Anterhaltungsblatt des Worivärts Nr. 127. Sonnabend� den 4=. Juli. 1908 (Nachdruck verboten.) « JVIafia. Roman aus dem modernen Sizilien von Emil Rasmussen. Autorisierte Uebersetzung von E. Stine. Dann gehen der Marchese und sein Pächter in das Haus Und besteigen das klafterhohe Ehebett. Indessen geht Lidda hinaus, um das Maultier und den kleinen Esel zu versorgen, versieht sich dann im Lusthaus mit einem Feldstecher und rückt einen Stuhl in den Schatten hinter dem Hause. Von diesem hohen Punkte aus kann sie die ganze Stadt überblicken: sogar die Domkirche liegt tiefer. Es macht ihr Vergnügen, das Elternhaus aufzusuchen. Nun hat sie die Gartenterrasse im Glas. Richtig, da steht ja die Mutter in ihrem schwarzen Kleide. Sie sieht heraus. Lidda winkt mit dem Taschentuch in der einen Hand, während sie mit der anderen den Feldstecher hält. Die Mutter rührt sich nicht. Natürlich! Ohne Glas kann sie ja in dieser Ent- fernung nichts unterscheiden. Als Nedda mit dem Aufwaschen fertig ist, kommt sie lächelnd zu Ljdda hinaus, die die Alte durch das Glas sehen läßt. Plötzlich sagt Lidda: Glaubst Du, daß Angela mir treu ist. Nedda?. Hast Du etwas iiber ihn gehört?" Nedda ist nahe daran, das Glas fallen zu lassen. Sie muß sich den Magen halten, so sehr fühlt sie die Last dieser Frage, denn sie hat ja eine ganze Menge gehört. Beste kleine Marchesina..." Liddas Augen ruhen forschend auf ihr. Nedda windet sich wie eine Schuldige, eine Hexe, die von einem Henkers- knecht gekniffen wird. Was wollt Ihr verlangen, Marchesina... die Männer ... wenn sie jung sind... alle mitsammen.,. aber- wenn sie erst verheiratet sind..." Das Tröstende dieses letzten Gedankens gab ihr ein wenig Luft. Sie konnte wieder atmen: aber das Herz klopfte. Lidda schwieg ein wenig: dann fragte sie wieder: Kennst Du Zia Teresa?" Gott   sei Dank, daß das Gespräch sich nach einer anderen Seite wendet," dachte Nedda. Zia Teresa! Pfui!" Ist es wahr, daß nachts Weiber zu ihr kommen?" Nedda schnürte den Mund zusammen und nickte. Die sich verkaufen?" Die sich verkaufen!" wiederholte sie verächtlich. Hast Du gehört, daß Angela zu ihr kommt?" Du Barmherziger! Sind wir nun wieder da!" dachte die Alte. Aber diesmal war das Glück ihr hold. Sie konnte wahrheitsgemäß beteuern, daß sie davon nichts gehört. Wir sind ihm heute Morgen begegnet. Ich bin über- zeugt, daß er von Zia Teresa kam!" Hier kann man einander nicht ausweichen!" dachte Nedda. ihre Daumen unter der Schürze drehend. Wenn er erst verheiratet ist, Marchesina" versuchte sie wieder einzulenkenIhr, die Ihr so schön und saftig seid wie ein Pfirsich... so rund und lebendig..." Sie begann Grund unter den Füßen zu spüren. Die Zunge wurde wieder frei. Es wurde eine ganze Rede, voll von Trostgründen. Und Lidda glaubte ihr aus Barmherzigkeit. Nach dem Mittagsschlafe nahmen die beiden Gräber die Arbeit mit erneuten Kräften auf, während Lidda abwechselnd zusah und sich mit Nedda unterhielt. Im Laufe des Nachmittags kam ein Besuch, der für sie tzstvas wie ein Ereignis war.... Der junge Belladonna war erst achtzehn Jahre, so alt wie Lidda. Er war der Sohn eines Mannes, der als reich galt und jedenfalls bedeutenden Einfluß besaß, eines Barons aus der Nachbarstadt Favara  . Der junge Mensch ging noch in das Gymnasium und galt altz sehr begabt. Von Wesen still und zurückgezogen, fast von Kindesbeinen auf zum Spezialisten vorausbestimmt, hatte er sich auf die Botanik geworfen, in der er bedeutende Kenntnisse besaß. Oft war er auf seinen botanischen AnSflügen auf den alten Marchese gestoßen, wenn dieser das Terrain absuchte, um seine archäo­logischen Studien zu machen. La Greca fühlte sich geistes» verwandt mit diesem jungen Manne, der schon jetzt seine Zeit einem so ernsten Interesse opferte, und es schmeichelte seinem nationalen Stolze, wenn er von den ausländischen Gelehrten hörte, mit denen der junge Mann bereits in Korrespondenz stand. Es führte ihn dies auf ein Gesprächsthema, das ihm stets gleichen Genuß bot. eine Aufzählung all der Gelehrten� die ihm in vergangenen Zeiten ihre Auswartung gemacht hatten: nicht bloß Koryphäen der Insel wie der alte Amart, sondern auch Fremde wie Holm und Frecmann und Boloch, ja sogar der große Mommsen selbst. Belladonna war stets ein teilnehmender Zuhörer, ein Jüngling, mit dem man auch die Probleme der Archäologie erörtern und von dem man Verständnis erwarten konnte. Ja, der Marchese mochte ihn besonders gut leiden. Lidda war ihm nie begegnet, obwohl sie das letzte Jahr sozusagen unter seinen Augen gelebt hatte. Er wohnte in einem der hochgelegenen Gäßchen in einem Hause, dessen Rückseite den niederen Vierteln und dem Meere zugewandt war. Von seinem Fenster aus konnte er auch La GrecaS Terrasse überblicken, und so oft Lidda sich draußen aufhielt, wußte sie, daß die bleiche, ernsthafte Schildwache da obe.n stand und jede ihrer Bewegungen verschlang. Die Gefühle, die sie ihm gegenüber empfand, hatten viele Phasen durchlaufen: zu- erst war sie geschmeichelt, dann ärgerlich, zuletzt ganz wütend: necklustig und boshaft in den ersten Tagen nach ihrer Ver- lobung mit Angelo. Aber als sie sah und hörte, wie dieser Schlag ihn mitgenommen, und da er klug genug war, ihr nicht mit seinen verzweifelten Blicken lästig zu fallen, stieg ein anderes Gefühl in ihr auf, wohl auch beeinflußt von den b'c- ständigen Lobreden ihres Vaters. Es war nichts weniger als Erotik, sondern ein fast mütterliches Wohlwollen, eine Art Dankbarkeit gegenüber einem Gefühl, das Charakter besaß, ihr schmeichelte, Angelo anfeuerte und ihr nicht zu nahe trat. Seit dem Morgen schon war das Gerücht von dem auf dem Athenefelsen gefundenen Schatze das Tagesgespräch im Gymnasium gewesen, unter den Schülern sowohl wie den Lehrern. Und als nun Belladonna zu seiner Warte heim- kehrte und Lidda auf der Terrasse vermißte, wußte er sogleich, wo sie sei. Hier bot sich eine Gelegenheit, die vielleicht nie wiederkam, mit dem Weibe beisammen zu sein, das sein Schicksal geworden: denn Lidda verließ sonst die sicheren Mauern des Elternhauses nur, wenn sie zur Messe in.die Domkirche oder zum Abendgottesdienst ins Kloster zu den Schwestern des teueren Blutes" ging. Und so faßte er sich ein Herz. Dennoch fühlte er, wie das schlechte Gewissen ihm in den Rücken fiel und sein Benehmen linkisch machte, als er Lidda begegnete lind den Ueberraschten spielen wollte. Es genjerte ihn. daß Nedda dabei war. wachsam und niederschmetternd kühl, und er fand Lidda ängstlich zurückhaltend und ein wenig gezwungen in ihrer Liebenswürdigkeit. Das peinliche Empfinden, überflüssig zu sein, verlor sich jedoch, als er mit dem Marchese ins Gespräch kam, der viel zu sehr mit seinen Angelegenheiten beschäftigt war, um für junge Herzen und deren Wege Gedanken übrig zu haben. Er zeigte Belladonna einige Münzen, die sie eben auS« gegraben hatten. Es waren ein paar Vierdrachmen aus Akra« gas mit der Krabbe auf der einen und den Adlern auf bey anderen Seite. Und hier war eine Münze aus Selinus mit Herakles   und dem Sitier auf der Vorder- und der vor- gespannten Biga(Zweigespann) auf der Rückseite. Sie stammte aus einer Zeit, wo die geringste Münze das Gepräge von Kunst trug und dem Auge eine Lust war und SelinuS schlug die schönsten Münzen auf der Insel. Vor allem anderen aber mußte der Marchese seinen jungen Schützling in die Bedeutung dieser ganzen Ans» grabung einweihen. Er benutzte den Feierabend, um seine Gedanken über den Fund zu popularisieren. Hier unter dem Tempel befand sich ein Hohlraum," sagte er,entweder eine Schatzkammer oder, wie ich zu glauben beginne, ein unterildischer Gang, der weiter unten mündet. vielleicht zur Sicherheit der Priester wer weiß es? Nun