Weicht,'er? Idiot l" schrie Ltt SandwuM." Dcmn kroch er fort. Urrd der Seesternorm lag und wuchs, und es dauerte gar nicht viele Tage, bis alles an ihm wieder ausgewachsen war. Nun war er ebensogut Seesiern, wie die andern nur der alte Arm war viel größer, als die vier neuen. Aber das besserte sich ja gewiß mit der Zeit. Froh ging er in die Welt hinaus, um jemand zu finden, gegen den er sich wichtig machen könnte. .(Nachdruck»erdolen.Z Die Kuidcsmörderin. Durch die Weltgeschichte des Frauenelends schleicht das blutige Gespenst der Kindesmörderin. Unzählige sind in Schande und Marter zugrunde gegangen, und die Frau allein trug das Mar- tyrium. Der Mann erscheint an ihrer Seite nur als Richter, Folterknecht und Henker; aber der mitschuldige Mann, der das Kind zeugte, ist niemals dort zu finden, wo die Frau geopfert wird, er zieht leichten Herzens ungestraft feines Weges, den lustigen Ge- schmack genossener Buhlschaft auf den Lippen, nach neuem Zeit- verlreib auslugend. Bis in das Ende des 18. Jahrhunderts lastet die ganze Grau- samkeit mittelalterlicher Justiz auf der armen Dirne, die unehelich empfing, um ein bißchen Liebe zu genießen. Die uneheliche Mutter war nicht nur gesellschaftlich geächtet, sondern sie verfiel durch die »Unzucht" auch der kriminellen Ahndung. Und doch stießen die vielen Eheverbote und Eheerschwerungen ständischer, konfessioneller und materieller Art die Frau fast gewaltsam in daS ungeweihte Bett der Liebe. Die Geburt eines Kindes bedeutete ihre Ausstoßung aus der Gesellschaft, entledigte sie sich aber der verfluchten Bürde, die in Angst und Qual ihren Schoß unentrinnbar schwellen ließ, so ward sie von rohen Knechten mit glühenden Zangen zum Geständnis gebracht, an den Galgen geknüpft, gepfählt, im Sack ertränkt oder lebendig begraben unter pfäfsischen Gebeten. Die revolutionäre Weltstimmung am Ende des 18. Jahrhunderts, das die Menschlichkeit wieder entdeckte, linderte auch das Los der Kindesmörderin. Pestalozzi, der große Erzieher, der die ganze Tragik eines einsamen, allzu feurigen Idealismus in feinem Dasein auskosten mußte, hatte aus dem Studium der Gerichtsakten die Er- kenntnis gewonnen, daß häufig die uneheliche Mutter im Augenblick der Geburt im kranken Zustande geistigen Wahns unfrei und be- wußtloS das Verbrechen mechanisch verübte, und predigte leiden- fchastlich Milde für die Unglücklichen. Eine Preisanfgabe wurde ge- stellt:»Welches sind die besten ausführbaren Mittel, dem KindeS  - morde abzuhelfen, ohne die Unzucht zu begünstigen." Die drei preis- gekrönten Arbeiten wurden 1784 in Mannheim   veröffentlicht. Die Dichtung nahm sich der Kindesmörderin an: H. L. Wagner  , Bürger, Schiller   weihten die Märtyrerin, und in der Gretchcn-Tragödie des Faust schuf Goethe erbarniend und begreifend ans der gefolterten Kreatur der Henkersknechte eine weltliche mater dolorosa. Hellte hat das Recht die Strafe für Kindesmord gemildert, aber nur unter gewissen Voraussetzungen gilt diese Tötung nicht als Mord. DaS deutsche Strafgesetzbuch versteht unter Kindesmord nur die Tötung eines unehelichen Kindes in oder gleich nach der Geburt durch die Mutter. Das französische   Strafgesetz begreift darunter die Tötung jedes Neugeborenen durch irgend eine Person. Im Vor- entwurf zum schweizerischen Strafgesetzbuch ist KindeSmord die vor- sätzliche Tötung eines Kindes durch die Gebärende unter dem Einfluß des Gebäraktes. Die Rechtswissenschaft streitet über die Gründe, welche solche Milderung der Strafe vor dem gewöhnlichen Mord rechtfertigen. Die Auffassung Pestalozzis von der Bewußtseinstrübung im Vor- gang des Gebärens kämpft mit der anderen, die mit der Furcht vor Schande die Herabsetzung der Strafe rechtfertigt. Die psycho- logischen Einwirkungen des Geburtsaktes auf die Zurechnungsfähig- keit werden von einzelnen Kriminalisten gänzlich geleugnet, die nur denEhrennotstand" gelten lassen, die Furcht vor Schande. Von dieser Streitfrage ausgehend, sich aber weit über ihre Enge erhebend, untersucht Margarete Meier auf Grund von Material des Züricher   Universitätsinstituts für gerichtliche Medizin, die Psycho- logie des Kindesmordes. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung ver- öffentlicht sie in einer ganz hervorragenden Arbeit im»Archiv für Kriminal- Anthropologie" slSIl), Heft 3/4). Dieser auf persönlicher Beobachtung von KindcSmörderinnen und Aktenstudium beruhende »Beitrag zur Psychologie des KindesmordeS" müßte unmittelbar eine fundamentale Aenderung der Gesetzgebung veranlassen, wenn diese durch Vernunft und Humanität, statt durch Klasieninteressen bestimmt würde. Jene Streitfrage beantwortet Margarete Meier dahin, daß eine durch den Geburtsvorgang verursachte Verminderung der Zu- rechnungsfähigkeit in keinem Falle nachzuweisen sei. Wenn aber auch keine Bewußtseinstrübung vorhanden ist, so befindet sich die Frau dennoch durch die Geburt»in einer so neuen, ungewohnten Situation, sie steht unter dem Zwange einer solchen Menge drückender Tatsachen, an einem solchen Wendepunkt ihres Lebens, daß ihr Zustand nicht normal genannt werden kann". Gcrechtsertighsei, den GeburtSvorgang alS strafmildernd z« berücksichtigen, nicht be- rechtigt aber, daß erdaS strafmildernde überhaupt sei". In der Tat sind die anderen Motive des Verbrechens ungleich wichtiger. In den von Margaret Meier untersuchten Fällen wirkten als Motive der Tat, sich mehr oder weniger miteinander verflechtend: Verlassenheit(im engeren Sinne) durch den Kindesvater 3 mal; Verlassenheit in, weiteren Sinne(weil die Frau keinen Halt an ihrer Umgebung hatte) 11 mal; Ehrennotstand L mal;- Finanzielle Not 8 mal; Abneigung gegen Kind und Vater 3 mal; Abneigung gegen das Kind 1 mal. Gemeinsam ist allen Fällen: 1. Daß die schwersten Verantwortlichkeiten nicht In den Täte­rinnen selbst liegen. 2. Daß die Täterinnen GelegenheitSverbrecherinnen sind. 3. Daß die Verhältnisse überall der Entwicklung des mütter» lichen Gesühls entgegenwirken. Zur Erläuterung bemerkt die Verfasserin:»Bei den Verbrechen der Frau und namentlich bei ihren sexuellen Verbrechen, wie Kindes- mord usw., den Mann zu suchen, der selbstverständlich dahinter steckt. daS wäre so naheliegend und natürlich." Aber den Mann zu suchen, würde nichts nützen;denn daS Gesetz kann ihm nichts tun, weil er entweder... nichts juristisch Wägbares getan hat oder, weil er wie die unehelichen Väter durch ein besonderes Gesetz geschützt ist".Er kann durch das Gesetz nur höchstens zur Linde- rung der finanziellen Not herangezogen werden; dafür, daß er die uneheliche Mutter der Schande und der Verzweiflung des Verlassen» seins preisgibt, dafür kann kein Gesetz ihm etwas anhaben. Viel mehr als die finanzielle Not drängen aber die letzteren Momente die Unglücklichen zu ihren Verzweiflungstaten."Jedenfalls existiert meines Wissens zurzeit kein Gesetz, das dem Manne für die un« ehelichen Kinder die gleiche Verantwortlichkeit auferlegt, wie für die ehelichen. Bei diesem Rechtszustand sollte es für jedes Gesetz und für jedes Gericht Ehrensache sein, die Tötung eines unehelichen Kindes durch die Muttsr oder einen anderen Anverwandten, auf den die Last fallen würde, so gelinde als irgend möglich zu bestrafen, denn dieser Rechtszustand ist an allen diesen Verbrechen mitschuldig. Die scharf- finnigen Erwägungen über Ehrennotstand und Einfluß der Geburt sollten eigentlich für diese Fälle überflüssig sein." Ist so der heutige Rechtszustand mitschuldig, so nennt Margarete Meier die Tötung des Kindes nnt Fug eine Art mütterlichen Selbst- mordes. Fast alle die Kindesmörderinuen stammen aus Ilcinbäuer- lichen, durch Geisteskrankheit und Alkoholismus   entarteten Familien. Es sind kranke Sprößlinge, deren Beseitigung für die Gesellschaft, wie Margarete Meier mit einer gewissen Härte meint, keine Schä- digung bedeutet. Fast könnte man glauben, daß die Natur den Kindesmord bisweilen als Kunstgriff wählt, um die Gesellschaft nicht mit menschlichen Krüppeln zu belasten. Ein Teil der Täterinnen ist geisteskrank, fast alle in verschieden hohem Grade geistig oder moralisch oder geistig und moralisch minderwertig. Endlich ist der Entschluß zur Tat in den seltensten Fällen vorgefaßt tind wird meistensden Täterinnen durch den Wunsch erdrückender Tatsachen und Verhältnisse erst im Moment der Tat aufgezwungen". Es sind armselige Geschöpfe, deren Schicksal uns Margarete Meier zeichnet. Aber keine, auch die nicht, welche für Lebenszeit ins Zuchthaus gesteckt wurden, ist so verworfen, wie Goethes Gretchen. deren Missetaten die Verfasserin aus der Sprache des DichterhcrzenS in die heutige Gerichtssprache übersetzt; ein besonder» leichtsinniges, verbrecherisches Mädchen, das sich einem hergelaufenen Manne ergibt, von dem es nichts weiß, der ihm nicht einmal die Ehe verspricht, das die Mutter vergiftet, das Kind ertränkt. Der Dichter macht die Seele reden, dendunklen Drang" niit dem»daS Gericht bis jetzt nichts anzufangen weiß". Die Fälle, die Margarete Meier darstellt, lassen in die Abgründe unserer Kultur blicken. Da tötet eine arme Großmutter das Enkelkind, weil sie schon so viel Plage mit den unehelichen Kindern ihrer Töchter gehabt hat. Eine furchtbare Tragödie zerschmettert eine guterzogcne, auS günstigen Familienverhältnissen stammende Frau. Zwei Schwestern, die in Bureaus tätig sind. Sie leben zusammen, schlafen in einem Zimmer, prüde, ein Jahrzehnt lang scheinbar ohne sexuelles Leben. Aber die eine Schwester hat ihren heimlichen Roman, mit einem verheirateten Manne. Sie ivird schwanger. Sie wird von Wehen   befallen, und ohne daß die Schwester etwas ahnt. gebiert sie nachts ein Kind und vernichtet es. Kein Arzt. Sie schleppt sich aufrecht und wird schwer krank. DaS verrät die heimliche Geburt. In einem Spital erhängt sie sich an einem Bettlaken. »Das gleiche, wofür ihrem Geliebten weder von der Welt noch von den Gesetzen ein Haar gekrümmt wird, muß sie mit einem Ver- brechen und mit dem Leben bezahlen." Ein Dienstmädchen tötet aus Angst vor Schande und Not ihr Kind, das ein Witwer ihr gezeugt hat. Wie sie wieder freikommt, verkriecht sie sich vor allen Menschen;sie würden mit den Fingern auf mich zeigen," schreibt sie der Verfasscrm. Eine in einem Hotel beschäftigte Bauerntochter wird von einen, Reisenden trunken gemacht und verführt. Der prahlt am anderen Tage,»die habe er erwischt". DaS Mädchen hat niemals einen Menschen gehabt, zu dem sie Vertrauen gehabt hat; nie jemand geliebt. Sie verlobt sich während der Schwangerschaft mit einem Handwerker, dem sie ihren Zustand verbirgt� Dann tötet sie das Kind, daS zwei Monate zu früh in die Welt will. Im Zuchthaus findet das verängstete und verstoßene Wesen Frieden.