durchgeführten militärischen Maßnahmen schon im Stadium der An?-führung unzweckmäßig geworden. Das natürliche AnsdehmnigSbedürfniSder Stadt erhielt durch die in den achtziger und neunziger Jahren zu-tvanderiidcn Franzosen, Pfälzer und Schweizer überreiche Nahrung. DieDorotheenstadt,„die neue Auslage" auf dem Schulischen Plan,wurde außerhalb der Befestigungen, auch ihrerseits umwallt an-gegliedert, von der Behren- und Dorotheen- sowie von derCharlotten- und Schadowstrabe begrenzt. Nach weiteren fünfzigJahren aber hat der Stadtplan ein völlig anderes Bild, das, wennouch nur als Skizze gewisfermatzen, der Gegenwart doch ähnlicherist als seiner eigenen jünsten Vergangenheit.Der Plan von G. P. Busch(wiederum weiter nach links) ausdem Jahre 17Z8 steht auf dem Kopf! Süden zeigt nachoben. Jetzt zählt man 14 Tore, dennoch viel zu wenigfür die lange Strecke der Mauer*) und nur eine Spar-Mahnahmeder Militärbehörde, die die Torwachen zu stellen hatte. Denn dieneue Mauer diente nicht mehr Zwecken der Befestigung, sonden nurder Zollkontrolle. Und als im 19. Jahrhundert auch dieseMauer fiel, hatte die Stadt groi;e Mühe, die notwendig gewordenenzahlreicheren Ausgänge aus den an der Mauer verbauten Quartierenzu schaffen. Die Namen der Tore sind, im täglichen Gebrauchwenigstens, noch zumeist in Geltung. Am Unlerbaum— derheutigen Kronprinzenbrücke— beginnend, erreichte man auf dernördlichen Trace nacheinander das Oranienburger, Hamburger,Rosenthaler, Schönhauser, Prenzlauer, Bernauer(Neue 5lönig-ftratze), Landsberger, Frankfurter und schließlich das Mühlen-Toram Oberbaum. Jenseits und südlich der Spree setzten sie sich fortmit dem Schlesischen(damals Wendischen), dem Kottbuser, Hallischen,Stotsdamer und Brandenburger Tor bis zur damaligen Tiergarten-rücke am Unterbaum.An deniclben Wänden wie die Pläne hängen in besonderenRahmen Ansichten dieser alten Tore. Die ehemaligen Borstädte warenin da» Weichbild ausgenommen worden. So entstanden um dieWende und in den ersten Dezennien des 13. Jahrhunderts dieSpandauer Vorstadt bis zur August- und jetzigen Mulackstraste. dieKönigsvorstadt etwa bis zur Gollnow-, Wöstmann- und Markusstraste.Die Friedrichstadt erhob sich. Die Leipziger Straste benutzte die altePotsdamer Landstraste vor dem Gertraudten-Tor(Spittelmarkt), derFricdrichstraste war die Richtung von Norden her durch die Spree-brücke(am Weidendamm) und durch den anschliestendenStrastenzug der Dorotheenstadt vorgeschrieben. Merkwürdiger-weise blieb die einzige Verbindung zwischen Friedrich-und Dorotheenstadt noch für Jahrzehnte hinaus die schmaleStelle der Fricdrichstraste zwischen den Linden und der Behrenslraste,die jetzt noch— nach 100 Jahren— als ehrwürdiges Verkehrshindernis konserviert wird I Was heute der Terrainwucher verhindert,verbot damals vermutlich die militärische Rücksicht: von dem neuenStadtteil aus nicht zu viel Verbindungen zu den Befestigungen zuschaffen. Denn diese wurden ja nur ganz allmählich niedergelegt.(Erst 174ö war die Schleifung beendet.) Während in Paris undWien in gleichem Falle diese Gelegenheit zur Anlage breiter Wall-strasten. den Boulevards bezw. Ringen, benutzt wurde, kümmerte sichin Berlin kein Mensch um dergleichen Strastenzüge, die der innerenStadt gewissermaßen freie Luft schaffen. Die einzige Straste, die solchenCharakter erhielt, ist auf lange Zeit hinaus einzig und allein dieStrohe Unter den Linden geweien. Allerdings erschien sie, nachReisebeschreibungen vom Ende des 18. Jahrhunderts zu urteilen,allen, auch den sveitgereistesten Besuchern, als eine groste und schöneSehenswürdigkeit. Auch die drei neuen Plätze des Busch'schenPlanes, daS Rondell(Belleallianceplay), das Achteck und dasViereck(Leipziger bezw. Pariser Platz) konnten erst vielspäter Bedeutung gewinnen. Zeigt doch selbst hundert Jahre späterder zum Winklerichen Adrestbuch von 1330 gehörige Plan(im GlaS-kästen nach dem Park zu) auf demselben Weichbild innerhalb der Mauernnoch groste Strecken der Stadtbezirke am Kottbuser, Schlesischen undFrankfurter Tor unbebaut. Die Berliner Adrestbücher übrigens,von denen man das erste— von 1704— in Westentaschen-format(Raum 23, Fenstervitrine) sehen kann, enthielten nur Hofund Beamte I 1797 gab ein Artillericleutnant Reander„AnschaulicheTabellen von Berlin" heraus, auf denen er Haus für Haus mit denBesitzern bezeichnete. Die Adrestbücher im modernen Sinne er-schienen erst nach den napoleonischen Kriegen.Die Bevölkerung, die noch 1088 auf dem mittelalterlichen Standvon 20 000 war, betrug 100 Jahre später— allerdings mit Ein-schlust der Garnison— bald 130 000, wobei nach den KriegenFriedrichs II. jedesmal erhebliche Rückgänge zu verzeichnen gewesenwaren. DaS Terrain von 1200 Hektar innerhalb der neuen Mauerbot immerhin Spielraum. Berlin begann in die Reihe der euro-päischen Hauptstädte einzutreten. Im Glaskasten zum Hosfensterzu liegt ein Plan von 1785„zum bequemen Gebrauch für Fremdeeingerichtet", daneben einer von 1790, der die Umgegend berück-fichtigt, Ricks dorf, Schöncberg, Wilmersdorf, Charlottenburg,Jungfernheide, Gesundbrunnen, Weistensee, Lichtenberg, Stra h l onennt. In Saal 4ö, im Erkerkasten, ist der Deckel einer Tabaksdosemit dem farbigen Stadtplan aus etwa dieser Zeit geziert.•) Die Mauer war zunächst nur auf der köllnischen, der städtischenSeite aus Stein, auf der nördlichen war es ein Palisadenzaun(vgl.Palisadenstraste), der erst von zirka 1790—1802 dllrch eine Stein-maucr ersetzt wurde.Die Ailsgestaltnng der Stadt im einzelnen illustriert ein reiche»Material von meist zeitgenössischen Stichen, Aquarellen und Oel-gemälden.*) Die beiden S ch l e u e n scheu Pläne von 1700 und 1700(Saal 42, rechts und links vom Parkfenster) sind von Ansichten neu»entstandener Baulichkeiten umgeben. Die neuentstandenen Kirchen, dasLagerhaus, das neue Schloh, das Zeughaus und das gegenüberliegendePalais, das Palais des Prinzen Heinrich(die Universität), das grosteLazarett oder die Charitö, das Opernhaus und das JnvalidenhauSexistiere» davon noch. Der Marstall und das Observatorium in derDorotheenstadt ist das kürzlich abgerissene Akademiegebäude. Dasköllnische Rathaus diente bis zu seinem Abbruch den Zwecken desMärkischen Museums, und die Gold- und Silbermanufaktur standauch noch unlängst als ein prinzliches Palais an der Ecke derWilhelm- und Voststraste. In Saal 43, rechts von denHoffenstern beginnend, findet man diese Abbildungen über»sichtlich nach Gruppen geordnet: die markantesten Gebäude,Plätze und Strassen in den verschiedenen Stadien ihrer Entwickelung.Das Schloh, das mittelalterliche, dann der neue Bau von Schlüterund Eosander, der noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts freistandund nicht durch die Terrassen verunziert war. Den Dom und dieBörse im Lustgarten, die dem neuen Monstrum des DomS zumOpfer fielen.— Die Schiostbrücke, noch 1810 eine Holzbrücke, ist inihrer jetzigen Gestalt mit den Puppen durch einen Stich vonSchinkel wiedergegeben. DaS eben erbaute Opernhaus zeigt einschöner Stich des' AugSburgers Fünck von 1742 samt den Rokoko«figuren auf dem kahlen Sandplatz, auf dem später Akademie und Uni-versität entstanden; auch Bibliothek und Hedwigskirche fehle» noch; siewerden auf den folgenden Blättern geschildert. Die im so-genannten Zopfstil unter Friedrich II. entstandenen Rokokobauten, dienoch 1830/87 vorhanden waren und es zum Teil heute noch sind, sinddurch die eindringlichen Aquarelle von Jacob(Raum 44) aufbewahrt.Von den Zeitgenossen hat C. T. Fechhelm in Oelbildern fünf dergrossen Plätze, charakteristischerweise meist mit exerzierenden Soldaten,festgehalten(Raum 48). Der wertvollste Chronist der BerlinerRokokostadtbilder ist und bleibt mit seinen teils schwarzen, teils kolo-rierlen Stichen Joh. Georg Rosenberg: Mauerstraste und Dreifaltig-keitskirche, Kloslerstratze mit Parochialkirche, Hundebrücke undDom(1730), Spittelmarkt mit Gcrtraudtenkirche(1783)— sämtlichin Raum 42; Kölnischer Fischmarkt in Raum 43. An RosenbergsStelle tritt zu Anfang des 19. Jahrhunderts der künstlerisch wenigerausdrucksvolle Calau. Im Kasten des Raums Nr. 44 liegen 20 seinergemütlichen Aquarelle, in Raum 48 finden sich weitere Stiche. DaSLeben der Stadt wächst sichtlich über die Mauern hinaus. Nimmtman noch das MattheSsche Blatt von 1770(in Raum 43), die Schafbrückevor dem Potsdamer Tor(heulige Potsdamer Brücke), wo sich Wanderermit breitrandigen Hüten und Stöcken wie Rousseausche Naturverehrerweitab von jeglicher Kultur lagern, und sieht man dann 30—40 Jahrespäter die Bilder vom Tiergarten, die Luisen- und Rousseauinsel,Calaus Dampfsänff bei Bellevue, die ersten Gebäude des Anhalterund des Potsdamer Bahnhofs, Jüngers Caföhaus mit der Eisbahn,die Bendlerstraste und dem Hofjäger, dann ahnt nian einigermaßen daSWachstum der Stadt. Der industrielle Geist kündigt sich an, undnun verschmäht er auch nicht mehr, praktische, dein bürgerlichenLeben dienende Gebäude, wie die Bahnhöfe, darzustellen: die Splitt-gerberi'che, später Schicklersche Zuckcrsiederei(an die heute zweiStrassen erinnern), die neue englische Gasanstalt in der Holzmarkt-strassx, das Badehaus an der Langcnbrücke und selbst das verruchteTanzlokal Colosscum(sämtlich in Raum 43).Das mittelalterliche Berlin hat austcr ganz geringen Baurcsten,wie Teilen des Schlosses und den übrigens auch restauriertenKirchen, seine Spuren nur noch in den Hauptswahenzügen der altenStadt hinterlassen. Dagegen ist von seiner architektonischen Phy-siognomie, wie sie von Mitte des 17. bis Mitte des 19. Jahrhundert-;etwa gewesen, auch in unseren Tagen noch gar nicht soviel zerstört,als es bei flüchtigem Hinsehen den Anschein hat. Und doch sprichtBerlin nicht mehr zu uns mit der geschlossenen Einheit anderer alterStädte. Daran ist aber nicht allein die erdrückende Masse dermodernen Groststadt schuld(obwohl sie allerdings viel von dem Altentatsächlich verschwinden macht, mehr aber noch eigentlich verdeckt), esliegt wohl mehr daran, dast die Bürgerschaft in entscheidenderZeit auf die Formung des Stadtbildes so gut wie gar keinenEinflust geübt hat. Diese Gestaltung wurde vielmehr stets vom Hofaus dekretiert, der sich selbst lediglich einen größeren Hintergrund ineiner Residenzstadt schaffen wollte. Der Zwang des AbsolutismusFriedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. ging bekanntlich soweit, dastvon Privaten ganze Stadtviertel nach den Plänen des HofbauamteSund aus den Taschen der Bürger errichtet werden mutzten I Als dasBürgertum relativ selbständig und niit der Kunst im Bunde sich seineHäuser und Strasten bauen durfte, da hat es nur die kurze Blüteder Schinkelzeit miterlebt, die im übrigen auch noch von obcnheranerkannt werden mustte. Nach 1800 etwa aber hat auch derästhetische Sinn des Bürgertums mit seinem politischen Verfallgleichen Schritt gehalten, und eS ist vorläufig gar nicht abzusehen,wann die zu einer Stadt der Arbeit gewordene ehemalige Residenzeine ihrem neuen Dasein angemessene und dabei ausdrucksvolleForm gewinnen kann. A. F. C.*) Eine groste Anzahl der Originale deS Märkischen Museum?ist. auf Postkarten reproduziert, für billiges Geld im Handel zuhaben._lvexantw. Redakt.: Carl Mermuth, Berlin-Rixdorf.- Druck u. Verla«: vorwärts Buchdruckerei».Verlagsanstalt Paul Singer LcCo..Berl>n L Wi.