Ton des Edelmannes sagte er:»Wir nehmen dankbar an, gnädigeFrau."Nur der erste Schritt war schwer gewesen. Nachdem man ein-mal den Rubicon überschritten hatte, hieb man kräftig ein. DerKorb wurde geleert. Er enthielt noch eine Gänseleberpastete, eineLerchenpastete, ein Stück geräucherte Zunge, Crassaner Birnen,einen Pont-kEvcque-Kuchen, Konfekt, endlich ein Glas Gurkenund Zwiebeln in Essig. Fettchcn schwärmte wie alle Frauen fürderlei saures Zeug.Man konnte unmöglich die Vorräte des Mädchens aufessen,ohne mit ihr zu sprechen. Man plauderte also. Anfangs mit Zu-rückHaltung, dann liest man sich, da sie sich durchaus passend be-nahm, freier gehen. Die Damen von Breville und Carre-Lamadou,in ihrer grasten gesellschaftlichen Sicherheit, gaben sich taktvollliebenswürdig. Besonders die Gräfin zeigte jene freundliche Her-ablassung der vornehmen Damen, die keine Berührung beschmutzenkann; sie war reizend. Aber die starke Frau Loiseau, die eineSchutzmannsseele hatte, blieb widerhaarig, sprach wenig undast viel.Natürlich sprach man vom Krieg. Man erzählte Schreckens-taten der Preusten, Heldentaten der Franzosen; und all dieseLeute, die wegliefen, ehrten den Mut der anderen. Man kam baldauf persönliche Erlebnisse, unte Fettchen erzählte mit echtem Ge-fühl und jener Wärme der Sprache, die manchmal diesen Weiberneigen ist, wenn sie ihre natürliche Erregung ausdrücken, warumsie Rouen verlasse:„Anfangs glaubte ich, ich könnte bleiben",sagte sie.„Ich hatte das Haus voll Vorräte, und ich wollte lieberein paar Soldaten füttern als Gott weih' wohin in die Fremdeziehen. Aber wie ich sie sah, diese Preusten, das ging über meineKraft I Das Blut kochte mir vor Zorn; und ich habe den ganzenTag vor Schande geweint. Oh! wenn ich ein Mann wäre, dannsollten Sie sehen! Ich betrachtete sie von meinem Fenster, diesedicken Schweine mit ihren Pickelhauben, und mein Dienstmädchenhielt mich fest, um mich zu hindern, dah ich ihnen mein Mobiliarauf den Kopf warf. Dann sind sie zu mir wegen Quartier ge-kommen; ich bin dem ersten an die Gurgel gesprungen. Sie sindnicht schwerer zu erwürgen als andere Leute! Und den da hätteich kalt gemacht, wenn man mich nicht an den Haaren fortgerissenhätte. Nach der Geschichte mutzte ich mich verstecken. Bei der erstenbesten Gelegenheit bin ich abgereist, und hier bin ich nun."Man beglückwünschte sie sehr. Sie wuchs in der Achtung ihrerReisegefährten, die sich nicht so tapfer gezeigt hatten; und Cor-nudct hatte beim Hören ein billigendes und gefälliges Apostel-lächeln— wie ein Priester, der einen Gläubigen Gott loben hört;denn die langbärtigen Demokraten haben das Monopol aufPatriotismus wie die Männer im Priestergewand auf die Religion.Er sprach nun in lebhafterem Ton, mit dem Pathos, das er vonden alltäglichen Proklamationen an den Mauern gelernt hatte,und er schlost mit einem Aufschwung der Beredsamkeit, indem erdiesen„Schuften von Badinguet"*) nach allen Regeln der Kunststriegelte.(Fortsetzung folgt.)iSpiele statt VolKsfreiKeit.Unsre Zeit gleicht in mehr als einer Hinsicht dem spätrömischcvKaiserreich, das Rom, oder besser, das Byzanz der Zäsaren feiertanscheinend im neudeutschen Reiche eine fröhliche Urständ. Hierwie dort das persönliche Regiment und der Zäsarenkult, hier wiedort auch das öde Wohlgefallen an hohlen und halsbrecherischensportlichen Veranstaltungen. Die römischen Zäsaren veranstaltetenfür das Volk nervenaufreizende Zirkusspiele, um es über seinElend und seine verlorene Freiheit hinwegzutäuschen. Bei diesenSpielen wurde an die hungernde Masse Brot verteilt und somithatten diese Veranstaltungen für die misera plebs eine doppelteAnziehungskraft und sie konnte bei dieser Gelegenheit auch gleichdoppelt betrogen werden.�ve Caesar morityri te salutant! Sei gcgrüstt, Zäsar, die, diein den Tod gehen, grützen Dich! Mit diesem Spruch betraten dierömischen Gladiatoren die Arena, um sich vor den Augen der ver-rohten Masse zur höheren Ehre der Zäsaren gegenseitig abzu-schlachten. Jene armen Schächer waren die Epigonen der stolzenGriechen, die einst die Leibeskultur zu so bewundernswerter Höhegebracht hatten. In diesen rohen Kämpfen der Berufsathletenhauchte die Kultur Altgriechenlands ihre sonnige Seele aus. Nichtswar übrig geblieben von der stolzen Kultur Griechenlands undRoms, als diese ekelhaften Menschenabschlächtcreicn und Gaukle-reien einer verachteten Menschenklasse. Lanem et(ludos) circensis,Brotspenden und Schauspiele für den Pöbel, das war das Leit-motiv der herrschenden Klassen bei diesen ludi publici(öffentliche*) Anmerkung de S UebersetzerS: Spottname fürNapoleon III. Napoleon war 1846 aus der Zitadelle von Ham,wo er nach dem Putschversuch von Boulongne im Jahre 1840 ge-fangen gehalten wurde, in der Verkleidung eines Arbeiters unterbem Namen Badinguet entflohen. Die Republikaner legten ihmspäter diesen Namen wieder bei.>Spiele), und das Lumpenproletariat Roms erstickte in den nerven-aufregenden Kämpfen seinen grenzenlosen Jammer.Aehnliche Sumpfblüten hat auch die neudeutsche Kultur schonim ersten Vierteljahrhundert ihrer Blüte gezeitigt. Was inGriechenland und Rom das Werk von Jahrhunderten war, das'stin unserer schnellebenden Zeit das Ergebnis weniger JahresZweifellos schwebt unseren herrschenden Klassen bei der Protektionder modernen Wettkämpfe der Berufsathleten ein ähnliches Zielvor, wie den herrschenden Klassen Roms, hier wie dort will man dasVolk, über dem Sinnenkitzel und der Schaulust, von ernsten politi-schen und wirtschaftlichen Bestrebungen fernhalten. Wenn bei unsnoch kein Brot und Getreide verteilt wird, so liegt das wohl nurdaran, weil man Hungerrevolten noch nicht zu befürchten hat undweil das Lumpenproletariat bei uns noch gut staatserhaltend ist.Wenn aber die jetzige Steuerpolitik noch einige Jahrzehnte so weiterbetrieben wird, dann wird auch bei uns das Lumpenproletariatzu einer Staatsmacht werden und dann erleben wir vielleicht ähn-liche Dinge wie in Rom.Die Entwicklung der kapitalistischen Kultur scheint uns in derTat einem solchen Ziel entgegenzutreiben. Eigentliche Befriedi»gung gewährt diese Kultur keiner Gesellschaftsklasse mehr, überallsucht man sich durch nervenaufreizende Veranstaltungen über dieTrostlosigkeit unserer Zustände hinwegzutäuschen, ein rechtesInnenleben gibt es kaum bei einer Klasse. Die„oberen" Klassengehen dabei den untern mit dem denkbar schlechtesten Beispiel vor-an. Der unsinnige Pferderennsport mit seinen tierquälerischenAusartungen ist durch den feudalen Autosport abgelöst worden,jedenfalls steht der letztere im Vordergrund des Interesses, währendjener zu einem reinen Glücksspiel mit all seinen hästlichen Leiden-schaften geworden ist. Dafür ist der Autosport um einige Gradewaghalsiger und gefährlicher wie der Pferderennsport, wodurch derNervenkitzel entsprechend erhöht wird. Unseren feudalen Auto»fexen gilt das eigene Leben nicht viel mehr als den römischen Gla-diatoren und den spanischen Stierkämpfern, demgcmäh schätzen sieauch das Leben nützlicher Menschen ein. Zudem spielt sich dieserfeudale Sport seiner Natur nach auf öffentlichen Strassen ab, wasseine Gefährlichkeit für das Volk bis zur Gemcingefährlichkeitsteigert. Dazu kommt der Benzingestank und die Staubentwicklungdieser„gewöhnlichen Stratzenschweine", die nicht nur für denMenschen, sondern auch für die Vegetation vernichtend wirken.Eine andere Kultursumpfblüte sind die blödsinnigen Rad-rennen der Berufsfahrer- Es gibt jetzt kaum noch eine gröstereoder mittelgroße Stadt, die nicht ihre Zementbahn hat. Zu Taufen-den strömt ein geschmackverirrtes Publikum allsonntäglich auf dieseBahnen und opfert für menschliche Scheußlichkeiten seine sauer ver-dienten Groschen. Staats- und kommunale Behörden-unterstützendiese Unternehmungen noch aus Gründen des schnöden Geldgewinnsund geben die besten Plätze an zahlungsfähige Unternehmer her.Ein treffendes Beispiel bietet dafür die durch das entsetzliche Un-glück berühmt gewordene neue Rennbahn im alten botanischenGarten in Berlin. Es ist ein herrliches Fleckchen Erde im Herzender Großstadt, das einen idealen Volkspark abgegeben hätte, welcheshier vom preußischen Fiskus um schnödes Geld seinen natürlichenBestimmungen entzogen worden ist. Die Stadt Schöneberg, inderen Gebiet das Areal liegt, war seinerzeit bereit, den Gartenzu Volksparkzwecken zu erwerben, aber der dicke Pod, der damalsnoch Landwirtschaftsminister in Preusten war, forderte so horrendePreise, daß die Stadt den Kauf aufgeben mußte. Nun sind aufdem blühenden Flecken, der von Natur bestimmt war, ein Jung-brunnen der Volksgesundheit zu sein, ein Viertelhundert blühen-der Menschenleben vernichtet worden zur höheren Ehre des preußi-schen Staates und zur Schande der neupreustischen Pflege derLeibesübungen.Wer da glauben wollte, jenes schreckliche Unglück würde demberufsmäßigen Strampelsport Abbruch tun und das Publikumwenigstens von der Unglücksbahn fernhalten, der ist in einemschlimmen Irrtum befangen. DaS Gegenteil wird eintreten, fürden glücklichen Pächter hätte es eine bessere Reklame gar nicht gebenkönnen, dieser Bluff wird ihm Tausende eintragen. Solche Unfällegehören mit zu diesen Sports, je mehr je lieber, das erhöht nurden Nervenkitzel.>Ist es nicht eine blutige Phrase, wenn man ob solcher Zuständevon germanischer Körperkultur spricht? Wie soll eine gesunde Be-wegung auf sportlichem Gebiete aufkommen können, wenn dieSensation zum Staats- und Gesellschaftsinteresse wird? Ach, auchdie gesund sein wollende Sportbewegung fällt der Sensations-lüsternhcit zum Opfer, langsam und widerstrebend erst, dann immerschneller geht es dem Abgrund zu, und wenn einst der Chronist daSFazit schreibt, dann wird er zugleich die Verfallsgeschichte der kapi»talistischen Kultur schreiben.>Soweit die Turner sich zu Gladiatoren der Zäsaren degra-dieren und sich in vaterländischen Phrasendunst einhüllen, werdenauch sie diesem Schicksal nicht entgehen, die Schlammflut des Kapi-talismus wird auch sie mit Hinabziehen. Auf der Höhe bleibenwerden nur jene, die ihre Kraft in den Dienst des Volkes stellen,die unbeirrt durch die Interessen des Zäsarenstaates aufrecht undgerade im Dienste für den kulturellen Aufstieg der breiten Volks-Massen ausharren. Dynastien und Klassenherrschaft wechseln undgehen unter im ehernen Gange der Weltgeschichte, ewig und unan-tastbar bleibt die Majestät der Menschheit.�Arbeiter-Turn-Zeitung".