haben, ohne Nahrung aufzunehmen. Auch die lebendigen Boltsganzen. Solche Musik macht die Erziehung zur Zungen sind sichtbar, die Leber ist deutlich zu erkennen, während Kunst unmöglich. das Bild des Herzens oft verschwommen bleibt. 5. Kinder, Auch an der dramatischen Musik merkt man das Schwanken und die mehrere Tage hindurch genährt worden sind: alle Organe sind Tasten. An Jlsebill" von Friedrich Klose , welches das Prinz noch deutlicher, und die Eingeweide stellen sich infolge der vers regententheater den Gästen des Tontünstlerfestes vorführte, packt uns mehrten Darmgase schärfer dar. Diese Feststellungen lassen erkennen, zunächst das Märchen und die Märchenstimmung. Wer sich an dieses kost- daß das Erscheinen der Lunge mur als Ergänzung des sonstigen bare Besitztum des Volksbewußtseins hält, hat festen Stand. In liebill" Befundes in Betracht kommt, während das allmähliche Sichtbarist das Märchen vom Fischer und seiner Frau in einzelne und etwas werden der Unterleibsorgane innerhalb gewisser Grenzen erkennen erweiterte Bilder zerdehnt. Der Fischer, der den Zauberfisch gefangen läßt, ob und wie lange ein Kind gelebt hat. Wenn es gelebt hat, hat und ihm die Freiheit schenkt, wird Bauersmann, Ritter doch werden die Bauchorgane sichtbar, wenn dies nicht der Fall war, ist noch höher hinauf treibt ihn der maßlose Wunsch seiner Frau Flse überhaupt kein Drgan erkennbar. bill. Sie selber wird Bischof, aber sobald sie merkt, daß die Kirche die Grenzen ihrer Macht an der Natur findet, will sie
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Aus dem Pflanzenleben.
die Natur selber beherrschen und werden- wie Gott ! Das Unbegrenztes Wachstum bei Pflanzen? Die Maß des Frevels ist erreicht, Jlsebill wird wieder, was sie war, Frage, wodurch die Winterruhe der Pflanzen hervorgerufen wird, eine arme Fischersfrau, ihr Mann ein müder, geplagter Fischer. hat V. L. Howard, wie die Umschau" berichtet, zu interessanten Alle diese Vorgänge spielen sich ohne Unterbrechung, ohne Pause auf Ergebnissen geführt. Ende Oktober und Anfang November schnitt der Bühne ab. Anders wäre es auch taum möglich. Nicht nur er von Bäumen und Sträuchern, die im Botanischen Garten zu wegen der notwendigen Steigerung, sondern weil anders der Halle a. S. unter natürlichen Bedingungen wachsen, Zweige ab und Charakter des Märchens des Traumes taum gewahrt brachte sie in ein warmes Gewächshaus, wo sie ins Wasser ge= bleiben fönnte. Die Mufit, die Klose geschaffen hat, stellt wurden. Es sollte geprüft werden, ob die Zweige malt nicht die Vorgänge auf der Bühne, das Ber - bereits unter dem Einfluß der Wärme zu treiben beginnen. hältnis ist umgekehrt. Die Szene ist dazu da, um die Musik zu Die Beobachtungen wurden bis zur vollen Entfaltung der Knospen illustrieren. Der Anlaß dieser Mufit ist also stehen geblieben und ausgedehnt. Von den etwa 280 Arten trieben binnen zwei Wochen in ein Bühnenbild verwandelt. Damit bewegt sich Klose durchaus mehr als die Hälfte aus, die übrigen Arten verhielten sich vers in der Richtung der modernen Sinfonie. Was sein Werk davon schieden. Ein Teil trieb mehr oder weniger schier noch in der scheidet und wieder dem musikalischen Drama, der Oper annähert, ersten Hälfte des Winters, ein anderer, 27 Arten umfassender Teil ist der Gesang. Der ist etwas anderes als der in mancher ließ sich erst allmählich zum Wachstum herbei, ein dritter Teil, der Sinfonie absichtlich ungetilgt gebliebene poetische Ausgangspunkt. 36 Arten umfaßte, widerstrebte sogar bis März. Besonders waren Er soll das Sert als dramatisches legitimieren, seine Aufführung auf es europäische und asiatische Arten, die bereits im Noder Bühne und nicht etwa im Konzertsaal mit Wandelpanorama bember getrieben hatten. Wurden die Pflanzen vor der rechtfertigen. Merkwürdig muß es berühren, daß ein Meister Ueberführung in das Gewächshaus einer Vorbehandlung unterwie Berlioz schon vor mehr mehr als einem halben Jahr- zogen( durch Aether , Verdunkelung, Trockenheit und Frost usw.), fo hundert in der gleichen Richtung experimentierte. Was seine entwickelte sich ein größerer Prozentjaz weiter und die Entwickelung in München aufgeführten" Trojaner " fo unerquicklich ging rascher vor sich. Howard schließt aus diesen Versuchen, daß macht, ist eben die Ergebnislosigkeit des Experiments. Die meisten der im gemäßigten Selima einheimischen Bäume und Die Trojaner" auf der Opernbühne wirken wie ein lang- Sträucher feine so fest bestimmte Winterruheperiode besißen, daß weiliges Panoptikum mit Musikbegleitung. Berlioz war auf der sie nicht aus ihr erweckt werden könnten. Die Winterruhe stellt Suche nach einem neuen Stil, und nur damit läßt es sich erklären, nach seiner Meinung eine Gewohnheit dar, die infolge ungünstiger daß er sein Herz an dieses verkorene Wert hängte, weil dieses Werk äußerer Bedingungen entstanden ist.
Verantw. Redakteur: Georg Davidsohn , Berlin , Drud u. Verlag: Vorwärts Buchdr. u. Verlagsanstalt Paul Singer& Co ,, Berlin SW.
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