„Komm, Waßjs, ich werde Dich stützen," sagke Wernes vndKollte seinen Arm nehmen. Aber Wassili schob auch seinen Arm«ur Seite und schrie noch lauter:„A— oh!"„Ich bin es doch, Wahja— ich, Werner?"„Ich weist es. Rühre mich nicht an. Ich gehe selbst."Und immer noch heftig zitternd, betrat er selbst den Waggonund nahm in einem Winkel Platz. Werner neigte sich zu Mustjahin und fragte sie leise, mit den Augen nach Wassili weisend;„Wie steht's um ihn?"„Schlecht," antwortete Mustja ebenso leise.„Er ist schon tot.Sage mir, Werner, gibt es einen Tod?"„Ich weist es nicht, Miuhja, doch glaube ich es nicht," vnt-tvortete Werner ernst und nachdenklich.„Ich bin derselben Meinung. Aber er? Ich hatte meineLual mit ihm in dem Wagen, es war mir, als wenn ich mit einemToten gefahren wäre."„Ich weist nicht, Mustja... vielleicht gibt es einen Tod fürmanche Menschen. Vielleicht nur vorübergehend— und späterdann nicht. Auch für mich gab es früher einen Tod, und jetzt nichtmehr."Muhjas Wangen, die ein wenig bleicher geworden waren,röteten sich jäh.„Wirklich, Werner? Gab es wirklich für Dich einen Tod?"(fragte sie.„Ja. Jetzt gibt es keinen. So wenig wie für Dich."Von der Waggontür her ivernahm man ein Lärmen. Schwermit den Absätzen aufstampfend, laut ächzend und ausspuckend, tratMischka Zigeunerchen ein. Er warf einen Blick in den Raum,blieb stehen und schrie trotzig den müden, wütend dreinschauendenGendarmen an:„Hier ist kein Platz, Gendarm! Bringe mich in ein Coupe,wo ich mich frei bewegen kann, sonst fahre ich nicht mit, hänge michmeinetwegen gleich da an die Laterne! Und'nen Wagen habensie mir gegeben, die Hunde— ist denn das ein Wagen? Einewtiftfuhre ist es, und kein Wagen!"Plötzlich aber neigte er den Kopf zur Seite, streckte den Halsaus und ging in dieser Haltung auf die anderen zu. Aus demschwarzen Rahmen seines zerzausten Haares und Bartes blitztendie Augen jäh und wild hervor, fast wie bei einem Wahnsinnigen.„Ahl Noch mehr Herrschaften!" sprach er gedehnt.„So, so!Guten Morgen, mein Herr!"Er hielt Werner die Hand hin und nahm ihm gegenüber Platz.Dann neigte er sich ganz nahe zu ihm hinüber, blinzelte mit einemAuge und fuhr rasch mit der Hand über den Hals.„Auch...? Hm?"„Ja, auch," sagte Werner lächelnd«„Doch nicht alle?"«Doch, alle."„Ohol" rief Zigeunerchen zähnefletschenb Und betastete gleichsamolle mit seinen scharfblickenden Augen, die er ein wenig längerauf Mustja und Jansson ruhen liest. Und wiederum blinzelte erdann Werner zu:„Einen Minister wohl...?"„Ja, einen Minister. Und Du?"„Ich wegen'ner anderen Sache. Wie käme unsereins zu'nem Minister, lieber Herr! Ich bin ein Räuber— nu totsten Sie's.Herr. Ein Seelenverderber. Macht nichts, lieber Herr. Siemüssen mich schon hier aufnehmen. Habe mich nicht von selbst inIhre Gesellschaft gedrängt. Es ist ja Platz genug für alle in derWelt."Ein durchdringender, misttrauischcr Blick, der unter seinemzottigen Haar hervorschost, fuhr prüfend über die Gefangenen hin.Alle schauten ihn ernst und schweigend und mit offenbarer Teil-nähme an. Mit höhnischer Miene klopfte er Werner ein paar Maleauf das Knie:„Ja, lieber Herr, so geht eSl Wie es im Licde heißt:„Rauschenicht, du grünes Laub im Wald..."„Warum sagst Du immer„Herr" zu mir, da wir doch alle..."„Stimmt!" pflichtete Zigeunerchen ihm selbstzufrieden bei.„Was bist Du für ein Herr, wenn Du neben mir hängen wirst!Der da ist der wahre Herr!" sagte er, mit dem Finger nach demschweigsamen Gendarmen weisend.„Ah— und der da," fuhr er,Nach Wassili hinblickend, fort,„der scheint mir auch nicht recht...Heda, Du, Herr, sage mal: Du fürchtest Dich wohl? Hm?"„Tut nichts," antwortet ihm eine schlverfällige, gleichsam steifeZunge.„Was heißt da„tut nichts"! Brauchst Dich doch nicht zuschämen, da gibt es nichts zu schämen. Der Hund mag wohl mitdem Schweife wedeln und sich freuen, wenn man ihn aufhängenwill, aber Du bist doch'n Mensch! Und wer ist denn der Tölpelda? Ter gehört doch nicht zu Euch?"Während sein Blick beständig von einem zum anderen über-sprang, spuckte er zischend den zusammengeflossenen, süßlichenSpeichel aus.Jansson, den er jetzt ansah, hatte sich wie ein regungslosesBündel in die Ecke gedrückt und bewegte nur leicht, ohne«in Wortzu reden, die Lhrklappen seiner verschossenen Pelzmütze.„Der hat seinen Wirt erschlagen," antwortete Werner stattseiner.(Fortsetzung folgt.)r' srMetropolis.*)In seinem neuesten Roman„Metropolis" entrollt uns UptonSinclair ein Bild der New Uorker Gesellschaft in den Kreisen der„oberen Vierhundert". Beim Millionär sängt in diesen Kreisen erstder Mensch an; die vierhundert Millionäre von New Dock bildeneine eigene„auserlesene" Gesellschaft, die wieder ihre engeren undengsten Kreise hat, je nach dem Millionenreichtum ihrer Mitglieder.In der Entfaltung eines unerhörten Luxus wird ein toller Wett-eifer geübt, man praßt und schlemmt bis zum Erbrechen und suchtsich in den Verschwendtingskünsten gegenseitig zu übertreffen. Sinclairwird nicht müde, die Pracht und den Glanz in den Palästen derMillionäre, den Aufwand in den Toiletten der Damen, die gefeiertenFeste mit den großen Schmausereien eingehend zu beschreiben.Für den Leser freilich wirkt diese schier endlose und immerwiederkehrende Aufzählung und detaillierte Schilderung eines raffi-niertcn Luxus doch etwas ermüdend. Unaufhörlich wird an jedeöToilettenstück, an jeden Braten, jedes Juwel uud jede Blume diePreismarke geheftet. Etwas wemger wäre auch hier mehr gewesen.Man wird oft an Artikel aus New Dorker Zeitungen erinnert, dieihre Leser damit unterhalten, daß sie die Feste der Neichen mit be-soliderer Berücksichtigung der Toiletten der Damen aufs genauestebeschreiben.Auch einige Skandalprozesse der letzten Jahre, welche die Ver»Hältnisse in den Kreisen der Millionäre in New Jork aufdeckten,scheint Sinclair mit Nutzen für seinen Roman studiert zu haben.Hier und da zeigt sich ein bekanntes Gesicht, wenn auch natürlichuistcr anderem Nameit, aus der hohen Finanzwelt aus New Jork.Mag manche Schilderung im einzelnen auch übertrieben undmärchenhaft klingen, im allgemeinen haben wir ein Bild der Wirk»lichkeit vor uns, die„Creme der Gesellschaft" aus dem Lande derTrusts als ekelhaste Gistblase, die der moderne Kapitalismus treibt.Der Inhalt des Romans ist in kurzen Zügen der folgende:Allan Montague, der Sohn begüterter Leute, konrmt aus einemSüdstaate der Union, aus Missisippi, nach New Dork. Seine CousineAlice tind seine Mutter begleiten ihn. Montague bringt sein Geld.30 000 Dollar, mit und will sich in New Dork als Rechtsanwaltniederlassen. Sein Bruder Ollie befindet sich schon längere Zeitdort, ist in der„Gesellschaft" beliebt und angesehen und gilt fürreich, obgleich er nur als Anhängsel einiger Millionäre verschiedenegute Gelegenheiten, Geld zu machen, wahrzunehmen weiß und einverschwenderisches Leben führt. Allan kommt mit den veralteten Ideeneines Gentleman nach der Metropole am Hudson und sieht hierin eine neue, ihm bisher unbekannt gebliebene Welt. Sein BruderOllie, obgleich jünger, aber weit wclterfahrener. bemüht sich, ihnund Alice in dte„Gesellschaft" einzuführen. Das gelingt ihm sehrschnell. Die beiden werden wegen ihrer Unbefangenheit und natür-lichen Frische als neu und originell gern aufgenommen. Ollie sorgtängstlich dafür, daß sie standesgemäß austreten, er hat ungeheuerviel Geld und beruhigt seinen Bruder fortwährend, daß er allesbezahlen werde. Als Sohn eines berühmten Generals aus demBurgerkriege gewinnt Allan die Zuneigung manchen einflußreichenMannes und bald wird er mit Einladungen aus den Kreisen der„Gesellschaft" von New Dork überschüttet. Zuerst kommt er ausdem Staunen und der Verwunderung über den fabelhaftenAufwand in allen Häusern, wo er verkehrt, gar nicht heraus. Unddabei wird er von einem Fest zum andern geschleppt. Die präch»tigsten Schlösser lernt er kennen, den raffiniertesten Luxus, eineSchlemmerei und Verschwendung, die er früher nie für möglich ge-halten hätte. Jedermann befitzt ein eigenes Prachtautomobil, eineneigenen Luxuszug oder wenigstens Luxuswagen bei der Eisenbahn.Dte Weiber treten auf in diamantübersäeten Kleidern, in Toiletten.die große Vermögen kosten. Die Männer können nicht genug Geldhingeben für Maitressen, Rennpferde, Jachten. Die Sumnien werdennicht gezählt, es wird bezahlt, was es kostet. Man zermartert sichdas Hirn, um täglich neue Genüsse ausfindig zu machen, zum Bei»spiel mit Ueberraschungen bei Gastmählern aufzuwarten.Bon einem Diner wird erzählt, daß es Lammbraten gab,trotzdem November war.„Zartgebräunte Kalbsmilch", aufgoldener Schüssel serviert, zeigt— das Wappen der Gastgeberin,denn sie hat sich halt ein Wappen zugelegt und sorgt dafür, daß dieGäste mit der Nase draufstoßen. Pfirsiche aus Südaftika, zehnDollar pro Stück, Weintrauben aus Treibhäusern, Nektarinen.Granatäpfel und Dattelpflaumen aus Japan, Wachteln, die ausAegypten bezogen waren, Salat, der bei elektrischem Licht gewachsenwar. und ähnltche kostbare Sachen stehen auf dem Tisch. Unter denWeinen wird Rheinwein genannt, 100 M. pro Flasche, aus demKeller des deutschen Kaisers.Die Räume des gastlichen HauseS sind natürlich mit ver«schwenderischcr Pracht ausgestattet. Die Gastgeberin erzähltAllan Montague, daß ihre Badewanne auS grünem Marmor50 000 Dollar kostet und daß eine Orchidee, die über seiner Schulterhängt, als er fich im Wintergarten niederläßt, von ihrem Mannemit 25 000 Dollar bezahlt worden sei. Die Bildergalerie enthältvon jedem berühmten Maler der Welt ein Bild. Das ganze HauSist aus weißem Marmor gebaut und kostete zwei Millionen Dollar.Es gibt noch andere Häuser von größerer Pracht und Herrlichkeit.*) Upton Sinclair, Metropolis, ein Weltstadtroman,aus dem Amerikanischcit übersetzt von ffi. v. Kraatz. Geh. 4 M.,geb. 5 M.(Adolf Spouholtz Veflag, G m. b. H., Hannover 1903.)