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Hier machte er eine fleine Kunstpause, während es den andächtigen Bauern kalt über den Rücken lief.
Und was glaubt Ihr, das nun geschieht? Er hört einen unterirdischen Donnerlärm und vor seinen Füßen öffnet sich ein Feuerrachen und zischt eine turmhohe Flamme empor gen Himmel, während eine Stimme erschallt: Mensch! Was willst Du von mir! Der Unglückliche ist einen Augenblick blind, aber als er sein Augenlicht zurückerhält, sieht er vor sich eine schwarze Gestalt mit Augen wie Blut, mit Hörnern an der Stirne, einer Mähne im Nacken und einer blauen Flamme im Munde. Der Vermessene streckt die Zunge heraus-" Abermals eine kurze Pause, diesmal vor Schrecken Sarüber, daß er in seiner Efstaje zwei Bilder ineinander geflert hat; als er aber die beispiellose Wirkung sieht, schöpft er neuen Mut und fährt fort:
Seine Augen stehen starr in ihren Höhlen; all seine Glieder sind wie Stein geworden, und als er zu Gott um Hilfe beten will, merkt er, daß seine Zunge gelähmt ist!
Am nächsten Morgen findet man seinen Körper. Die Seele hat Satan genommen!
Diese schlichte Erzählung aus dem täglichen Leben drückt die treuberzigen Seelen ins Knie und bereitet ein fruchtbares Erdreich für das Samenkorn der Ermahnung, das er zuletzt ausstreut: verlieret niemals den Glauben an den persönlichen Teufel, denn sonst würde es Euch ergehen wie jenem Freimaurer!
Don Gerlando trocknete sich den Schweiß von der Stirne und stieg hinab in der festen Ueberzeugung, den richtigen Schreck in die Herzen seiner Gemeinde gesät zu haben. Die Treppe fnarrte unter der doppelten Last seines Korpus und seiner Verantwortung.
Damit war auch der ernstere Teil des Gottesdienstes zu Ende.
Oben von der Empore über dem Eingang scholl eine jubelnde Musik. Das einzig Religiöse daran war, daß sie auf der Orgel in einer Kirche gespielt wurde sowie das einzig Religiöse an dem Priester darin bestand, daß er in einer Kirche sprach und einen Talar trug.
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Bugleich begann man Lotteriezettel für eine die Madonna vorstellende geweihte Puppe auszubieten, die jeden Abend während der neuntägigen Andacht verlost wurde.
Man füllte diese Zeit mit Musik aus. Nach dem PräJudium folgte ein munterer Chorgesang junger Mädchen, eine naive, melodiöse Musit, von frischen Stimmen getragen,
die den Raum mit Freude füllten.
Als der Chor schwieg, ertönte eine Stimme wie Kristall, so findlich rührend und klangschön, wie das Kind sich den Gefang der Engel vor Gottes Thron träumt.
Die Gräfin berührte den Arm des Ingenieurs und
nickte:„ Biddu, Biddu!"
Er war schon ganz Ohr.
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man suchte nach Ursachen, ohne sie zu finden, um so mehr, als alle Symptome höchst sonderbar waren. Die Kinder erschienen wie von einer schleichenden Krankheit befallen, fie aßen nicht mehr, flagten über Leibschmerzen, schleppten sich einige Zeit hin und starben dann unter fürchterlichen Qualen. Die Leiche des zuleht Gestorbenen wurde geöffnet, aber man fand nichts. Die Eingeweide wurden zur Untersuchung nach Paris geschickt, und keinerlei Gift wurde entdeckt.
Ein Jahr lang ging alles gut, dann starben zwei kleine Knaben, die besten Schüler der Klasse, Moirons Lieblinge, in bier Tagen. Wieder wurden die Leichen untersucht, und bei beiden fand man in den Eingeweiden Reste von gestoßenem Glas. Man schloß daraus, daß die beiden Knaben unvorsichtigerweise irgend eine schlecht gereinigte Speise gegessen hatten. Schon Splitter von einem zerschlagenen Glase in einem Napf Milch konnten so wirken; und die Sache wäre nicht weiter verfolgt worden, wenn nicht Moirons Magd frank geworden wäre. Der Arzt erkannte die Krankheit der beiden verstorbenen Knaben bei ihr wieder; er fragte sie aus, und sie gestand ihm, sie habe Bonbons gestohlen, die der Lehrer für seine Schüler gekauft hätte, und sie gegessen.
Das Gericht ordnete eine Durchsuchung des Schulhauses an, und es wurde ein Schrank voll Spielsachen und Süßigkeiten gefunden. Fast alle diese Leckereien enthielten Glassplitter oder Stüde von zerbrochenen Nadeln.
Moiron wurde verhaftet, erschien aber so ehrlich empört und erstaunt über den auf ihm lastenden Verdacht, daß wir ihn fast wieder freigegeben hätten. Aber die Beweise für seine Schuld waren so überzeugend, und trotz seines ausgezeichneten Rufes fonnte ich nicht länger zweifeln, obgleich ich keinen Grund sah, warum er so gehandelt hätte.
Warum hatte dieser gute, einfache, religiöse Mensch Kinder getötet? Und gerade die Kinder, die er am meisten zu lieben schien, die er verwöhnte, die er mit Süßigkeiten überschüttete, für die er von der Hälfte seines Gehaltes Spielsachen kaufte? Er mußte wahnsinnig sein! Aber Moiron erschien so ver= nünftig, so ruhig, so voll gesunden Menschenverstandes, daß es unmöglich war, ihn für irrsinnig zu erklären. Aber die Beweise häuften fich! Die Bonbons, die Kuchen, die Eibisch- Basten und die andern Leckereien aus den Läden, in denen der Schulmeister feine Einkäufe gemacht hatte, enthielten nichts Verdächtiges. mit einem falschen Schlüssel geöffnet haben, um das Glas und Da behauptete er, ein unbekannter Feind müsse seinen Schrank die Nadeln in die Süßigkeiten zu verstecken. Und er erfand eine Erbschaftsgeschichte, die durch den Tod eines Kindes ihre Lösung gefunden hätte. Der Erbe habe einen Bauern gedungen, damit er den Verdacht auf den Lehrer lenke." Dieser Schuft," sagte er, hat sich nicht daran gekehrt, daß auch noch andre fleine Kinder zugrunde gehen mußten."
ficher auf und war so getränkt und empört, daß wir ihn freiDiese Deutung war nicht unmöglich. Der Mann frat so gesprochen hätten, wären nicht noch zwei Beweise hinzugekommen. Eine Dose, die ihm gehörte, und die in einem Geheimfache des Der erste war eine Schnupftabatdose voll gestoßenen Glases! Schreibtisches gefunden wurde, wo er sein Geld verwahrte!
Auch diesen Fund erklärte er auf fast annehmbare Weise als eine letzte List des unbekannten wirklichen Schuldigen. Da erschien ein Kaufmann aus Saint- Marlouf beim Untersuchungsrichter und
Es war ja Nufidda, die da sang! Seine erste weibliche erzählte, ein Herr habe zu verschiedenen Malen Nadeln bei ihm Bekanntschaft in der Stadt!
( Fortsetzung folgt.)
Moiron.
( Nachdruck verboten.)
Als einmal von Branzini gesprochen wurde, fagte ein Herr Malourcau, der unter dem Kaiserreich Generalanwalt gewesen war, zu uns:
O, da habe ich vorzeiten einmal einen in mehrfacher Hinsicht sehr merkwürdigen Fall gehabt, wie Sie gleich sehen werden.
Ich war damals Staatsanwalt in der Provinz und dank meinem Vater, der oberster Gerichtspräsident in Paris war, bei Hofe sehr gut angeschrieben. Da hatte ich in einem Prozeß zu plädieren, der als Fall Moiron" seine Berühmtheit erlangt hat. Herr Moiron, ein Schullehrer aus dem nördlichen Frankreich , genoß weit und breit des besten Rufes.
Er war ein intelligenter, besonnener, sehr religiöser, etwas wortfarger Mann. Er hatte sich in der Gemeinde Boislinot, too er sein Amt hatte, berheiratet. Die drei Kinder, die ihm geboren wurden, starben nacheinander.
gekauft, die feinsten Nadeln, die er finden konnte, und habe sie zerbrochen, um zu sehen, ob sie ihm zusagten.
Der Kaufmann, dem etwa zwölf Personen gegenübergestellt wurden, erkannte Moiron sogleich. Und die Untersuchung ergab, daß der Lehrer wirklich an den bezeichneten Tagen bei dem Kaufmann gewesen war.
Ich übergehe schredliche Aussagen von Kindern über die Auswahl des Naschwertes, und wie er streng darauf gehalten hatte, daß sie vor seinen Augen bis aufs lehte verzehrt würden.
Die empörte öffentliche Meinung verlangte eine strenge Bestrafung und war erschredend ungestüm geworden, wie alles, was Hindernisse und Verzögerungen überwinden muß.
Moiron wurde zum Tode berurteilt. Seine Appellation wurde verworfen. Es blieb ihm nur übrig, ein Gnadengesuch beim Kaiser einzureichen. Ich wußte durch meinen Vater, daß es verworfen werden würde.
Da, als ich eines Morgens in meinem Arbeitszimmer saß, wurde mir der Besuch des Gefängnisgeistlichen gemeldet.
Es war ein alter Priester mit viel Menschenkenntnis, der ausgezeichnet mit Verbrechern umzugehen verstand. Er war uns ruhig, verwirrt, verlegen. Nachdem er einige Minuten von allerlei andern Dingen gesprochen hatte, stand er plöblich auf und sagte: Wenn Moiron enthauptet wird, Herr Staatsanwalt, dann stirbt cin Unschuldiger."
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Dann ging er ohne Gruß fort und ließ mich unter dem tiefen Eindruck seiner Worte zurück. Er hatte sie so bewegt und feierlich ausgesprochen, daß ich annehmen mußte, wenn nicht das Beichtgeheimnis wäre, tönnte er mehr sagen, könnte er Moirons Unschuld beweisen.
Von da an schien er die ganze Liebe seines Herzens auf die ihm anvertraute Schar der Schulkinder zu übertragen. Er kaufte aus eigenen Mitteln Spielsachen für seine flügsten und artigsten Schüler; er lud sie zu fleinen Festen ein, und fütterte sie mit Naschwert und Kuchen. Alle Welt liebte und lobte den ehrlichen Mann, diese Seele von einem Menschen da starben plötzlich Schlag auf Schlag fünf feiner Böglinge auf fonderbare Weise. Ich wurde am nächsten Tage empfangen. Seine Majestät Man glaubte an eine durch schlechtes Wasser entstandene Epidemie; arbeitete in einem fleinen Salon, als wir vorgelassen wurden.
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