Die letzten Worte waren verklungen und hallten wieder über das Wasser, gegen die Schären, durch die klare Luft. Eine Pause entstand, während der man nur hörte, wie der Wind in den Nadeln der Maerkiefern säuselte, wie die Wogen an den Steinen plätscherten, die Möwen schrien, die Boote gegen den Boden stießen. Der Pastor wandte sein greises, gefurchtes Gesicht nach dem Meer hinaus: die Sonne beleuchtete seinen kahlen Kopf, dessen graue Haarlöckchen vom Wind wie die Hängeflechten einer alten Fichte zerzaust wurden. Von Erde bist Du gekommen, zu Erde sollst Du wieder werden I Jesus Christus unser Erlöser wird Dich auferwecken am jüngsten Tag! Laßt uns beten!" begann er mit seiner tiefen Stimme, die gegen Wind und Wellen kämpfte, um gehört zu werden. In ein Vaterunser klang die Beerdigung aus. Nach dem Segen streckte der Pastor die Hand über das Wasser zu einem letzten Lebewohl. Man setzte die Mützen wieder auf. Gustav drückte dem Pastor die Hand und dankte ihm, schien aber noch etwas auf dem Herzen zu haben. Herr Pastor, ich finde doch... Carlsson müßte auch einige Worte haben!" Es war für beide, mein Junge! Es ist jedenfalls schön von Dir, an ihn zu denken," antwortete der Alte, der ge- rührter zu sein schien, als er wahrhaben wollte. Die Sonne ging unter: man mußte sich trennen, um nach Haus zu fahren, so schnell man konnte. Aber man wollte dem Flod noch eine letzte Aufmerksam- keit erweisen: nachdem man Abschied genommen hatte und alle in ihren Booten waren, folgte man ihm ein Stück Weges, formierte dann die Boote in einer Linie, wie beim Netzlegen, grüßte mit den Rudern und rief: Lcbwohl!" Es war eine Huldigung für die Trauer, aber auch für den jungen Mann, der jetzt in die Reihe der reifen Männer aufgenommen war. Und sein eigenes Boot steuernd, ließ sich der neue Herr des Hofes von seinen Knechten nach Haus rudern, um von nun an sein eigenes Fahrzeug über die windigen Flächen und grünen Sunde des launenhaften Lebens zu lenken. (Nachdruck verdolen.> 81 fetteben, Erzählung von Guy de Maupassant  . Deutsch von K W. Beim Abendessen aber wurde der Bund geschwächt. Loiseau gebrauchte drei unglückliche Wendungen. Alles rackerte sich ab, um neue Beispiele zu entdecken, aber keiner fand etwas, bis die Gräfin, wohl ohne Vorbedacht, aus einem dunklen Bedürfnis, der Religion Ehrfurcht zu zollen, die älteste der Schwestern nach großen Taten aus dem Leben der Heiligen fragte. Die hatten diele Handlungen begangen, die in unseren Augen Verbrechen sein würden, aber die Kirche spricht solche Missetaten anstandslos frei, sofern sie zum Ruhm Gottes oder zum Wohle des Nächsten voll- bracht sind. Das war ein gewaltiger Beweis, und die Gräfin nützte ihn aus. War es eine jener stillschweigenden Verstäudi- gungen, jener verhüllten Willfährigkeiten, in denen sich auszeichnet, wer ein geistliches Gewand trägt; war es die Wirkung einer glück- lichen Einfalt, einer hilfreichen Dummheit jedenfalls brachte die fromme Alte der Verschwörung eine ungeheuere Unterstützung- Sie schien schüchtern, zeigte sich aber beherzt, wortreich, leiden- schaftlich. Die war nicht verwirrt durch die Schlingen kasuistischer Vorsicht; ihre Lehre war wie ein Eisenstab; ihr Glaube zögerte niemals; ihr Gewissen kannte keine Einwände. Ganz sclbstver- ständlich das Opfer Abrahams  ! Sie hätte unverzüglich Vater und Mutter getötet, auf eine Weisung des Himmels; nichts konnte dem Herrn mißfallen, wenn die Absicht löblich war. Die Gräfin nutzte die heilige Autorität der unerwartet Mitverschworenen und führte sie gleichsam zu einer klärenden Umschreibung des Moral- satzcs:Der Zweck heiligt das Mittel." Sie fragte sie: Meinen Sie also, Schwester, daß Gott alle Auswege zuläßt Md die Tat verzeiht, wenn der Beweggrund rein ist." Unzweifelhaft, gnädige Frau. Eine an sich tadelnswerte Handlung wird oft verdienstlich durch den Gedanken, der sie erfüllt." So wurde die Erörterung fortgesetzt, indem sie das Wollen Gottes entwirrten, seinen Ratschluß erkannten und ihn für Dinge sich interessieren ließen, die ihn wahrlich gar nichts angingen. Das alles war verschleiert, klug, diskret. Aber jedes Wort der heiligen Haube schlug Bresche in den empörten Widerstand der Dirne. Die Unterhaltung schweifte ein wenig ab, und die Frau vom Rosenkranz   sprach von den Anstalten ihres Ordens, von ihrer Oberin, von sich selbst und ihrer niedlichen Nachbarin, der lieben Schwester Nikephora. Sie sollten nach Havre, um in den Hospitälern Hunderte von den Soldaten zu pflegen, die von den Blattern befallen waren. Sie schilderte diese Unglücklichen und die Einzelheiten ihrer Krankheit. Und während sie auf dem Wege durch die Launen dieses Preußen aufgehalten waren, konnte eine große Zahl Franzosen sterben, die sie vielleicht gerettet haben würden! Das war ihr Fach, Soldaten zu pflegen; sie war in der Krim  , in Italien  , Oesterreich gewesen, und wie sie von ihren Feld- zügen erzählte, entpuppte sie sich plötzlich als eine jener frommen Pauken- und Trompetenschwestern, die geboren scheinen, um den Fahnen zu folgen, Verwundete im Gewühl der Schlacht aufzuheben und besser als ein Kriegsführer mit einem Worte die starken un- geberdigen Söldner zu bändigen: eine echte Schwester Rataplan, deren zerlöchertes Gesicht ein Bild der Verheerungen des Krieges war. Niemand sprach danach ein Wort, so außerordentlich schien die Wirkung. Gleich nach dem Essen gingen sie wieder in ihre Zimmer, die sie erst ziemlich spät am Morgen wieder verließen. Das Mittagesscir war still. Die Aussaat von gestern sollte Zeit haben, zu reifen und Früchte zu tragen. Die Gräfin regte an, nachmittags einen Spaziergang zu machen; da nahm der Graf, wie verabredet, den Arm Fettchens und blieb hinter den anderen mit ihr zurück. Er redete mit ihr in jenem vertrauten, väterlichen, etwas herablassenden Ton, den die gesetzten Männer gegen die Dirnen anschlagen, nannte siemein liebes Kind", sprach mit ihr von der Höhe seiner gesellschaftlichen Stellung, seiner unbestreitbaren Ehrenhaftigkeit. Er drang sofort zum Kern der Sache vor: Sie wollen uns also lieber hier sitzen lassen, sich selbst und uns allen Gewalttätigkeiten überliefern, die einer Niederlage der preußischen Truppen folgen würden,«he Sie sich zu einer Ge- fälligkeit verstehen, wie Sie sie doch so oft in Ihrem Leben gewährt haben?" Fettchen antwortete nichts. Er wirkte mit Milde, Vernunft, Gefühl. Er blieb immerder Herr Graf", so galant er sich zeigte, wo es zweckmäßig war, so schmeichelnd liebenswürdig. Er feierte den Dienst, den sie ibnen erweisen würde, und auf einmal duzte er sie launig:Außeroem, Kleine, könnte er stolz darauf sein, ein hübsches Mädel genossen zu haben, wie er in seinem Lande nicht leicht eine finden wird." Fettchen antwortete nicht und schloß sich den anderen an. Sobald sie daheim war, ging sie in ihr Zimmer und kam nicht mehr zum Vorschein. Die Aufregung war zum äußersten gespannt. Was würde sie tun? Wie fatal, wenn sie nicht wollte! Die Stunde des Abendessens kam; Fcttchjn wurde vergeblich erwartet. Herr Follenvie meldete, daß Fräulein Rousset sich nicht wohl fühle und daß man ohne sie essen solle. Alles spitzte die Ohren. Der Graf trat dicht an den Wirt heran und fragte ganz leise:«Ist's soweit?"Ja." Er hatte den Takt, den anderen nichts zu sagen, sondern gab ihnen nur einen leichten Wink. AuS jeder Brust drang ein tiefer Seufzer der Erleichterung, und die Gesichter heiterten sich auf. Loiseau rief:Potzdonnerwetter, ich zahle einen Champagner, wenn's hier welchen gibt." Frau Loiseau befiel ein Schreck, als der Wirt'mit vier Flaschen im Arm kam. Alle waren auf einmal mitteilsam und laut geworden; prickelnde Heiterkeit erfüllte die Herzen. Der Graf bemerkte augenscheinlich, daß Frau Cärre-Lamadon reizend war, und der Fabrikant wurde gegen die Gräfin liebenswürdig. Die Unterhaltung wurde lebhaft, munter, witzig. Plötzlich hatte Loiseau ein ängstliches Gesicht, er hob die Arme und brüllte:Still!" Alles schwieg, überrascht, beinahe erschreckt. Dann reckte er die Ohren und dämpfte mit beiden Händen:Sstl", hob die Augen zur Decke, horchte wieder und sagte mit feinem natürlichen Tonfall:Beruhigen Sie sich, alles geht gut." Man wollte nicht begreifen, aber alsbald huschte ein Lächeln über die Gesichter. Nach einer Viertelstunde trieb er dieselbe Posse und wieder- holte sie während des Abends noch des öfteren; er tat so, als ob er mit jemandem oben im ersten Stock redete, dem er im Geiste eines Wcinreisenden zweideutige Ratschläge erteilte. Mitunter setzte er eine traurige Miene auf und sagte:Armes Kind", oder er mur- melte wütend zwischen den Zähnen:Der Saupreuß!" Dann wieder, wenn gerade niemand mehr daran dachte, stieß er mit bebender Stimme heraus:Genug, genug!" Und wie im Selbst- gespräch fügte er hinzu:Wenn wir sie nur wiedersehen, wenn er sie bloß nicht totmacht, der Bube!" Diese Zoten waren zwar bettübsam geschmacklos, aber sie belustiFtcn doch und verletzten niemand; die sittliche Entrüstung hängt eben, wie alles andere, von den Umständen ab, und die Luft, die sich nach und nach gebildet hatte, war geschwängert mit schlüpf- rigen Vorstellungen. Beim Nachtisch wagten sogar die Frauen scherzhafte, verhüllte Anspielungen. Die Augen brannten; man hatte viel getrunken. Der Graf, der selbst in seinen lockeren Augenblicken die große, würdige Haltting bewahrte, fand einen sehr dankbaren Vergleich mit schiffbrüchigen Nordpolfahrern, die, im Eise eingefroren, nach langem Winter eine Fahrstraße gen Süden sich-öffnen sehen. Losgelassen, stand Loiseau auf, ein Glas Champagner in der Hand und rief:Ich trinke auf unsere Erlösung."