Vater, ein ans dem Bremischen eingewanderter Schneidermeister.nabm in Stockbolm eine hessische Schneiderstochter zur Frau. DerenSohn, der Grotzvater, wurde Professor an der Universität Upsalaund mackte sich als Dichter einen Namen. Karl MichaelsBater endlich war Sekrelär an der löniglichen Schloßkanzleiund wurde mit der Tochter des Oberpfarrers Hermoniusverheiratet, als Oberlandrichter entlassen. Der Dichterselbst amtierte sein lebelang in verschiedenen Kanzlisten-und Sekretärstellungen herum, die er bald aus äuheren Umständen,bald durch eigenes Verschulden wieder verlor. So war er bei derReichsbank, beim Manusakturkontor, bei der Zolldirettion, bis demSechsunddreißigjährigen der König Gustaf lEL. ein persönlicherVerehrer des Bellmanschen GeiaugeS, durch einen Lotterie-sekretärsposten eine Sinekure und auherdem durch eine Pensioneinen bescheidenen, aber gesicherten Unterhalt für sein Lebenund damit für seine Dichtung verschaffte. Erst in seinenletzten drei Jahren, um die Bellman den König überlebte,scheint er wirklich die bittere Rot kennen gelernt zu haben. Derneue König entzog ihm die Pension, und Bellman, der mittlerweile(1777) eine Familie gegründet hatte, vom Trunk und lustigen Lebenkörperlich und seelisch zerrüttet war, muhte noch wenige Monate vorseinem Tode inS Schuldgefängnis wandern. Durch gute Freundedaraus befreit, wurde er bald von der Scb windsucht aufs Kranken-bett geworfen, von dem er nicht mehr aufstand. In diesen Jahren,ja lange vorher, war aber sein poetisches Gestirn schon im Nieder-gang gewesen. qDiese Angaben stehen auch hier, um der bürgerlich-romantischenLegende entgegenzutreten, die fich gern des Falles Bellman bedienthat und türver bedienen wird: als könnte das künstlerische Geniegewiffermahen vermöge seines überirdischen inneren Reichtums ausder Lust wachsen und von ihr leben. Wir haben gesehen, dahmehrere Generationen w zunehmendem Bürgerwohlstand vorauf-gehen muhten, bevor der Enkel, allerdings auf Kosten eineszerstörten Lebens, seinem Volle daö werden konnte, waSer geworden ist. Er selbst hat zudem an seinen kleinenAemtern, an gutsituierten Freunden und dem protegierendenKönig fast fein ganzes Leben einen dauernden, wenn auch nichtstarken ökonomischen Rückhalt gehabt. Den Menschen Bellman mitden Gestalten seiner Dichtung, besonders denen von.FredmanSEpisteln* zu identifizieren, ist ein unmögliches Verfahren, das auchin der neueren schwedischen Forschung seines Lebens keinen Platz mehrfindet. Ein gesellschaftlicher Paria an der untersten Grenze der Existenz»Möglichkeit aus dem Fredmankreise, der seine Tage von Bettelpfennigenfristet, daS Tageslicht nur durch den Flaschenboden sieht und im Rinn-stein Nachtquartier hält, konnte nicht diese vom frischestenLeben erfüllten, von kunstflcherem Gefühl gemeisterten Lieder voll-bringen. Gewih hat Bellman andererseits nie auf die Dauer sichirdischen Ueberfluffes erfreut. Seine eigene Schuld an einerewigen Geldklemme ist erwiesen: denn er war von seinen erstenselbständigen Tagen an bis zum Grabe ein unverbefferlicher Leicht-fuh. Aber gerade darin, mit den sympathischen wie den ver-hängniSvollen Seiten eines solchen Charakters, war er das echteKind seiner Zeit, war er überhaupt der echte Sohn des ober-schwedischen BodenS, wie er heute noch lebt und in BellmanS Liedernsich wiedererkennt. Bellmans Auftreten fiel in daS Ende einer Epoche,die die von Gustaf Adolf bis zu Karl XII. reichende.Grohmachts-zeit" ablöste und ihrerseits von dem.aufgeklärten Despotismus*Gustafs III. verdrängt wurde. Diese Zwischenzeit, die merkwürdiger-weise die.Freiheitszeit* hieh, war charakterisiert durch eine völligeOhnmacht der Krone, eine fast absolute Herrschaft des Stände-reichStags, kriegerische und schutzzöllnerische Politik nach auhen,Parteiwirtschaft im Innern be» völlig zerrüttetem Finanz-und Kreditwesen und gleichzeitiger Korruption der Regierendendurch die ausländischen Höfe. Das GesellschastSleben der oberenKlaffen war dem gleichzeitigen in Frankreich vor der Revolutiondurchaus verwandt, milde ausgedrückt: ein frivoles Jn-den-Tag-Hineinleben. Bälle und Maskeraden, völlerische Gastereien undschmutzige Liebesaffären bildeten daS ununterbrochene täglicheAmüsement dieser politischen Bankrotteure,— kein Wunder, dah auchschliehlich Bürger und Beamte mit in den Strudel gezogen wurden,dah auch der Sekretär Bellman an dem lustigen Leben seinen Anteilnahm. Der Erfolg war, dah er bereits mit 23 Jahren zu jener Fluchtnach Norwegen vor seinen Gläubigern gezwungen war und bis an seinEnde vor diesen, bei seinesgleichen ständigen Plagegeistern keineRilhe finden sollte.Nichts anderes als die Erlebniffe, genauer: die Beobachtungenfeiner allzuvielen wilden Rauschtage geben den Stoff ab zu seinemklassischen Hauptwerk, den Episteln. Es ist nicht unerheblich, dahBellman aus einem Hause kam, das sich dem herrschenden Zeitgeist,den AufklärungSideen und dem leichtsinnigen Lcbensgennh, durchausverschloh und vielmehr den düsteren Grundsätzen des Pietismus an-hing. Von einer solchen strengeren Gesinnung zeugen auch die erstenpoetischen Versuche Karl Michaels, die bis ins Jahr 17b7 zurück-gehen: etwa Moralsatiren, die er gegen die Welllust der jungenDamen richtet, religiöse Dichtungen, Gelegenheitspoeme im Herr-schendcn akademischen Stile. Aber wie gewöhnlich: gerade die Ab-kehr von der Weltlust, wie sie ihn das Elternhaus lehrte, lieh ihnum so süheren Geschmack an der verbotenen Frucht finden. Ausdem Saiilus wird ein Paulus des Weib-Wcin-Gcsang-Evangeliums. Die bürgerliche Emanzipation bahnte sich dainalsallenthalben in Europa durch Stiftung geheimer humanitärer Ordens-gesellschaften, nach dem Vorbilde der Freimaurer an, hier wird einfiarodissischer Bacchusorden gegründet, dessen Seele Bellman ist, dereine Ordenskapitel abhält und Ritterschläge an bewährte Bacchus-diener erteilt. Patriarchen des alten Testaments werden mit wohl»wollendem Spott als Vorbilder der Trinkseligkeit, ihre Damen alSsolche der Fleischeslust besungen. Und der Apostel deS neuen Sauf»und Buhlevangeliums richtet, gleich Paulus, an feine lieben Brüderund Schwestern lebhafte Episteln umer der Maske des.berühmtenUhrmachers ohne Uhr, Werkstatt und Geschäft* Fredman.Wie der Apostel und Wortführer Fredman, so find auch dieanderen Figuren der.Episteln* rettungslos gescheiterte Existenzen.Da marschieren an der Spitze der Korporal Mollberg, ein letzterNachläufer der stolzen Grohmachtszeit, der einst.ein HouS belaß,dann eine Zeillang Fabrikant war, dann Reiter ohne Haus, Pferdund Schabracke und schliehlich Tanzmeister* und der Artillerie-konstabler Movitz, ein weiches Gemüt, mit echten mufika-lischen und malerischen Fertigkeiten. Da find die StadtmufiziBerg und Bergström, Winkeladvokaten und Trödler, Zoll- undSteuerbeamte, emgleiste Handwerker und Bummler recht undichlecht— alle finden sie sich beim Branntwein und beim Hopserzusammen. Und um sie wogt das Heer der Krugwirte undWirtinnen mit ihren gefälligen Mädchen, den.Nymphen*, deren ammeisten umworbene die urwüchsig reizvolle Ulla Winblad ist. Eineganze Ortskunde des alten Stockholm wird uns gegeben, namentlichim Hinblick auf die zahlreichen Belustigungsstellen: die schmutzige,winklige Altstadtinscl mit ihrem Hafengetriebe und dem Seemanns-voll, die hochgelegene felsige Südstadt sauf der auch Bell-manS Geburtshaus stand), die anwachsende Nordttadt. landeinwärtsden Mälarftrom hinauf die ländlichen Ausflugsplätze und nachder Seeseite hin der idyllische Tiergarten, das eigentliche Bellman-Paradies, in dem noch heute alljährlich mit Sang und Aufzügendas Bellmanfest gefeiert wird. Und in den Schicksalen dieser vonNot und Lebenslust zusammengewürfelten Schar spiegelt sich einganze? grohes Dasein, zwischen Geburt und Tod und allemAuf und Ab. Ulla, die Nymphe, genest eines KindeS. Mollbergbieret zum Kindelbier auf und zum TotenfchmauS, oder er führtfeinem Kameraden die Leichenparade. Einer nach dem anderen wanktdem Grabe zu. Movitz ist von der Schwindsucht ergriffen, zwei seinerLiebsten muh er verlieren, die braven Krugmütter müssen dranglauben wie die unseligen Zechkumpane selbst. Nach Ulla, die dieSrromsahrten der Bande, als Venus auf den Wellen, verschönt,strecken die Büttel ihre Arme aus und spedieren sie ins Spinnhaus.Im Dirnenquarner bricht ein nächtlicher Brand ans. Mollberg stehtauf Posten, Movitz wird von Ulla im Artillerielager besucht, Gerichts-fitzungen und Bierbankpolitik, Kegel- und Kartenspiel. Schlitten»und Slromfahrten werden nun nacheinander vorgeführt. DenHauptameil der Episteln bestreitet jedoch das Krugleben mit wildemt ecken, Musik und Tanz, feiler Liebe und den unvermeidlichen-chlägereien. Aber über diesen Menschen und ihren engen Schick-salen leuchten eine freie Natur und eine idyllische Landschaft alSErlösung.Bellmans ursprünglicher Plan, dieses sein Evangelium einersorglos-unbekümmerten Lebensbejahung in Form von parodiertenBibelepisteln zu verkünden, ist nur in den ersten Stückender 82 umfassenden Sammlung durchgeführt. Mag man dieübrigen Gedichte als lyrisch, episch oder auch dramatisch be-zeichnen, es trifft doch nicht ihren Kern, wenn eS auch wiederumnicht immer ganz unrichtig ist. Die Form ist eben Bellmans unddarin so einzigartig, wie seine Erscheinung selbst in der Weltliteratur.Er hat dem Ganzen, wie einem Drama, ein Personenverzeichnisvoraufgesetzt, jedoch ein spahhast kommentierendes, und deutet damiteigentlich nur an. dah die Figuren— besonders Mollbcrg, Movitz,Vaier Berg und Ulla als Schauspieler— durch daS ganze Buchgehen. Fredman aber, BellmanS zweites Ich, ist eS, der infast allen Liedern das Wort führt. Bald spricht er, stets Zitherund Glas zur Hand, zu allen, bald führt er mit einigenWechselrede oder berichtet von ihren Abenteuern: seltener kommendie anderen auSschliehtich zu Wort. Man ist also eigentlich stetS,dank einer direkten Rede, mitten in der Situation. Zur Betracht-samkeit findet Fredman wenig Zeit und Gelegenheit, obwohl geradedieser Gattung einige der schönsten Stücke angehören(.Selbstgespräch,als Fredman vorm Kruge Krieckbinein lag, in einer Sommernacht1768" oder seinen„Letzten Gedanken"), wie auch die schwärmendenLiebeSclegien spärlicher sind, als die zupackenden Verherrlichungendes Augenblicks.Bellman ist seinerzeit kein Jdcenkünder gewesen. Er eignete sichvorhandene Formen und Inhalte an und bildete sie aus, seinemeigenen überschäumenden Temperamente gemäh, um. Ebensowie er parteilos zwischen den alleSbewegenden Kämpfender ReichStagSparteien. der sogenannten.Hüte" und„Mützen*stand, so konnte er, der Sohn des Mittelstandes, seine poetischenStoffe in der Tiefe des Volkes suchen und andererseits für seineDichtungen bei Hofe und in angesehenen Bürgerhäusern die be-geistertste Verehrung finden. Bellmans dichterische Kraft und Be-dcutung, sowohl für seine Zeit wie für die Gegenwart, liegt ineinem grandiosen Dar st ellungsver mögen, und zwar erzielter feine stärksten Wirkungen durch einen blutvollen Realismusund das Instrument einer biegsamen Sprache, daS denleisesten Intentionen seines Meisters gehorcht und über jeden Tonmenschlichen Gefühls mit gleichem Wohlklange verfügt. Nicht dasallein aber ist sein Realismus, daß Bellman nur Stockholm