- 616—Die beste» Hörer der LZollZhochschule begnügen sich nicht mitdem einen Winter. Sie kommen in: nächsten Jahr wieder undsteigen dann in die Oberabteilung auf. Dort wird vorgetragen:Kulturgeschichte, allgemeine Geschichte, Physik, Deutsch oder Englisch.Verfassnngswesen. Schwedische Sprache,«taatskunde. Die DiS»kussionen werden hier freier, unbeaufsichtigter. Versteht sich, daß derBauernsohn, der zwei Semester an der Volkshochschule studiert hat,stolz darauf ist lind sich, höchst selbstbewußt, zum Geistesadel derNation zählt. Erst an die Volkshochschule gliedert sich die landwirt«fchaftliche Fachschule, die spezielle nach der allgemeinen!Der wichtigste Einwand: Es haben wohl nur die reichenBauern Geld genug, ihre Söhne hier studieren zu lassen? Ganz rm-bedingt kann man auch diesen Einwand nicht gelten lassen. Erstensgibt jetzt der Staat und die Provinz den 8S Volkshochschulen so aus-giebige Subventionen, daß sie ihre Schulpreise sehr niedrig ein-setzen können(allein die Schule zu Hoilan bekommt jährlich 12 300Kronen vom Staat und 4650 Kronen vom LandSthing). Zweiten»erleichtem Schulgeldbefreiungen und Stipendien manchem Acrmerendas Studium. Ein Volkshochschüler in Hoilan bezahlt für d a Se anze Semester(von November bis Mai) für das Zimmer5— 30 Kronen, für das Esten(Frühstück, Mittagessen, Jause. Nacht-mahl) 140 Kronen, Schulgeld 80 Kronen. So ein Winter kostet also denBolkShochschüler etwa 250—260 Kronen. Unbemittelten(nicht mirArmen) wird das Schulgeld ganz oder zur Hälfte nachgelösten undsolche Schüler können staatliche Stipendien von 50— 80 Kronenerhalten. In Südschweden, dem reichsten Teil de» Landes, sindfreilich nur etwa 10 Proz. der Volkshochschüler Stipendisten, aberim mittleren und besonders nördlichen Schweden müssen 50—70 Proz.der Schüler vom Schulgeld befreit und womöglich unterstützt werden.Und gerade dort droben, im einsamen Norden, haben die Volks-"ochschulen ihre heiligste Mission. Dort, wo jedes gelehrte Wortlef hinuntersinkt in die Seele des nachdenklichen Hörers....Stefan Großmann.kleines feuilleton.Erziehung und Unterricht.Volksschulbildung in Rußland. Zur Frage derKolksschnlreform bringt das Oktobristenblatt„Golos MoSkwoj" eineAnzahl nach offiziellem Material zusammengestellter instrukttverstatisttscher Daten für daS Jahr 1903. Unter der damals 144 184 000Köpfe starken Bevölkerung Rußlands befanden sich 26 558 000 Personen, die lesen und schreiben konnten, und zwar verteilten sie sichnach den einzelnen Rayons folgendermaßen: Europäisches Rußland21 428 000. Weichselgebiet 1 858 000, Kaukasus 1 156 000, Sibirien700 000, Zentralafien 407 000. Auf 1000 Personen entfielen durchschnittlich Personen, die schreiben konnten:In den OstseeprovinzenFinnland.....Weichselgebiet..,Europäisches RußlandSibirien.....Kaukasus.....Zentralasien.775 Männer,70034230019218279779 Frauen650,268„13051.60.23Die jährlichen Ausgaben de» Staate? fiir Volksschulbildung be-tragen pro Kopf der Bevölkerung 11 Kopeken(22 Pf.). Mit Hinzu-rechnung der von den Städten, Landschaften und Gemeinden fürIlnterrichtSzwecke aufgebrachten Summen wuchs dieser Bettag auf41.Kopeken pro Kopf. Wie gering diese Zahlen sind, zeigt der Ver«gleich mit anderen Ländern. ES verbrauchten für Bolksbildungszweckepro Kopf: Japan 54 Kopeken, Schweden und Norwegen 1 Rubel 33 Kop.,Frankreich 1 Rbl. 66 Kop., England 2 Rbl. 36 Kop., Schweiz 2 Rbl.43 Kop., Deutschland 2 Rbl. 45 Kop., Vereinigte Staaten 4 Rbl.86 Kop., Neu- Seeland 5 Rbl. 74 Kop. Rußland steht alsohinter allen Kulturländern de? Westens weit zurück. Auchin China steht die Volksbildung auf einer bedeutendhöheren Stufe, da es dort fast keine Analphabeten gibt.Die Zahl der russischen Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahrenwurde auf 13 250 000 veranschlagt. Es wären demnach, falls manauf eine Normalschule 50 Kinder rechnet, im ganzen 265 042 Volks-schulen erforderlich. Bei einem DurchschnittSgehalt der Lehrer von360 Rubel und 60 Rubel ftir den Religionsunterricht müßten alleinan Lehrergehälter 103 366 000 Rubel aufgebracht werden. DaSMinisteriuin hat jedoch für den Volksschulunterricht nicht mehr als9 114 000 Rubel zur Verfügung. Nun konimen aber noch die übrigenUnterhaltSkosten der Schulen hinzu. Nach dem Anschlage deöStaatssekretärs erfordert der Unterhalt emer Stadtschule 1200 Rubelund einer Dorfschule 500 Rubel. Doch lehrt die Erfahrung der Land-schaften und Stadtverwaltungen, daß diese Kosten sich bedeutendhöher stellen. Selbst wenn man die bescheidenen Ziffern desStaatssekretärs gelten läßt und außerdem noch die Stadtschulenden Dorfschulen gleich rechnet, tvürden diese 265 042 Schulen fürihren Unterhalt 182 021 000 Rubel beanspruchen m,d unter Hinzu-rechnung der Lehrergehälter einen Gesamtaufwand von fast300 Millionen verursachen. Nun soll nach dem Projekt desMinisteriums die Einführung der allgemeinen Schulbildung in derWeise erfolgen, daß die Staatskasse für den Unterhalt jeder Schulevon 50 Kindern 390 Rubel beiträgt, während der Rest von denLandschaften, Städten und anderen Organisationen zu übernehmenist. Auf diese Weise würde der Staat bei einem Budget von mehrals 2 Milliarden nur 100 Millionen Rubel, d. h. etwa ein Drittelder jährlich für Schulzwecke nötigen Summe hergeben. Man stehtans alledem, daß das Projekt betreffs der allgemeinen Volksschul-Bildung nur eine Phrase der russischen Regierung ist.Sozialwiffenschaft.Der Einfluß der Industrie auf die Rasse,Dies ungewöhnlich interestante Thema hat George Stetson vor derAnthropologischen Gesellschaft in Washington auf Grund eine?umfassenden Materials behandelt. Hauptsächlich berücksichtigt erdie Geschichte der englischen Industrie. Es läßt sich aus derGeschichte nachweisen, daß sich in England die nachteiligen Wir-kungen der Menschenüberfüllung, der schlechten Luft und_ desMangels besonderer sanitärer Maßnahmen schon sehr früh zeigtenund daß dementsprechend auch schon früh Versuche zur Hebungdieser Uebelstände gemacht wurden. Nach der Zählung im Jahre1906 bestanden in England 109 068 Fabriken mit 4)-h MillionenArbeitern, wovon nicht weniger den 71 Proz. Frauen und Kinderwaren; in Schottland wurden 68 Proz. weibliche Arbeiter gezählt.Stetson verbreitete sich dann über die Gefährlichkeit der ver-schicdenen Fabrikbetriebe. Als den gefährlichsten bezeichnete erdie Wäscherei. Sehr bedenklich sind auch die Zustände in Baum-Wollmühlen, nicht nur wegen der Feuchtigkeit der Luft, sondernauch wegen ihres hohen Gehalts an Kohlensäure, der zuweilen bis50 auf 1000 Raumteile erreicht, während das Gesetz nur einenKohlensäuregehalt von 9 auf 10 000 Raumteile Luft gestattet.In der Tat sollen nur wenige dieser Mühlen gesundheitlich ein»tvandsfreie Zustände bieten, so daß sich das Geschlecht der darinbeschäftigten Arbeiter in ungünstiger Weise fortpflanzt, indem dieKinder in ihrem Gesundheitszustand nach ihrem Gewicht undKörperzuwachs zurückbleiben und vielfach an englischer Krankheitleiden. In England selbst ist jetzt so viel von der Entartung derRatton die Rede, daß die Folgerung des amerikanischen Forschersbezüglich der Gefahren für die Heereskrast im Gefolge derJndusttieentwickelung kaum auf lebhaften Widerspruch stoßen wird;hat sich doch in England sogar schon ein Nationalverband gegenden Fortschritt einer solchen Entartung gebildet. Als das gefähr-lichste aller Hebel, die von der Industrie herbeigeführt werden,und als die Hauptursache von Krankheiten wird nach wie vor dasZusammendrängen der Menschen bezeichnet. Als ein Beispiel wirdhervorgehoben, daß die Kindersterblichkeit in einem Jndustrieortwie Sheffield die erschreckende Ziffer von 236 auf Tausend erreichtund durchaus nicht als einzig dastehend betrachtet werden kann.Nun sollte man aber meinen, daß durch die kräftigen und vongründlicher Wissenschaft getragenen Bestrebungen der modernenHygiene diese Zustände im Laufe der jüngsten Jahrzehnte sich bereitsgebessert haben müssen. Stetson aber bestreitet das nicht nur,sondern behausttct sogar eine entschiedene Verschlechterung nnzVergleich zu den Verhältnissen, die vor einem Vierteljahrhundertherrschten. Darauf gründete sich seine energische Forderung, daßdie industriellen Bevölkerungsklassen durch irgendwelche Mittel eineArt von Bcfteiung erfahren müßten, wenn nicht die Lebensfähigkeitder Rassen eine zunehmende Herabminderung erleiden sollte. DerVortrag rief in der Gesellschaft eine lebhaste Erörterung hervor,au der sich hervorragende Gelehrte beteiligten. Professor Holmesäußerte die Meinung, daß zwar zum Schutz des Arbeiters inkleinem Maßstabe schon viel geschehen, daß aber die Sicherungidealer Zustände äußerst schwierig sei und daß währscheinlichimmer ein verschlechternder Einfluß der Industrie auf die Rassein gewissem Grade bestehen bleiben werde. Tr. Hrdlicka sieht dieHauptguelle der Gefahr in der Verwendung der Kinder, weil siein den Fabriken die Krankheitskeime in einem Alter aufnehmen,in dem der Körper noch unentwickelt ist. Von anderer Seite wurdeauch die Wichtigkeit der Einführung von Alterspcnsionen fürArbeiter hervorgehoben.Hygienisches.Hitze und Kindersterblichkeit. Die großen Sommer-Hitzen ziehen die traurige Erscheinung nach sich, daß in der statistischaufgestellten Kurve der Kindersterblichkeit ein Maximum zu ver»zeichnen ist. Wie„Nature" mitteilt, hat der holländische GelehrteVan Everdingen in einer Sitzung der Amsterdamer königl. Akademiediese Beziehungen näherer Betrachtung unterzogen. Die Arbeitendes statistischen Bureaus in Amsterdam haben ergeben, daß an-scheinend kein Zusammenhang zwischen dem Temperaturmaximumverschiedener Orte und der Sterblichkeit der Kinder unter einemJahre bestehe. Indes haben die eingehenden Arbeiten des genanntenGelehrten zu dem Ergebnis geführt, daß dies an der Mangel-haftigkeit der angewandten Methoden liege. Er hat die metcorolo-gischen Daten für verschiedene Orte nach verschiedenen Verfahrenaufgezeichnet, deren eines darin bestand, daß er die Tage miteiner mittleren Temperatur von 25 Grad Celsius besonders ver-zeichnete. In diesem Fall war die Uebereinstimniung zwischenden Schwankungen in der Sterblichkeit und der Zahl der heißenTage eine so genaue, daß man zweifelsohne berechtigt ist, deneingangs erwähnten Zusammenhang anzunehmen. Dr. Evcr-dingen hofft, durch Wahl anderer Temperaturgrenzcu und vielleichtauch anderer Methoden die Beobachtungen in einer Weise zu-sammenstellen zu können, daß die näheren Zusammenhänge in nochdeutlicherer Weise hervortreten.Berantw. Redakteur: Georg Davidsohn» Berlin,— Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdr, u. Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin SW,